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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 27.03.2006
Aktenzeichen: 9 Sch 2/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 1061
Der deutsche Schuldner aus einem Schiedsspruch eines ausländischen Schiedsgerichts ist im Vollsteckbarerklärungsverfahren mit den Anerkennungsverweigerungsgründen ausgeschlossen, die im Herkunftsland des Schiedsspruchs Gegenstand einer Anrufung des ordentlichen Gerichts hätten sein können, dort jedoch verfristet sind.
Oberlandesgericht Karlsruhe

- Zivilsenate in Freiburg -

Beschluss

Geschäftsnummer 9 Sch 2/05

In Sachen

wegen Vollstreckbarerklärung eines ukrainischen Schiedsspruches

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat in Freiburg - am 27.03.2006 durch

beschlossen:

Tenor:

1. Der Schiedsspruch des Internationalen Kommerziellen Schiedsgerichts bei der Handels- und Industriekammer der Ukraine vom 28.01.2005 - No., der die Schuldnerin verpflichtet, an die Gläubigerin 4.217,40 Euro Vertragsstrafe für verspätete Lieferung, weitere 10.650,- Euro Vertragsstrafe für verspätete Mängelbehebung, 2.875,50 Euro Fiskalstrafzinsen, 9.814,10 Euro entgangenen Gewinn und 1.263,19 Schiedsgerichtskosten, insgesamt also 28.820,19 Euro, zu zahlen, wird für vollstreckbar erklärt.

2. Die Schuldnerin trägt die Kosten des Vollstreckbarerklärungsverfahrens.

3. Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert des Vollstreckbarerklärungsverfahrens wird auf 28.820,19 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Gläubigerin erstrebt die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs des Internationalen Kommerziellen Schiedsgerichts bei der Handels- und Industriekammer der Ukraine vom 28.01.05, in dem die Schuldnerin zur Zahlung von insgesamt 28.820,19 Euro verurteilt ist.

Die Gläubigerin trägt im Wesentlichen vor,

der Schiedsspruch spreche Vertragsstrafen für verzögerte Lieferung und verspätete Mängelbeseitigung, entgangenen Gewinn wegen Betriebsunterbrechung, Fiskalstrafzinsen und Kosten zu. Der Schiedsspruch sei der Schuldnerin am 01.03.05 durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt worden. Eine Fotokopie des Schiedsspruchs mit deutscher Übersetzung sei mit einem Anwaltsschreiben vom 23.06.05, das eine letzte Zahlungsauforderung enthalten habe, der Schuldnerin zugegangen. Gleichwohl habe die Schuldnerin nicht binnen drei Monaten die Aufhebung des Schiedsspruchs beim Stadtgericht Kiew beantragt, wie dies die Verfahrensordnung der Internationalen Handelskammer vorsehe, und sei deshalb mit ihren Einwänden gegen den Schiedsspruch präkludiert. Das Schiedsgericht habe teilweise aufgrund der Aktenlage entschieden, weil die Schuldnerin zum Termin am 28.01.05 nicht erschienen sei, obwohl das Schiedsgericht den ersten Termin auf Bitten der Schuldnerin vertagt und erst einen zweiten Vertagungsantrag unberücksichtigt gelassen habe. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs komme deshalb nicht in Frage. Eine sachliche Neuprüfung des Schiedsspruchs sei dem Gericht der Vollstreckbarerklärung verwehrt. Er verstoße keinesfalls wegen Willkür gegen den deutschen ordre public. Auf ihre Verzugsschadensansprüche habe die Gläubigerin nie verzichtet, sondern nur ihre vorläufige Berechnung storniert. Die Vertragsstrafe sei vertretbar berechnet, ebenso der entgangene Gewinn auf der Basis des Vortrages der Gläubigerin.

Die Gläubigerin beantragt wie folgt:

Der zwischen den Parteien am 28. Januar 2005 ergangene Schiedsspruch des Internationalen Kommerziellen Schiedsgerichts bei der Handels- und Industriekammer der Ukraine (Az.: No......) wird, wie folgt, für vollstreckbar erklärt:

Die Firma M. GmbH ist verpflichtet, an die Offene Aktiengesellschaft "S" einen Betrag von 4.217,40 Euro Vertragsstrafe für die Verzögerung der Lieferung der Anlage, weitere 10.650,- Euro Vertragsstrafe für die verspätete Behebung von Mängeln im Laufe der Garantiefrist, 2.875,50 Euro Fiskalstrafzinsen, 9.814,10 Euro für Verluste wegen entgangenen Gewinns aufgrund Betriebsunterbrechung und schließlich 1.263,19 Aufwandserstattung betreffend Schiedsgerichtsgebühr, insgesamt also 28.820,19 Euro zu zahlen.

Die Schuldnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Die Schuldnerin trägt vor,

der Schiedsspruch sei ihr entgegen der Behauptung der Gläubigerin nicht am 01.03.05 zugestellt worden. Das Schiedsgericht habe das rechtliche Gehör verletzt, weil es dem Vertagungsantrag der Schuldnerin nicht gefolgt sei, obwohl dieser Antrag auf geschäftsbedingte Verhinderung gestützt gewesen sei. Der Schiedsspruch sei völlig willkürlich. Er berücksichtige den Verzicht auf Vertragsstrafe wegen Lieferungsverzugs nicht, berechne die Vertragsstrafe falsch aus der Auftragssumme und nicht nach dem Wert defekter bzw. nicht gelieferter Teile und komme auf nicht nachvollziehbare Weise zu entgangenem Gewinn.

II.

Der zulässige Antrag der Gläubigerin auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruches ist begründet. Denn der Schiedsspruch ist nach § 1061 ZPO iVm New Yorker Abkommen 1958 (UNÜ) für vollstreckbar zu erklären. Anerkennungsweigerungsgründe können nicht mehr geltend gemacht werden und lägen im Übrigen auch gar nicht vor.

1. Die Schuldnerin ist mit ihrer Berufung auf Anerkennungsverweigerungsgründe präkludiert, weil sie ihre fristgemäße Geltendmachung im ukrainischen Aufhebungsverfahren versäumt hat. Nach überkommener Rechtsprechung können Anerkennungsverweigerungsgründe im Vollstreckbarerklärungsverfahren nur berücksichtigt werden, wenn eine zulässige und inhaltlich einschlägige Aufhebungsklage im Herkunftsstaat des Schiedsspruches nicht verfristet ist (wohl zuletzt BGH NJW-RR 2001, 1059 f.). Zwar ist unter Geltung des neuen § 1061 ZPO die Fortgeltung dieser Rechtsprechung bestritten (Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 1061 Rn. 29; BayObLG NJW-RR 2001, 431; Schleswig RIW 2000, 706), weil Art. V UNÜ keine Regelung eines Rügeverlustes enthalte. Eine restriktive Handhabung von Anerkennungsversagungsgründen verwehrt den deutschen Gerichten aber weder die völkervertragliche Geltung des UNÜ noch seine Geltung als einfaches Recht aufgrund des Verweises in § 1061 ZPO. Das UNÜ verhindert keine anerkennungsfreundlichere Praxis nationalen Rechts (dazu Art. VII Abs. 1 UNÜ). Die teleologische Reduktion nationalen Rechts steht den Gerichten aber nach wie vor frei, sodass alle Gründe auch unter der neuen Regelung fortbestehen, die eine Präklusion unter altem Recht gerechtfertigt haben (so insbesondere MünchKomm/Münch, ZPO, 2. Aufl. 2001, § 1061 Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold, 27. Aufl. 2005, § 1061 Rn. 6; Musielak/Voigt, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 1061 Rn. 20). Bei deutschen Schiedssprüchen geht die Neuregelung eindeutig von einer Präklusion bei versäumtem Aufhebungsverfahren aus (§ 1059 Abs. 2 S. 3 ZPO), ausländischen Präklusionsregelungen sollte deshalb in gleicher Weise Geltung verschafft werden, um dem Gedanken der Rechtssicherheit durch Schiedssprüche möglichst Rechnung zu tragen.

Im Streitfall hat die Schuldnerin die Anerkennungsverweigerungsgründe erstmals im Schriftsatz vom 07.10.05 (S. 37 ff. d.A.), bei Gericht eingegangen am 10.10.05, vorgetragen. Nach Art. 9.2(1) Spiegelstrich 2 und Art. 9.2(2) Spiegelstrich 2 der Verfahrensordnung des Ukrainischen Internationalen Handelsschiedsgerichts führen Verstöße gegen das rechtliche Gehör oder den Ordre public, wozu ohne weiteres die Willkürlichkeit einer Entscheidung gehört, zur Aufhebung durch das staatliche Gericht, das aber binnen drei Monaten "nach dem Eingang des Schiedsspruchs" angerufen sein muss (Art. 9.3 Verfahrensordnung). Der Senat trägt trotz des Bestreitens der Schuldnerin keine Bedenken anzunehmen, dass der Schiedsspruch der Schuldnerin am 01.03.05 zugegangen ist, auch wenn hierüber nur die internationale Reklamationsbestätigung der deutschen Post und nicht der unterschriebene Rückschein vorgelegt werden konnte, der offenbar verloren gegangen ist. Im Übrigen ist unwidersprochen vorgetragen, dass der deutsche Anwalt der Gläubigerin mit dem Schreiben vom 23.06.05 den Schiedsspruch mit deutscher Übersetzung übersandt hat, sodass spätestens Ende Juni 2005 der Schiedsspruch "eingegangen" war. Am 10.10.05 war die Dreimonatsfrist deshalb auf jeden Fall abgelaufen mit der Folge der Präklusion der Schuldnerin.

2. Im Übrigen sind Anerkennungsverweigerungsgründe auch gar nicht gegeben.

a) Das rechtliche Gehör der Schuldnerin ist nicht verletzt worden (Art. V Abs.1 b UNÜ). Das Schiedsgericht musste seinen Verhandlungstermin nicht wegen geschäftlicher Belastung der Schuldnerin verlegen, die einen geeigneten Vertreter hätte entsenden können. Zudem war nach den Ausführungen des Schiedsgerichts auf Wunsch der Schuldnerin schon einmal verlegt worden (S. 5/6 deutsche Fassung, Anlage), sodass weitere Rücksichtnahme das Rechtsschutzinteresse der Gläubigerin missachtet hätte.

b) Der Vorwurf der Willkür und damit des ordre public-Verstoßes (Art. V Abs.2 b UNÜ) ist nicht haltbar. Er ist nur gegeben, wenn die Entscheidungsfindung nicht mehr nachvollziehbar erscheint, weil bei strengeren Maßstäben eine inhaltliche sachliche Kontrolle stattfände, die gerade nicht erlaubt sein soll. Der Schiedsspruch, der nach Aktenlage erging, erscheint im Gegenteil sorgfältig begründet, sowohl was die Berechnung der Vertragsstrafen als auch was die Feststellung des entgangenen Gewinns angeht. Dass die Äußerung der Gläubigerin vom Februar 2004 (S. 49 d.A.) als Verzicht zu deuten sei, wie dies die Schuldnerin ursprünglich behauptet hat, ist von der Gläubigerin als Missverständnis unwidersprochen klargestellt worden. Zur Begründung willkürlichen Schiedsspruches ist auch dieser Vortrag nicht geeignet.

3. Nachdem die Schuldnerin mit ihren Anerkennungsverweigerungsgründen präkludiert war und ihr Vortrag im Übrigen erforderlicher Substantiierung entbehrte, war eine mündliche Verhandlung (§ 1063 Abs. 2 ZPO) nicht unabdingbar (dazu BGHZ 142, 204, 207). Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 1064 Abs. 2 und 3 ZPO.



Ende der Entscheidung

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