Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 05.03.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 45/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
Leitsatz:

Eine widerlegte Alibibehauptung oder das Lügen des Angeklagten zu anderen beweisrelevanten Umständen sind für sich allein keine Beweisanzeichen für die Überführung des Angeklagten. Solchen widerlegten Behauptungen kommt nur ein sehr begrenzter Beweiswert zu; denn unwahre Angaben lassen sich nur mit Vorsicht als Beweiszeichen für die Schuld eines Angeklagten werten, weil auch ein Unschuldiger Zuflucht in der Lüge nehmen kann (s. auch BGHSt 41, 153; BGH StV 1992, 259; 1997, 9 und 293; BGH NStZ 1986, 325; BGH StV 1985, 356, 357)


Geschäftsnummer: 1 Ss 45/01 3113 Js 22696/99 - 2 Ns - StA Mainz

In der Strafsache

gegen

V. W., geb. R.,

- Verteidiger: Rechtsanwalt V. G. -

wegen versuchter schwerer Brandstiftung

hier: Revision der Angeklagten

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt

am 5. Februar 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mainz vom 27. Oktober 2000 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Mainz zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Mainz hatte die Angeklagte am 19. Mai 2000 wegen versuchter schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war. Ihre dagegen mit dem Ziel des Freispruchs eingelegte Berufung hat die Strafkammer durch das angefochtene Urteil verworfen.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgendes festgestellt:

Die seit 1990 in Deutschland lebende Angeklagte lernte 1996 den ebenfalls in Mainz wohnhaften, aus Zaire stammenden Studenen M. S. kennen. Sie unterhielten fortan eine intime Beziehung, lebten jedoch in getrennten Wohnungen. Lediglich eine Zweitwohnung der Angeklagten nutzten sie zeitweilig gemeinsam.

Am 11. Mai 1999 erfuhr die Angeklagte, dass S. inzwischen eine neue Lebensgefährtin, die Zeugin N. S., geborene H., mit der er inzwischen verheiratet ist, hatte. Sie reagierte aufgebracht, hielt den Kontakt jedoch aufrecht, nachdem S. ihr erklärt hatte, er wolle die Frau nur heiraten, um seinen Aufenthalt in Deutschland zu sichern; nach einiger Zeit werde er wieder zu ihr zurückkehren.

Als der Angeklagten am Nachmittag des 29. Mai 1999 trotz einer Verabredung mit dem Zeugen S. zu einer gemeinsamen Einkaufsfahrt die Tür zur Wohnung des Zeugen in einem Mainzer Studentenwohnheim nicht geöffnet wurde, klopfte sie heftig gegen die Wohnungseingangstür und beschimpfte den anwesenden S. lautstark. Dieser öffnete nicht, weil sich seine neue Partnerin bei ihm aufhielt. Die Angeklagte fuhr daraufhin zu ihrer Zweitwohnung, in der sich noch einige dem Zeugen S. gehörende Gegenstände befanden. Diese verbrachte sie anschließend vor die Wohnungseingangstür des S.. Einen Fernsehapparat setzte sie dort so heftig auf dem Fußboden auf, dass dieser beschädigt wurde, und verstreute Waschpulver darüber.

Am selben Tag wurde sie gegen 17.00 Uhr von den Zeugen J. und K.-H. Sch. sowie dem Zeugen S. in ihrer Wohnung in der F.straße abgeholt, um verabredungsgemäß ein vor dem Landtag stattfindendes Konzert der Band "Die fantastischen Vier" zu besuchen. Man begab sich zu Fuß dort hin.

Während des Konzertes wurden von den vier Personen alkoholische Getränke in nicht feststellbarer Menge konsumiert. Noch vor dem Auftritt der Hauptband verließ die Angeklagte gegen 22.30 Uhr schnellen Schrittes das Konzert, ohne dass Anzeichen einer spürbaren Alkoholisierung bei ihr feststellbar gewesen wären.

Sie begab sich anschließend zu der im Erdgeschoss des Hauses G-B-Straße 7 gelegenen Appartementwohnung des Zeugen S., schüttete vor der Wohnungstür mitgebrachtes Benzin aus und zündete es an. Das rasch um sich greifende Feuer drang über den Boden in das Innere des Appartements vor und erfasste die Eingangstür sowie Holzteile der in der Nähe der Tür befindlichen Einbauküche. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich S. und seine Lebensgefährtin in der Wohnung auf. Sie flüchteten durch das Fenster ins Freie. Die von Passanten alarmierte Feuerwehr konnte den Brand löschen. Es entstand Sachschaden dessen Höhe auf 10.000 DM geschätzt wurde.

In einem einige Zeit nach der Tat mit dem Zeugen S. geführten Telefonat räumte die Angeklagte die Täterschaft ein und versprach gleichzeitig, solches nicht mehr zu wiederholen. Den Inhalt des Gesprächs gab S. seiner jetzigen Ehefrau alsbald weiter.

Die Angeklagte hat die Tat bestritten. Sie hat sich eingelassen, das Fest lange Zeit nach Mitternacht verlassen zu haben und dann nach Hause gegangen zu sein, um zu schlafen. Im Übrigen sei sie erheblich alkoholisiert gewesen, sie habe mindestens 10 Bier à 0,4 Liter getrunken, weswegen sie kaum mehr habe richtig stehen können. Zu keinem Zeitpunkt habe sie gegenüber dem Zeugen M. S. geäußert, die Tat begangen zu haben. Diese Einlassung hat die Kammer als Schutzbehauptung gewertet.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Angeklagte mit der Revision. Sie beantragt die Aufhebung des Urteils und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Tatsachenfeststellungen des Urteils sind rechtsfehlerhaft. Sie sind lückenhaft und beruhen auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.

1.

Die Strafkammer teilt die Tatzeit der Brandstiftung in ihrem Urteil nicht mit. Aus diesem Grund kann nicht beurteilt werden, ob die Angeklagte nicht doch ein Alibi für die Tatzeit hat. Die Zeugen J. und K.-H. Sch. sowie S. haben angegeben, die Angeklagte habe das Musikfest gegen 22.30 Uhr verlassen. Ob der Angeklagten bis zur Brandlegung überhaupt ausreichend Zeit blieb, sich vom Landtag bis zum Tatort in der G-B-Straße 7, möglicherweise mit einer Zwischenstation an ihrer Wohnung in der Flachmarktstraße und an einer Tankstelle, zu begeben, bleibt damit völlig offen.

2.

Auch die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft. Zu Unrecht hat die Strafkammer das (angeblich) widerlegte Alibi und die (angeblich) unwahren Angaben der Angeklagten zum Grad ihrer Alkoholisierung im Rahmen der Beweiswürdigung zum Nachteil der Angeklagten bewertet.

Zur Begründung ihrer Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten hat die Strafkammer nicht nur auf das Verhalten der Angeklagten am 11. Mai 1999 und am Nachmittag des 29. Mai 1999 sowie das "Geständnis" der Angeklagten in einem einige Zeit nach der Tat mit dem Zeugen S. geführten Telefonat und den Umstand des Verlassens des Musikfestes vor dem Auftritt der Hauptband, der Anlass zum Besuch der Veranstaltung gewesen ist, abgestellt, sondern auch darauf, "dass die Angeklagte sowohl den Zeitpunkt ihres Weggehens vom Musikfest als auch den Grad ihrer Alkoholisierung bewusst falsch dargestellt hat, um den gegen sie von Anfang an erhobenen Tatvorwurf zu entkräften" (S. 12 UA).

Für die Verwertung eines widerlegten Alibis im Rahmen der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten gilt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung folgendes:

Eine widerlegte Alibibehauptung ist für sich allein kein Beweisanzeichen für die Überführung des Angeklagten. Der widerlegten Alibibehauptung kommt nur ein sehr begrenzter Beweiswert zu; denn unwahre Alibiangaben lassen sich nur mit Vorsicht als Beweiszeichen für die Schuld eines Angeklagten werten, weil auch ein Unschuldiger Zuflucht in der Lüge nehmen kann (BGHSt 41, 153; BGHR StPO § 261 - Überzeugungsbildung 11 und 30, BGH StV 1992, 259; 1997, 9 und 293). Entsprechendes gilt in Fällen der Lüge des Angeklagten zu anderen beweisrelevanten Umständen (BGHR StPO § 261 - Überzeugungsbildung 30; BGH NStZ 1986, 325; BGH StV 1985, 356, 357), einer Fallgruppe, von der die Konstellation der widerlegten Alibibehauptung einen Ausschnitt bildet.

Dabei besagt diese Rechtsprechung nicht etwa, dass ein widerlegtes Alibi in jedem Fall außer Betracht zu bleiben hätte. Treten besondere Umstände hinzu, so darf vielmehr auch der Umstand zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden, dass dieser sich wahrheitswidrig auf ein Alibi berufen hat (BGHR StPO § 261 - Überzeugungsbildung 11 und 30). Dabei kann es insbesondere auf die Gründe und die Begleitumstände des Vorbringens der Alibibehauptung ankommen (BGHSt 41, 153).

Solche besonderen Umstände sind hier nicht festgestellt. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist mithin zu beanstanden. Es hat das Fehlen eines Alibis und die Angaben der Angeklagten zum Grad ihrer Alkoholisierung nicht etwa nur als Fehlen eines Entlastungsbeweises bewertet, der der schon aus dem sonstigen Beweisergebnis gewonnenen Überzeugung der Strafkammer von der Täterschaft der Angeklagten den Boden entziehen würde, sondern diesen Umstand als Belastungsindiz zur Bildung dieser Überzeugung verwendet.

Soweit die Strafkammer der Auffassung ist, die Angeklagte habe bewusst falsche Angaben zu ihrer Alkoholisierung gemacht, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Urteilsausführungen zur wahrscheinlichen Blutalkoholkonzentration diese Schlussfolgerung nicht tragen. Die Strafkammer ist zu dem Ergebnis gelangt, "bei Zugrundelegung ihres geschätzten Körpergewichts von 65 kg hätte die Angeklagte bei einem Alkoholkonsum von vier Liter Bier ... 160 g reinen Alkohol zu sich nehmen müssen, was einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 3,3 Promille und einer wahrscheinlichen Blutalkoholkonzentration von 2,5 Promille entsprochen hätte", die nach den Ausführungen des Sachverständigen "mit den Beobachtungen der Zeugen bezüglich der Alkoholisierung der Angeklagten nicht in Einklang zu bringen" seien (S. 11 UA). Die Strafkammer teilt bereits nicht mit, wie sie die maximale Blutalkoholkonzentration der Angeklagten errechnet. Insbesondere fehlen jegliche Angaben zum Trinkbeginn. Sie hat auch eine Kontrollberechnung unter Zugrundelegung des höchstmöglichen stündlichen Abbaus von 0,2 Promille und des höchstmöglichen Resorptionsdefizits von 30 % völlig unterlassen. Nur wenn auch deren Ergebnis mit dem Zustandsbild der Angeklagten unvereinbar wäre, könnte daraus geschlossen werden, dass die Trinkmengenangaben der Angeklagten falsch sind (BGH StV 1993, 467; 1995, 407; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 20 Rdn. 9 g m.w.N.).

3.

Fehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch, soweit die Strafkammer offensichtlich davon ausgeht, die Angeklagte sei mit ihrem PKW von ihrer Wohnung zum Tatort gefahren (S. 13 UA 3. Abs.). Auf welcher Tatsachengrundlage diese Feststellung beruht, bleibt völlig offen.

4.

Soweit die Strafkammer von einem "Geständnis" der Angeklagten gegenüber dem Zeugen S. einige Zeit nach der Tat ausgeht, hätte sie sich mit der Behauptung des Zeugen auseinandersetzen müssen, er habe seiner Ehefrau wahrheitswidrig von einem solchen Gespräch berichtet, um diese zu beruhigen (S. 17 UA 2. Abs.). Die Kammer hat den Zeugen für unglaubwürdig erachtet und ihre Überzeugung auf die Bekundungen der Ehefrau, der Zeugin N. S. gestützt. Diese habe nach erheblichem Zureden eindeutig ausgesagt, von ihrem Ehemann einige Tage nach der Tat erfahren zu haben, dass die Angeklagte ihm gegenüber die Tat eingeräumt und gleichzeitig versprochen habe, diese nicht mehr zu wiederholen. Danach hat die Zeugin zu der entscheidenden Frage, nämlich ob das Gespräch zwischen der Angeklagten und dem Zeugen S. tatsächlich stattgefunden hat, aus eigenem Erleben keine Angaben machen können. Gleichwohl hat die Kammer diese Aussage zur Begründung ihrer Auffassung vom Vorliegen eines außergerichtlichen Geständnisses der Angeklagten herangezogen. Stützt sich das Gericht auf die Aussage von Zeugen vom Hörensagen und damit auf das weniger sachnahe Beweismittel, so hat es den Beweiswert besonders sorgfältig und vorsichtig zu prüfen (BGHSt 83, 403). Dies gilt um so mehr, wenn der sachnahe Zeuge konträre Angaben macht. Die Strafkammer hätte zumindest aufklären müssen, ob und aus welchen Gründen die Zeugin N. S. ihrem Ehemann geglaubt hat, dass das Gespräch zwischen ihm und der Angeklagten tatsächlich stattgefunden hat. Möglicherweise ergibt sich ein weiteres Beweisanzeichen aus dem Inhalt früherer Vernehmungen des Zeugen S.. Ausweislich des amtsgerichtlichen Urteils hat er jedenfalls in erster Instanz noch gänzlich in Abrede gestellt, der Zeugin S. von dem Gespräch mit der Angeklagten erzählt zu haben.

Ende der Entscheidung

Zurück