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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 24.02.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 243/02
Rechtsgebiete: StVO
Vorschriften:
StVO § 3 |
1 Ss 243/02 8012 Js 13108/02 OWi StA Trier
In der Bußgeldsache
wegen Geschwindigkeitsüberschreitung
hier: Rechtsbeschwerde des Betroffenen
hat der 1. Strafsenat Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter
am 24. Februar 2003 beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Daun vom 9. August 2002 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung dieses Gerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht hatte den Betroffenen am 9. August 2002 wegen fahrlässiger Überschreitung der außerörtlichen Höchstgeschwindigkeit um 26 km/h zu einer Geldbuße von 50 € verurteilt und folgende Feststellungen getroffen:
"Am 17.08.2001 befuhr der Betroffene um 14:41 Uhr die BAB A 1 als Führer des Pkw Volkswagen VW, amtliches Kennzeichen SU .... In Höhe des Autobahndreiecks Vulkaneifel, Fahrtrichtung Trier, Kilometer 79,85 wurde die Geschwindigkeit des Pkw des Betroffenen durch den Zeugen, Polizeikommissar G., der zu jener Zeit als Messbeamter eingesetzt war, mittels des Messgerätes Multanova 6 F mit 130 km/h gemessen. Nach Abzug einer Toleranz von 3% lag somit eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 26 km/h unter Berücksichtigung der an dieser Stelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h vor."
Den Urteilsgründen ist weiter zu entnehmen, dass die Messung mit einem links von der Richtungsfahrbahn auf dem Mittelstreifen aufgestellten und auf "fern " eingestellten Messgerät vorgenommen worden war und der Betroffene den linken von 2 Fahrstreifen befahren hatte. Nach der Bedienungsanleitung ist die Einstellung "fern" Messungen in einer Entfernung > 15m vorbehalten.
Der Betroffene hatte nicht bestritten, schneller als erlaubt gefahren zu sein, jedoch unter Hinweis auf eine Veröffentlichung in der Zeitschrift ADAC Motorwelt 12/01 vorgetragen, durch die Einstellung "fern" bei einer Nahbereichsmessung (bis 7 m) sei das Ergebnis um bis zu 2 km/h zu seinem Nachteil verfälscht worden. Nach Anhörung eines Sachverständigen, dem, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, diese Problematik unbekannt war, hat das Amtsgericht den Einwand des Betroffenen als unbegründet erachtet.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der durch Beschluss des Einzelrichters vom 5. Dezember 2002 zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Das Rechtsmittel hat (einen zumindest vorläufigen) Erfolg. Aufgrund des vom Senat eingeholten Gutachtens des Diplomphysikers Dr. Gerhard Pr. kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine fehlerhafte Einstellung des Messgeräts Multanova 6 F zu einer Fehlmessung zuungunsten des Betroffenen geführt hatte und ihm deshalb "nur" eine milder zu ahndende Geschwindigkeitsüberschreitung von < 26 km/h anzulasten wäre. Für eine abschließende Entscheidung sind weitere tatrichterliche Feststellungen notwendig.
1.
Physikalische Grundlage der Radarmesstechnik bildet der Effekt der Frequenzänderung von elektromagnetischer Hochfrequenzstrahlung im GigahertzBereich (Dopplereffekt): Trifft die Radarstrahlung auf ein fahrendes Fahrzeug, so wird sie reflektiert und durch die Empfangsantenne detektiert. Bewegt sich das Fahrzeug auf die Messanlage zu, so erhöht sich die Frequenz der reflektierten Radarstrahlung. Bei Messung des abfließenden Verkehrs nimmt sie ab. Aus der Höhe der Frequenzveränderung errechnet das Messgerät die Geschwindigkeit und die Fahrtrichtung. Bewegen sich Gegenstand und Radarstrahl nicht exakt auf einer Linie (was bei Geschwindigkeitsmessungen vom Straßenrand aus immer der Fall ist), muss bei der Berechnung zusätzlich die Winkelabweichung berücksichtigt werden. Der Rechner des Radarmessgeräts Multanova 6 F ist so programmiert, dass er zutreffende Werte liefert, wenn der Winkel der Radarstrahlmitte zum Fahrbahnrand 22° beträgt. Ist der tatsächliche Winkel < 22°, ist der errechnete Wert höher als der wahre Wert; bei einem Winkel > 22° ist es umgekehrt. Der Fehlerwert beträgt je Winkelgrad etwa 0,7% der angezeigten Geschwindigkeit.
2.
Eine systemimmanente Winkelabweichung ergibt sich aus der Auffächerung des Radarstrahls, der eine spitzkegelförmige "Radarkeule" bildet, deren Durchmesser an der (Sende und Empfangs)Antenne etwa 10 cm beträgt und sich mit zunehmender Entfernung vergrößert. Dies führt faktisch dazu, dass der Winkel des Radarkeulenrandes zum Fahrbahnrand < 22° ist. Bei einer entsprechend der Bedienungsanleitung eingestellten Empfindlichkeit des Empfängers (hier: "nah" bei der Messung auf dem dem Standort des Messgeräts nächsten Fahrstreifen) greifen allerdings 2 Korrektive. Zum einen ist die Reflexion der Strahlung am Rand des Strahlenbündels zu schwach, um einen Messvorgang auszulösen; zum andern berücksichtigt der Rechner eine Winkelabweichung von 1,5°, indem er nur 99% der gemessenen Geschwindigkeit abgerundet zur Anzeige bringt.
3.
Ist bei einer Nahbereichsmessung die Reflexionsempfindlichkeit auf "fern" eingestellt, so kann dies dazu führen, dass bereits dann der Messvorgang ausgelöst wird, wenn das Fahrzeug gerade in den äußeren Rand der Radarkeule eingefahren ist, was eine Winkelverschiebung von bis zu 4° bedeuten kann. Da der Rechner nur eine Abweichung von 1,5° berücksichtigt, kann somit eine um bis zu knapp 2% zu hohe Geschwindigkeit zur Anzeige kommen.
4.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Pr. sind nennenswerte Messfehler dann zu erwarten (und, wie sich aus dem Testbericht Bl. 111, 112 d. A. ergibt, auch experimentell nachgewiesen), wenn bei einer Messung mit der Einstellung "fern" der senkrechte Seitenabstand zwischen Messgerät und Fahrzeug zwischen 3m und 10m beträgt. Der Einfluss des Einstellungsfehlers steigt bis etwa 7m auf knapp 2% der angezeigten Geschwindigkeit an und fällt wieder ab.
Daraus folgt, dass bei einer Messung auf der dem Standort des Messgerätes nächsten Fahrspur die fehlerhafte Einstellung "fern" das Messergebnis nicht zwingend zum Nachteil des Betroffenen verfälscht haben muss. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass das Messgerät in einem Abstand von 1,73m zum Fahrbahnrand aufgestellt war. Offen ist, wie weit das reflektierende Fahrzeugteil vom Straßenrand entfernt gewesen war. Insoweit sind ergänzende tatrichterliche Feststellungen notwendig, die der Senat nicht nach Aktenlage, etwa durch Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes, treffen kann.
5.
Der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21. Januar 2003, nach dem Gutachten des Dr. Pr. reiche "der von der Amtsrichterin vorgenommene Korrekturabzug von 3% jedenfalls aus, um Messfehler bei einer Entfernungseinstellung "fern" auszugleichen", liegt eine Fehlinterpretation des Gutachtens zugrunde. Der Sachverständige hat vielmehr nachvollziehbar und zutreffend ausgeführt, dass dieser Abzug nur dann ausreicht, wenn feststeht , dass keiner der typischen Verkehrsfehler, die damit pauschaliert berücksichtigt werden, vorgelegen hat. Das kann hier allein deshalb nicht feststehen, weil sich damit noch niemand befasst hat.
Ende der Entscheidung
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