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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 25.08.2000
Aktenzeichen: 1 BL 69/00
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 121 I |
Zum Beginn der Sechsmonatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO bei Haftbefehlserweiterung wegen nachträglich bekannt gewordener Tatvorwürfe.
Geschäftsnummer: (1) 4420 BL-III-69/00 3652 Js 4927/00 - StA Mainz
OLG KOBLENZ Beschluss
In der Strafsache gegen
zur Zeit in dieser Sache in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Mainz,
- Verteidiger: Rechtsanwalt
wegen Betruges u.a.
hier: Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa und den Richter am Landgericht Hardt
am 25. August 2000 beschlossen:
Tenor:
Eine Entscheidung des Senats ergeht nicht.
Gründe:
I.
Am 4. Februar 2000 warf eine Mitarbeiterin der in Mainz ansässigen .....GmbH eine an die Volksbank W. adressierte Briefsendung in einen Briefkasten der Post in Mainz-Hechtsheim. In dem Umschlag befand sich unter anderem ein ausgefülltes und unterschriebenes Überweisungsformular über 162.400 DM, die auf ein bei der Volksbank F. geführtes Konto eines Geschäftspartners überwiesen werden sollten. Die am 16. Februar 2000 im Briefzentrum Mannheim abgestempelte Briefsendung traf am 18. Februar 2000 bei dem Adressaten ein. In der Zwischenzeit war sie entwendet und geöffnet worden. Ein unbekannter Fälscher hatte auf dem Überweisungsformular Eintragungen verändert. Die 162.400 DM sollten nunmehr auf ein bei der Sparkasse M. geführtes Konto eines "O.C." überwiesen werden. Dieses Konto war Mitte Januar 2000 von einem mit gefälschten Ausweispapieren ausgestatteten Afrikaner eröffnet worden. Die Überweisung wurde nicht ausgeführt, weil ein Mitarbeiter der Volksbank W. misstrauisch wurde und die .........GmbH informierte, die am 18. Februar 2000 Anzeige erstattete.
Unter anderem der Umweg der Briefsendung über Mannheim begründete den Verdacht, dass sie bereits auf dem Weg zum Briefzentrum Mainz entwendet worden war. Deshalb gehörte zum Kreis der Verdächtigen auch der Mitarbeiter der Post, der am 4. Februar 2000 die Briefkästen in Mainz-Hechtsheim geleert hat. Nachdem festgestellt worden war, dass dies der Angeschuldigte gewesen war, wurden am späten Abend des 23. Februar 2000 sein PKW und am Morgen des 24. Februar 2000 die Wohnung seiner Freundin, in der er sich regelmäßig aufhielt, durchsucht. Die aufgefundenen Beweismittel erhärteten den gegen ihn bestehenden Verdacht.
Am 24. Februar 2000 erließ das Amtsgericht Mainz gegen den Angeschuldigten Haftbefehl wegen des Vorwurfes der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (§ 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB) und des versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung (§§ 22, 263, 267 StGB). Gegenstand des Haftbefehls waren ausschließlich mutmaßliche Straftaten im Zusammenhang mit der oben beschriebenen Briefsendung vom 4. Februar 2000. Da derartige Straftaten, die offenbar von organisierten Tätergruppen begangen werden, seit einigen Jahren zunehmend die Strafverfolgungsbehörden im gesamten Bundesgebiet beschäftigen, lag der Verdacht auf der Hand, dass der Beschuldigte kein Einzeltäter und die dem Haftbefehl zugrundeliegende Tat kein Einzelfall ist. Für eine Konkretisierung weiterer Einzeltaten gemäß § 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO fehlten allerdings noch die Beweise.
Im Zuge der weiteren Ermittlungen wurden vergleichbare ungeklärte Fälle aus dem Raum Mainz einer erneuten Überprüfung unterzogen. Soweit noch aufklärbar war, wann die entsprechenden Briefsendungen in welchen Briefkasten geworfen worden waren, erfolgte sodann ein Abgleich mit den Einsatzplänen des Angeschuldigten. Nach Vorlage eines Zwischenberichtes der Polizei, der Indizien dafür aufführte, dass der Angeschuldigte ein Serienstraftäter sein könnte, beantragte die Staatsanwaltschaft am 22. März 2000 die Erweiterung des Haftbefehls um 16 gleichgelagerte Fälle mit der Maßgabe, dass der Angeschuldigte als Mitglied einer Bande anzusehen sei (§§ 263 Abs. 3 Nr. 1, 267 Abs. 3 Nr. 1 StGB). Mit Beschluss vom 23. März 2000 entsprach das Amtsgericht Mainz diesem Antrag. Die Haftbefehlserweiterung wurde dem Angeschuldigten am selben Tage bekannt gegeben.
Die weiteren Ermittlungen förderten noch mindestens vier gleichgelagerte Fälle zu Tage (vgl. Bl. 161, 162, 164, 165 d.A.). Einer dieser Fälle ist in der Anklageschrift vom 21. Juni 2000 aufgeführt (Fall 19), aber noch nicht Gegenstand einer Haftentscheidung.
II.
Bei dieser Sachlage ist eine Entscheidung des Senats noch nicht veranlasst.
Der Beschuldigte befindet sich zwar nunmehr sechs Monate ununterbrochen in Untersuchungshaft, aber nicht "wegen derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Oktober 1999 - (1) 4420 BL-III-127/99).
Die Tat, wegen derer jetzt die Untersuchungshaft vollzogen wird, beschränkt sich nicht mehr auf die dem Haftbefehl vom 24. Februar zugrundeliegenden Tathandlungen. Sie wurde vielmehr durch die Erweiterung des Haftbefehls um nach dem 24. Februar 2000 bekannt gewordene Tathandlungen neu definiert. In einem solchen Falle beginnt die Sechsmonatsfrist des § 121 StPO mit dem Tag, an dem wegen der zuletzt bekannt gewordenen Tathandlung dringender Tatverdacht bestand und die übrigen Haftvoraussetzungen vorlagen (siehe Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 121 Rdn. 14 m.w.N.).
Wann - rückblickend betrachtet - wegen eines nach Erlass des ursprünglichen Haftbefehls bekannt gewordenen Tatvorwurfes dringender Tatverdacht bestanden und der Lauf der neuen Sechsmonatsfrist begonnen hat, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.
Die Entscheidung über die Erweiterung eines bestehenden (oder Erlass eines neuen) Haftbefehls obliegt alleine dem dafür nach §§ 125, 126 StPO zuständigen Richter. Diese hat das Ergebnis der weiteren Ermittlungen zu würdigen und darüber zu befinden, ob die Annahme eines dringenden Tatverdachts gerechtfertigt ist. Da es somit auf die Wertung des für die Haftentscheidung zuständigen Richters ankommt, ist jedenfalls dann, wenn die Staatsanwaltschaft unverzüglich einen entsprechenden Antrag stellt, über den in angemessener Zeit entschieden wird, der Tag der Haftbefehlserweiterung (oder des Erlasses eines neuen Haftbefehls) für den Beginn der Frist im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO maßgeblich. Nur wenn auf dieses Datum abgestellt wird, besteht für alle Verfahrensbeteiligten Klarheit darüber, wann die besondere Haftprüfung nach § 121, 122 StPO ansteht.
Etwas anderes kann im Einzelfall gelten, wenn eine haftrichterliche Entscheidung nicht unverzüglich herbeigeführt oder erlassen wird. Bei eindeutiger Beweislage (z.B.: Geständnis des Beschuldigten, glaubhafte Aussage eines Tatzeugen) ist es in der Regel geboten, den Haftbefehl spätestens am auf die Aussage folgenden Tag der veränderten Situation anzupassen. Geschieht dies nicht, ist für den Fristbeginn auf den Tag abzustellen, an dem dies hätte geschehen können (ein solcher Sachverhalt lag der Entscheidung des Senats vom 25. Oktober 1999 zugrunde). Ansonsten kommt es darauf an, wann eine zügige, aber auch sorgfältige Prüfung der Verdachtsmomente durch Staatsanwaltschaft und Haftrichter eine Entscheidung zugelassen hätte.
Vorliegend sind Versäumnisse nicht feststellbar. Der Beschluss des Amtsgerichts Mainz vom 23. März 2000 war die Konsequenz aus den bis dahin zusammengetragenen und im Rahmen einer Gesamtschau zu würdigenden Indizien für eine über den Einzelfall hinausgehende Tatbeteiligung des Angeschuldigten.
Die Frist des § 121 StPO endet somit am 23. September 2000. Nach dem 23. März 2000 bekannt gewordene Tathandlungen haben außer Betracht zu bleiben, weil sie nicht Gegenstand eines Haftbefehls sind.
Die Beachtung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen obliegt nach Anklageerhebung dem nach § 126 Abs. 2 StPO zuständigen Gericht.
Ende der Entscheidung
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