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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 12.10.2000
Aktenzeichen: 1 Ss 207/00
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 21
StGB § 20
StPO § 244 II
Leitsatz:

Zum Umfang der Pflicht des Tatgerichts zur Aufklärung der Frage einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Täters wegen Betäubungsmittelabhängigkeit


Geschäftsnummer: 1 Ss 207/00 2090 Js 040097/99 StA Koblenz

In der Strafsache

gegen

I. E.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt R. -

wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und den Richter am Landgericht Hardt

am 12. Oktober 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Dem Angeklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur vollständigen Anbringung seiner Revisionsbegründung gewährt.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. großen Strafkammer (als Jugendkammer) des Landgerichts Koblenz vom 4. Mai 2000 wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten der Wiedereinsetzung und der Revision.

Gründe:

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO).

1.

Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO), mit der die Revision geltend macht, die Strafkammer habe es pflichtwidrig unterlassen, der "Frage einer gutachterlichen Begutachtung im Hinblick auf die Schuldfähigkeit" nachzugehen, greift nicht durch.

Nach allgemeiner Rechtsansicht, die auch vom Senat in ständiger Rechtsprechung geteilt wird, begründet bloße Abhängigkeit, selbst von harten Drogen, für sich allein noch nicht die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (BGH MDR 77, 106 bei Holtz; Senat Urteil vom 21.11.1996 - 1 Ss 304/96 - und Beschluss vom 31.1.1996 - 1 Ss 361/95 -). Der von der Revision erwähnte und auch im angefochtenen Urteil festgestellte Umstand, dass der Angeklagte bei seiner Festnahme ein Fixerbesteck mit sich führte, mag auf regelmäßigen Drogenkonsum hindeuten; er indiziert jedoch nicht einmal eine Drogenabhängigkeit, geschweige denn eine so schwere, dass sie ausnahmsweise (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 2; StV 89, 103, 104) die Anwendung des § 21 StGB begründen könnte. Die Strafkammer hat diesen Gesichtspunkt gesehen und sich dazu knapp, aber ausreichend, geäußert (Urteil S. 18 letzter Absatz). Im Übrigen hat sie, soweit die erwähnten Umstände als Anhaltspunkte für eine Betäubungsmittelsucht des Angeklagten in Betracht zu ziehen waren, zu seinen Gunsten einen chronischen Missbrauch unterstellt und dies als allgemeinen Strafmilderungsgrund (vgl. BGH StV a.a.0.; BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 1) in ihre Strafzumessungserwägungen einbezogen (Urteil S. 18).

Dass sie es dabei hat bewenden lassen, war rechtsfehlerfrei. Zur Einschaltung eines medizinischen Sachverständigen bestand darüber hinaus kein Anlass. Dass der Angeklagte zur Tatzeit regelmäßiger Drogenkonsument war, ist hier keine aufgrund eines bestimmten Beweisergebnisses getroffene Feststellung, sondern lediglich ein Strafzumessungsgrund, den die Kammer ihm - trotz seiner Einlassung, seit der Akupunkturbehandlung im Jahre 1997 keinerlei Drogen mehr zu konsumieren - nach dem Grundsatz in dubio pro reo nur deshalb zugute gehalten hat, weil er bei seiner Festnahme im Besitz eines Fixerbestecks angetroffen worden war.

Die Revision zeigt nicht auf, dass und aus welchen Gründen die Kammer sich - unabhängig davon, dass der Angeklagte einen in diese Richtung zielenden Beweisantrag nicht gestellt und sogar beteuert hatte, nicht (mehr) Drogenkonsument und erst recht nicht drogenabhängig zu sein (Urteil S. 12) - dazu hätte gedrängt sehen müssen, einer vor diesem Hintergrund lediglich möglichen Drogenabhängigkeit noch weiter, und zwar "im Hinblick auf die Schuldfähigkeit", nachzugehen. Selbst auf der Grundlage eines gesicherten Drogenkonsums oder sogar einer positiv festgestellten Abhängigkeit von Betäubungsmitteln würde dies für sich allein - ohne sonstige Auffälligkeiten - die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit nicht begründen. Derartige Folgen sind bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, z.B. wenn langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwerster Persönlichkeitsveränderung geführt hat oder der Täter unter dem Einfluss starker Entzugserscheinungen (oder akuter Angst vor nahe bevorstehenden körperlichen Entzugserscheinungen, die er schon "grausamst" erlitten hat) handelte und durch sie dazu getrieben wurde, sich mittels seiner Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rauschs verübt hat (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 11; BGH NJW 81, 122 m.w.N.).

Nach den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung gab es für diese Voraussetzungen keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte; der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung sogar bestritten, überhaupt noch Drogenkonsument zu sein. Zwar kann die Nichterörterung der Schuldfähigkeit im Urteil auch dann einen revisiblen Fehler begründen, wenn sie vom Prozessverhalten des Angeklagten gedeckt ist (BGH vom 28.9.1977, 3 StR 264/77); dies jedoch nur, wenn tatsächliche Umstände zu Zweifeln an der (vollen) Schuldfähigkeit Anlass geben (KK-Herdegen, StPO, 4. A., § 244 Rn. 29). Es liegt in der Regel innerhalb des Rahmens richterlicher Sachkunde, aufgrund eigener Erfahrung und Kenntnisse festzustellen, ob solche hinreichenden tatsächlichen Anzeichen für den Ausschluss oder eine - erhebliche - Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei einem Drogenabhängigen vorliegen (OLG Düsseldorf StV 84, 236 m.w.N.). Bei der Prüfung, ob dies zur Tatzeit der Fall war, darf das Gericht auch aus dem Verhalten desjenigen, der Beweisanträge stellen könnte, Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer weiteren Beweisaufnahme gewinnen (BGH MDR 85, 629 bei Holtz). Wie die Revision nicht in Abrede stellt, hat der Angeklagte Beweisanträge in dieser Richtung nicht gestellt. Die Strafkammer durfte deshalb ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, dass derartige Anknüpfungstatsachen nicht vorlagen. Sie hatte folglich auch keinen Anlass, ernsthaft an voller Schuldfähigkeit zu zweifeln.

Die Anhörung eines medizinischen Sachverständigen war bei dieser Sachlage nicht geboten (OLG Düsseldorf aa0.). Zu einer solchen Beweiserhebung war die Strafkammer im Übrigen auch deshalb nicht verpflichtet, weil hier Ergebnisse einer (vom Angeklagten nicht ermöglichten) Urinprobe nicht vorlagen und Angaben zu etwaigem Drogenkonsum nicht zu erlangen waren (Senat, Urteil vom 21.11.1996 - 1 Ss 304/96 -). Die Äußerung eines Sachverständigen setzt das Vorhandensein einer konkreten zur Bewertung gestellten Tatsachengrundlage voraus. Fehlt eine solche, ist seine Anhörung von vornherein nutzlos (BGHSt 14, 339, 342).

2.

Der Senat hat auch die weiteren Revisionsrügen ("Verletzungen von §§ 261, 267 StPO") sowie die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge geprüft, hält sie jedoch aus den zutreffenden Gründen des Verwerfungsantrags der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig für offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Ein Rechtsfehler ist auch nicht darin zu sehen, dass die Strafkammer eine Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht angesprochen hat. Ein revisibler Verstoß gegen diese Norm liegt nur vor, wenn es nach den Urteilsfeststellungen naheliegt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung gegeben sind, eine Prüfung sich insoweit für den Tatrichter daher aufdrängt (BGHR StGB § 64 Ablehnung 5). Da, wie ausgeführt, aus den Urteilsfeststellungen kein begründeter Anhalt für eine im Drogenrausch begangene oder sonstwie suchtbedingte Straftat hervorgeht, musste sich die Strafkammer zur Erörterung einer Unterbringung nicht veranlasst sehen (Senat a.a.0.).

Kosten: §§ 473 Abs. 1 und 7 StPO.

Ende der Entscheidung

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