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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 20.06.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 459/02
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56 f
StPO § 453 I 3
1. Hat das Gericht trotz erneuter Straffälligkeit des Verurteilten während laufender Bewährungszeit vom an sich gebotenen Widerruf abgesehen und stattdessen die Bewährungszeit verlängert, so kann es in einer Folgeentscheidung die Anwendung des § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erneut auf die Straftaten stützen, die Anlass für die Verlängerung gewesen waren.

2. § 453 Abs. 1 S. 3 StPO ist so zu verstehen, dass die mündliche Anhörung zwingend ist, wenn sie eine weitere Aufklärung verspricht oder wenn ihr keine schwerwiegenden Gründe entgegenstehen. Ein Widerruf wegen Verstößen gegen eine Therapieweisung ohne vorherige mündliche Anhörung kommt regelmäßig nicht in Betracht


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 459/02

In der Strafvollstreckungssache

wegen Diebstahls u. a.

hier: Widerruf einer Reststrafaussetzung zur Bewährung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe und die Richter am Oberlandesgericht Völpel und Summa am 20. Juni 2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mainz vom 30. April 2002 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an die Strafvollsteckungskammer zurückverwiesen.

Gründe: Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten richtet sich gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mainz vom 30. April 2002, durch den die mit Beschluss desselben Gerichts vom 5. Juli 2000 (8 StVK 178/00) bewilligte Reststrafaussetzung in dem Verfahren 1013 VRs 20707/99 - StA Bad Kreuznach ohne vorherige (mündliche oder schriftliche) Anhörung mit der Begründung widerrufen wurde, er sei während der Bewährungszeit erneut erheblich straffällig geworden (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und habe außerdem gegen (Therapie-) Weisungen verstoßen (§ 56 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Das Rechtsmittel hat entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer an den Besonderheiten des konkreten Falles formelhaft vorbeigehenden Stellungnahme vom 4. Juni 2002 einen (vorläufigen) Erfolg.

1.

Es trifft zwar zu, dass der Beschwerdeführer am 8. Mai 2001 vom Amtsgericht Mainz wegen neun im Dezember 2000 und somit während der Bewährungszeit begangener Diebstähle rechtskräftig verurteilt worden war. Da die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten aber zur Bewährung ausgesetzt worden war, hatte die Strafvollstreckungskammer in Kenntnis des bis dahin auch sonst sehr unbefriedigenden Bewährungsverlaufs von einem an sich gebotenen Widerruf gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB abgesehen und stattdessen mit Beschluss vom 2. November 2001 (Bl. 100 ff. d. A.) die mit Beschluss vom 5. Juli 2000 auf 3 Jahre festgesetzte Bewährungszeit gemäß § 56 f Abs. 2 Nr. 2 StGB um 1 1/2 Jahre verlängert. Deshalb können die am 8. Mai 2002 abgeurteilten Taten in einer Folgeentscheidung zwar noch im Rahmen einer Gesamtwürdigung Berücksichtigung finden, etwa wenn es um die Frage geht, ob trotz wiederholter Straffälligkeit eine nochmalige Anwendung des § 56 f Abs. 2 StGB in Betracht kommt, nicht aber nunmehr erneut zur Begründung der Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB herangezogen werden.

2.

Nach § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO soll das Gericht, wenn es über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen eines Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden hat, dem Verurteilten zuvor Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben. Diese Vorschrift ist so zu verstehen, dass die mündliche Anhörung zwingend ist, wenn sie eine weitere Aufklärung verspricht oder wenn ihr keine schwerwiegenden Gründe entgegenstehen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 453 Rdn. 7 m. w. N.). Ein Widerruf wegen Verstößen gegen eine Therapieweisung ohne vorherige mündliche Anhörung kommt regelmäßig nicht in Betracht (OLG Frankfurt, NStZ-RR 96, 91).

3.

Gründe, die vorliegend ein Absehen von jeglicher Anhörung rechtfertigen könnten, sind weder den Akten noch dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen (zur Dokumentationspflicht des Gerichts s. OLG Düsseldorf, NStE, Nr. 13 zu § 453 StPO). Der Strafvollstreckungskammer war aufgrund einer telefonischen Mitteilung der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach vom 11. April 2002 der Aufenthalt des Verurteilten in der Justizvollzuganstalt Augsburg bekannt. Die von ihr veranlasste Eröffnung des Sicherungshaftbefehls vom 14. März 2002 durch das Amtsgericht Augsburg am 30. April 2002 konnte die notwendige Anhörung schon deshalb nicht ersetzen, weil das entsprechende Protokoll erst 6 Tage nach Erlass der angefochtenen Entscheidung beim Landgericht Mainz einging.

Der aufgezeigte Verfahrensmangel rechtfertigt es, dass der Senat entgegen § 309 Abs. 2 StPO nicht selbst in der Sache entscheidet, sondern statt dessen unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Sache an die Strafkammer zurückverweist. Andernfalls würde dem Verurteilten eine Instanz genommen (vgl. OLG Düsseldorf, StV 87, 257).

Da noch nicht abzusehen ist, ob das Rechtsmittel des Verurteilten, der am 30. April 2002 durch das Amtsgericht Augsburg erneut rechtskräftig wegen Diebstahls verurteilt worden ist, endgültigen Erfolg haben wird, hat die Strafvollstreckungskammer auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden.

Ende der Entscheidung

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