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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 23.12.1998
Aktenzeichen: 7 W 52/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485 Abs. 2
ZPO § 485 Abs. 1
ZPO § 575
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 7. Zivilsenat

7 W 52/98 2 O H 8/98

Karlsruhe, 23. Dezember 1998

Rechtsstreit

wegen Beweissicherung

Beschluss

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Landgerichts Mannheim vom 02.09.1998 - 2 OH 8/98 - im Kostenausspruch aufgehoben und im übrigen wie folgt geändert:

1. Die Antragstellerin behauptet,

a) sie leide an folgenden Gesundheitsschäden:

Strom-, Metall- und Eitergeschmack im Mund,

Reizhusten,

Atemnot,

Gelenk- und Kopfschmerzen,

Schwindelanfälle,

reduzierter Merkfähigkeit,

feines Zittern an den Augenlidern,

Mundzucken,

Zahnfleischentzündung,

blauvioletter Saum an den Zahnkronen,

Zahnausfall,

eitrige Nasennebenhöhlenentzündung,

Brennen der Schleimhäute,

geschwollene Zunge,

geschwollene Lymphdrüsen am Hals,

Atemnot, asthmatische Erstickungsanfälle,

Kiefergelenk- und Muskelschmerzen,

Migräne,

Schlaflosigkeit,

Müdigkeit und Antriebslosigkeit,

Haarausfall

b) Diese Gesundheitsschäden hätten ihrer Ursache in der Verwendung von mittels der Palladium-Legierung Deva 4 hergestellten Zahnkronen durch den Antragsgegner 2.

2. Hierüber ist Beweis zu erheben durch schriftliches Sachverständigengutachten.

II. Die Bestimmung von Sachverständigen wird dem Landgericht übertragen.

III. Die weitergehende Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

IV. Von den außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin diejenigen der Antragsgegnerin 1 sowie die Hälfte der eigenen. Von den Gerichtskosten des Beschwerderechtszuges trägt sie die Hälfte. Im übrigen ergeht eine Kostenentscheidung nicht.

V. Beschwerdewert: 40.000,00 DM.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hat zuletzt vorgetragen, seit der Versorgung mit "Vorderkronen" aus der von der Antragsgegnerin 1 hergestellten Palladium-Legierung Deva 4 durch ihren Zahnarzt, den Antragsgegner 2, am 03.02.1988 leide sie an den in der Beschlußformel genannten Beschwerden. Sie hat beantragt, das Gutachten eines Sachverständigen über die Frage einzuholen, welche unerwünschten, allergischen und/oder toxischen Nebenwirkungen die Verwendung der von der Antragsgegnerin 1 hergestellten und vom Antragsgegner 2 verwendeten Palladium-Legierungen "Deva" und "Dentitan" bei der Antragstellerin verursacht hat, und mit der beim Landgericht eingelegten Beschwerde hilfsweise, über die Frage, ob diese Beschwerden auf die Verwendung der von der Antragsgegnerin 1 hergestellten und vom Antragsgegner 2 verwendeten Palladium-Legierung "Deva 4" zurückzuführen seien.

Die Antragsgegnerin 1 beruft sich auf Verjährung, beide Antragsgegner bestreiten die Ursächlichkeit und halten den Antrag für unzulässig.

Das Landgericht hat ihn mit Beschluß vom 02.09.1998 zurückgewiesen.

II.

Die hiergegen zulässig (§ 567 ZPO) eingelegte Beschwerde ist hinsichtlich des Antragsgegners 2 begründet.

1. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil die Antragstellerin versuche, ausfindig zu machen, welche Schäden die Verwendung eines bestimmten Produkts bei ihr ausgelöst hätten, und damit nur, sich die Grundlagen für eine Klage zu verschaffen. Dies sei nicht der Zweck des selbständigen Beweisverfahrens.

2. Nach § 485 Abs. 2 ZPO kann die von der Antragstellerin begehrte Begutachtung u.a. dann angeordnet werden, wenn sie ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ursache eines Personenschadens hat (a.a.O. Nr. 2). In diesem Zusammenhang trägt sie vor, die im Hilfsantrag im einzelnen wiedergegebenen Gesundheitsschäden seien Ursache der bei ihr für die Überkronung der "Vorderzähne" verwendeten Palladium-Legierung Deva 4. Sie hat in ihrer Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, ausdrücklich ausgeführt, ihr Antrag beziehe sich nur noch auf das - unstreitig - von der Antragsgegnerin 1 hergestellte Produkt Deva 4 und ferner hier wie schon in ihrem Schriftsatz vom 03.08.1998 darauf hingewiesen, daß diese Palladium-Legierung Ursache ihrer Beschwerden sei.

3. Bei dieser Sachlage kann der Auffassung des Landgerichts nicht gefolgt werden, die (einem Antrag auf Feststellung der Ursache eines Personenschadens immanente) Beschaffung des die - erfolgreiche - Prozeßführung (Beweisführung) ermöglichenden Materials hindere die Zulässigkeit des Antrags.

a) Das selbständige Beweisverfahren dient der Sicherung des Beweises (§ 485 Abs. 1 ZPO) sowie (§ 485 Abs. 2 ZPO) der Prozeßbeschleunigung und Prozeßvermeidung. Es setzt insoweit ein rechtliches Interesse des Antragstellers voraus, daß unter anderem anzunehmen ist, wenn die begehrte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Ein solches rechtliches Interesse ist deshalb im allgemeinen zu bejahen, wenn die Feststellung Grundlage für Ansprüche des Antragstellers oder für deren Verneinung sein kann (OLG Düsseldorf MedR 1986, 132; Thomas-Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 485 Rdn. 7), und nur zu verneinen, wenn feststeht, das Ergebnis des Beweisverfahrens werde in einem sich etwa anschließenden Prozeß keine Bedeutung haben (weil die Beweiserhebung dann unnütz wäre; OLG Hamm NJW 1998, 689) oder weder ein Rechtsverhältnis noch ein möglicher Prozeßgegner noch ein Anspruch ersichtlich ist (Zöller/Herget, ZPO 21. Aufl., § 485 Rdn. 7 a).

Dabei ist von Bedeutung, daß in dem selbständigen Beweisverfahren die Erfolgsaussichten einer möglichen Prozeßführung ebensowenig zu prüfen sind wie die Erheblichkeit der Beweisfragen in dem späteren Prozeß und deshalb auch nicht, ob der Vortrag des Antragstellers den behaupteten Anspruch schlüssig begründet. Nur wenn klar auf der Hand liegt, daß der behauptete Anspruch nicht bestehen kann, läßt sich das rechtliche Interesse verneinen (OLG Köln, NJW RR 1996, 573/574). Deshalb kommt es nicht darauf an, daß das Beweisverfahren nicht geeignet ist, den Stoff eines späteren Prozesses umfassend zu klären, solange das Interesse des Beweisführers und sein Antrag nur darauf zielen, wie hier die Ursache des infolge der Verwendung der Legierung als entstanden behaupteten Personenschadens zu ermitteln. Es läßt sich deshalb auch nicht sagen, daß das selbständige Beweisverfahren zur Klärung der Frage, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt, ohne Zustimmung des Gegners mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig sei (a.A. OLG Köln MDR 1998, 224 mit zustimmender Anmerkung Rehborn).

b) Die Antragstellerin behauptet bestimmte Gesundheitsschäden als bestehend und von dem Produkt der Antragsgegnerin 1 herrührend. Entgegen der angefochtenen Entscheidung will sie nicht erst feststellen lassen, welche Schäden durch dieses hervorgerufen sind, sondern die (beweiskräftige) Feststellung dieser Schäden und deren Ursache. Auch wenn diese Kausalität wenig wahrscheinlich sein mag, ist die Behauptung - anders als die Antragsgegnerin 1 meint - nicht unzulässig ins Blaue hinein (d. h. als willkürlicher, auf bloßer Vermutung beruhender, ohne jegliche tatsächliche Anhaltspunkte zu bezeichnender Vortrag BGH NJW 1995, 2111) erhoben.

c) Unter diesen Umständen erweist sich die Beschwerde hinsichtlich des Antragsgegners 2, der die Antragstellerin behandelt und bei dieser Behandlung die u. a. aus der genannten Legierung bestehenden Kronen eingesetzt hat, als begründet.

Der Senat hat gem. § 575 ZPO dem Landgericht die Auswahl der oder des Sachverständigen überlassen.

d) Hinsichtlich der Antragsgegnerin 1 erweist sich die Beschwerde im Ergebnis ohne Erfolg. Die Antragsgegnerin trägt unwidersprochen vor, die Antragstellerin wisse seit 1993 um ihre angeblichen Schäden und deren Ursache und kenne die Verursacher (bzw. habe sie durch einfache Nachfrage ermitteln können). Sie weist zutreffend daraufhin, daß die gegen sie gerichteten Ansprüche keine vertragliche Grundlage haben und alle in Betracht kommenden (aus Delikt, Produkthaftung, Arzneimittelgesetz) infolge Ablaufs der jeweils 3jährigen Frist ab Kenntnis von Schaden und Schädiger längst verjährt seien. Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage, die es der Antragstellerin verwehrt, Ansprüche gegen die Antragsgegnerin 1 durchzusetzen, fehlt es am für die Zulässigkeit des Antrags in § 485 Abs. 2 ZPO vorausgesetzten rechtlichen Interesse.

Der Antrag ist auch nicht gem. § 485 Abs. 1 ZPO begründet. Die entfernten Kronen hebt die Antragstellerin auf und angesichts der vorgetragenen toxischen Ablagerung in ihrem Organismus ist nicht zu besorgen, das Beweismittel könne verloren gehen oder nur erschwert benutzt werden.

Ende der Entscheidung

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