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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 17.10.2002
Aktenzeichen: 1 Ss 139/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 318 | |
StGB § 60 | |
StGB § 69 | |
StGB § 44 |
2. Bei einem Absehen von Strafe muss im Urteil zunächst unter Berücksichtigung aller Zumessungsgesichtspunkte bestimmt werden, in welchem Rahmen sich die Strafe bewegt hätte.
3. Eine enge Täter-Opfer-Beziehung reicht für sich allein noch nicht aus, ein Absehen von Strafe zu rechtfertigen; entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung ihrer näheren Umstände einschließlich der Tatfolgen.
4. Drängt sich die Annahme eines bestimmten Eignungsmangels des Angeklagten auf, ist es rechtsfehlerhaft, die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen.
5. Die Anordnung eines Fahrverbots setzt als Nebenstrafe voraus, dass der Täter zu Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden ist; bei einem Absehen von Strafe ist die Anordnung unzulässig.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS
Geschäftsnummer: 1 Ss 139/02 8004 Js 18915/01 - 3 Ds StA Trier
In der Strafsache
wegen fahrlässiger Tötung hier: Revision der Staatsanwaltschaft
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in der Sitzung vom 17. Oktober 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts B. vom 14. März 2002 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten einer fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Von Strafe hat es jedoch abgesehen mit der Maßgabe, dass ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt wird.
Nach den Urteilsfeststellungen kollidierte ein vom Angeklagten gesteuerter PKW mit der linken Kante einer waagerecht ausgefahrenen Ladeklappe eines am rechten Fahrbahnrand abgestellten LKW. Durch den Aufprall wurde die Lebensgefährtin des Angeklagten, die auf dem Beifahrersitz saß, tödlich verletzt. Der Angeklagte, der von Kindheit an auf dem rechten Auge blind ist, hatte die Klappe des LKW nicht bemerkt, sondern seine Aufmerksamkeit allein auf das Vorbeifahren an dem Fahrzeug gerichtet. Seine Beziehung zu der getöteten Frau bestand seit ca. zwei Jahren.
Die Straffrage wird im Urteil wie folgt beantwortet:
"Das Gericht hält die Voraussetzungen des § 60 StGB für gegeben, so dass von Strafe abzusehen war".
Von der Entziehung der Fahrerlaubnis hat das Gericht mit folgender Begründung abgesehen:
"Das Gericht hat nach dem in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindruck keineswegs Feststellungen treffen können, aus denen auf charakterliche Ungeeignetheit des Angeklagten zu schließen wäre".
II.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zunächst Berufung eingelegt. In der Revisionsbegründungsschrift ist sie von diesem Rechtsmittel auf das der Revision übergegangen.
Unter Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beantragt sie, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
III.
Das als Sprungrevision (§ 335 Abs. 1 StPO) statthafte, zu Ungunsten des Angeklagten in zulässiger Weise eingelegte Rechtsmittel hat Erfolg.
1.
Die Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam. Eine Fallgestaltung, die ausnahmsweise zu einer Unwirksamkeit der Beschränkung führen könnte (vgl. dazu KK-Ruß, StPO, § 318 Rdn. 7 a; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 318 Rdn. 17), liegt nicht vor.
Ob, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint, die für die Beurteilung der Schuld wesentlichen Tatumstände rechtsfehlerhaft festgestellt worden sind, kann dahinstehen. Die beanstandete fehlende Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten und die unterbliebene Würdigung der Zeugenaussagen begründeten ggf. eine Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe nach § 267 Abs. 1 StPO, die zu einer materiell-rechtlichen Fehlerhaftigkeit des Schuldspruchs führen würde (Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 267 Rdn. 42). Allein dadurch wird aber eine Rechtsmittelbeschränkung nicht ausgeschlossen (BGH NStZ 1996, 352, 353; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 318 Rdn. 17 a m.w.N.).
2.
Der Rechtsfolgenausspruch hält in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die Vorschrift des § 60 StGB ist unrichtig angewandt worden.
aa) Gemäß Satz 2 dieser Vorschrift ist ein Absehen von Strafe von vornherein ausgeschlossen, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat. Das Urteil lässt völlig offen, in welchem Rahmen sich die unter Berücksichtigung aller Zumessungsgründe (Tröndle/Fischer, StGB, § 60 Rdn. 2) zu bestimmende Strafe bewegt hätte.
Es enthält zu den entscheidenden Strafbemessungsgesichtspunkten auch nur unvollständige Feststellungen. Hinzuweisen ist auf das in § 46 Abs. 2 StGB als maßgeblicher Umstand aufgeführte Vorleben des Täters, bei dessen Erörterung es im Wesentlichen auf seine Vorstrafen, hier auch auf Eintragungen im Verkehrszentralregister, ankommt. Dazu trifft das Urteil keine Aussage.
bb) Im Übrigen ist nach § 60 S. 1 StGB ein Absehen von Strafe nur dann gerechtfertigt, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.
Voraussetzung ist, dass die Funktion der Strafe allein durch den Schuldspruch erfüllt wird, weil der Täter sich selbst so schwer geschädigt hat, dass es einmal einer weitergehenden Einwirkung auf ihn nicht bedarf und zum anderen der Allgemeinheit das Absehen von Strafe als Ausdruck humaner Strafrechtspflege so verständlich erscheint, dass sie dadurch einen notwendigen und sinnvollen Rechtsgüterschutz nicht in Frage gestellt sieht. Verfehlt wäre die Strafe, wenn sie unter keinem ihrer Leitgesichtspunkte eine sinnvolle Funktion hätte. Die Annahme, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss sich, wie das Wort "offensichtlich" in § 60 S. 1 StGB zeigt, unmittelbar aufdrängen (BGHSt 27, 298, 300; BGH StV 1997, 76, 77).
Ob das der Fall ist, hat das Gericht im Wege einer Gesamtwürdigung aller für und gegen den Täter sprechender Umstände festzustellen (BGH a.a.O.; Hirsch LK § 60 Rdn. 37). Einen solchen Wertungsvorgang lässt das Urteil vermissen.
Schon die Annahme eines besonderen Betroffenseins des Angeklagten beruht auf einer unvollständigen Grundlage. Da er selbst bei dem Verkehrsunfall keine Verletzungen davongetragen hat, kann nur der Tod der Beifahrerin den Strafrichter zur Anwendung der Vorschrift bewogen haben. Zwar kann der Täter durch die Tat auch dann hart getroffen werden, wenn die unmittelbaren Folgen nicht bei ihm, sondern einer ihm nahestehenden Person eingetreten sind. Jedoch reicht eine enge Täter-Opfer-Beziehung für sich allein noch nicht aus. Erst aus der Gesamtbetrachtung ihrer näheren Umstände einschließlich der Tatfolgen kann sich ergeben, ob der Verlust des Betroffenen den Täter so schwer belastet, dass er schon dadurch hinreichend "gestraft" ist (Hirsch a.a.O. Rdn. 24). Außer der Tatsache, dass die getötete Beifahrerin seit ca. zwei Jahren die Lebensgefährtin des Angeklagten war und dieser bis dahin "ohne Anhang bei seiner Mutter und später allein gelebt hatte", teilt das Urteil zur Täter-Opfer-Beziehung nichts mit. Nur aus solchen allgemeinen, auf eine Vielzahl ähnlicher Fälle übertragbaren Umständen lässt sich eine schwere Selbstschädigung des Angeklagten im Sinne der Gesetzesvorschrift nicht herleiten.
b) Gleichermaßen rechtsfehlerhaft ist weiter die Entscheidung sowohl zur Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) als auch zur Nebenstrafe des Fahrverbots (§ 44 StGB).
Die Entziehung der Fahrerlaubnis hat der Strafrichter lediglich unter dem Gesichtspunkt einer charakterlichen Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen geprüft. Die im Urteil mitgeteilten Tatumstände geben aber in erster Linie Anlass, die Frage eines körperlichen Eignungsmangels zu untersuchen. Nach den für das Revisionsgericht verbindlichen Urteilsfeststellungen ist der Verkehrsunfall auf die rechtsseitige Blindheit des Angeklagten zurückzuführen; sie war ursächlich dafür, dass er die rechtsseitig ausgefahrene Ladeklappe des LKW nicht bemerkt und sich einzig auf das Vorbeifahren an dem abgestellten Fahrzeug konzentriert hatte. Den Fahrlässigkeitsvorwurf hat der Strafrichter dementsprechend darin gesehen, dass der Angeklagte "in Kenntnis seiner rechtsseitigen Sehbehinderung sich nicht genügend nach rechts orientiert hatte, andernfalls er die ausgefahrene Ladeklappe wahrgenommen und rechtzeitig hätte reagieren können". Gerade eine solche unfallursächliche Beeinträchtigung des Sehvermögens zählt zu den körperlichen Behinderungen, aus denen sich die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen ergeben kann (Geppert LK § 69 Rdn. 51 m.w.N.). Drängte sich damit die Annahme eines körperlichen Eignungsmangels des Angeklagten geradezu auf, war es rechtsfehlerhaft, die Maßregel nach § 69 StGB nicht unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen (vgl. BGH NJW 1999, 2606).
Da die fahrlässige Tötung nicht zu den Katalogtaten des § 69 Abs. 2 StGB zählt, wird über die Entziehung letztlich aufgrund der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Angeklagten zu entscheiden sein, wobei auch hier die Frage einschlägiger Vorstrafen oder verkehrsrechtlicher Bußgeldvorbelastungen von größter Bedeutung sein wird (Geppert a.a.O. Rdn. 70, 104, 105).
Die Anordnung eines Fahrverbots gemäß § 44 StGB, die als Nebenstrafe - anders als die Maßregel nach § 69 StGB - stets voraussetzt, dass der Täter zu Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden ist, ist bei Absehen von Strafe unzulässig (Geppert a.a.O. § 44 Rdn. 8, § 69 Rdn. 17).
Über die Rechtsfolgen der Tat ist nach alledem von Grund auf neu zu entscheiden. Ergänzende Feststellungen, die zu dem nach Rechtsmittelbeschränkung der Staatsanwaltschaft rechtskräftig gewordenen Teil des Urteils nicht in Widerspruch stehen, sind jederzeit möglich.
Ende der Entscheidung
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