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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 23.06.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 431/05
Rechtsgebiete: RVG, StPO


Vorschriften:

RVG § 33 Abs. 2 S. 3
RVG § 33 Abs. 3 S. 3
RVG § 56 Abs. 2 S. 1
StPO § 154 Abs. 2
1. Das RVG ist im Falle der Pflichtverteidigerbestellung nach dem 1.7.2005 auch dann anzuwenden, wenn der Verteidiger vorher als Wahlverteidiger tätig gewesen ist.

2. Die Zweiwochenfrist des § 33 Abs. 2 S. 3 RVG gilt gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 RVG nicht nur für die Beschwerde, sondern auch für die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 1 Ws 431/05

In der Strafsache

wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung

hier: Beschwerde gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Pflichtverteidigervergütung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt am 23. Juni 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 4. Mai 2005 wird als unbegründet verworfen.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).

Gründe:

I.

Nachdem sich Rechtsanwalt H... am 7. Juni 2004 im Ermittlungsverfahren als Wahlverteidiger bestellt hatte, war er nach Anklageerhebung zur Strafkammer am 17. September 2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Nach Entpflichtung und Beiordnung eines anderen Verteidigers aus derselben Kanzlei am 27. Oktober 2004 wurde Rechtsanwalt H... in der Hauptverhandlung am 4. Februar 2005 erneut zum Verteidiger bestellt. In diesem Termin wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Kosten und Auslagen wurden dem früheren Angeklagten auferlegt.

Am 18. Februar 2005 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die dem Pflichtverteidiger aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung antragsgemäß auf 1239,87 € festgesetzt. Dabei wurde das RVG zugrunde gelegt. Es wurden Gebühren der Nr. 4101, 4104/4105, 4113 und 4115 in Höhe von insgesamt 713 € in Ansatz gebracht.

Gegen die Kostenfestsetzungsentscheidung, die dem Vertreter der Landeskasse am 22. Februar 2005 zugestellt worden war, hat der Bezirksrevisor mit am 17. März 2005 eingegangenem Schreiben vom 14. März 2005 Erinnerung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass die Kostenfestsetzung noch nach der BRAGO erfolgen müsse, wenn der Verteidiger nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts (1. Juli 2004) beigeordnet worden ist, aber - wie hier - vorher bereits als Wahlverteidiger tätig war. Außerdem hält er die Erinnerung für nicht fristgebunden.

Die Strafkammer hat die Erinnerung durch (in der Besetzung mit drei Richtern gefassten) Beschluss vom 4. Mai 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Nach ihrer Auffassung gilt für die Erinnerung gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 3 RVG die Zweiwochenfrist. Darüber hinaus hält sie die Kostenfestsetzung für richtig, weil neues Recht anzuwenden sei.

Gegen den dem Bezirksrevisor am 18. Mai 2005 zugestellten Beschluss hat er namens der Landeskasse am selben Tag Beschwerde eingelegt.

II.

Das Rechtsmittel, über das der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 HS. 2 RVG), ist gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 € übersteigt. Fände die BRAGO Anwendung, so wären die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren mehr als 200 € niedriger. Sie würden nur 375 € betragen (§§ 97 Abs. 1 S. 1 und 3, 83 Abs. 1 Nr. 2, 84 Abs. 1 BRAGO. Die Beschwerde erfüllt auch die weiteren Zulässigkeitserfordernisse. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 und Abs. 7 RVG).

In der Sache hat die Beschwerde allerdings keinen Erfolg.

Die Strafkammer hat die Erinnerung der Staatskasse zu Recht wegen Verfristung als unzulässig zurückgewiesen. Die Zweiwochenfrist des § 33 Abs. 3 S. 3 RVG gilt gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 RVG nicht nur für die Beschwerde, sondern auch für die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung (Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., § 56 RVG Rdn. 6; von Eicken in: Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl., § 56 Rdn. 5). Die Gegenauffassung überzeugt nicht. § 56 RVG regelt die Erinnerung und Beschwerde gegen die nach § 55 RVG erfolgten Festsetzungen. Während § 56 Abs. 1 RVG eine Zuständigkeitsregelung für die Erinnerungsentscheidung enthält (die der Gesetzgeber mangels eines entsprechenden Regelungsgehalts des § 33 RVG schaffen musste), enthält Abs. 2 dieser Bestimmung, wonach § 33 Abs. 3 bis 8 entsprechend anwendbar sind, Regelungen für Erinnerung und Beschwerde. Das ergibt sich schon aus der Regelungsmaterie der in Bezug genommenen Absätze 3 bis 8 des § 33 RVG. Darin finden sich Bestimmungen, die - wie etwa die bei Rechtsmitteleinlegung zu beachtenden Formerfordernisse (§ 33 Abs. 7 RVG) - zwingend einer gesetzlichen Normierung für beide Rechtsmittel bedurften. Durch die uneingeschränkte Verweisung auf die entsprechende Anwendbarkeit des § 33 Abs. 3 bis 8 RVG hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Frist des § 33 Abs. 3 S. 3 RVG nicht nur für die Beschwerde, sondern auch für die Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG gelten soll. Die Auffassung des Vertreters der Landeskasse hätte zur Konsequenz, dass einem unbefristeten Rechtsbehelf (Erinnerung) ein befristetes Rechtsmittel (Beschwerde) folgen würde. Dass der Gesetzgeber das gewollt haben könnte, erscheint kaum vorstellbar. Denn wenn aus Gründen der Rechtssicherheit ein Bedürfnis nach formeller Rechtskraft einer Entscheidung besteht, müssen alle Rechtsmittel des Instanzenzugs befristet sein (wobei die Länge der Einlegungs- und etwaigen Begründungsfristen allerdings durchaus variieren kann). Der Senat teilt auch nicht die Befürchtung des Vertreters der Landeskasse, dass durch eine Befristung der gegen die Festsetzungen nach § 55 RVG statthaften Erinnerung hohe Zustellkosten entstehen. Zustellungen an den Vertreter der Landeskasse verursachen solche nicht. Auch Zustellungen an Rechtsanwälte sind wegen der Möglichkeit, sie gegen Empfangsbekenntnis zu bewirken, nahezu kostenneutral.

Die Strafkammer hat in der angefochtenen Entscheidung weiter zu Recht darauf hingewiesen, dass die Erinnerung der Staatskasse gegen die Kostenfestsetzung auch in der Sache keinen Erfolg haben könnte. Das RVG ist im Falle der Pflichtverteidigerbestellung nach dem 1. Juli 2005 (Tag des Inkrafttretens) auch dann anzuwenden, wenn der Verteidiger vorher als Wahlverteidiger tätig gewesen ist (Senat, Einzelrichterbeschluss 1 AR 156/04 vom 11. Januar 2005; OLG Schleswig NJW 2005, 234 = JurBüro 2005, 234; OLG Hamm StraFo 2005, 130 =JurBüro 2005, 196; KG StraFo 2005, 129 = Rpfleger 2005, 276, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung Rpfleger 1995, 380; LG Berlin, 39. gr. Strafkammer, RVGreport 2005, 101; a.A. LG Berlin, 9. gr. Strafkammer, Rpfeger 2005, 54). Diese Rechtsauffassung hat das Oberlandesgericht Koblenz zur entsprechenden Problematik bei Änderungen der BRAGO stets vertreten (s. Rpfleger 1988, 123; a.A. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 192).

Ende der Entscheidung

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