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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 1 U 1286/05
Rechtsgebiete: BGB, GG, ZPO
Vorschriften:
BGB § 249 | |
BGB § 253 | |
BGB § 253 Abs. 2 | |
BGB § 839 | |
BGB § 839 Abs. 3 | |
GG Art. 34 | |
ZPO § 543 Abs. 2 |
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Geschäftsnummer: 1 U 1286/05
Verkündet am 15. März 2006
In dem Rechtsstreit
wegen Amtshaftung
Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Trueson und die Richter am Oberlandesgericht Rüll und Dr. Itzel auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2006
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 28. Juli 2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz abgeändert und das beklagte Land wird verurteilt, 2.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Dezember 2004 an den Kläger zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen, die Berufung insoweit zurückgewiesen.
Von den Kosten des gesamten Rechtsstreits haben der Kläger 82 % und das beklagte Land 18 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I. Der Kläger war im Rahmen der Verbüßung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt ... in der Zeit vom 7. August 2003 bis zum 25. November 2003 gemeinschaftlich mit einem weiteren Gefangenen in einem Haftraum untergebracht, der eine Grundfläche von 9,51 m² und einen Rauminhalt von 26,5 m³ aufwies und in dem der Sanitärbereich mit Toilette vom übrigen Haftraum nicht vollständig abgetrennt war. Die gemeinschaftliche Unterbringung des Klägers und weiterer Gefangener erfolgte im Rahmen von Umbau- und Sanierungsarbeiten in der Vollzugsanstalt und dem damit einhergehenden zeitweisen Wegfall von Haftplätzen.
Der Kläger hatte im Herbst 2003 die Möglichkeit, den Haftraum mehrmals täglich zu verlassen; wegen der verschiedenen Tätigkeiten der beiden im gleichen Haftraum untergebrachten Gefangenen waren diese auch nicht ständig gemeinsam dort anwesend. In diesem Zeitraum nahm der Kläger ärztliche Hilfe in Anspruch (Schlafstörungen).
Die zuständige Strafvollstreckungskammer stellte im Juli 2004 auf Antrag des Klägers die Rechtswidrigkeit der Unterbringung in dem Gemeinschaftshaftraum fest.
Der Kläger begründet den geltend gemachten Anspruch in Höhe von 100 € je Tag (Entschädigungsanspruch in Höhe von insgesamt 11.100 €) mit der starken Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts durch die menschenunwürdige Unterbringung über mehr als 100 Tage.
Das beklagte Land wendet sich hiergegen und ist der Auffassung, dass dem Genugtuungsinteresse des Klägers bereits durch die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und des Beschwerdesenats des Oberlandesgerichts Genüge getan worden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dies vor allem damit begründet, dass zwar eine rechtswidrige und schuldhafte Amtspflichtverletzung (zumindest Organisationsverschulden) gegeben sei, jedoch eine Entschädigung unter Würdigung aller Umstände aus Gründen der Billigkeit weder unter dem Blickwinkel der Ausgleichs- noch unter dem der Genugtuungsfunktion geboten sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein ursprüngliches Klageziel weiterverfolgt (Bl. 117, 173 d.A.) und dies unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen vor allem mit der ihn schwer belasteten Haftsituation in der fraglichen Zeit begründet. Er verweist zudem weiter noch auf die Entschädigungsansprüche nach EMRK.
Das beklagte Land beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und begründet dies vor allem damit, dass es an einem Verschulden fehle; auch ein Organisationsverschulden sei nicht gegeben. Das beklagte Land verweist auf die 2003 gegebene Haushalts-, Vollzugs- und Vollzugsplanungssituation, die die Mehrfachunterbringung von Gefangenen alternativlos erforderlich gemacht habe. Weiter werden die Aktivitäten zur Behebung der Mehrfachbelegungen und zur konkreten Verbesserung der Haft- und Vollzugssituation dargestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze mit den weiter zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Seite 2 bis 4; Bl. 96 bis 98 d.A.) verwiesen.
II. Die zulässige Berufung des Klägers hat dem Grunde nach Erfolg; der von ihm geltend gemachte Anspruch (11.100 €) steht ihm jedoch in dieser Höhe nicht zu. Das beklagte Land hat ihm lediglich eine Entschädigung in Höhe von 2.000 € nebst Zinsen für die Zeit der Mehrfachunterbringung im Jahre 2003 zu zahlen.
1. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat hinsichtlich der menschenunwürdigen Unterbringung des Klägers der rechtswidrigen und schuldhaften Amtspflichtverletzung (zumindest Organisationsverschulden) sowie hinsichtlich des Nichteingreifens von § 839 Abs. 3 BGB auf die eingehenden, zutreffenden und auch mit der obergerichtlichen Rechtsprechung in Einklang stehenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Seite 4 bis 7, Bl. 98 - 101 d.A.). Diese macht der Senat sich zueigen.
Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG im hier vorliegenden Fall gegeben (vgl. neben den Zitaten im angefochtenen Urteil auch weiter BGH, NJW 2005, 58 = MDR 2005, 447; OLG Naumburg, NJW 2005, 514; OLG Hamburg, OLG-Report 2005, 306; OLG Karlsruhe, OLG-Report 2005, 613; KG, OLG-Report 2005, 813 sowie Matzke, Aus der Rechtsprechung zum Strafvollzugsgesetz, NStZ 2006, 17 ff. - jeweils m.w.N. und weiterführenden Hinweisen).
2. Der Senat ist allerdings entgegen der Auffassung des Landgerichts der Überzeugung (§ 286 ZPO), dass im vorliegenden Fall unter Würdigung aller relevanten Umstände die Zahlung einer Entschädigung für die Unterbringung in dem gemeinschaftlichen Haftraum und für den hieraus folgenden schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers geboten ist (zur grundrechtlichen Fundierung des Entschädigungsanspruchs vgl. nur jüngst BVerfG, NJW 2006, 595 - m.w.Nachw.).
Bei dem von dem Kläger geltend gemachten Schaden handelt es sich weder um einen Vermögensschaden noch um einen immateriellen Schaden i.S.v. § 253 BGB (Schmerzensgeld). Vielmehr macht er einen Ausgleich für die Verletzung seiner Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG und für den Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht geltend. Dieser Entschädigungsanspruch leitet sich unmittelbar aus dem Schutzauftrag der Art. 1 und 2 Abs. 1 GG ab und gründet sich weder auf § 249 noch auf § 253 Abs. 2 BGB. Diesem Anspruch liegt der Gedanke zugrunde, dass ohne einen derartigen Entschädigungsanspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktionen blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern kann (s. BVerfG a.a.O).
Allerdings erfordert eine Verletzung der Menschenwürde und der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht in jedem Fall eine Wiedergutmachung durch eine Geldentschädigung. Voraussetzung hierfür ist vielmehr, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in die genannten Rechte handelt und diese massive Beeinträchtigung nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen worden ist oder werden kann. Die Beantwortung der Frage, ob eine Entschädigung im Einzelfall zu gewähren ist, hängt insbesondere von der Dauer, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, den Auswirkungen auf den Verletzten sowie von Anlass und Beweggrund des Handelnden und den weiter relevanten Zumessungsfaktoren für einen Ersatzanspruch ab.
Unter Berücksichtigung der im vorliegenden Fall gegebenen Beurteilungs- und Zumessungsfaktoren (u.a. und vor allem: Dauer der menschenunwürdigen Unterbringung, bereits zu Gunsten des Klägers vorliegende gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung, nachvollziehbare Motivation der verantwortlich Handelnden (Umbau, Sanierung der Vollzugsanstalten), Beharren auf dieser Unterbringung trotz bereits seit längerer Zeit vorliegender, ausreichend klarer gerichtlicher Festlegungen (Bundesverfassungsgericht, Oberlandesgerichte u.a.)) erscheint dem Senat ein Entschädigungsbetrag in Höhe von 2.000 € für die menschenunwürdige Unterbringung des Klägers im vorliegenden Fall als Ausgleich und Genugtuung für diesen als angemessen aber auch ausreichend.
3. Auch aus Art. 41, Art. 3 EMRK kann der Kläger keine weitergehende Entschädigung mit Erfolg geltend machen. Auch diese Vorschriften erfordern eine tatrichterliche Gesamtabwägung, die der Senat insoweit in gleicher Weise wie für die Entschädigung auf Grundlage der Amtshaftung (s.o. Nr. 2.) vornimmt (s. auch BGH, BGH-Report 2005, 232).
4. Nach allem steht dem Kläger ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 2.000 € nebst Zinsen zu. Das angefochtene Urteil ist auf sein Rechtsmittel wie geschehen abzuändern.
Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da die in § 543 Abs. 2 ZPO genannten Gründe nicht gegeben sind. Der Senat hat sich an der oben zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert; die Festlegung der Geldentschädigung erfolgt innerhalb des tatrichterlichen Ermessens.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO; die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 11.100 € festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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