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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 17.07.2002
Aktenzeichen: 1 U 1588/01
Rechtsgebiete: AO, ZPO, BGB, GG, EStG, StBGebV


Vorschriften:

AO § 169 Abs. 1
AO § 169 Abs. 2 Nr. 2
AO § 170 Abs. 2 Nr. 1
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO § 175 Abs. 1 Nr. 2
AO § 175 Abs. 1 S. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1 a.F.
ZPO § 543 Abs. 2 n.F.
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
BGB § 839
GG Art. 34
EStG § 15 Abs. 2
StBGebV § 41 Abs. 6 S. 1, 1. Alternative
Entscheidungsbefugten Sachbearbeitern der Finanzverwaltung müssen grundlegende Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, gerade wenn sie der bisherigen Verwaltungspraxis widersprechen, zeitnah zur Kenntnis gebracht werden (u.a. durch Zeitschriften-Umlauf, Besprechungen, elektronische Information).

Erfolgt dies nicht, liegt im Regelfall ein Organisationsverschulden vor und nach Amtshaftungsgrundsätzen kann Ersatz für die Steuerberaterkosten im - unnötigen - Einspruchsverfahren verlangt werden.


Oberlandesgericht Koblenz IM NAMEN DES VOLKES Urteil

1 U 1588/01

Verkündet am 17 Juli 2002

In dem Rechtsstreit

wegen: Amtshaftung

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Itzel und Kieselbach und die Richterin am Oberlandesgericht Semmelrogge auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 10. September 2001 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt; das beklagte Land.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von dem beklagten Land im Wege der Amtshaftungsklage die Erstattung von Steuerberaterkosten, die ihm im Einspruchsverfahren nach der Abgabenordnung entstanden sind.

In den Jahren 1979/80 erwarb der Kläger drei nebeneinander liegende Gebäude in Köln, die zunächst teils gewerblich und teils zu Wohnzwecken genutzt wurden. Nach umfangreichen Umbaumaßnahmen in der Zeit von Anfang 1990 bis 1992 und der Aufteilung in Eigentumswohnungen veräußerte der Kläger in den Jahren 1990 zwei Eigentumswohnung und im Februar 1993 eine weitere Eigentumswohnung. Im Oktober 1999 erfuhr die Oberfinanzdirektion D bei einer Steuerprüfung vom Verkauf einer vierten Eigentumswohnung im Juli 1995. Die Steuerakten des Klägers wurden seit Juli 1999 bei dem Finanzamt N geführt. In der ersten Dezemberhälfte des Jahres 1999 erhielt das Finanzamt N von dem früher zuständigen Finanzamt zahlreiche weitere Akten des Klägers und seiner Ehefrau auch zur Problematik "gewerblicher Grundstückshandel".

Wegen drohenden Verjährungseintritts erließ der zuständige Sachbearbeiter des Finanzamts N nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1990 bis 1993, Gewerbesteuerbescheide für die Jahre 1991 bis 1993 sowie geänderte Bescheide für die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31.12.1991 und 31.12.1993. Grundlage der Bescheide war die Annahme, der Verkauf der vierten Wohnung im Juli 1995 sei als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu werten. Nachdem der Kläger durch seinen Steuerberater am 30.12.1999 Einspruch gegen die Bescheide eingelegt hatte, hob das Finanzamt N am 22.2.2000 die angefochtenen Bescheide auf.

Der Bundesfinanzhof hatte durch Urteil vom 6.7.1999 entschieden, dass die Veräußerung eines vierten Objekts für die Frage des gewerblichen Grundstückshandels kein rückwirkendes Ereignis des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO sei (BFH, BB 1999, 2232 ff.). Dieses Urteil wurde am 23.10.1999 in der Zeitschrift "Deutsches Steuerrecht" veröffentlicht, die beim Finanzamt N am 26.10.1999 vorlag. Im Umlaufverfahren wird diese Zeitschrift lediglich den Sachgebietsleitern, den Mitarbeitern der Rechtsbehelfsstelle und der Abteilung Betriebsprüfung, nicht aber den Sachbearbeitern zur Verfügung gestellt.

Der Kläger hat in erster Instanz die Zahlung von 13.630,35 DM nebst Zinsen verlangt und die Auffassung vertreten, die angefochtenen Bescheide seien bereits wegen eingetretener Festsetzungsverjährung rechtswidrig. Außerdem habe er keinen gewerblichen Grundstückshandel betrieben. Die Nichtbeachtung des Urteils des Bundesfinanzhofs zur Frage des rückwirkenden Ereignisses sei als schuldhaftes Verhalten des zuständigen Sachbearbeiters zu werten. Das beklagte Land hat behauptet, der zuständige Sachbearbeiter habe das neue Urteil des Bundesfinanzhofs nicht gekannt. Eine mögliche Pflicht der Finanzverwaltung zur Unterrichtung der Finanzämter über die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung sei jedenfalls nicht dem Schutz des Klägers zu dienen bestimmt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 5.784,10 DM nebst Zinsen stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der zuständige Sachbearbeiter habe sich über die höchstrichterliche Rechtsprechung informieren müssen.

Mit der Berufung verfolgt das beklagte Land das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter und vertritt die Auffassung, dass eine Verlängerung der Verjährungsfrist wegen Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung in Betracht komme. Der zuständige Sachbearbeiter habe nicht schuldhaft gehandelt, sondern die amtliche Veröffentlichung im Bundessteuerblatt vom 18.7.2000 bzw. die Rundverfügung der OFD Koblenz vom 12.4.2001 abwarten dürfen. Das Finanzamt N habe durch die Besetzung der Einspruchsstellen mit juristisch qualifizierten Mitarbeitern seiner Organisationspflicht genügt.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO (a.F.) abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Geklagten Landes ist unbegründet. Der Kläger hat gemäß § 839 i.V.m. Art. 34 GG einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm durch die Tätigkeit der Steuerberatungs-GmbH Z im Einspruchsverfahren entstanden ist.

1. Durch den Erlass der Steuerbescheide vom 17.12.1999 (Bl. 5-34 GA) hat der zuständige Sachbearbeiter des Finanzamts N seine Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten verletzt.

a) Hinsichtlich der Jahre 1990 bis 1992 war der Erlass der Bescheide vom 17.12.1999 schon deshalb nicht mehr zulässig, weil die vierjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AO bereits abgelaufen war. Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf desjenigen Jahres, in dem die Einkommenssteuererklärung eingereicht wurde, also vorliegend für das Jahr 1990 mit Ablauf des Jahres 1992, für das Jahr 1991 mit Ablauf des Jahres 1993 und für das Jahr 1992 mit Ablauf des Jahres 1994. Am 17.12.1999 war die Festsetzungsfrist jedenfalls abgelaufen.

Der Beginn der Festsetzungsfrist ist nicht nach § 175 Abs. 1 S. 2 AO hinausgeschoben. Der Auffassung des beklagten Landes, der Verkauf der vierten Wohnung im Juli 1995 sei als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zu werten mit der Folge, dass die Festsetzungsfristen erst mit Ablauf des Jahres 1999 beginnen würde, folgt der Senat nicht. Der Bundesfinanzhof hat durch Urteil vom 6.7.1999 (BB 1999, 2232) entschieden, dass die Veräußerung der vierten Wohnung bei der Beurteilung eines gewerblichen Grundstückshandels nicht als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO gewertet werden könne. Ein rückwirkendes Ereignis setze einen veränderten Sachverhalt voraus. Nicht ausreichend sei, wenn das Finanzamt lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlange oder diesen Sachverhalt lediglich anders würdige. Da die Zahl der veräußerten Objekte und der zeitliche Abstand der maßgeblichen Tätigkeiten lediglich indizielle Bedeutung für das Vorliegen des gewerblichen Grundstückshandels hätten und der gewerbliche Betätigungswille bereits bei dem ersten der in die Gesamtwürdigung einzubeziehenden Veräußerungsvorgänge vorliegen müsse, führe der Verkauf der vierten Wohnung lediglich dazu, dass das Finanzamt seine ursprüngliche Beurteilung des im maßgeblichen Jahr verwirklichten Sachverhalts geändert habe. Der Senat schließt sich dieser rechtlichen Beurteilung an.

Die Festsetzungsfrist ist auch nicht gemäß § 169 Abs. 2 S. 2 AO wegen Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung auf zehn bzw. fünf Jahre verlängert. Das beklagte Land vertritt die Auffassung, das Verschweigen des Verkaufs der vierten Eigentumswohnung im Juli 1995 sei als Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung zu werten. Das Verschweigen der letzten Veräußerung kann aber allenfalls Bedeutung für die Veranlagung im Verkaufsjahr, also im Jahr 1995 haben. Bei Abgabe der Einkommenssteuererklärungen für die hier in Rede stehenden Jahre war der Verkauf der vierten Eigentumswohnung noch nicht erfolgt.

b) Die Bescheide vom 17.12.1999, die die Veranlagung für das Jahr 1993 betreffen, waren ebenfalls rechtswidrig. Zwar begann wegen der Abgabe der Einkommenssteuererklärung für das Jahr 1993 am 1.2.1995 die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 1995 zu laufen, so dass am 17.12.1999 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war.

Der Verkauf der vierten Eigentumswohnung im Juli 1995 kann auch grundsätzlich als nachträglich bekannt gewordene Tatsache gewertet werden, die zur Änderung eines Steuerbescheides im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigt. Eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache liegt dann vor, wenn sie bereits bei Erlass des ursprünglichen Bescheides vorhanden war; erst nachträglich eintretende Tatsachen führen nicht zu einer Änderungsbefugnis nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (Rüsken in: Klein, AO, 7. Aufl., Rn. 48 zu § 173 AO). Der ursprüngliche Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 1993 wurde am 11.6.1999 erlassen (Bl. 16 GA). Der Verkauf der vierten Eigentumswohnung erfolgte bereits früher, nämlich im Juli 1995. Er wurde allerdings erst nach Erlass des Einkommenssteuerbescheides im Oktober 1999 bekannt.

Nach Auffassung des Senats liegt jedoch auch unter Berücksichtigung des letzten Verkaufs kein gewerblicher Grundstückshandel vor. Nach § 15 Abs. 2 EStG setzt das Vorliegen eines Gewerbebetriebs eine selbständige nachhaltige Betätigung voraus, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt. Von einem gewerblichen Grundstückshandel kann ausgegangen werden, wenn innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von in der Regel fünf Jahren mehr als drei Objekte veräußert werden. Bei Beurteilung des zeitlichen Zusammenhangs sind Errichtung, Erwerb und Modernisierung auf der einen Seite und die Veräußerung der Objekte auf der anderen Seite zu bewerten (vgl. zu den Einzelheiten Schreiben des BMF betr. Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Grundstückshandel vom 20.12.1990 (BStBl I S. 884, geändert durch Schreiben des BMF vom 9.7.2001 (BStBl I S. 512)). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. zuletzt Beschluss des Großen Senats vom 10.12.2001, NJW 2002, 1518 ff.) haben die Zahl der Objekte und der zeitliche Abstand der maßgebenden Tätigkeiten allerdings nur indizielle Bedeutung und kommen dann nicht zum Tragen, wenn sich bereits aus anderen - ganz besonderen - Umständen zweifelsfrei eine von Anfang an bestehende oder aber fehlende Veräußerungsabsicht ergibt. Solche weiteren Umstände können beispielsweise dann vorliegen, wenn ein branchenkundiger Steuerpflichtiger innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach Errichtung eines Gebäudes weniger als vier, danach aber in relativ kurzer Zeit planmäßig weitere Objekte veräußert (Rn. 10 des Schreibens betr. Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Grundstückshandel vom 20.12.1990 (BStBl I S. 884), unter Hinweis auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5.9.1990 - BStBl II S. 1060)).

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend nicht von einem gewerblichen Grundstückshandel auszugehen. Folgte man der Auffassung des beklagten Landes, dass die 5-Jahres-Frist erst mit Ende der Umbauarbeiten im Jahr 1992 zu laufen beginnen würde, hätte dies zur Folge, dass die beiden Verkäufe im Jahr 1990 nicht mitgezählt werden dürften und deshalb keine Veräußerung von mehr als drei Objekten innerhalb des 5-Jahres-Zeitraums vorliegen würde. Nach Auffassung des Senats ist es sachgerecht, auf den Beginn der Umbauarbeiten Anfang des Jahres 1990 abzustellen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die 5-Jahres-Frist bei dem Verkauf der vierten Eigentumswohnung nur um wenige Monate überschritten wurde. Allein dies reicht aber schon aus Gründen der Rechtssicherheit zur Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels nicht aus. Dass es sich bei dem Kläger um einen "branchenkundigen Steuerpflichtigen" handeln würde, hat das beklagte Land nicht dargelegt. Der Kläger betreibt ein Herrenausstattungsgeschäft; für eine nebenberufliche Tätigkeit auf dem Grundstücksmarkt bestehen keine Anhaltspunkte. Gegen einen von Beginn an bestehenden gewerblichen Betätigungswillen spricht schließlich, dass der Kläger in der Einspruchsbegründung (Bl. 35 f. GA) unwidersprochen vorgetragen hat, dass ursprünglich eine Selbstnutzungs- bzw. Vermietungsabsicht vorgelegen habe und die Veräußerungen aufgrund einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, insbesondere hervorgerufen durch die Trennung und Scheidung des Klägers und seiner Ehefrau, notwendig geworden seien.

2. Der Erlass der Bescheide vom 17.12.1999 beruhte auf einer fahrlässigen Amtspflichtverletzung.

a) Für die Beurteilung des Verschuldens im Sinne des § 839 BGB gilt ein objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab. Danach kommt es auf die Kenntnisse und Einsichten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind, nicht aber auf die Fähigkeiten, über die der Beamte tatsächlich verfügt. Dabei muss jeder Beamte die zur Führung seines Amts notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich diese verschaffen. Ein besonders strenger Sorgfaltsmaßstab gilt für Behörden, die wie die Finanzämter durch den Erlass von Bescheiden selbst vollstreckbare Titel schaffen. Eine objektiv unrichtige Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung ist schuldhaft, wenn sie gegen den klaren und eindeutigen Wortlaut der Norm verstößt oder wenn aufgetretene Zweifelsfragen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, sei es auch nur in einer einzigen Entscheidung, geklärt sind (Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rn. 162, 165, 169; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, Rn. 182; BGH, VersR 1989, 184, BGH, NJW-RR 1992, 919).

b) Nach diesen Maßstäben ist von einem fahrlässigen Verhalten auszugehen. Die Voraussetzungen des gewerblichen Grundstückshandels waren in der Rechtsprechung hinreichend geklärt. Zwar war es wegen der relativ geringfügigen Überschreitung des 5-Jahres-Zeitraums grundsätzlich denkbar, dass besondere Umstände vorliegen könnten, die die Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels des Klägers rechtfertigen könnten. Der zuständige Beamte handelt jedoch schuldhaft, wenn er wegen des drohenden Ablaufs der Festsetzungsfrist ohne weitere Prüfung einen von Anfang an bestehenden gewerblichen Betätigungswillen annimmt.

c) Der Erlass der Bescheide für die Jahre 1990 bis 1992 ist auch dann als fahrlässig zu bewerten, wenn der zuständige Sachbearbeiter wegen der fehlenden Kenntnis des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 6.7.1999 nach bestem Wissen gehandelt hat. Im Rahmen des § 839 BGB gilt nämlich ein objektivierter und endindividualisierter Verschuldensmaßstab. Das Verschulden wird danach nicht mehr auf eine einzelne zu konkretisierende Person bezogen, sondern dem mangelnden oder schlechten Funktionieren des Verwaltungsapparates selbst zugerechnet. Die Anerkennung der Rechtsfigur des Organisationsverschuldens trägt dem Umstand Rechnung, dass sich der Bürger einem für ihn anonymen Verwaltungsapparat gegenübersieht, dessen stark differenzierte Arbeits- und Funktionsweise er von außen nicht durchschauen kann (Tremml/Karger, a.a.O., Rn. 166 ff.; Ossenbühl, Staatshaftung, 5. Aufl., S. 77; BGH NVwZ 1996, 512 ff., 515; BG.HZ 113, 367 ff., 371 f.).

Von einem solchen Organisationsverschulden innerhalb des Finanzamts N ist vorliegend auszugehen. Die Zeitschrift, in der das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 6.7.1999 abgedruckt ist, stand im Finanzamt seit dem 26.10.1999 zur Verfügung. Nach dem eigenen Vorbringen des beklagten Landes handelt es sich um eine grundsätzliche Entscheidung, die der bisherigen Verwaltungspraxis widersprach. Bei dieser Sachlage musste innerhalb des Finanzamts sichergestellt werden, dass die Entscheidung in angemessener Zeit, jedenfalls bis zum 17.12.1999, auch den zuständigen Sachbearbeitern zur Kenntnis gebracht wurde. Von den zuständigen Beamten des Finanzamts ist zu entscheiden, auf welche Weise diese zeitnahe Unterrichtung erfolgen soll. In Betracht kommen insbesondere Umläufe bei den Sachbearbeitern, regelmäßige Dienstbesprechungen mit den Sachgebietsleitern oder Information unter Zuhilfenahme der PCs. Puren die Besetzung der Einspruchsstelle mit juristisch qualifizierten Mitarbeitern genügte das beklagte Land seiner Organisationspflicht schon deshalb nicht, weil durch das Einspruchsverfahren weitere vermeidbare Kosten entstehen können.

Wegen des Organisationsverschuldens innerhalb des Finanzamts N kann offen bleiben, ob die Finanzverwaltung ihre Pflicht zur zeitnahen Information der Finanzämter über aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung verletzt hat. Es kommt auch nicht mehr darauf an, ob diese Pflicht drittgerichtet ist oder lediglich der Durchführung einer gleichmäßigen Besteuerung dient (vgl. insoweit LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 16.3.1994 - 4 O 188/93, zitiert bei Nissen, BB 1995, 649 ff., 652).

3. Die Kosten des Steuerberaters im Einspruchsverfahren stellen nach gefestigter Rechtsprechung einen im Rahmen der Amtshaftung ersatzfähigen Schaden dar, auch wenn nach der Abgabenordnung eine Erstattung der Kosten des Einspruchsverfahrens ausgeschlossen ist (BGHZ 21, 359 ff.; OLG München, BB 1979, 335 f.; OLG Frankfurt, BB 1981, 228 f.; BGH, NJW 1975, 972 ff.; Rusken in: Klein, AO, 7. Aufl., Rn. 9 zu § 32 AO).

Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass die ersatzfähige Vergütung des Steuerberaters 5.784,10 DM beträgt. Hinsichtlich der Höhe der Vergütung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug und macht sich diese zu Eigen. Hinsichtlich der weiter beanstandeten Erhöhung der Vergütung gemäß § 41 Abs. 6 S. 1, 1. Alternative StBGebV hat der Kläger klargestellt, dass seine Ehefrau ihn zur Geltendmachung der Vergütung im eigenen Namen ermächtigt hat.

Die vom Landgericht zugesprochene Zinsforderung ist in der Berufungsbegründung nicht angegriffen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO (n.F.) nicht vorliegen. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Organisationsverschuldens sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.957,36 Euro (= 5.784,10 DM) festgesetzt. Dem entspricht die Beschwer des beklagten Landes.

Ende der Entscheidung

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