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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 06.01.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 217/02
Rechtsgebiete: StPO, SGB III


Vorschriften:

StPO § 44
SGB III § 404 II Nr. 23
SGB III § 315 III
1. Ist der Betroffene irrtümlich so behandelt worden, als habe er die Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt, ist ihm in entsprechender Anwendung des § 44 StPO ohne weitere Sachprüfung die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (BGH NStZ 1988, 210 m.w.N.).

2. Die allgemeine Auskunftspflicht nach § 315 Abs. 3 SGB III trifft den Arbeitgeber des Leistungsempfängers; eine Ausweitung der entsprechenden Bußgeldnorm gemäß § 404 II Nr. 23 SGB III auf einen vermeintlichen Arbeitgeber verstößt gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Analogieverbot.

3. Eine Aufklärungspflicht und damit auch ein Recht auf Auskunft gegenüber einem Dritten entstehen für das Arbeitsamt erst, wenn der Leistungsempfänger seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist und seine Angaben zu überprüfen sind.


1 Ss 217/02 2080 Js 44181/01 ­ 15 OWi StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

wegen Verstoßes gegen die allgemeine Auskunftspflicht nach dem SGB III

hier: Rechtsbeschwerde des Betroffenen

hat der 1. Strafsenat ­ Bußgeldsenat ­ des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Richter am Oberlandesgericht Völpel

am 6. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

1. Dem Betroffenen wird gegen die vermeintliche Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts N. vom 2. Juli 2002 ist gegenstandslos.

3. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts N. vom 24. März 2002 aufgehoben.

4. Der Betroffene wird freigesprochen.

5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO).

Kosten der Wiedereinsetzung (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 7 StPO) werden gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 GKG nicht erhoben.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Auskunftspflicht nach § 315 Abs. 3 SGB III zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt.

Nach den Urteilsfeststellungen unterließ es der Betroffene als ehemaliger Inhaber einer Schankwirtschaft und vermeintlich früherer Arbeitgeber eines Empfängers von Arbeitslosengeld, auf Aufforderung des Arbeitsamtes eine Bescheinigung über das Einkommen des Arbeitnehmers auszustellen und diese dem Amt zuzusenden. Auch wenn nach den weiteren Feststellungen der Betroffene den betreffenden Arbeitnehmer niemals beschäftigt hatte, hält die Bußgeldrichterin ihn nach § 315 Abs. 3 SGB III zur Auskunft gegenüber dem Arbeitsamt für verpflichtet. Aus der in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden erhöhten Sozialpflichtigkeit der Arbeitgeber folge, dass auch derjenige auf Verlangen des Arbeitsamtes diesem gegenüber Angaben machen müsse, der den Leistungsempfänger gar nicht beschäftigt hat, sondern aufgrund eines objektiven Sachverhalts lediglich scheinbar dessen Arbeitgeber gewesen ist.

II.

Gegen diese in seiner Anwesenheit verkündete Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

Nachdem ihm das schriftliche Urteil ­ noch vor Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls ­ am 1. Juni 2002 zugestellt worden war und er eine Rechtsmittelbegründung innerhalb des darauf folgenden Monats nicht vorgelegt hatte, hat das Amtsgericht seine Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 2. Juli 2002 als unzulässig verworfen.

Nach Zustellung dieses Beschlusses am 12. Juli 2002 hat der Betroffene am 19. Juli 2002 gegen die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Begründung seiner Rechtsbeschwerde vorgelegt.

Die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls erfolgte am 29. August 2002. Daraufhin wurde das Urteil dem Betroffenen am 23. Oktober 2002 erneut zugestellt. Am 29. Oktober 2002 hat er nochmals die Begründung seiner Rechtsbeschwerde zu den Akten gereicht. Er beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

III.

Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.

1.

Der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts vom 2. Juli 2002 ist gegenstandlos. Dem Betroffenen ist auf seinen rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 45 Abs. 1 StPO gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zwar hat er die Monatsfrist zur Begründung seiner Rechtsbeschwerde (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 StPO) nicht versäumt. Die erste Zustellung war, da sie vor Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls erfolgt ist, gemäß §§ 46 Abs. 1, 273 Abs. 4 StPO unwirksam und hat die Rechtsmittelbegründungsfrist nicht in Gang gesetzt (vgl. nur Meyer­Goßner, StPO, § 273 Rdn. 34 m.w.N.). Erst mit der zweiten Zustellung des Urteils am 23. Oktober 2002 nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls hat die Frist zu laufen begonnen. Der Betroffene hat sie jedenfalls mit Vorlage einer vorschriftsmäßigen Begründungsschrift am 29. Oktober 2002 gewahrt. Da er jedoch vom Amtsgericht irrtümlich so behandelt worden ist, als er habe er die Begründungsfrist versäumt, ist ihm in entsprechender Anwendung des § 44 StPO ohne weitere Sachprüfung die beantragte Wiedereinsetzung zu gewähren (BGH NStZ 1988, 210 m.w.N.).

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der Betroffene ist als lediglich vermeintlicher Arbeitgeber nicht Normadressat der Bußgeldvorschrift gemäß §§ 404 Abs. 2 Nr. 23 i.V.m. § 315 Abs. 3 SGB III.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu wie folgt Stellung genommen:

"Die vom Amtsgericht N. in dem angefochtenen Urteil ab­schließend getroffenen Feststellungen reichen für einen Schuldspruch zum Nachteil des Betroffenen nicht aus. Das Gericht führt u.a. aus:

315 Abs. 3 SGB III begründet die Pflicht des Arbeitge­bers zur Auskunftserteilung über die Beschäftigung, insbesondere über das Arbeitsentgeld, sofern jemand beschäftigt wird, der eine laufende Geldleistung beantragt hat oder bezieht. Nach seinem Wortlaut setzt die Aus­ kunftspflicht des Arbeitgebers ein Beschäftigungsverhält­nis im Sinne des § 7 SGB IV voraus. Hiernach wäre der Betroffene grds. nicht zur Auskunft verpflichtet gewe­sen, da er den betreffenden Arbeitnehmer niemals be­schäftigt hat. Das Gericht glaubt insofern der glaub­haften Aussage des Zeugen E. A. , nach der der betreffende Arbeitnehmer D. U. zu keiner Zeit in der Schankwirtschaft beschäftigt war, als der Betroffene Inhaber des Betriebes war. Das Gericht ist allerdings der Auffassung, dass dieser Umstand nicht den Betroffe­nen von seiner Auskunftspflicht entbindet (S. 5 UA)."

Diese Ausführungen zur Begründung einer mit Bußgeld zu ahn­denden Auskunftspflicht sind nicht mit dem in Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG verankerten Grundsatz "nulla poena sine le­ge" zu vereinbaren. Die Auskunftspflicht des Arbeitgebers nach § 315 Abs. 3 SGB III setzt nämlich voraus, dass er den Dritten, der eine laufende Geldleistung beantragt hat oder bezieht, beschäftigt bzw. beschäftigt hat (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, 2. Bd., K § 315 Rdnr. 33; Knopp in Bley/Gitter, Gesamtkommentar Sozialversicherung, 36. Lfg., § 7, S. 83). Diese Voraussetzungen liegen aber nicht vor. Der Betroffene war nach den abschließenden Urteilsfeststel­lungen zu keinem Zeitpunkt Arbeitgeber des D. U. , so dass er gegenüber dem Arbeitsamt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt auskunftspflichtig war. Soweit das Gericht aus dem Umkehrschluss der in § 315 SGB III zum Ausdruck kom­menden erhöhten Sozialpflichtigkeit eine Auskunftsverpflich­tung des "vermeintlichen Arbeitgebers" gegenüber dem Ar­beitsamt herleitet (S. 5,6 UA), handelt es sich nicht mehr um eine zulässige Auslegung des Bußgeldtatbestandes, son­dern um einen Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG ent­haltene Analogieverbot. Die Bußgeldvorschrift wird nämlich auf einen nur ähnlichen Lebenssachverhalt angewendet, der von ihr nicht erfasst wird. Das ist aber zuungunsten des Betroffenen nicht zulässig (BVerfGE 25,269,285; Göhler, OWiG, 12. Auflage, § 3 Rdnr. 9)."

Diese Ausführungen sind zutreffend. Der Senat schließt sich ihnen an und weist ergänzend auf folgendes hin:

Das Argument einer erhöhten Sozialpflichtigkeit des Arbeitgebers zur Begründung einer bußgeldrechtlichen Haftung des Betroffenen geht auch deswegen fehl, weil nicht der Arbeitgeber, sondern zuvorderst der Leistungsempfänger zur Mitwirkung bei der Aufklärung eines leistungsrelevanten Sachverhalts verpflichtet ist (§§ 60 ­ 62, 65 SGB I). Verweigert dieser seine Mitwirkung oder erschwert er die Aufklärung in anderer Weise, so kann das Arbeitsamt schon deswegen die Leistung gemäß § 66 Abs. 1 SGB I ablehnen, ohne auf eine Auskunft Dritter angewiesen zu sein. Eine Aufklärungspflicht und damit auch ein Recht auf Auskunft gegenüber einem Dritten entsteht für das Arbeitsamt erst, wenn der Leistungsempfänger seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist und seine Angaben zu überprüfen sind (Ambs in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, SGB III § 404 Rdn. 145). Bereits diese Voraussetzung für ein berechtigtes Auskunftsverlangen ist vorliegend nicht erfüllt. Nach den Urteilsfeststellungen hat sich das Arbeitsamt zur Sachverhaltsermittlung nicht an den Leistungsempfänger, sondern nach einem Datenabgleich mit dem Rentenversicherungsträger unmittelbar an den Betroffenen gewandt. Soweit von einer erhöhten Sozialpflichtigkeit zu sprechen ist, hat sie nicht diesen als (vermeintlichen) Arbeitgeber, sondern aufgrund der bestehenden Mitwirkungspflichten immer noch den Leistungsempfänger selbst betroffen.

Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG trifft der Senat (in der Besetzung mit nur einem Richter gemäß § 80 a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG) die gebotene Sachentscheidung selbst und spricht den Betroffenen frei.

3.

Die Kosten für die gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 GKG niederzuschlagen, weil sie auf eine irrtümliche Nichtbeachtung der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 273 Abs. 4 StPO durch das Gericht zurückzuführen sind.

Ende der Entscheidung

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