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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 13.06.2003
Aktenzeichen: 7 W 20/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
1. Der Anspruch auf Erstattung des durch einen ärztlichen Behandlungsfehler verursachten behinderungsbedingten Mehraufwands steht dem geschädigten Kindes selbst zu. Dessen Eltern sind insoweit lediglich mittelbar Geschädigte ohne eigenen Anspruch, denn der Schutz des Vermögens der Eltern fällt in der Regel nicht in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags.

2. Die im Verfahren vor der Gutachterkommission erhobenen Gutachten dürfen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe im Weg des Urkundenbeweises zur Prüfung der Erfolgsaussichten verwertet werden.

3. Wer die Haftung eines Arztes aus der fehlerhaften Unterlassung eines Schwangerschaftsabbruchs herleitet, muss darlegen und beweisen, dass dieser rechtmäßig gewesen wäre.


Oberlandesgericht Karlsruhe 7. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 7 W 20/03

13. Juni 2003

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 17.10.2002 - 8 O 218/02 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Tochter der Antragsteller kam am 16.12.1997 schwerstgeschädigt mit Spina bifida, Hydrocephalus und einem Klumpfuß zur Welt. Ihre Mutter, die Antragstellerin zu 1, war wegen eines vermuteten Anfallsleidens im März 1997 in der Behandlung der Neurologischen Klinik der Antragsgegnerin zu 1. Sie erhielt dort Medikamente, die nach Behauptung der Antragsteller zur Schädigung der Leibesfrucht und damit des Kindes führten.

Die Antragstellerin zu 1 war vom 27.06.1997 bis zur Überweisung in die Universitätsfrauenklinik am 07.08.1997 in der Behandlung des als Antragsgegner zu 2 in Anspruch genommenen Frauenarztes. Am 27.06.1997 stellte er die Schwangerschaft der Antragstellerin zu 1 fest, beurteilte sie als in der 13. + 2 Schwangerschaftswoche und den Fötus als unauffällig. Diese Beurteilung halten die Antragsteller für grob fehlerhaft und behaupten, sie hätten dem Antragsgegner zu 2 auch im Hinblick auf die Behandlung bei der Antragsgegnerin zu 1 erklärt, gebe es die Gefahr von Missbildungen (ein früheres Kind der Antragsteller war 1996 sieben Tage nach der Geburt wegen eines Multiorganversagens infolge des vererbten OTC-Gendefekts verstorben), wolle die Antragstellerin zu 1 die Schwangerschaft abbrechen.

Das Landgericht hat die beantragte Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der die Antragsteller beide Antragsgegner auf Feststellung ihrer Pflicht zum Ersatz sämtlicher behinderungsbedingten Mehraufwendungen und den Antragsgegner zu 2 auf Feststellung seiner Pflicht zum Ersatz sämtlicher materieller Schäden sowie (Antragstellerin zu 1) auf Schmerzensgeld in Anspruch nehmen wollen, versagt.

II.

Die hiergegen erhobene zulässige sofortige Beschwerde (§§ 127, 567 ZPO) ist nicht begründet.

A) Haftung der Antragsgegnerin zu 1:

1. Die beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin zu 1 ist schon deshalb ohne Aussicht auf Erfolg, weil den Antragstellern ein ersatzfähiger Schaden nicht entstanden ist. Den Vortrag der Beschwerdeführer als richtig unterstellt, haben die der Antragstellerin zu 1 im Krankenhaus der Antragsgegnerin zu 1 im März 1997 verordneten Medikamente den Schluss des Neuralrohres verhindert und die Meningomyezele verursacht, ferner auch die übrigen Behinderungen des Kindes. Dieses ist also geschädigt worden und ihm steht (wenn die Behauptung der Antragsteller richtig sein sollte, dass die Medikation fehlerhaft und ursächlich gewesen ist) der Anspruch auf Schadensersatz zu (vgl. BGHZ 58, 48). Der Schaden als von ihnen zu tragender behinderungsbedingter Mehraufwand trifft sie erst wegen der Schädigung des Kindes. Die Antragsteller sind also (nur) mittelbar Geschädigte und auch der Behandlungsvertrag ist nicht auf den Schutz des als betroffen bezeichneten Rechtsgutes gerichtet, (vgl. Münchener Kommentar-Oetker, 4. Aufl., Band 2 a, § 249 Rn. 269, 272; BGH NJW 1977, 1283). Rechtsgut in diesem Sinn ist hier allein das von den Antragstellern geltend gemachte eigene Vermögen (und nicht die Gesundheit und Integrität ihrer Tochter). Die Schädigung der Leibesfrucht ist auch keine Körperverletzung der Mutter (OLG Düsseldorf NJW 1988, 777/778; anderer Ansicht OLG Oldenburg NJW 1991, 2355; OLG Koblenz NJW 1988, 2959, 2960). Die Voraussetzungen, unter denen der mittelbar Geschädigte nach Deliktsrecht einen Anspruch auf Schadensersatz hat (§§ 844, 845 BGB), liegen nicht vor.

2. Trotz der Divergenz zwischen den Ansichten des Senats und der Oberlandesgerichte Oldenburg und Koblenz ist die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, weil die Versagung von Prozesskostenhilfe auch mit der Begründung des Landgerichts richtig ist und damit die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2, 3 ZPO nicht vorliegen (vgl. BGH NJW 2003, 831).

a) Dass die im Verfahren vor der Gutachterkommission erhobenen Gutachten im Weg des Urkundenbeweises auch zur Prüfung der Erfolgsaussichten im Verfahren über die Prozesskostenhilfe verwertet werden dürfen, entspricht der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 14.06.2000 - 7 W 15/00).

b) Insbesondere nach dem überzeugenden pharmakologischen Gutachten S. vom 23.02.2001 ist die Kausalität zwischen der Medikation und den Missbildungen der Tochter mehr als zweifelhaft. Für die Medikamente Saroten (Wirkstoff: Amitriptylinhydrochlorid) und Frisium (Wirkstoff: Clobazam) sagt der Sachverständige in Übereinstimmung mit dem neurologischen Gutachten D., dass sie keine wesentliche Rolle für die Entstehung kindlicher Missbildungen spielen bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die Ursache derjenigen des Kindes sind. Es kommt hinzu, dass Saroten erst ab 24.03.1997 gegeben worden ist (Klageentwurf S. 3) und nach den Ausführungen des Sachverständigen G. bei (vom Sachverständigen S. detailliert begründetem) Schwangerschaftsbeginn der Schluss des Neuralrohrs schon vor der Gabe von Saroten (spätestens am 23.03.1997) hätte erfolgen müssen. Das Medikament Timonil (Wirkstoff: Carbamazepin) war (mit doppeltem Risiko) geeignet, die Entstehung des Neuralrohrdefekts zu verursachen. Dieses Medikament nahm die Antragstellerin zu 1 aber bereits seit Oktober 1996 ein, sodass auch deshalb die Ursächlichkeit eines - unterstellten - Behandlungsfehlers der Beklagten zu 1 zweifelhaft ist, weil andere Ursachen, insbesondere die Stoffwechselerkrankung des OTC-Defekts, für die Entstehung verantwortlich sein kann.

Unter diesen Umständen ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass der Beweis des Ursachenzusammenhangs nicht zu führen ist. Beweiserleichterungen sind nicht anzunehmen. Für grobe Behandlungsfehler ist nichts ersichtlich; zwar hält der Sachverständige D. die Nichtbeachtung der Stoffwechselstörung der Antragstellerin zu 1 für fehlerhaft, weist aber gleichzeitig auf die große Seltenheit des Gendefekts hin, nach dem routinemäßig auch nicht gesucht werde. Auf unterlassene Risikoaufklärung lässt sich der Anspruch gleichfalls nicht stützen, weil auch für eine Haftung in diesem Bereich der Schaden Folge der eigenmächtigen Behandlung sein muss und davon - auch im Rahmen des anwendbaren § 287 ZPO - nicht auszugehen ist.

B. Haftung des Antragsgegners zu 2: Der Antragsgegner zu 2 haftet von vorneherein nicht für den Unterhaltsaufwand, den die Antragsteller erbringen müssen. Voraussetzung dafür wäre nicht nur ein Vertrag auf praenatale Untersuchung der Antragstellerin zu 1 in der Schwangerschaftsberatung zwecks Vermeidung der Geburt eines schwergeschädigten Kindes (was hier schon zweifelhaft ist), sondern vor allem, dass ein etwaiger Behandlungsfehler zu einer vertraglichen Haftung auf Ersatz des Unterhaltsaufwandes führen könnte (andere Schäden, wie sie die Antragsteller möglicherweise geltend machen wollen, vgl. den beabsichtigten Antrag zu II, sind nicht ersatzfähig; BGH NJW 1997, 1638).

Nur die fehlerhafte Unterlassung eines rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs kann aber die Haftung des Arztes begründen (ständige Rechtsprechung, BGH VersR 2002, 1148, 1149; VersR 2002, 233, 234 jeweils m. w. N.). Zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Antragsgegner zu 2 im Sommer 1997 rechtfertigte die von den Antragstellern allein angesprochene sog. soziale Indikation den Abbruch von Schwangerschaften längst nicht mehr. Die sog. embryopathische Indikation des früheren § 218 a StGB ist seit dessen Änderung 1995 entfallen. Die Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 StGB in der im Jahre 1997 geltenden Fassung für einen nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch sind nicht einmal ansatzweise vorgetragen, die Antragstellerin zu 1 sagt nur, sie sei (während der Schwangerschaft) aufgrund der drohenden wirtschaftlichen und sozialen Notlage erheblichen psychischen Belastungen ausgesetzt gewesen. Das ist etwas ganz anderes als die Indikation, die Schwangerschaft zur Abwendung einer Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden.

Unter diesen Umständen kommt auch ein Anspruch der Antragstellerin zu 1 auf Schmerzensgeld wegen der Entbindung ihrer Tochter durch Kaiserschnitt nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

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