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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 04.10.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 451/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 310 Abs. 1
Leitsatz:

Die größere Sachnähe des in der Beweisaufnahme befindlichen Tatgerichts schließt eine abweichende Würdigung der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände durch das Beschwerdegericht i.d.R. aus.


Geschäftsnummer: 1 Ws 451/00 2090 Js 27658/99 StA Koblenz

In dem Ermittlungsverfahren

gegen

R. C.,

- Verteidigerin: Rechtsanwältin S. -

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.

hier: weitere Haftbeschwerde

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Völpel und den Richter am Landgericht Hardt

am 4. Oktober 2000 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss der 9. Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 20. Juli 2000 wird als unbegründet auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) verworfen mit der Maßgabe, dass der Beschuldigte aufgrund der im Haftbefehl beschriebenen Sachverhalte dringend verdächtig ist, zu der jeweils angegebenen Tatzeit und an den genannten Tatorten durch zwei rechtlich selbständige Handlungen

1. gemeinschaftlich Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt eingeführt,

tateinheitlich

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und

sich als Mitglied an einer Vereinigung beteiligt zu haben, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen;

2. vor Gericht als Zeuge uneidlich falsch ausgesagt zu haben.

Angewendete Strafvorschriften:

§§ 129 Abs. 1, 153, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB, 30 Abs. 1 Nr. 4, 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG

Gründe:

I.

Mit Haftbefehl der Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht vom 31. Mai 2000 werden dem Beschuldigten drei rechtlich selbständige Handlungen, über die im Tenor genannten Taten hinaus noch eine Urkundenfälschung in Form des Herstellens einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 1. Alt. StGB), zur Last gelegt. In der rechtlichen Bewertung geht der Haftbefehl davon aus, dass auch die Tat zu 2. in Tateinheit mit der im Tenor nur bei Würdigung der Tat zu 1. genannten Bildung krimineller Vereinigungen gemäß § 129 Abs. 1 StGB steht. Im übrigen stützt sich der Haftbefehl auf die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschuldigten hat die Strafkammer mit Beschluss vom 20. Juli 2000 als unbegründet verworfen. Aus den Gründen dieser Entscheidung ergibt sich, dass die Strafkammer hinsichtlich der Urkundenfälschung dringenden Tatverdacht verneint, weil diese eine der deutschen Strafgewalt nicht unterliegende Auslandstat sei. Die Mitgliedschaft des Beschuldigten in einer kriminellen Vereinigung hält sie nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis, insbesondere der Aussage des im Haftbefehl als Beweismittel dazu angeführten Zeugen Catalano, für eine bloße Vermutung, die den Grad eines dringenden Tatverdachts noch nicht erreicht habe.

Gegen die Aufrechterhaltung des Haftbefehls wendet sich der Beschuldigte mit der weiteren Beschwerde. Er ist der Auffassung, weder bestünde ein dringender Tatverdacht gegen ihn, noch läge ein Haftgrund vor.

II.

Das Rechtsmittel ist unbegründet. Gegen den Beschuldigten wird zu Recht die Untersuchungshaft vollzogen.

1.

Der dringende Tatverdacht für die beschriebenen tateinheitlich begangenen gemeinschaftlichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz durch Lieferung von mindestens 2 kg Kokain aus Italien an den gesondert verfolgten A. R. nach Neuwied ergibt sich im Wesentlichen aus dem Beweisergebnis, das die zuständige Strafkammer in der gegen den Angeklagten R. und andere geführten Hauptverhandlung bislang gewonnen hat. Denn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat ist identisch mit der, die dem Angeklagten R. im Verfahren 2113 Js 20732/95 in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Koblenz vom 31. März 1999 unter II. 3. (Seite 17 - 18 und 118 - 132) vorgeworfen wird. Die dazu vorliegenden, in jenem wie in diesem Verfahren bedeutsamen Beweismittel hat die Staatsanwaltschaft im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ausführlich dargestellt und erörtert. Die Strafkammer hat mit Beschluss vom 21. September 1999 bezüglich dieser Tat die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Die laufende Beweisaufnahme hat der Kammer, wie sie in ihrer Haftentscheidung gegen den Angeklagten R. vom 8. August 2000 ausgeführt hat, auch am 37. Verhandlungstag keinen Anlass gegeben, von dem dringenden Tatverdacht hinsichtlich dieser (oder einer anderen) Tat abzuweichen. Im Gegenteil: Nach Auffassung der Kammer haben sich die bestehenden Verdachtsmomente gegen den Angeklagten während der Hauptverhandlung weiter verstärkt. Daraus ergibt sich zugleich eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte an der Tat, wie im Haftbefehl und der bezeichneten Anklageschrift beschrieben, als Mittäter beteiligt gewesen ist.

Dem in der Hauptverhandlung erzielten Beweisergebnis schließt der Senat sich an. Auch wenn die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen ist und die Würdigung der Kammer daher nur vorläufig und überschlägig erfolgen kann, ermöglichen die unmittelbar aus der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse der Kammer die sachnächste Beurteilung des Anklagevorwurfs. Über Erkenntnisquellen, die denen der Strafkammer überlegen wären, verfügt der Senat nicht.

Anders als die Strafkammer in der angefochtenen Entscheidung sieht der Senat allerdings eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte sich mit den Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz tateinheitlich auch an einer kriminellen Vereinigung beteiligt hat (§§ 129 Abs. 1, 52 StPO). In der gegen den Angeklagten R. geführten Hauptverhandlung hat die Kammer zu dem den Beschuldigten und den Angeklagten R. gleichermaßen treffenden Vorwurf, einer Teilorganisation der neapolitanischen Camorra anzugehören, zu deren Betätigungsfeld u.a. Geschäfte mit Kokain in Deutschland zählen (Anklageschrift vom 31. März 1999 zu I. 1., S. 14 - 16 und 78 - 105), den Zeugen Catalano vernommen. Aus den Gründen der den Angeklagten R. betreffenden Haftentscheidung der Kammer vom 8. August 2000 ergibt sich, dass der Zeuge detaillierte Angaben nicht nur zu den Rauschgiftgeschäften selbst, sondern auch zu den damit in Verbindung stehenden Personen, dem örtlichen Umfeld und ihrer zeitlichen Zuordnung gemacht hat, wobei er gemäß Vermerk des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft Koblenz, Oberstaatsanwalt L., vom 25. Mai 2000 auch den Beschuldigten als Mitglied des Camorra-Clans benannt hat. Die Kammer erkennt nach zweitägiger Vernehmung des Zeugen derzeit keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussage und sieht in ihr ausdrücklich und beispielhaft eine Bekräftigung des dringenden Tatverdachts bezüglich der in der Anklageschrift unter II. 1. und II. 2. dargestellten Kokaingeschäfte. Aus dieser Wertung ergibt sich zugleich eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Zeuge auch zur Mitgliedschaft des Beschuldigten in der kriminellen Vereinigung zutreffend ausgesagt hat.

2.

Der Beschuldigte ist weiter dringend verdächtig, wie im Haftbefehl beschrieben, am 15. Mai 2000 in der gegen den Angeklagten R. und andere gerichteten Hauptverhandlung als Zeuge uneidlich falsch ausgesagt zu haben. Seine Aussage bezog sich auf den in der bezeichneten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Koblenz vom 31. März 1999 unter III. 2. c. (S. 19 - 20 und 153 - 160) dargestellte Tat der Ausweisfälschung. Die Strafkammer hat auch bezüglich dieser Tat die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Gemäß den Gründen der bezeichneten Haftentscheidung vom 8. August 2000 besteht nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme der dringende Tatverdacht weiter fort. Aus der hohen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Anklagevorwurfs ergibt sich zugleich der dringende Tatverdacht für die Unrichtigkeit der Zeugenaussage des Beschuldigten, der der Tatdarstellung in der Anklageschrift zuwider seine Beteiligung an der Beschaffung eines falschen Personalausweises im Auftrag des Angeklagten R. in Abrede gestellt hat.

Die Klärung der Frage, ob der Beschuldigte diese Straftat gleich den Rauschgiftgeschäften in Verfolgung der Ziele der kriminellen Vereinigung begangen und damit auch in diesem Fall tateinheitlich den Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB verwirklicht hat, muss der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. Ein dringender Tatverdacht lässt sich insoweit im gegebenen Verfahrensstadium nicht bejahen.

3.

Dringender Tatverdacht für die dem Beschuldigten im Haftbefehl unter 2. weiter vorgeworfenen Urkundenfälschung kann ebenfalls nicht angenommen werden. Der Senat folgt insoweit der Rechtsauffassung der Strafkammer, wonach sich das Herstellen der unechten Urkunde im gegebenen Erkenntnisstand jedenfalls für den Beschuldigten als eine der deutschen Strafgewalt nicht unterliegende Auslandstat darstellt.

Der Senat hat den Haftbefehl einschließlich der Strafvorschriften dem bestehenden dringenden Tatverdacht entsprechend angepasst. Das Verbot der Schlechterstellung gilt im Beschwerdeverfahren nicht.

Soweit die Verteidigerin vorbringt, ihr seien die im Verfahren gegen den Angeklagten R. erhobenen Tatvorwürfe nicht bekannt, ist darauf hinzuweisen, dass der Verfahrensakte ein "Sonderband Anklage" beigefügt ist, der die bezeichnete Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Koblenz vom 31. März 1999 in dem Verfahren 2113 Js 20732/95 gegen R. u.a. enthält. In der 268 Seiten umfassenden Anklageschrift sind die erhobenen Tatvorwürfe unter eingehender Würdigung der Beweismittel im Einzelnen dargestellt. Bei Schilderung der Sachverhalte, die mit denen im vorliegenden Verfahren identisch sind (vgl. Vermerk vom 4. September 2000), ist der Beschuldigte R. C. ausdrücklich als Tatbeteiligter benannt. Es bestand daher für die Verteidigerin kein Hinderungsgrund, zu den entscheidungserheblichen Grundlagen, wie sie ihr im Vermerk des Senatsvorsitzenden vom 4. September 2000 und durch nachfolgende Verfügung vom 18. September 2000 bekanntgegeben worden sind, innerhalb der gesetzten Frist Stellung zu nehmen.

4.

Ob der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gegeben ist, kann dahinstehen. In jedem Fall besteht Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), wie sie die Strafkammer in der angefochtenen Entscheidung zutreffend erkannt hat. Der Senat nimmt darauf Bezug.

Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte sich in Deutschland als Mitglied der italienischen Camorra betätigt hat und der sich daraus ergebenden Dringlichkeit der Fluchtgefahr sind weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft nicht geeignet, den Verfahrenssicherungszweck der Haft zu gewährleisten.

5.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist angesichts der Schwere des Schuldvorwurfs einerseits und der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft andererseits bedenkenfrei gewahrt. Gemäß Vermerk des zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft wird dieser nach Rückleitung der Sachakten die Ermittlungen abschließen und dem Verfahren Fortgang geben.

Ende der Entscheidung

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