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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 09.02.2005
Aktenzeichen: (1) Ausl - III - 2/05
Rechtsgebiete: IRG, StPO


Vorschriften:

IRG § 14
IRG § 14 Abs. 1, 1. Alt.
IRG § 14 Abs. 1, 2. Alt.
IRG § 14 Abs. 2
IRG § 14 Abs. 3
IRG § 16 Abs. 1
IRG § 19
IRG § 77
StPO §§ 7 f.
StPO § 8
StPO § 21
StPO § 100a
1. Der auf freiem Fuß befindliche Verfolgte ist nicht erst dann im Sinne des § 14 Abs. 1, 2. Alt. IRG ermittelt, wenn sein Aufenthalt so genau festgestellt ist, dass er jederzeit festgenommen werden könnte. Notwendig, aber auch ausreichend sind tatsächliche Hinweise auf den Aufenthalt eines Verfolgten innerhalb eines bestimmten OLG-Bezirks.

2. § 14 IRG ist eine abschließende Spezialregelung; eine einmal begründete örtliche Zuständigkeit bleibt bis zum Abschluss des Auslieferungsverfahrens bestehen. Folglich kann eine rechtlich korrekt angenommene Zuständigkeit als Gericht des Ermittlungsorts nicht rückwirkend entfallen, wenn sich im weiteren Verlauf des Verfahrens herausstellt, das der Verfolgte seinen gewöhnlichen Aufenthalt möglicherweise in einem anderen Bezirk hatte.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: (1) Ausl - III - 2/05

In der Auslieferungssache

wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 9. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Senat ist für Entscheidungen im Auslieferungsverfahren gegen den Verfolgten L..... nicht zuständig.

Gründe:

I.

Die Republik Italien ersucht um die Auslieferung des Verfolgten, der ein führendes Mitglied eines Camorra-Clans sein soll. Seit September 2004 ist er auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Neapel im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben.

Mitte Januar 2005 teilte das Bundeskriminalamt der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt mit, den italienischen Behörden lägen "mehrfach Aussagen von Vertrauenspersonen und Hinweisgebern vor" (Bl. 35 d.A.), wonach sich der Verfolgte im Raum Frankfurt aufhalte; dies werde durch eigene Erkenntnisse bestätigt.

Am 19. Januar 2005 beantragte die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt beim 2. Strafsenat des dortigen Oberlandesgerichts die Anordnung vorläufiger Auslieferungshaft nach § 16 Abs. 1 IRG sowie die richterliche Ermächtigung zur Überwachung eines dem Verfolgten zugeordneten Mobiltelefons gemäß §§ 77 IRG, 100a f. StPO.

Am 24. Januar 2005 ordnete das Oberlandesgericht Frankfurt gegen den Verfolgten Auslieferungshaft an (Bl. 45, 46 d.A.) und gab dem TÜ-Antrag statt (Bl. 42, 43 d.A.). Am 25. Januar 2005 beauftragte die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt das Bundeskriminalamt mit der Fahndung nach dem Verfolgten.

Nachdem durch die TÜ-Maßnahme bekannt geworden war, daß der Verfolgte in M.... wohnen und arbeiten soll, wurde dort gezielt und mit Erfolg nach ihm gefahndet. Die Festnahme auf offener Straße erfolgte am Nachmittag des 26. Januar 2005.

Mit Schreiben vom 27. Januar 2005 bat die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz unter Hinweis auf den Ergreifungsort M.... um Übernahme des Auslieferungsverfahrens.

Am 31. Januar 2005 hat die hiesige Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren übernommen. Sie hält nunmehr die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Koblenz für gegeben und beantragt, "im Hinblick auf den eingetretenen Zuständigkeitswechsel" die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Der Senat ist für Entscheidungen im Auslieferungsverfahren gegen den Verfolgten L..... nicht zuständig. Zuständig war und ist vielmehr das Oberlandesgericht Frankfurt, das seine örtliche Zuständigkeit als Gericht des Ermittlungsorts nach § 14 Abs. 1, 2. Alt. IRG anläßlich seiner Anordnungen vom 24. Januar 2005 bejaht und bisher - nach Aktenlage - auch nicht in Zweifel gezogen hat.

1.

Eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Bundesgerichthof nach § 14 Abs. 3 IRG erfolgte nicht. § 14 Abs. 2 IRG ist offensichtlich nicht einschlägig. § 14 Abs. 1, 1. Alt. IRG regelt den hier nicht gegebenen Fall, daß der Verfolgte aufgrund der grenzüberschreitenden Ausschreibung eines anderen Staates im Inland gemäß § 19 IRG vorläufig festgenommen und anschließend erstmals ein inländisches Oberlandesgericht mit der Sache befaßt wird. Vielmehr wurde hier bei der Ingewahrsamnahme des Verfolgten am 26. Januar 2005 ein Auslieferungshaftbefehl vollstreckt, den das Oberlandesgericht Frankfurt nur erlassen durfte, wenn es vorher nach Prüfung der am 24. Januar 2005 vorliegenden Informationen seine Zuständigkeit nach § 14 Abs. 1, 2. Alt. IRG bejaht hatte. Dies war ersichtlich geschehen.

2.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß es in der Anordnung der TÜ-Maßnahme in Anlehnung an den Wortlaut des § 100a StPO heißt, "die Ermittlung des Aufenthaltsorts ... auf andere Weise" erscheine aussichtslos. Der auf freiem Fuß befindliche Verfolgte ist nicht erst dann im Sinne des § 14 Abs. 1, 2. Alt. IRG ermittelt, wenn sein Aufenthalt so genau festgestellt ist, daß er jederzeit festgenommen werden könnte (Wilkitzki, IRG § 14 Rn. 12). Notwendig, aber auch ausreichend sind tatsächliche Hinweise auf den Aufenthalt eines Verfolgten innerhalb eines bestimmten OLG-Bezirks. Es genügt beispielsweise, wenn der Verfolgte zwar unter seiner letzten bekannten Anschrift nicht auffindbar ist, es aber Anhaltspunkte dafür gibt, daß er sich nach wie vor in dem OLG-Bezirk, in dem seine letzte bekannte Wohnung liegt, aufhält, etwa weil seine Freundin dort wohnt (Wilkitzki, a.a.O. m.w.N.). Eine engere Auslegung des § 14 Abs. 1, 2. Alt., Abs. 3 IRG würde dazu führen, daß immer dann, wenn nicht genau bekannt ist, wann sich der Verfolgte in welchem Gebäude oder auf welcher Straße aufhält, der Bundesgerichthof zwecks Zuständigkeitsbestimmung angerufen werden müßte. Dies würde regelmäßig zu Verfahrensverzögerungen führen, die gerade im Auslieferungsverfahren vermieden werden sollen.

Es ist also kein Widerspruch, einerseits einen Verfolgten als in einem OLG-Bezirk ermittelt anzusehen und gleichzeitig weitere Ermittlungen zur näheren Bestimmung des Aufenthaltsortes für notwendig zu erachten.

3.

§ 14 IRG ist eine abschließende Spezialregelung; eine einmal begründete örtliche Zuständigkeit bleibt bis zum Abschluß des Auslieferungsverfahrens bestehen (Lagodny, IRG § 14 Rn. 4). Das folgt bereits daraus, daß es in einem Auslieferungsverfahren immer nur einen Ergreifungsort bzw. immer nur einen ersten Ermittlungsort gibt. Die gesetzliche Regelung trägt dem Anliegen Rechnung, das eilbedürftige Auslieferungsverfahren nicht durch nachträgliche Änderung der örtlichen Zuständigkeit zu verzögern (Wilkitzki, a.a.O. Rn. 14 m.w.N). Die §§ 7 f. StPO, die eine flexible Handhabung auch nach Zweckmäßigkeitserwägungen sowie eine Zuständigkeitsänderung (durch Vereinbarung, § 13 Abs. 2 StPO) während eines bereits laufenden Verfahrens vorsehen, finden keine Anwendung. Es ist deshalb unerheblich, daß die hiesige Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren einvernehmlich übernommen hat.

4.

Ein ohne vorherige Ergreifung des Verfolgten angerufenes Oberlandesgericht kann - abgesehen von der hier nicht gegebenen Notzuständigkeit im Sinne der §§ 21 StPO, 77 IRG - entweder seine endgültige Zuständigkeit nach § 14 Abs. 1, 2. Alt. IRG bejahen oder die Auffassung vertreten, die tatsächlichen Anhaltspunkte reichten für eine Ermittlung im Sinne dieser Norm nicht aus, weshalb eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes nach § 14 Abs. 3 IRG notwendig sei. Eine vorläufige Zuständigkeit gibt es nicht (Wilkitzki, a.a.O. Rn. 15).

5.

Anders als etwa bei § 8 StPO ist es für die Begründung einer Zuständigkeit nach § 14 Abs. 1, 2. Alt. IRG gerade nicht notwendig, daß die Anwesenheit einer bestimmten Person innerhalb eines bestimmten Gerichtsbezirks positiv festgestellt wurde. Vielmehr genügen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß er sich dort aufhält (Wilkitzki, a.a.O. Rn. 12 m.w.N.). Folglich kann eine rechtlich korrekt angenommene Zuständigkeit als Gericht des Ermittlungsorts nicht rückwirkend entfallen, wenn sich - wie hier - im weiteren Verlauf des Verfahrens herausstellt, daß der Verfolgte seinen gewöhnlichen Aufenthalt möglicherweise in einem anderen Bezirk hatte.

6.

Ob vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ausnahmsweise eine Abgabe an ein anderes Oberlandesgericht in Betracht kommt, wenn die Bejahung der Zuständigkeit als Gericht des Ermittlungsorts objektiv willkürlich ist oder auf völlig falschen Informationen beruht, kann hier dahinstehen. Im konkreten Fall gab es zutreffende tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigten, der Verfolgte halte sich im Raum Frankfurt und damit (auch) im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt auf. Der Raum Frankfurt ist gleichzusetzen mit dem Rhein-Main-Gebiet, das zum überwiegenden Teil in Hessen liegt, aber auch angrenzende Gebiete in Rheinland-Pfalz umfaßt. Die Region, in der sich der Verfolgte tatsächlich aufhielt, und der OLG-Bezirk Frankfurt überschneiden sich deshalb nicht vollständig. Die Information, die der Zuständigkeitsprüfung zugrunde lag, war allerdings nicht falsch, sondern lediglich unpräzise. Ob sie dem Oberlandesgericht Frankfurt hätte Veranlassung geben können, eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 14 Abs. 3 IRG herbeizuführen, kann dahinstehen. Es hat diesen Weg nicht beschritten, sondern in ohne weiteres nachvollziehbarer Weise den Verfolgten als in seinem Bezirk ermittelt angesehen (und dies bisher nach Aktenlage auch nicht in Frage gestellt).

7.

Im Übrigen wäre das Oberlandesgericht Frankfurt mit hoher Wahrscheinlichkeit als das zuständige Gericht bestimmt worden, wenn der Weg über § 14 Abs. 3 IRG gewählt worden wäre, denn die vor der Schaltung der TÜ-Maßnahme aktenkundigen Erkenntnisse boten keine Anknüpfungspunkte für die örtliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts.

Ende der Entscheidung

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