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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 05.06.2000
Aktenzeichen: 1 Ss 83/00
Rechtsgebiete: StGB, ZPO, BRAO


Vorschriften:

StGB § 356 I
ZPO § 829 I
BRAO § 43 a IV
Leitsatz:

Ob dem Auftraggeber durch das Verhalten seines Anwalts, der auch die Gegenpartei berät oder vertritt, im konkreten Einzelfall ein Schaden entstehen kann, hat für die Feststellung der Gegensätzlichkeit der beiderseitigen Interessen und somit für die Tatbestandserfüllung des § 356 Abs. 1 StGB keine Bedeutung (vgl. auch BGH, AnwBl. 1966, 397).


Geschäftsnummer: 1 Ss 83/00 1 Ws 271/00 2101 Js 37088/97 - Ds - Ns - StA Koblenz

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Strafsache

gegen

den Rechtsanwalt

- Verteidiger: 1. Rechtsanwalt

2. Rechtsanwalt -

wegen Parteiverrats

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und den Richter am Amtsgericht Schmickler am 5. Juni 2000 gemäß § 349 Abs. 2 StPO

einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 11. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 15. Dezember 1999 wird als unbegründet verworfen.

2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kostenentscheidung des vorgenannten Urteils wird als unbegründet verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten des Revisions- und des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Koblenz verurteilte den Angeklagten am 23. Juli 1998 wegen Parteiverrats zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 200 DM. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat die 11. kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz durch das angefochtene Urteil vom 15. Dezember 1999 kostenpflichtig verworfen. Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte sich der Angeklagte mit Schreiben vom 4. Juli 1997 an die Staatsanwaltschaft Koblenz in der Strafvollstreckungssache 110 VRs 13.273/96 als Vertreter des Verurteilten J. M. und beantragte die Rückzahlung eines im Jahre 1994 bei M. beschlagnahmten Bargeldbetrags von 100.000 DM, soweit er nicht durch Verrechnung mit einer Geldstrafe in Höhe von 25.000 DM aufgebraucht wurde. Bereits im September 1996 hatte der Angeklagte als Bevollmächtigter der Zeugen E. und W. den Rückzahlungsanspruch des Zeugen M. gegen die Staatskasse wegen Schadensersatzansprüchen seiner Mandanten aus Betrugshandlungen M.s pfänden lassen.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte form- und fristgerecht in der Hauptsache Revision und hinsichtlich des Kostenausspruchs sofortige Beschwerde ein. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und wendet sich gegen die Feststellungen der Vorinstanzen, er habe in Bezug auf die Rückerlangung des von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Geldes gegensätzliche Interessen der Zeugen E. und W. einerseits sowie M. andererseits vertreten.

II.

Die Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Tatbestand des Parteiverrats gemäß § 356 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass ein Rechtsanwalt in derselben Rechtssache verschiedenen Parteien pflichtwidrig dient. Pflichtwidrig ist das Dienen dann, wenn der Anwalt einer Partei Rat und Beistand leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben Sache, aber im entgegengesetzten Sinne, bereits Rat und Beistand gewährt hat. Entscheidend ist also der Interessengegensatz zwischen den Parteien, denen der Anwalt dient. Das Verbot gegensätzlicher Interessenwahrnehmung ist Tatbestandselement des § 356 StGB und für Rechtsanwälte in § 43 a Abs. 4 BRAO ausdrücklich normiert (vgl. Schönke/Schröder/Cramer, § 356 StGB, Rdnr. 17; Lackner/Kühl, § 356 StGB, Rdnr. 7).

Der für die Tatbestandserfüllung des § 356 StGB erforderliche Interessengegensatz zwischen demjenigen, der eine Forderung seines Schuldners gegen einen Dritten pfändet, und dem Schuldner selbst liegt auf der Hand. Neben dem Pfändungsgläubiger wird auch der Forderungsinhaber in der Regel daran interessiert sein, die von dem Drittschuldner geschuldete Leistung für sich selbst zu erlangen. So liegt es auch im vorliegenden Fall. Nachdem der Angeklagte für seine Mandanten E. und W. den Rückzahlungsanspruch des Zeugen M. gegen die Staatskasse gepfändet hatte, beantragte er später im Auftrag M.s - entgegen dem gerichtlich angeordneten Einziehungsverbot nach § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO -, das beschlagnahmte Geld an diesen zurückzuzahlen. Damit trat der Interessenwiderstreit zwischen den Parteien E./W. und M. klar zutage.

Dieser für § 356 StGB maßgebliche Interessengegensatz entfällt im konkreten Fall auch nicht dadurch, dass eine etwaige, dem Zahlungsverbot des Drittschuldners nach § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO widersprechende Rückzahlung des beschlagnahmten Geldes an den Zeugen M. den Pfändungsgläubigern E. und W. gegenüber nach den §§ 135 Abs. 1 Satz 1, 136 BGB unwirksam wäre und die Staatskasse zur nochmaligen Zahlung an die Pfändungsgläubiger verpflichten würde. Soweit der Angeklagte daher meint, wegen der relativen Unwirksamkeit einer solchen vorschriftswidrigen Zahlung gegenüber E. und W. habe sich ein Interessengegensatz vorliegend nur bei mangelnder Liquidität des Drittschuldners hinsichtlich einer nochmaligen Zahlung an die Pfändungsgläubiger "realisieren" können, was jedoch bei der Staatskasse als Drittschuldner undenkbar sei, verkennt er, dass die Strafbarkeit nach § 356 Abs. 1 StGB - anders als nach Abs. 2 der Vorschrift - unabhängig davon ist, ob durch das pflichtwidrige Handeln des Anwalts eine Partei Schaden nimmt oder nehmen kann.

Dem Tatbestand des Parteiverrats liegt der Gedanke zugrunde, dass Anwälte (und andere Rechtsbeistände), wenn sie sich ihren Mandanten gegenüber pflichtwidrig verhalten, das Vertrauen der Öffentlichkeit in das ordnungsgemäße Funktionieren ihres Berufsstandes erschüttern. Geschütztes Rechtsgut ist daher das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwaltschaft. Allerdings wird durch das Verbot, pflichtwidrig in derselben Rechtssache auch der Gegenpartei Beistand zu leisten, auch der Auftraggeber mittelbar geschützt. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, bei § 356 StGB handele es sich um eine Art Untreuedelikt gegenüber dem Mandanten (vgl. Schönke/Schröder/Cramer, a.a.0., Rdnr. 1 m.w.N.; SK-Rudolphi, § 356 StGB, Rdnr. 2 f. m.w.N.). Die Frage, ob dem Auftraggeber durch das Verhalten seines Anwalts, der auch die Gegenpartei berät oder vertritt, im konkreten Einzelfall ein Schaden entstehen kann, hat daher für die Feststellung der Gegensätzlichkeit der beiderseitigen Interessen und somit für die Tatbestandserfüllung des § 356 Abs. 1 StGB keine Bedeutung (vgl. BGH, AnwBl. 1966, 397).

Berücksichtigungsfähig ist dieser Gesichtspunkt nur im Rahmen der Strafzumessung. Auch insoweit ist jedoch vorliegend ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgeschlossen, denn er wurde lediglich zu der gesetzlich zugelassenen Mindeststrafe verurteilt (§§ 356 Abs. 1, 47 Abs. 2 StGB).

III.

Da die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 23. Juli 1998 erfolglos war, ist seine gegen die Kostenentscheidung des Berufungsurteils erhobene sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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