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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 03.01.2001
Aktenzeichen: (1) 4420 BL - III - 71/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
StPO § 122
Leitsatz:

Eine Anrechnung bereits vollzogener Untersuchungshaft auf die gesetzliche Sechsmonatsfrist kann nur dann erfolgen, wenn es sich dabei um Haft "wegen derselben Tat" im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO handelte. Der Begriff "derselben Tat" ist weit auszulegen; darunter fallen alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie bekannt geworden sind und in den Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, gleichgültig, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Bei neuen Tatvorwürfen und einer Erweiterung des bestehenden oder Erlass eines neuen Haftbefehls beginnt die Sechsmonatsfrist von dem Zeitpunkt an zu laufen, ab dem wegen des neuen Tatvorwurfs, der bisher noch keine Untersuchungshaft zur Folge hatte, erstmals die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls vorlagen; das wird jedenfalls im Regelfall der Tag der neuen Haftentscheidung sein (gegen OLG Koblenz, 2. Strafsenat, Beschlüsse vom 20.10.2000 - BL 44/00 und vom 4.12.2000 - BL 97/00; vgl. auch OLG Koblenz 1. Strafsenat StV 2000, 629).


Geschäftsnummer: (1) 4420 BL - III - 71/00 2010 Js 6855/00 StA Koblenz

In dem Ermittlungsverfahren

gegen

1. A. B.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt M. S. -

2. J. S.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt S. M. K. -

und andere

wegen Verabredung von Verbrechen des Mordes u.a.

hier: zweite Haftprüfung gemäß § 122 Abs. 4 StPO

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe und die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa

am 3. Januar 2001 beschlossen:

Tenor:

Eine Haftprüfung des Senats ist derzeit nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Die Beschuldigten befinden sich seit dem 17. Februar 2000 in Untersuchungshaft. Grundlage dafür waren zunächst die Haftbefehle des Amtsgerichts Koblenz vom 14. Februar 2000.

Nach Ablauf von sechs Monaten Haftzeit hat der Senat Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO durchgeführt und am 28. August 2000 gegen beide Beschuldigte Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Den nächsten Haftprüfungstermin hat er gemäß § 122 Abs. 4 StPO auf den 27. November 2000 bestimmt.

II.

Vor diesem Termin hat das Amtsgericht am 2. November 2000 auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen die Beschuldigten jeweils einen neuen Haftbefehl erlassen. Dieser erstreckt sich auf die schon in dem ersten Haftbefehl enthaltenen Tatvorwürfe des Versuchs der Beteiligung an zwei Mordtaten sowie fünf tateinheitlicher Verstöße gegen das Waffengesetz, beim Beschuldigten S. darüber hinaus des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Kokain) und des tateinheitlichen unerlaubten Erwerbs und Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in 12 Fällen (jeweils zwischen 0,5 und 2 g Kokain), bezogen auf den Tatzeitraum von Beginn des Jahres 1999 bis 16. Februar 2000. Als neue Tat führt der Haftbefehl nunmehr bei beiden Beschuldigten unerlaubtes Handeltreiben mit 500 kg Haschisch an, begangen an einem nicht genau bekannten Zeitpunkt im Jahre 1999, spätestens jedoch im September 1999.

Hinweise auf diese Tat ergaben sich zunächst aus der Aussage einer Zeugin vom 25. Mai 2000, in der diese von einem geplanten Geschäft der Beschuldigten über 500 kg Haschisch berichtete. In den Folgevernehmungen vom 19. Juli, 25. Juli, 1. August und 3. August 2000 versuchte die Ermittlungsbehörde von der Zeugin nähere Angaben zu dem angeblichen Lieferanten aus Marbella in Spanien zu erlangen, die jedoch nicht zu dessen vollständiger Identifizierung führten. Unabhängig davon bekundete ein weiterer Zeuge am 21. Juli 2000, dass der Beschuldigte S. ihm von einer Haschischlieferung über eine halbe Tonne erzählt habe, die die Beschuldigten über eine in Spanien lebende Person, vermutlich einen Russen, in die Wege leiten wollten.

Zur Überprüfung dieser Angaben nahm die Polizei in der Zeit vom 22. August bis 9. Oktober 2000 eine weitere Auswertung der Telefonüberwachungsaufzeichnungen vor. Dazu war es erforderlich, mehrere hundert in russischer, teilweiser finnischer Sprache geführte Telefongespräche übersetzen zu lassen und wörtlich zu protokollieren. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen konnten die Zeugenaussagen nachvollzogen, ergänzt und bis zur Begründung eines dringenden Tatverdachts konkretisiert werden.

Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft am 31. Oktober 2000 beim Amtsgericht gegen beide Beschuldigte Antrag auf Erlass eines Haftbefehls auch wegen der neu bekannt gewordenen Tat des unerlaubten Handeltreibens mit 500 kg Haschisch gestellt.

III.

Bei dieser Sachlage ist eine Haftprüfung durch den Senat nicht veranlasst, weil die dafür erforderlichen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 121 Abs. 1 StPO derzeit nicht vorliegen. Die Beschuldigten befinden sich nicht mehr "wegen derselben Tat" über sechs Monate in Untersuchungshaft, sondern aufgrund der Haftbefehle vom 2. November 2000 wegen einer anderen, neuen Tat, die eine eigene Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt hat. Fristbeginn ist, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, der 10. Oktober 2000, so dass Haftprüfungstermin vor dem Senat erst am 9. April 2001 ansteht.

Der Begriff "derselben Tat" in § 121 Abs. 1 StPO ist gesetzlich nicht definiert. In Literatur und Rechtsprechung besteht heute weitgehend Einigkeit, dass er nicht mit dem Tatbegriff des § 264 StPO oder dem des § 53 StGB gleichgesetzt werden kann. Dieser ist gemessen am Schutzzweck der Vorschrift zu eng, weil er die Möglichkeit einer "Reservehaltung" von Tatvorwürfen eröffnen würde. Von Anfang an bekannte oder im Laufe der Ermittlungen bekannt werdende Taten des Beschuldigten im Sinne der §§ 264 StPO, 53 StGB könnten zurückgehalten und jeweils erst kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, jeweils eine neue Sechsmonatsfrist zu erreichen (vgl. nur KK-Boujong, StPO, § 121 Rdnr. 10; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, § 121 Rdnr. 12; Eberhard Schmidt, NJW 1968, 2209, 2211).

Der Tatbegriff im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO ist daher weit auszulegen. Die heute herrschende Auffassung in der neueren Rechtsprechung vertritt, wie auch der erkennende Senat, den erweiterten Tatbegriff. Danach fallen unter "dieselbe Tat" alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie bekannt geworden sind und in den Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, gleichgültig, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Wird Untersuchungshaft vollzogen, darf sie daher nicht aufgrund eines weiteren Haftbefehls, der bereits bei Erlass des ersten Haftbefehls bekannt gewesene Tatvorwürfe enthält, über sechs Monate hinaus fortdauern. Wird dagegen, wie vorliegend, im Laufe des Ermittlungsverfahrens eine neue Tat bekannt und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt. Fristbeginn ist in diesem Fall der Zeitpunkt, ab dem wegen des neuen Tatvorwurfs erstmals die Voraussetzungen für den Erlass oder die Erweiterung eines Haftbefehls vorgelegen haben (OLG Düsseldorf, StV 1996, 553; OLG Hamburg StV 1989, 489; Brandenburg.OLG StV 1997, 536, 537; OLG Zweibrücken StV 1998, 556, 557; OLG Karlsruhe StV 2000, 513; OLG Hamm StV 1998, 555; OLG Stuttgart StV 1999, 101, 102; OLG Bremen StV 1998, 140, 141; KG NStZ-RR 1997, 75; siehe auch Senatsbeschluss vom 14. November 2000 - (1) 4420 BL - III - 83/00 - mit ausführlicher, überwiegend wörtlicher Zitierung der einschlägigen Passagen der vorgenannten Entscheidungen; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.0. Rdnr. 12 - 14; LR-Hilger, StPO, § 121 Rdnr. 14 ff). Das wird regelmäßig der Tag der neuen Haftbefehlsentscheidung sein, es sei denn, der neue Haftbefehl bzw. die Haftbefehlserweiterung wäre nicht unverzüglich ergangen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.0.; Senatsbeschluss vom 25. August 2000 - (1) 4420 BL - III - 69/00 -; kritisch zur Unverzüglichkeit Varvatou/Schlothauer, Anm. zu OLG Düsseldorf a.a.0., 555). Dann ist für den Fristbeginn der Tag maßgeblich, an dem der neue Haftbefehl hätte erlassen oder der bestehende Haftbefehl erweitert werden können (Senat a.a.0.).

Fristbeginn ist vorliegend nicht das Datum des zweiten Haftbefehls (2. November 2000), sondern der 10. Oktober 2000. An diesem Tag hätte der neue Haftbefehl wegen unerlaubten Handeltreibens mit 500 kg Haschisch erlassen werden können, nachdem mit Abschluss der Telefonüberwachungsauswertung am 9. Oktober 2000 der dringende Tatverdacht für diese Tat festgestellt worden war. An die Unverzüglichkeit der Herbeiführung eines neuen bzw. erweiterten Haftbefehls sind, da davon der Beginn der gesetzlichen Sechsmonatsfrist abhängt, strenge Anforderungen zu stellen. Bei klarem Beweisergebnis ist es in der Regel geboten, den Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen (Senat a.a.0.).

Dieser Zeitpunkt wird zu gegebener Zeit auch der Ansatz für die Prüfung der materiellen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO sein. Ob besondere Schwierigkeiten oder ein besonderer Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund die Ursache dafür sind, dass ein Urteil noch nicht ergehen konnte, hat das Oberlandesgericht nur noch in Bezug auf die Tat zu prüfen, die in dem neuen oder im Wege der Erweiterung in den bestehenden Haftbefehl aufgenommen worden ist (Varvatou/Schlothauer a.a.0., 556). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Strafverfolgungsorgane die neu in Gang gesetzte Frist auch in jedem Fall voll ausschöpfen dürfen. Kommt es in Anwendung des erweiterten Tatbegriffs zu einer Haftdauer von mehr als sechs Monaten, ohne dass eine Haftprüfung gemäß § 122 StPO durch das Oberlandesgericht stattfindet, ist dem in Haftsachen allgemein geltenden Beschleunigungsgrundsatz in besonderem Maße Rechnung zu tragen. Das heißt, Abschluss der Ermittlungen und Durchführung der Hauptverhandlung müssen, wenn möglich, schon vor Ablauf der Frist erfolgen, andernfalls der Haftbefehl aufzuheben ist (Varvatou/Schlothauer a.a.0.).

IV.

Diese Berechnung der Sechsmonatsfrist wegen derselben Tat entspricht einer im Ergebnis jahrzehntelang konstanten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz (vgl. nur Beschlüsse vom 4. August 1977 in OLGSt § 122 StPO S. 11, vom 2. Juni 1982 in MDR 1982, 953; vom 25. Oktober 1999 in StV 2000, 629, vom 29. Mai 2000 - (1) 4420 BL - III - 23/00 -, vom 25. August 2000 - (1) 4420 BL - III - 69/00 - und vom 14. November 2000 - (1) 4420 BL - III - 83/00 -; jeweils 1. Strafsenat; anderslautende Entscheidungen des 2. Strafsenats aus dem gleichen Zeitraum sind nicht ersichtlich).

Dagegen hat sich nunmehr der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz mit Beschluss vom 20. Oktober 2000 - (2) 4420 BL - III - 44/00 - gewandt. In einem obiter dictum bezeichnet er die dem erweiterten Tatbegriff folgende Auffassung des 1. Senats als rechtsdogmatische Erwägungen, die den Untersuchungsgefangenen des besonderen Schutzes, der ihm durch die Regelung des § 121 Abs. 1 StPO zuteil werden soll, geradezu berauben. Mit dem in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, dem Freiheitsanspruch des Untersuchungsgefangenen, für den bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gelte, durch zeitliche Begrenzung der Haftdauer bis zum Erlass eines Urteils Rechnung zu tragen, sei eine solche Ausweitung der Fristen für die Haftprüfung durch das Oberlandesgericht nicht vereinbar. In den Fällen der Erweiterung des Haftbefehls müsse daher die vor der Erweiterung vollzogene Untersuchungshaft mitberücksichtigt werden.

Damit ist der 2. Strafsenat zu einer in der älteren Rechtsprechung vertretenen Theorie zurückgekehrt, wonach "dieselbe Tat" gleichzusetzen sei mit "demselben Verfahren" (OLG Celle NJW 1966, 1574; NJW 1969, 245; StV 1984, 340; StV 1989, 255; OLG Braunschweig NJW 1967, 363; OLG Hamm MDR 1977, 426; OLG Stuttgart StV 1983, 156; OLG Schleswig StV 1983, 466; OLG Bremen StV 1984, 340). Das ergibt sich zwar nicht aus dem genannten Beschluss, jedoch aus einem ihm später angefügten Leitsatz sowie einer weiteren Entscheidung des 2. Strafsenats vom 4. Dezember 2000 - (2) 4420 BL-III-97/00 -, in denen u.a. auf die genannten obergerichtlichen Entscheidungen hingewiesen wird.

Der vom 2. Strafsenat weiter herangezogene Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. August 1977 (OLGSt § 122 StPO S. 11) stützt seine Auffassung nicht. Auch diese Entscheidung entspricht, wie bereits erwähnt, im Ergebnis der vom 1. Strafsenat in ständiger Rechtsprechung auf Grundlage des erweiterten Tatbegriffs vorgenommenen Fristberechnung. Der 2. Strafsenat zitiert im Beschluss vom 4. Dezember 2000 für seine Auffassung auch nur einen einzigen, aus dem Zusammenhang gelösten Satz. Das Ergebnis ist jedoch ein anderes, wenn die entscheidungserhebliche Begründungspassage vollständig wiedergegeben wird. Zwar wird auch dort, worauf der 2. Senat abhebt, die zu damaliger Zeit vertretene Theorie der Verfahrensidentität aufgegriffen und in Anlehnung an die damalige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Celle und Köln anerkannt, dass der Tatbegriff in § 121 StPO im Regelfall das Gleiche bedeute wie "in demselben Verfahren". Nachfolgend wird jedoch davon abweichend ausdrücklich herausgestellt:

"Eine Ausnahme muss allerdings für den Fall gelten, in dem bei Erlass des Haftbefehls bestimmte Straftaten dem Haftrichter nicht bekannt waren und er demzufolge seinen Haftbefehl nicht auf diese Straftaten erstreckt hat. Wenn diese Straftaten später Gegenstand eines neuen Haftbefehls werden und sie auch zu keiner Zeit des Bestehens des früheren Haftbefehls Gegenstand einer Haftprüfung durch das Oberlandesgericht waren, dann fallen sie nicht unter den Begriff "derselben Tat" im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO. Voraussetzung für diese Folge muss jedoch ausnahmslos sein, dass eine zu einem früheren Zeitpunkt mögliche Erweiterung des Haftbefehls von seiten der Staatsanwaltschaft nicht unterblieben ist, um sich diese Taten "für einen späteren Haftbefehl aufzusparen". Auch bei strengster Prüfung konnte der erkennende Senat in dem gesamten Ermittlungsvorgang keine Anhaltspunkte feststellen, dass aus den genannten Gründen eine Erweiterung des früheren Haftbefehls unterblieben ist... Ist dies aber der Fall, dann kommt eine Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft aus dem ersten gegen den Angeschuldigten ergangenen Haftbefehl für die Berechnung der Sechsmonatsfrist auf die seit dem 8. Juli 1977 (Erl.: Datum des zweiten Haftbefehls) vollstreckte Untersuchungshaft nicht in Betracht."

Angesichts des vollständigen Wortlauts der Entscheidungsgründe kann der daraus gezogene Schlussfolgerung des 2. Strafsenats, die zitierte Ausnahme greife nur dann ein, wenn es gelte, der "Reservehaltung" von Tatvorwürfen vorzubeugen, nicht gefolgt werden. In der Entscheidung wird ausdrücklich klargestellt, dass die dem Haftrichter unbekannt gewesene neue Tat eine Sechsmonatsfrist von Erlass des zweiten Haftbefehls an in Gang setzt. Weil aber gerade dadurch die Möglichkeit einer "Reservehaltung" eigentlich erst eröffnet wird, hat der Senat sich damals schon zu der Einschränkung veranlasst gesehen, dass die Staatsanwaltschaft nicht eine zu einem früheren Zeitpunkt mögliche Haftbefehlserweiterung unterlassen haben darf. Daraus folgt: Bereits 1977 hat das Oberlandesgericht Koblenz den Anwendungsbereich der sog. "Verfahrensidentität" auf Fälle beschränkt, in denen der erste Haftbefehl von vornherein unvollständig gewesen war, im Ergebnis aber - ohne dies ausdrücklich auszusprechen - den erweiterten Tatbegriff angewendet.

In die Konstanz dieser Rechtsprechung fügt sich entgegen der Auffassung des 2. Strafsenats auch der Beschluss des 1. Strafsenats vom 2. Juni 1982 (MDR 1982, 953) ein. Zwar lag dieser Entscheidung eine besondere Fallgestaltung zugrunde (Aufhebung des ersten Haftbefehls, zweiter Haftbefehl in einem getrennten Verfahren einer anderen Staatsanwaltschaft); jedoch hat der Senat "dieselbe Tat" im Ergebnis nicht anders definiert als heute.

Der 2. Strafsenat bezieht sich des Weiteren auf die Kommentierung von KK-Boujong, StPO, 4. Aufl., wo es unter Rdnr. 10 a.E. ebenfalls heißt, dass "dieselbe Tat" im Ansatz das Gleiche bedeute wie "in demselben Verfahren". Schon unter der Randnummer 11 wird dieser Tatbegriff jedoch dem Schutzzweck des § 121 Abs. 1 StPO entsprechend wie folgt ergänzt:

"Werden während des Ermittlungsverfahrens neue, schon vor dem Erlass des ersten Haftbefehls begangene Taten bekannt, so beginnt im Blick auf den wegen dieser Taten ergangenen neuen Haftbefehl die Frist in dem Zeitpunkt, in dem der neue Haftbefehl hätte erlassen oder der erste hätte erweitert werden können".

Eine Zusammenrechnung der Haftzeiten aus erstem und zweitem Haftbefehl, wie sie der 2. Strafsenat fordert, wird in dieser Kommentierung also gerade nicht vertreten.

Im Übrigen ist ein Teil der vom 2. Senat zur Unterstützung seiner Meinung zitierten Obergerichte von der Gleichstellung "derselben Tat" mit "demselben Verfahren" inzwischen abgerückt und hat sich im Grundsatz dem erweiterten Tatbegriff angeschlossen (OLG Hamm StV 1998, 555; OLG Stuttgart StV 1999, 101, 102; OLG Bremen StV 1998, 140, 141).

Auch der 2. Strafsenat selbst hat noch in seinem Beschluss vom 2. März 1998 - (2) 4420 BL - III - 28/98 - auf Grundlage des erweiterten Tatbegriffs entschieden und die Durchführung einer Haftprüfung abgelehnt, die bei Zusammenrechnung der insgesamt vollzogenen Haftzeiten eigentlich durchzuführen gewesen wäre. In jenem Verfahren befand sich der Beschuldigte aufgrund eines (zweiten) Haftbefehls vom 5. Februar 1998 wegen Betäubungsmitteldelikten in Untersuchungshaft, nachdem zuvor bereits in einem anderen Verfahren aufgrund eines (ersten) Haftbefehls u.a. ebenfalls wegen Betäubungsmitteldelikten Haft bis zur Aufhebung dieses (ersten) Haftbefehls vollstreckt worden war. Eine Berücksichtigung der Haftzeit aus dem ersten Haftbefehl, die der 2. Senat zur Wahrung der Schutzrechte des Beschuldigten heute für unerlässlich hält, hat er damals abgelehnt mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den Tatbegriff des § 121 Abs. 1 StPO, zu dem "alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an gehören, in dem sie als mit dringendem Tatverdacht bekannte Taten in einen erweiterten oder in einen neu erlassenen Haftbefehl hätten aufgenommen werden können" (u.a. unter Bezugnahme auf Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.0.; LR-Hilger a.a.0. und OLG Düsseldorf a.a.0.).

V.

Mit Recht ist die Theorie der Gleichsetzung von "derselben Tat" mit "demselben Verfahren" (in der reinen, nicht in der beschriebenen Weise eingeschränkten Form) überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Nach ihr sollen bei Vorliegen verschiedener Haftbefehle zur Berechnung der Sechsmonatsfrist alle Haftzeiten unabhängig vom Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Straftaten zusammenzurechnen sein, wenn die Haftbefehle oder Haftbefehlserweiterungen Gegenstand desselben Ermittlungsverfahrens sind bzw., sofern sie in getrennten Verfahren erlassen wurden, die Verfahren verbunden werden oder die Voraussetzungen für eine Verbindung vorliegen und diese unmittelbar bevorsteht oder jedenfalls (noch) möglich ist (vgl. zusammenfassend Varvatou/Schlothauer a.a.0., 555 - 556). Teilweise wird zusätzlich gefordert, die Verbindung müsse sich wegen des sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs der Tatvorwürfe "anbieten" (OLG Köln NStZ-RR 1998, 181), darüber hinaus auch "sachgerecht" sein (ThürOLG StV 1999, 329, 330).

1. Abgesehen davon, dass eine Fristberechnung auf dieser Grundlage von ungewissen Verfahrensentwicklungen und damit mehr von Zufälligkeiten als von einheitlichen Bestimmungsfaktoren abhinge (vgl. Varvatou/Schlothauer a.a.0., 556), ist sie auch nicht mit Sinn und Zweck des § 121 Abs. 1 StPO in Einklang zu bringen. Die Vorschrift lehnt sich an Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK an, wonach der Beschuldigte "Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens" hat. Durch die zeitliche Begrenzung der Untersuchungshaft sollen die Organe der Strafverfolgung angehalten werden, die Ermittlungen und das weitere Verfahren zu beschleunigen (KK-Boujong, a.a.0. § 121 Rdnr. 1). Anlass, diesem Beschleunigungsgebot entsprechend tätig zu werden, haben die Strafverfolgungsorgane aber erst dann, wenn sie von verfolgbaren Taten Kenntnis erlangen, die zum Erlass eines Haftbefehls führen oder - in demselben Verfahren - in einen schon bestehenden Haftbefehl bzw. - bei getrennten Verfahren - in einen weiteren Haftbefehl hätten aufgenommen werden können (Varvatour/Schlothauer a.a.0.). Es ist daher nach dem Zweck der Vorschrift nur folgerichtig, wenn eine nachträglich bekannt gewordene Straftat bei Vorliegen der Haftvoraussetzungen eine neue Sechsmonatsfrist in Gang setzt, um den Strafverfolgungsbehörden Gelegenheit zur Durchführung weiterer Ermittlungen zu geben (vgl. OLG Celle bei Paeffgen NStZ 1990, 535).

Die Zusammenrechnung der Haftzeiten aus mehreren Haftbefehlen in demselben oder verbindungsreifen Verfahren würde demgegenüber dazu führen, dass solche Straftaten, die erst während der Haftzeit bekannt oder gar erst begangen werden, bei Bestehen der Haftvoraussetzungen innerhalb der schon von Erlass des ersten Haftbefehls an laufenden Sechsmonatsfrist nicht nur aufzuklären und anzuklagen wären, sondern das Gericht auch schon mit der Hauptverhandlung zumindest beginnen müsste (§ 121 Abs. 3 Satz 3 StPO), andernfalls die Untersuchungshaft zu beenden wäre, wenn nicht die besonderen Verlängerungsgründe nach § 121 Abs. 1 StPO vorliegen. Für eine solche Überbeschleunigung besteht nach dem Zweck der Vorschrift keine Veranlassung. Sie stellt nicht nur die Ermittlungsbehörde vor unlösbare Schwierigkeiten, sondern führt auch zu sinnlosen Haftprüfungsentscheidungen.

Das zeigt der vorliegende Fall deutlich. Die dem neuen Haftbefehl vom 2. November 2000 zugrundeliegende Tat ist erst nach der ersten Haftprüfungsentscheidung des Senats vom 28. August 2000 und vor dem auf den 27. November 2000 bestimmten zweiten Haftprüfungstermin am 9. Oktober 2000 mit einem dringenden Tatverdacht begründenden Wahrscheinlichkeitsgrad bekannt geworden. Für das Ermittlungs- und Strafverfahren wären den Strafverfolgungsbehörden anstatt der gesetzlich vorgesehenen Sechsmonatsfrist nur noch sieben Wochen verblieben - zudem unter den strengen Anforderungen an die Zügigkeit der Bearbeitung, wie sie bei der weiteren Haftprüfung gemäß § 122 Abs. 4 StPO gestellt werden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.0. § 121 Rdnr. 19) -, ohne dass für eine solche Fristverkürzung ein sachlicher Grund gegeben gewesen wäre. Sie hätte allein auf dem Zufall beruht, dass der dringende Tatverdacht nicht schon von Anfang an bestanden hat, sondern erst nach Erlass des ersten Haftbefehls entstanden ist.

Selbst wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nach Entstehen des dringenden Tatverdachts sofort abgeschlossen und Anklage erhoben hätte, wäre es auch bei weiter beschleunigtem Verfahren kaum vorstellbar, dass bis zum zweiten Haftprüfungstermin am 27. November 2000 das Zwischenverfahren hätte durchgeführt, das Hauptverfahren eröffnet und mit der Hauptverhandlung begonnen oder gar ein Urteil herbeigeführt werden können. Gleichwohl hätte der Senat am 27. November 2000 in die zweite Haftprüfung eintreten und erneut prüfen müssen, ob die besonderen in § 121 Abs. 1 StPO genannten Umstände vorgelegen und ein Urteil in der Sache noch nicht zugelassen haben, obwohl von vorneherein feststand, dass die Zeit zwischen Entstehen des dringenden Tatverdachts für die neue Tat und Haftprüfungstermin auch unter normalen Umständen nicht ausgereicht hätte, zu einer verfahrensabschließenden Entscheidung zu gelangen. Eine solche Prüfung wäre sinnlos (vgl. OLG Celle bei Paeffgen a.a.O.).

2.

Die sich aus der Gleichsetzung "derselben Tat" mit "demselben Verfahren" ergebenden Unstimmigkeiten setzen sich in der materielle Prüfung der besonderen Haftverlängerungsvoraussetzungen gemäß § 121 Abs. 1 StPO fort. Wollen die Strafverfolgungsorgane auf Grundlage dieser Theorie die vom Gesetz in Haftsachen zugestandene Sechsmonatsfrist ausnutzen, müssten sie zur Aufklärung "derselben Tat" von Erlass des ersten Haftbefehls und Inhaftierung des Beschuldigten an auch allen erkennbar werdenden Anhaltspunkten für weitere, nicht zum Gegenstand des Haftbefehls gehörende Straftaten nachgehen, weil die Verdachtsmomente sich nachfolgend zu einem dringenden Tatverdacht verdichten und zum Erlass eines weiteren Haftbefehls (oder einer Haftbefehlserweiterung) mit einer auf die Sechsmonatsfrist anzurechnenden Haftzeit führen könnten. Ist diese nach der Verfahrensidentitätstheorie gebotene weit ausgreifende Ermittlungs- und Aufklärungstätigkeit dann die Ursache dafür, dass kein Urteil innerhalb der Sechsmonatsfrist ergangen ist, kann sich daraus ein Verlängerungsgrund der in § 121 Abs. 1 StPO genannten Art nicht ergeben. Vielmehr müssten die Strafverfolgungsorgane sich den Vorwurf gefallen lassen, Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der persönlichen Freiheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verkannt zu haben. Denn die Haftverlängerungsgründe der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfangs der Ermittlungen oder ein sonstiger wichtiger Grund können sich von Verfassungs wegen grundsätzlich nur auf die Taten beziehen, die im Haftbefehl aufgeführt sind und derentwegen die Untersuchungshaft vollzogen wird (BVerfG NStZ 1992, 1749, 1750). Tat im Sinne der Verfahrensidentität einerseits und Tat im Sinne der materiellen Verlängerungsgründe andererseits stünden in diesem Fall in einem für die Strafverfolgungsorgane unauflösbaren Widerspruch.

Umgekehrt kann die Gleichsetzung von Tat und Verfahren bei Prüfung der Verlängerungsgründe zu einer materiell-rechtlich ungerechtfertigten Ausdehnung der Untersuchungshaft und damit gerade zu dem Ergebnis führen, das der 2. Senat als Folge des erweiterten Tatbegriffs erwartet, nämlich zu einer Verkürzung des dem Untersuchungsgefangenen zukommenden Schutzes. Wird zu einem vorhandenen und vollzogenen Haftbefehl in einem getrennten Verfahren wegen einer weiteren Tat ein zweiter Haftbefehl erlassen und vollstreckt, ohne dass die Voraussetzungen für eine Verbindung der Verfahren vorliegen (vgl. OLG Köln und ThürOLG, jeweils a.a.0.), wäre eine Zusammenrechnung der Haftzeiten nicht möglich. Beginn der der besonderen Haftprüfung unterliegenden Untersuchungshaft und damit der Ansatzpunkt für die materielle Prüfung wäre der Zeitpunkt des Erlasses des zweiten Haftbefehls, obwohl die den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände möglicherweise bereits während der Haftzeit aus dem ersten Haftbefehl bekannt geworden sind und damit schon zu einem früheren Zeitpunkt Anlass zu besonderer Verfahrensbeschleunigung geboten hätten (Schlothauer, Anm. zu ThürOLG, StV 1999, 329, 331). Im äußersten Fall kann gerade dadurch die befürchtete "Reservehaltung" und das "Nachschieben" von Haftbefehlsvorwürfen zur Aneinanderreihung mehrerer Sechsmonatsfristen erreicht werden. Ermittlungsverfahren könnten trotz bestehenden dringenden Tatverdachts verschleppt und so gesteuert werden, dass die Haftbefehle jeweils nacheinander erst dann beantragt werden, wenn eine Verfahrensverbindung nicht mehr möglich oder sachgerecht wäre (Schlothauer a.a.0., 332).

3.

Die Zusammenrechnung früherer mit der aufgrund eines neuen Tatverdachts vollzogenen Untersuchungshaft würde auch noch zu einer weiteren Konsequenz führen, die nicht hingenommen werden könnte: Wäre nämlich bei den Ermittlungen hinsichtlich des ursprünglichen Tatvorwurfs ein Verstoß gegen das in Haftsachen bestehende besondere Beschleunigungsgebot festzustellen, müsste dies auch dann zur Haftaufhebung führen, wenn es inzwischen, möglicherweise erst kurz vor dem Haftprüfungstermin zu der keineswegs verschleppten oder sonstwie verzögerten Aufdeckung einer neuen, womöglich noch schwerer wiegenden Straftat des Beschuldigten gekommen und der Haftbefehl nunmehr sofort auf diese neue Tat erweitert worden ist (vgl. etwa den dem Beschluss des Senats vom 6. April 2000 - (1) 4420 BL - III - 127/99 - zugrundeliegenden Fall des wegen eines Betäubungsmitteldelikts in Untersuchungshaft genommenen Beschuldigten, gegen den sich erst nach monatelangen Betäubungsmittelermittlungen der dringende Verdacht zweier auf einer Beschaffungsfahrt begangener Vergewaltigungen ergab).

Diese Unstimmigkeiten treten nicht auf, wenn auf Grundlage des erweiterten Tatbegriffs eine nach Erlass des ersten Haftbefehls bekannt werdende Tat eine neue Sechsmonatsfrist auslöst und Ansatzpunkt sowohl für die Fristberechnung als auch die materielle Prüfung spätestens der Zeitpunkt ist, an dem die Voraussetzungen für einen neuen Haftbefehl (bzw. eine Haftbefehlserweiterung) vorgelegen haben.

4.

Die Kritik, die der 2. Strafsenat gegen den erweiterten Tatbegriff vorbringt, überzeugt nicht. Er meint, dass dieser dazu führen könne, das Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO auf vielfältige Weise zu umgehen (vgl. Beschluss vom 4. Dezember 2000 - (2) 4420 BL-III-97/00 -).

So sieht er die Gefahr, dass durch eine "bewusst unvollständige Befragung eines Zeugen" Vorwürfe zurückgehalten und für eine spätere Haftbefehlserweiterung "aufgespart" werden. Hiermit spricht er theoretische Möglichkeiten von Verfahrensmanipulationen durch Ermittlungsbeamte an. Diese könnten es - ohne durch sachbezogene ermittlungstaktische Gründe oder das am Haftbefehlsvorwurf auszurichtende Beschleunigungsgebot (vgl. oben V. 2.) veranlasst zu sein - unterlassen, einen Zeugen, der Auskunft geben könnte, zu einem schon bekannten, wenn auch noch nicht dringenden Tatverdacht zu befragen. Macht der Zeuge ungefragt dazu Angaben, müssten die Ermittlungsbeamten zur Herbeiführung einer "bewussten Unvollständigkeit" seine Aussage unvollständig, d.h. unrichtig protokollieren oder im Falle einer vollständigen Protokollierung Aktenteile zurückhalten, um dann später kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist eine Ergänzung der Aussage bzw. der Ermittlungsakte herbeizuführen und auf dieser Grundlage einen neuen Haftbefehl bzw. eine Haftbefehlserweiterung zu beantragen. Im äußersten Fall lässt sich die Argumentation des 2. Senats sogar weiter dahin fortführen, dass Ermittlungsbeamte das gesamte Beweisergebnis fälschen und auf Grundlage eines fingierten Tatverdachts den Erlass eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten erreichen könnten.

Dazu ist anzumerken, dass die besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht keine Maßnahme der Dienstaufsicht, sondern eine rechtliche Prüfung ist. Sie baut auf dem sich nach Aktenlage darstellenden Ermittlungsergebnis auf und erstreckt sich auf die Untersuchung der verfahrens- und materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft. Daran hat sich die Auslegung der dafür geltenden Rechtsvorschriften auszurichten. Etwaige wie auch immer geartete bewusste Manipulationen an den Ermittlungsgrundlagen zur Anordnung und Verlängerung der Untersuchungshaft würden stets und unter verschiedenen Gesichtspunkten die Gefahr unrichtiger Haftentscheidungen heraufbeschwören, gleichgültig ob entsprechend der einen oder der anderen Auslegung des Tatbegriffs Haftzeiten aus verschiedenen Haftbefehlen zusammengerechnet werden oder nicht. Dienstordnungsrechtliche oder strafrechtliche Ermittlungen gegen Polizei oder Staatsanwaltschaft werden im Rahmen der oberlandesgerichtlichen Haftprüfungstätigkeit in keinem Fall angestellt. Es ist daher nicht sachgerecht, die Möglichkeit bewusster Manipulationen des Ermittlungsergebnisses als Auslegungshilfe bei Bestimmung des Tatbegriffs heranzuziehen.

Abgesehen davon sind die vom 2. Senat angesprochenen Manipulationsmöglichkeiten rein theoretischer Natur. Dem Senat in seiner derzeitigen Besetzung ist jedenfalls noch kein Fall bekannt geworden, in dem die Ermittlungsbehörden in der beschriebenen Weise versucht hätten, eine neue Sechsmonatsfrist in Gang zu setzen. Es besteht daher auch aus praktischer Sicht keine Notwendigkeit, derartige Überlegungen bei Anwendung des Tatbegriffs zu berücksichtigen.

Aber selbst wenn sich in einem vereinzelten Fall tatsächlich ergeben sollte, dass Ermittlungsbeamte beispielsweise eine unbedingt gebotene Zeugenbefragung zu einem bestehenden Tatverdacht unterlassen hätten, so könnte dem gerade vom Boden des hier vertretenen Tatbegriffs unschwer in der Weise Rechnung getragen werden, dass der zur Bestimmung des Haftprüfungstermins maßgebliche Beginn der Sechsmonatsfrist auf den Zeitpunkt vorverlegt wird, in dem sich bei ordnungsgemäßer Ermittlungstätigkeit der dringende Tatverdacht und damit die Möglichkeit einer Haftbefehlserweiterung erstmals ergeben hätte (vgl. oben III.).

Eine weitere Gefahr der Umgehung sieht der 2. Senat darin, dass ein Zeuge es "durch eine mehr oder weniger sorgfältige Anspannung seines Gedächtnisses in der Hand" habe, ob bzw. wann ein Haftprüfungsverfahren durchzuführen ist. Damit wird jedoch der Adressat des Beschleunigungsgebots verkannt. Dieses richtet sich an die Strafverfolgungsorgane, nicht an Beweispersonen. Daran, dass der Zeuge ein relativ unsicheres Beweismittel ist, kann auch eine Haftprüfung des Oberlandesgerichts nichts ändern. Die Ermittlungsbeamten können insoweit nicht mehr als durch eine eingehende Befragung und Belehrung des Zeugen über die Pflicht zu wahrheitsgemäßer und vollständiger Aussage sowie die Folgen wahrheitswidriger Angaben zu einer Förderung des Verfahrens beitragen.

Im Übrigen dürften Fälle, in denen an sich aussagebereite Zeugen ein den Beschuldigten zusätzlich belastendes Wissen zunächst bewusst zurückhalten, um den Ermittlungsbehörden unter gezielter Ausnutzung des erweiterten Tatbegriffs die spätere Erwirkung eines weiteren (bzw. die Erweiterung eines bestehenden) Haftbefehls zu ermöglichen, so selten sein, dass ihnen rechtspraktische Bedeutung nicht zukommt.

Schließlich bleibt festzustellen, dass der Untersuchungsgefangene auch außerhalb der besonderen Haftprüfung durch das Oberlandesgericht keineswegs rechtsschutzlos gestellt ist. Ihm steht ein dichtes Netz von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen zur Verfügung, das es ihm jederzeit ermöglicht, sich gegen die Untersuchungshaft zu verteidigen. Auch von daher besteht kein Bedürfnis, allen auch nur denkbaren Haftaufhebungsgründen, die während der Haftzeit von Bedeutung werden können, durch Auslegung des Tatbegriffs in § 121 Abs. 1 StPO Rechnung zu tragen.

5.

In seiner Entscheidung vom 4. Dezember 2000 scheint der 2. Strafsenat sich allerdings doch wieder an die herrschende obergerichtliche Rechtsprechung und den von ihr vertretenen erweiterten Tatbegriff annähern zu wollen. Dieser Tatbegriff soll nämlich dann anzuwenden sein, wenn es gelte, entsprechend der zitierten Entscheidung vom 2. März 1998 einer "Reservehaltung" von Tatvorwürfen in getrennten Verfahren vorzubeugen; weiterhin abzulehnen sei er jedoch dann, wenn er dazu führe, "von der Durchführung eines Haftprüfungsverfahrens dann Abstand zu nehmen, wenn der Haftbefehl aufgrund in demselben Ermittlungsverfahren gewonnener Erkenntnisse erweitert wird". Damit soll im Einzelfall danach differenziert werden, ob die Tatvorwürfe Gegenstand eines erweiterten Haftbefehls in demselben Ermittlungsverfahren oder eines neuen Haftbefehls in einem getrennten Verfahren sind, wobei im ersten Fall "dieselbe Tat" im Sinne "desselben Verfahrens" zu verstehen und die Haftzeiten zusammenrechnen, im zweiten Fall dagegen der erweiterten Tatbegriff angewendet und eine Zusammenrechnung abgelehnt werden soll. Aus der Art der Verfahrensführung kann sich in der Sache jedoch kein Unterschied ergeben. Es läge in der Hand der Ermittlungsbehörde, durch verfahrensleitende Verfügungen den Begriff "derselben Tat" in diese oder jene Richtung zu lenken und damit den Ansatzpunkt sowohl für die verfahrensrechtliche als auch die materiell-rechtliche Prüfung selbst zu bestimmen. Die Unterscheidung des 2. Strafsenats führt in die Abhängigkeit von Zufälligkeiten des Verfahrens zurück, die sowohl der erweiterte Tatbegriff als auch die Theorie der Gleichsetzung von Tat und Verfahren vermeiden wollen.

Die Definition "derselben Tat" muss nach objektiven, an Sinn und Zweck der Vorschrift ausgerichteten Kriterien erfolgen. Der Senat bleibt daher auch nach erneuter Abwägung aller Gesichtspunkte bei seiner auf Grundlage des erweiterten Tatbeggriffs gebildeten Auffassung.

Ende der Entscheidung

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