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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 27.03.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 65/03
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 261 | |
StPO § 354 III |
2. Ist die Tatbeteiligung eines Mitangeklagten nicht zweifelsfrei feststellbar und wird dieser deshalb freigesprochen, können hinsichtlich des anderen Angeklagten nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" für diesen günstige Feststellungen geboten sein, die auf der Annahme der Tatbeteiligung des freigesprochenen Mitangeklagten beruhen.
3. An die Bewertung der Einlassung des Angeklagten sind gleichen Anforderungen zu stellen, wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Das Geständnis darf nur dann dem Schuldspruch zugrunde gelegt werden, wenn der Tatrichter sich von dessen Richtigkeit überzeugt hat.
1 Ss 65/03 2080 Js 20793/02.jug 18 Ls StA Koblenz
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS
In der Strafsache
wegen gefährlicher Körperverletzung
hier: Revision des Angeklagten
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt
am 27. März 2003 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten E. K. wird das Urteil des Amtsgerichts Jugendschöffengericht Neuwied vom 4. November 2002, soweit es ihn betrifft, aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den Jugendrichter des Amtsgerichts Neuwied zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Jugendschöffengericht verurteilte den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einem Jugenddauerarrest von vier Wochen und wies ihn an, "binnen zwei Monaten ein Beratungsgespräch ... im Hinblick auf Alkoholmissbrauch nachzuweisen." Seinen zur Tatzeit 22 Jahre alten, mitangeklagten Bruder A. K. sprach es frei. Der Freispruch ist rechtskräftig.
Nach den Feststellungen des Jugendschöffengerichts besuchten der Angeklagte und sein Bruder in der Silvesternacht 2001/2002 eine Jugendveranstaltung in W. . Zu fortgeschrittener Stunde wurde dem Angeklagten der Ausschank weiterer Getränke verweigert. Darüber in Wut geraten fügte er dem Zeugen B. durch einen Faustschlag eine Platzwunde am Nasenbein zu. Kurze Zeit später kam es außerhalb der Festhalle zu einem weiteren Vorfall, bei dem Angeklagte den sich nach seinem Autoschlüssel bückenden Zeugen F. ins Gesicht trat, und ihm, nachdem er am Boden lag, weitere Tritte versetzte. Der Zeuge wurde erheblich verletzt. Der Angeklagte wurde von seinem freigesprochenen Bruder weggezogen.
Zur Beweiswürdigung hat das Amtsgericht folgendes ausgeführt (UA S. 4):
"Der Angeklagte E. K. ist geständig. Er gibt an, dass er den Türsteher mit der Faust geschlagen habe. Desweiteren sagte er aus, er habe den Zeugen F. nach einem Handy gefragt. Dieser habe kein Handy gehabt. Daraufhin sei er auf den Zeugen drauf und habe ihn getreten. Sein Bruder A. habe ihn weggezogen. Zur Tatzeit sei er alkoholisiert gewesen. Sein Bruder A. K. habe sich an den Taten nicht beteiligt. Dieser habe nichts gemacht.
Die Anklage war davon ausgegangen, dass die Angeklagten A. und E. K. gemeinschaftlich die Taten begangen hatten.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme waren dem Angeklagten A. K. die Taten nicht nachzuweisen. Er selber bestritt den Anklagevorwurf.
Der Angeklagte A. K. wurde mangels Tatnachweises von den Anklagevorwürfen freigesprochen. Da das Urteil rechtskräftig ist bzgl. A. K., erübrigt sich eine Beweiswürdigung im Hinblick auf A. K.."
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision. Er beantragt Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
II.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es nicht auf die von der Revision darüber hinaus erhobenen Verfahrensrügen ankommt.
Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Überzeugungsbildung des Jugendschöffengerichts nicht frei von Rechtsfehlern ist.
1.
Hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Zeugen F. erweist sich die Beweiswürdigung bereits als unzureichend, weil der in den Urteilsgründen mitgeteilte Inhalt des Geständnisses sich nicht mit den getroffenen Feststellungen deckt. Während der Angeklagte nach den Feststellungen den sich bückenden Geschädigten ins Gesicht getreten haben und ihm am Boden liegend weitere Tritte versetzt haben soll, ist in seinem Geständnis nur davon die Rede, er "sei ... auf den Zeugen drauf und habe ihn getreten." Danach kann nicht von mehreren Verletzungshandlungen ausgegangen werden. Insbesondere ist der Tritt in das Gesicht des noch nicht am Boden liegenden Zeugen durch diese Einlassung nicht gedeckt. Ob der Angeklagte möglicherweise doch "in vollem Umfang geständig war", wie der Tatrichter im Zusammenhang mit der Rechtsfolgenentscheidung ausgeführt hat, kann der Senat nicht prüfen, da der Inhalt des Geständnisses insoweit nicht mitgeteilt ist. Abgesehen von einfach und eindeutig gelagerten Sachverhalten ist es unerlässlich, dass der Tatrichter die geständige Einlassung des Angeklagten im Urteil wiedergibt und sie würdigt (vgl. BGHR StPO § 261 Einlassung 1; BGH StV 1996, 214; Senat vom 15.4.1997 1 Ss 103/97 ; KG StV 2000, 188).
Die Diskrepanz zwischen Feststellungen und mitgeteilter Einlassung lässt auch besorgen, dass der Tatrichter die Bedeutung des Grundsatzes "in dubio pro reo" verkannt hat. Dem durch das angefochtene Urteil rechtskräftig freigesprochenen Mitangeklagten war nach den Urteilsausführungen vorgeworfen worden, die Taten gemeinschaftlich mit dem Angeklagten begangen zu haben. Er wurde "mangels Tatnachweises", d.h. nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" und nicht wegen erwiesener Unschuld freigesprochen. Dem Angeklagten hat das Jugendschöffengericht hingegen aufgrund seines "Geständnisses" als überführt angesehen, die Tathandlungen allein begangen zu haben. Ist wie hier die Tatbeteiligung eines Mitangeklagten nicht zweifelsfrei feststellbar und wird dieser deshalb freigesprochen, können hinsichtlich des anderen Angeklagten nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" für diesen günstige Feststellungen geboten sein, die auf der Annahme der Tatbeteiligung des freigesprochenen Mitangeklagten beruhen (BGHR StPO § 261 in dubio pro reo 8 m.w.N.). Da die Feststellungen durch das mitgeteilte Geständnis nicht gedeckt sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Angeklagten Tatbeiträge des freigesprochenen Mitangeklagten angelastet wurden.
2.
Demgegenüber umfasst das in den Urteilsgründen mitgeteilte Geständnis des Angeklagten die in dem angefochtenen Urteil zur Tat zum Nachteil B. getroffenen Feststellungen. Gleichwohl erweist sich die Beweiswürdigung auch insoweit als unzureichend.
An die Bewertung der Einlassung des Angeklagten sind gleichen Anforderungen zu stellen, wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Das Geständnis darf nur dann dem Schuldspruch zugrunde gelegt werden, wenn der Tatrichter sich von dessen Richtigkeit überzeugt hat (vgl. BGH NStZ 1999, 92). Dazu hätte es wegen der Besonderheiten des Falles näherer Ausführungen als nur des Hinweises darauf bedurft, dass der freigesprochene Mitangeklagte die Anklagevorwürfe dem Geständnis des Angeklagten entsprechend bestritten hat. Bei dem Mitangeklagten handelte es sich um den älteren Bruder des Angeklagten, dem im Falle der Verurteilung eine empfindliche (Gesamt)Freiheitsstrafe und der Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von acht Monaten drohte. Der Angeklagte selbst war zuvor lediglich einmal jugendrichterlich verwarnt worden, so dass ihn keinesfalls mehr als eine zur Bewährung auszusetzende Jugendstrafe erwartete. Er konnte deshalb durchaus ein Motiv dafür gehabt haben, durch ein falsches Geständnis die Taten allein auf sich zu nehmen und seinen älteren Bruder zu schützen. Mit dieser ernsthaft in Betracht zu ziehenden Möglichkeit hätte sich der Tatrichter auseinandersetzen müssen (vgl. dazu BGH NStZ 1984, 212; MeyerGoßner, StPO, 46. Auflage § 267 Rdn. 12). Dies gilt umso mehr, als nach den Urteilsfeststellungen offen bleibt, ob die Anklage dem Angeklagten oder seinem freigesprochenen Bruder den Faustschlag ins Gesicht des Zeugen angelastet hatte und welcher Tatbeitrag dem Mittäter angelastet wurde.
III.
Der Senat hat von der durch § 354 Abs. 3 StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein Gericht niederer Ordnung zurückzuverweisen (vgl. MeyerGoßner a.a.O. § 354 Rdn. 42). Die Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts folgte aus der Verbindung des Verfahrens gegen den erwachsenen Mitangeklagten. Dieser ist inzwischen rechtskräftig freigesprochen. Für die Entscheidung ist nunmehr der Jugendrichter zuständig.
IV.
Für die neue Verhandlung weist der Senat daraufhin, dass sich der Tatrichter mit der in der Revisionsbegründungsschrift näher dargelegten Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit auseinanderzusetzen haben wird.
Ende der Entscheidung
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