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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 06.04.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 117/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 40 I
StPO § 302 II
StPO § 306 I
Leitsatz:

Wer nach Zugang einer auf Freiheitsentziehung lautenden Entscheidung erklärt, er wolle "keinen Einspruch dagegen erheben", um einen kurzfristigen Vollstreckungsaufschub bittet und ankündigt, er wolle sich nach der Haushaltsauflösung freiwillig in einer Justizvollzugsanstalt stellen, bringt eindeutig und vorbehaltslos zum Ausdruck, dass er die gerichtlich angeordnete Maßnahme akzeptiert und somit auf eine Anfechtung verzichtet.


Geschäftsnummer: 1 Ws 117/00 BRs 96/98 - LG Mainz 8006 Js 12013/95 - StA Trier

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

In der Strafvollstreckungssache

gegen

H. Q.

wegen Diebstahls u.a. hier: Widerruf einer Reststrafaussetzung zur Bewährung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe und die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa

am 6. April 2000 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 8. Strafkammer - Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Mainz vom 16. Dezember 1999 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 26. Mai 1998, rechtskräftig seit dem 13. Juni 1998, wurde die Vollstreckung des letzten Drittels der gegen den Beschwerdeführer durch Urteil des Amtsgerichts Wittlich vom 20. Mai 1996 verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr auf die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Ihm wurde aufgegeben, 500 DM in monatlichen Raten von 50 DM an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen, binnen sechs Monate ab Entlassung (10. Juli 1998) 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu leisten und jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich mitzuteilen. Außerdem wurde er der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt.

Nach der Entlassung wohnte er in Niederweiler.

Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 13. November 1998 wurde die Frist zur Erbringung der Arbeitsleistung wegen Beschwerden des Verurteilten nach einer Knieoperation um sechs Monate verlängert.

Die Geldauflage erfüllte er - unregelmäßig - bis zum 3. November 1999.

Ende Oktober/Anfang November 1999 verschwand er aus seiner bisherigen Wohnung, ohne dem Gericht seinen neuen Aufenthaltsort mitzuteilen.

Am 8. November 1999 teilte der Bewährungshelfer mit, der Verurteilte habe alle ihm angebotenen Stellen zur Ableistung der gemeinnützigen Arbeit "aus gesundheitlichen Gründen" abgelehnt. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft den Widerruf der Reststrafaussetzung zur Bewährung.

Auf Anfrage der Strafvollstreckungskammer teilte der Bewährungshelfer am 3. Dezember 1999 mit, der Verurteilte wohne in Lautzenhausen, Ahornweg 12, ohne dort gemeldet zu sein. Die an diese Anschrift adressierte Ladung zu dem auf den 16. Dezember 1999 bestimmten Anhörungstermin vor der Strafvollstreckungskammer kam einen Tag vorher mit dem Postvermerk "Empfänger unbekannt" zurück.

Mit Beschluss vom 16. Dezember 1999 widerrief die Strafvollstreckungskammer die Reststrafaussetzung zur Bewährung und ordnete die öffentliche Zustellung dieses Beschlusses an. Er wurde am 11. Januar 2000 an die Gerichtstafel des Landgerichts Mainz angeheftet und am 2. Februar 2000 abgenommen.

Am 3. Februar 2000 wurde die jetzige Anschrift des Verurteilten (siehe Rubrum) bekannt. Unter dieser wurde ihm der Beschluss vom 16. Dezember 1999 mit Rechtsmittelbelehrung am 5. Februar 2000 ordnungsgemäß zugestellt.

Unter dem Datum 9. Februar 2000 verfasste der gerichts- und hafterfahrene Verurteilte ein Schreiben an die Strafvollstrekkungskammer, in dem es unter anderem heißt:

"Es ist Ihre Entscheidung, meine Bewährung zu widerrufen, ich will auch keinen Einspruch dagegen erheben. Ich habe nur eine Bitte: Geben Sie mir bitte Zeit, bis zum 2. oder 3. März mich in Mainz zu stellen."

Weiter führte er aus, er müsse seinen - wegen einer Schlafapnoe benötigten - Sauerstoffapparat neu einstellen lassen ("den ich ja mit in die JVA mitnehmen muss") und seinen Haushalt auflösen. Er kündigte an, er werde sich "dann freiwillig in der JVA Mainz stellen".

Dieses Schreiben ging, wie Nachforschungen des Senats ergeben haben, mit der Briefpost am 14. Februar 2000 spätestens zwischen 9.00 Uhr und 9.20 Uhr bei der Gemeinsamen Postannahmestelle des Amts- und Landgerichts Mainz ein.

Am Vormittag des 14. Februar 2000 begab sich der Verurteilte zur Rechtsantragsstelle bei dem Amtsgericht Simmern, um sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16. Dezember 1999 einzulegen. Zur Begründung führte er unter anderem aus, er sei am 9. Februar 2000 durch das Amtsgericht Simmern zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, deshalb sei ein Widerruf nicht gerechtfertigt. Die von einem Rechtspfleger aufgenommene und von dem Verurteilten unterschriebene Erklärung wurde am 14. Februar 2000 frühestens um 11.21 Uhr per Fax an das Landgericht Mainz übermittelt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge als unzulässig zu verwerfen.

1.

Die Unzulässigkeit folgt allerdings nicht aus einer Versäumung der Rechtsmitteleinlegungsfrist (§§ 311 Abs. 2, 454 Abs. 3 StPO).

Zwar gilt eine öffentliche Zustellung als bewirkt, wenn das zuzustellende Schriftstück zwei Wochen an der Gerichtstafel des Gerichts des ersten Rechtszuges - dies ist im Strafvollstreckungsverfahren die Strafvollstreckungskammer - angeheftet gewesen ist (§ 40 Abs. 1 StPO). Die Voraussetzungen für eine wirksame öffentliche Zustellung (siehe dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 40 Rdnr. 4 m.w.N.) lagen jedoch nicht vor, weil das Gericht nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Feststellung des Aufenthaltsorts genutzt hatte (z.B. Einschaltung der für Lautzenhausen zuständigen Polizeidienststelle).

Die Rechtsmitteleinlegungsfrist wurde somit erst durch die wirksame Zustellung am Samstag, dem 5. Februar 2000, in Gang gesetzt und endete am Montag, dem 14. Februar 2000.

2.

Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, weil der Verurteilte mit Schreiben vom 9. Februar 2000 formgerecht einen Rechtsmittelverzicht (§ 302 Abs. 2 StPO) erklärt hatte und diese Erklärung vor Eingang des Rechtsmittels bei dem Landgericht Mainz (§ 306 Abs. 1 StPO) wirksam geworden ist (BGH NJW 60, 2202).

Auch wenn der Erklärende nicht ausdrücklich das Wort "Verzicht" verwendet, kann die Erklärung diesen Inhalt haben, wenn der hierauf gerichtete Wille deutlich zum Ausdruck kommt. Wer nach Zugang einer auf Freiheitsentziehung lautenden Entscheidung erklärt, er wolle "keinen Einspruch dagegen erheben", um einen kurzfristigen Vollstreckungsaufschub bittet und ankündigt, er wolle sich nach der Haushaltsauflösung freiwillig in einer Justizvollzugsanstalt stellen, bringt eindeutig und vorbehaltslos zum Ausdruck, dass er die gerichtlich angeordnete Maßnahme akzeptiert und somit auf eine Anfechtung verzichtet (siehe auch OLG Stuttgart NJW 90, 1494: Berufungsrücknahme durch Antrag auf Ratenzahlung bei erstinstanzlicher Verurteilung zu einer Geldstrafe; OLG Naumburg NZV 97, 493: Rechtsmittelverzicht durch Einreichung des Führerscheins und Bitte um Übersendung einer Zahlkarte bei Verurteilung zu einer Geldstrafe und einem Fahrverbot).

Besondere Umstände, die ausnahmsweise zur Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts führen könnten, sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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