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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 05.07.2000
Aktenzeichen: 1 U 593/98
Rechtsgebiete: VerwVollstrG, BWassStrG, BGB, GG, ZPO


Vorschriften:

VerwVollstrG § 6
BWassStrG § 28 Abs. 3
BGB § 839 Abs. 1
GG § 34 S. 1
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Leitsatz:

Zum Einwand und der Berücksichtigung rechtmäßigen Alternativverhaltens in Fällen der Amtshaftung (Sicherstellung eines Bootes bei Hochwasser).


Geschäftsnummer: 1 U 593/98 1 O.565/96 LG Mainz

Verkündet am 5. Juli 2000

Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaessner, den Richter am Oberlandesgericht Stein sowie den Richter am Oberlandesgericht Dr.Giese auf die mündliche Verhandlung vom

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19. Februar 1998 verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz abgeändert und die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

(abgekürzt gemäß § 543 Abs.1 ZPO)

Der Kläger war Eigentümer eines Vereinsbootes, welches sich auf dem rechten Ufer des Rheins befand.

Am 21. Dezember 1993 trat der Rhein über die Ufer. Mitglieder des Klägers befestigten mit Seilen das Boot an einem Baum, um es gegen ein Abtreiben zu sichern.

Nachdem der Fluss weiter gestiegen war, hat die Beklagte das Schiff bergen lassen. Der Kläger, der behauptet, das Boot habe im Zusammenhang mit der Bergung erhebliche Schäden erlitten, hat es verschrotten lassen. Im Verwaltungsrechtsstreit über die Kosten der Ersatzvornahme hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen des § 6 Verwaltungsvollstreckungsgesetz hätten ebensowenig vorgelegen wie die des § 28 Abs.3 Bundeswasserstraßengesetz. Deshalb sei die Ersatzvornahme rechtswidrig.

Die Beklagte hat daraufhin die angefochtenen Bescheide aufgehoben, und die Parteien des Verwaltungsrechtsstreits haben diesen für erledigt erklärt.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung die Beklagte zu Schadensersatz in Höhe von 15.000 DM nebst Zinsen mit der Begründung verurteilt, diese sei nach Amtshaftungsgrundsätzen schadensersatzpflichtig, denn der Abtransport des Bootes gegen den willen des Klägers sei rechtswidrig, weil dieser es ausreichend gesichert habe. Der Verkehrswert des Schiffes betrage mindestens 10.000 DM. Hinzu kämen die Kosten der Verschrottung in Höhe von 5.000 DM.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, die insbesondere geltend macht, sie sei berechtigt gewesen, das Boot des Klägers zu entfernen.

Entscheidunsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 839 Abs.1 BGB in Verbindung mit § 34 S.1 GG, selbst wenn sich das beanstandete Verwaltungshandeln aus formellen Gründen als rechtswidrig darstellen sollte. Im übrigen wäre der Schaden in gleicher Weise entstanden, wenn der Kläger -in der konkreten Situation- das Boot hätte sicherstellen lassen.

1. Es kann letztlich dahinstehen, ob die vom Wasser- und Schifffahrtsamt angeordnete und durchgeführte Ersatzvornahme von § 6 VerwVollstrG oder § 28 Abs.3 BWassStrG gedeckt war, denn die Beklagte kann sich zu Recht und mit Erfolg auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten berufen.

Bei dem Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens geht es um die der Bejahung des Kausalzusammenhangs nachfolgende Frage, inwieweit einem Schadensverursacher die Folgen seines pflichtwidrigen Verhaltens bei wertender Betrachtung billigerweise zugerechnet werden können (BGH NJW 1998, 1308). Bei Amtshaftungsansprüchen hat der Bundesgerichtshof rechtmäßiges Alternativverhalten insbesondere berücksichtigt, wenn der Behörde ein Verfahrensfehler unterlaufen war und sie bei einem ordnungsgemäßen Verfahren zu der gleichen Entscheidung hätte kommen oder sofern sie selbst eine fehlende Rechtsgrundlage pflichtgemäß hätte schaffen müssen (vgl. Nachweise bei BGH DVBl 2000, 905 - Naßauskiesung).

a) Folgt man der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die getroffene Maßnahme sei deshalb rechtswidrig, weil der sofortige Vollzug (S 80 Abs.2 Nr.4, Abs.3 S.2 VwGO) nicht angedroht worden sei, wäre das Verwaltungshandeln bei Androhung rechtmäßig gewesen; deren Voraussetzungen lagen vor und der Schaden wäre auch bei der formell rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden.

b) Unstreitig ist die Entfernung des Bootes von km 514.0 + 60 m bereits mit Verfügung vom 2. Juni 1982 angeordnet worden. Mit weiterer Verfügung vom 30. November 1992 war dem Kläger nochmals aufgegeben worden, das Schiff zu entfernen, nachdem es sich losgerissen hatte und geborgen worden war. Am 7. Dezember 1992 teilte der Kläger mit, es sei beabsichtigt, das Vereinsboot zu sanieren; es werde aufs Trockene gelegt und entsprechend gesichert. Trotz weiterer Aufforderung vom 17. Februar 1993 beseitigte der Kläger das Boot nicht aus dem Bereich der Bundeswasserstraße (§ 1 Abs.1 Nr.1 Buchst. a, Abs.4 Nr.2 BWasserStrG). Am 21. Dezember 1993 stellte sich erhebliches Hochwasser ein. Das Wasser des Rheins stieg stündlich um 6 bis 8 cm, und es bestand die Gefahr, daß das Schiff aufschwimmen und von der Strömung weggerissen würde.

Unter diesen Umständen der latenten und wegen des stark und schnell ansteigenden Flusses sich verwirklichenden Gefahr war es unausweichlich, zum Schutz der Wasserstraße (§§ 24 ff BWasserStrG) die Entfernung des Bootes vom bereits überfluteten Ufergelände zu veranlassen, da dem der Kläger nicht nachgekommen war und weil die "Seilsicherung" nicht ausreichte.

c) Es mag zwar zutreffen, daß die Seile an sich, wie der Sachverständige Dr.Ing. L ausführt, von ihrer Festigkeit her ausreichend dimensioniert gewesen sind. Da eine Befestigung an Bäumen aber rechtlich unzulässig ist, vor allem aus dem Gesichtspunkt, daß ein Baum hinsichtlich der Belastbarkeit nicht nach seinem äußeren Erscheinungsbild beurteilt werden und bei Hochwasser in Auftrieb geraten kann, war diese Sicherung nicht geeignet und ist vom zuständigen Beamten auch nicht als solche hingenommen worden.

Hätte die Beklagte demnach die sofortige Vollziehung angeordnet, um dann die Ersatzmaßnahme durchzuführen, wäre dies das ordnungsgemäße und hier hinsichtlich der (Nicht-)Zurechnung ordnungsgemäße Verfahren gewesen.

2. Erst durch die schriftliche Beantwortung der Beweisfrage durch den Zeugen P die sich die Beklagte teilweise zu eigen gemacht hat (Schriftsatz vom 24. März 2000) und auf die sich die Beklagte wegen der "Gangway" bezieht (Schriftsatz vom 4. Mai 2000, Seite 3-5), ist letztlich klar geworden, welchen Substanzschaden das Schiff selbst erlitten hatte. War der Senat zuvor davon ausgegangen, das Boot sei beim Abtransport unsachgemäß behandelt und beschädigt worden, war es auf die formelle Rechtmäßigkeit oder auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten nicht angekommen, denn aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, daß bei Eingriffen in die Rechtssphäre von Privatpersonen nachteilige Folgen vermieden werden müssen (BGHZ 18, 366/368; BGH NJW 1993, 1258/1259: Amtshaftung für private Erfüllungsgehilfen; Senat Urteil vom 16. April 1997, Az.: 1 U 736/93).

Wegen der Breite des Schiffes war es aber unumgänglich, die weit ausladende Stahlkonstruktion zu entfernen (vgl. die Fotos 3-6 in den Verwaltungsakten), um das Schiff auf einem Tieflader über die Landstraße abfahren zu können. Das Entfernen der Konstruktion war die erforderliche Maßnahme, die den Kläger genau so getroffen hätte, wenn er an diesem Tag das Schiff über die Straße entfernt hätte, denn wegen der Kürze der Zeit wäre eine Ausnahmegenehmigung für einen überbreiten Schwertransport nicht zu erhalten gewesen.

Den in der entfernten Stahlkonstruktion liegenden Schaden und den darauf beruhenden Folgeschaden kann der Kläger somit nicht der Beklagten anlasten, zumal ihm darüberhinaus auch seit Jahren aufgegeben war, das Schiff aus dem Gewässerbereich zu beseitigen.

Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 91 Abs.1, 708 Nr.10, 713 ZPO.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beläuft sich auf 15.000 DM; dem entspricht die Beschwer des Klägers durch das Urteil des Senats.

Ende der Entscheidung

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