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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 26.07.2001
Aktenzeichen: 9 U 91/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 675
ZPO § 286
Bleibt offen, welche Entscheidung der Mandant bei richtiger Beratung durch den Rechtsanwalt getroffen hätte, so ist er beweispflichtig dafür, dass ihm durch die falsche Beratung ein Schaden entstanden ist.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Zivilsenat in Freiburg

Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am: 26. Juli 2001

In Sachen

wegen schuldhafter Verletzung des Anwaltsvertrages

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat in Freiburg - auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2001 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 31.03.2000 abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Beschwer der Klägerin beträgt 23.174,50 DM

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Mitglieder einer Anwaltssozietät auf Schadensersatz wegen Verletzung eines Anwaltsvertrages in Anspruch.

Die Klägerin war ab Juni 1992 immer wieder vom Krankenhaus L. zur Erlangung der Facharztausbildung als Anästhesistin mit befristeten Arbeitsverträgen als Ärztin angestellt worden. Nach Änderung der Trägerschaft wurden die Verträge mit der "Kliniken GmbH" abgeschlossen. Der letzte Vertrag endete zum 31.12.1996. Mit Schreiben vom 12.10.1996 schrieb die Klägerin unter Hinweis auf das Ende des Arbeitsvertrages am 31.12.1996: "Wie mit Ihnen besprochen, beabsichtige ich mich gegen Jahreswechsel zum Facharztgespräch anzumelden. Ich bitte somit um Verlängerung meines Arbeitsverhältnisses (50 % einer Vollbeschäftigung)." Der Klägerin, die ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erstrebte, war bekannt, dass ihr Chefarzt dies befürwortete. Ihr war mitgeteilt worden, dass die Krankenhausverwaltung, die dies zu entscheiden hatte, nur einen neuen befristeten Arbeitsvertrag anbieten würde.

Der Erstbeklagte hatte wiederholt Anästhesisten des Krankenhauses L. vertreten und in diesen Fällen den Abschluss unbefristeter Arbeitsverträge mit dem Klinikum erreicht. Die Klägerin schilderte am 02.01.1997 zusammen mit einer Kollegin, deren befristeter Arbeitsvertrag gleichfalls endete, dem Erstbeklagten telefonisch ihren Sachverhalt und verwies von sich aus auf die Möglichkeit, dass bei Weiterarbeit ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entstehen kann. Der Erstbeklagte riet ihr weiterzuarbeiten und zuzuwarten. Unter dem 08.01.1997 boten die Kliniken der Klägerin eine Verlängerung des Arbeitsvertrages bis 30.04.1997 an. Mit Schreiben vom 20.01.1997 lehnten die Beklagten für die Klägerin dieses Angebot ab. Das spätere Angebot der Kliniken vom 06.03.1997 einen bis 31.12.1997 befristeten Arbeitsvertrag zu schließen, lehnten die Beklagten für die Klägerin ebenfalls ab. Mit Schreiben vom 12.05.1997 teilten die Kliniken der Klägerin die Beendigung des "faktischen Arbeitsverhältnisses" mit.

Mit am 02.06.1997 beim Arbeitsgericht L. eingegangener Klage begehrten die Beklagten für die Klägerin die Feststellung des Bestehens eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Sie begründeten den Anspruch der Klägerin mit der Unzulässigkeit der Kettenbefristung und im Übrigen unter Hinweis auf § 625 BGB mit der Weiterarbeit der Klägerin. Das Arbeitsgericht L. gab der Klage statt. Auf die Berufung der Klägerin wurde dieses Urteil durch rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 26.03.1998 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat den Beklagten vorgeworfen, sie hätten die Dreiwochenfrist des § 1 Abs. 5 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz nicht eingehalten. Weiter sei sie über das Prozessrisiko nicht aufgeklärt worden. Ihr sei sogar das Obsiegen in dem Rechtsstreit als sicher dargestellt worden. Die Beklagten hätten ihr raten müssen, das Angebot vom 06.03.1997 zum Abschluss eines bis 31.12.1997 befristeten Arbeitsvertrages anzunehmen. Wäre sie über das Prozessrisiko aufgeklärt worden, hätte sie dieses Angebot angenommen. Die Beklagten seien ihr deshalb zum Schadensersatz in Höhe der Differenz des entgangenen Arbeitsentgelts bis 31.12.1997 und des ab 30.05.1997 bezogenen Arbeitslosengeldes zuzüglich eines an die Beklagten geleisteten Kostenvorschusses von 920,00 DM verpflichtet.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 23.174,50 DM zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben bezüglich der Versäumung der Dreiwochenfrist darauf hingewiesen, dass die Klägerin nicht darlege, welcher Nachteil sich aus der Fristversäumung für die Klägerin ergebe. Sie hätten die Klägerin auch nicht falsch beraten sowie umfassend aufgeklärt. Sie habe unbedingt ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erreichen wollen und an einem weiterhin befristeten Arbeitsverhältnis kein Interesse gehabt. Da sie die Voraussetzungen für die Beendigung der Facharztausbildung weitgehend erfüllt gehabt habe, sei deren Abschluss unmittelbar bevorgestanden mit der Folge, dass dann ein befristeter Arbeitsvertrag von den Kliniken hätte gekündigt werden können. Da sie wegen ihrer Familie ortsgebunden gewesen sei, sei sie nach Belehrung über das Risiko des Unterliegens im Rechtsstreit dieses bewusst eingegangen. Im Übrigen haben die Beklagten geltend gemacht, das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg sei nicht richtig.

Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen der Klage stattgegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten, auch zum Sachverhalt, wird auf das Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Sie ergänzen und vertiefen ihr Vorbringen erster Instanz und beantragen,

auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 25.02.2000 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch sie ergänzt ihr Vorbringen erster Instanz und nimmt im Übrigen auf das Urteil des Landgerichts Bezug, das sie für richtig hält.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Akten des Arbeitsgerichts Lörrach - 2 Ca 239/97 - mit den Akten des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - 11 Sa 139/97 - waren zu Informationszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Zwar geht der Senat davon aus, dass die Beklagten den Anwaltsvertrag mit der Klägerin nicht ordnungsgemäß erfüllt haben. Sie haben , da sie die Klägerin nicht ausreichend über die Risiken einer streitigen Auseinandersetzung belehrt und stattdessen ein Obsiegen im Rechtsstreit als sicher dargestellt. Die Klägerin hat aber den ihr obliegenden Nachweis, dass ihr durch diese Pflichtverletzung Schaden entstanden ist, nicht geführt.

Soweit die Klägerin ihren Anspruch darauf stützt, dass die Beklagten die Dreiwochenfrist zur Klagerhebung haben verstreichen lassen, fehlen bereits Darlegungen dazu, dass der Klägerin dadurch Schaden entstanden ist. Ein Schaden könnte der Klägerin nur dann entstanden sein, wenn bei Einhaltung dieser Frist die Klägerin in dem Rechtsstreit vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg obsiegt hätte. Dies ist aber nicht der Fall. Nach § 1 Abs. 5 des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung vom 15.05.1986 sind arbeitsrechtliche Vorschriften und Grundsätze über befristete Arbeitsverträge nur insoweit anzuwenden, als sie den Vorschriften der Absätze 1 bis 8 dieses Gesetzes nicht widersprechen. In § 1 Abs. 1 des Gesetzes ist die Befristung eines Arbeitsvertrages mit einem Arzt zum Zwecke der Weiterbildung oder zum Erwerb einer Anerkennung für ein Teilgebiet oder zum Erwerb einer Zusatzbezeichnung vorgesehen. Er darf für höchstens acht Jahre abgeschlossen werden. Aus dem Gesetz folgt nicht, dass eine mehrmalige Befristung nicht möglich ist. Unstreitig wurde die Klägerin für diese Zwecke beschäftigt. Auch hat sie inzwischen die erstrebte Qualifikation erlangt. Im übrigen ist es äußerst zweifelhaft, ob eine sofortige Klageerhebung im Interesses der Klägerin gelegen hätte, da sie eine gütliche Einigung, die der Erstbekagte in anderen Fällen erreicht hatte, erschwert hätte.

Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass es der Klägerin darauf ankam, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erreichen. Dies sollte, wie zuvor in anderen Fällen, über eine stillschweigende Verlängerung gemäß § 625 BGB erreicht werden. Das wurde mit dem Erstbeklagten bereits am 02.01.1997 so besprochen. Dementsprechend arbeitete die Klägerin nach dem Auslaufen des befristeten Arbeitsvertrages weiter. Der anfängliche Rat des Erstbeklagten einfach weiter zu arbeiten und die Dinge auf sich zukommen zu lassen, konnte diesem Ziel dienen. Dies wird auch von der Klägerin nicht angezweifelt.

Entscheidender Beratungsbedarf der Klägerin entstand erst mit dem Angebot vom 07.03.1997 für ein bis 31.12.1997 befristetes Arbeitsverhältnis. Zu diesem Zeitpunkt musste die Klägerin sich entscheiden, ob sie versucht, in einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber, notfalls vor dem Arbeitsgericht, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu erreichen. Dies war ihr vorrangiges Ziel. Oder sie musste sich mit dem Angebot eines bis zum Jahresende befristeten Arbeitsverhältnisses begnügen. Die Beklagten waren nicht verpflichtet, der Klägerin zuzuraten, auf das Angebot des Arbeitgebers einzugehen. Dies ist auch keine Frage des sicheren Weges, den der Anwalt stets zu beschreiten hat sondern eine Frage der Interessenabwägung, die allein die Klägerin vorzunehmen hatte. Die Beklagten waren nur verpflichtet, die Klägerin über alle Gesichtspunkte zu informieren und sie insbesondere über das Risiko einer streitigen Auseinandersetzung zu belehren, damit die Klägerin sachgerecht entscheiden konnte.

In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, wovon auch der Senat ausgeht, richtig ist. Dies wäre nur dann entscheidungserheblich, wenn eine entgegengesetzte Entscheidung für die Beklagten nach rechtlicher Prüfung allein als sicher voraussehbar war. So klar waren die Verhältnisse aber zu diesem Zeitpunkt nicht. Zwar hatte das Arbeitsgericht Lörrach die Klage für begründet gehalten, den Beklagten musste aber gegenwärtig sein, dass ein erhebliches Risiko bestand, letztlich den Rechtsstreit zu verlieren. Dies schon deshalb, weil die Klägerin es darauf angelegt hatte, die ungeklärte Situation zum Jahresende 1996 auszunutzen und über § 625 BGB ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu erreichen, obwohl ihr bereits eröffnet worden war, dass der Arbeitgeber ein solches nicht eingehen würde und ihr nur ein erneutes befristetes Arbeitsverhältnis anbieten werde.

Der Senat folgt dem Landgericht und dessen dahingehender Beweiswürdigung, dass die Beklagten der Klägerin ein Obsiegen in dem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht als sicher dargestellt haben.

Aus dieser Pflichtverletzung der Beklagten ergibt sich aber deshalb kein Schadensersatzanspruch, weil nicht feststeht, dass die Klägerin bei entsprechender Belehrung über das erhebliche Prozessrisiko den Prozess nicht geführt hätte sondern das Angebot eines bis 31.12.1997 befristeten Arbeitsvertrages angenommen hätte. Dagegen spricht bereits, dass es dem Erstbeklagten in verschiedenen vorangegangenen Fällen gelungen war, bei diesem Arbeitgeber für Kollegen der Klägerin unbefristete Arbeitsverhältnisse zu vereinbaren. Die Klägerin konnte daher hoffen, auch in ihrem Fall mit dieser Strategie Erfolg zu haben. Unstreitig hatte die Klägerin auch ein besonderes Interesse daran, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu erreichen, da sie in der näheren Umgebung keinen Arbeitsplatz finden konnte und wegen ihrer Familie im Raum Lörrach bleiben wollte. Da sie sich, wie sich aus ihrem Schreiben vom 12.10.1996 ergibt, gegen den Jahreswechsel zum Facharztgespräch anzumelden beabsichtigte, war der Ausbildungszweck so gut wie erreicht und zu diesem Zweck nur noch eine kurzfristige Verlängerung erforderlich. Da ihr die entgegenstehende Einstellung ihres Arbeitgebers bekannt war, konnte sie auch nicht hoffen, nach dem 31.12.1997 einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten.

Unter diesen Umständen ist völlig offen, ob die Klägerin bei entsprechender Belehrung über das Risiko der Prozessführung das Angebot der Kliniken angenommen hätte oder nicht. Die Klägerin hat die Beweislast dafür, dass sie bei richtiger Belehrung das Angebot angenommen hätte. Zwar spricht der Anscheinsbeweis für beratungsgerechtes Verhalten des Mandanten im Anwaltshaftungsprozess (BGH NJW 1998, 749). Ein solches beratungsgerechtes Verhalten steht hier aber nicht in Rede, da die Beklagten nicht verpflichtet waren, die Klägerin dahingehend zu beraten, das Angebot eines befristeten Arbeitsverhältnisses anzunehmen. Sie mussten die Klägerin nur über die Rechtslage und Risiken beraten, die Entscheidung selbst hatte aber die Klägerin allein zu treffen. Sie musste selbst abwägen, ob es ihr unter Berücksichtigung des Risikos wichtiger ist zu versuchen, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu erreichen oder aber sich mit einem erneuten befristeten Arbeitsverhältnis zu begnügen. Für jede der beiden möglichen Entscheidungen sprachen, wie ausgeführt, gute Gründe. Für ihr hypothetisches Verhalten bei pflichtgemäßer Beratung ist die Klägerin selbst darlegungs- und beweispflichtig. Insoweit geht es um die Frage, ob der Klägerin durch die pflichtwidrige Beratung überhaupt ein Schaden entstanden ist (BGH NJW 1998, 1860 m.w.N.). Da die Klägerin diesen Nachweis nicht erbringen kann, will nicht festgestellt werden kann, wie sie sich entschieden hätte, steht die Entstehung eines Schadens durch die unzureichende Beratung der Beklagten nicht fest.

Da die Berufung der Beklagten Erfolg hat, hat die Klägerin gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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