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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 10.02.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 87/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB § 57 Abs. 1 Satz 2
Leitsätze:

1. Leugnet der Verurteilte die Tatbegehung und versperrt er damit dem Gericht die Möglichkeit, zu einer zuverlässigen Prognose seines Verhaltens nach der Haftentlassung zu gelangen, so geht dies zu seinen Lasten.

2. Zur Bedeutung des Entweichens aus der Strafhaft für eine positive Täterprognose.


Geschäftsnummer: 1 Ws 87/00 21 VRs 88/98 StA Trier

In der Strafvollstreckungssache

gegen

A. R. B., geboren am 20. Februar 1958 in T., zur Zeit in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt W.,

- Verfahrensbevollmächtigte: 1. Rechtsanwälte G. und 2. Rechtsanwalt B., wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

hier: sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und den Richter am Amtsgericht Schmickler am 10. Februar 2000

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 3. Januar 2000 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer nach vorheriger mündlicher Anhörung des Verurteilten die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Trier vom 15. Dezember 1997 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in fünf Fällen abgelehnt. Nach den Urteilsfeststellungen missbrauchte der Verurteilte seine am 27. Juni 1988 geborene Tochter N. B. zwischen Mitte 1993 und Ende 1994, indem er den Unterkörper des Mädchens entblößte, an dessen Geschlechtsteil manipulierte und mit seinem Glied zwischen ihren Beinen und an ihrem Geschlechtsteil bis zum Samenerguss rieb. Der Verurteilte bestreitet die festgestellten Straftaten.

Gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 3. Januar 2000 richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten, mit der er sein Ziel einer bedingten Entlassung weiterverfolgt. Die Justizvollzugsanstalt W. und die Staatsanwaltschaft Koblenz haben sich gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen.

Das nach § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, die mit Beschluss vom 18. Februar 1999 bereits die Entlassung des Verurteilten zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt abgelehnt hatte, entspricht der Sach- und Rechtslage.

Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer (zeitigen) Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Bei der Entscheidung sind insbesondere die in § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB aufgeführten Gesichtspunkte zu prüfen und abzuwägen. Dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit wird seit der Neufassung des § 57 StGB durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 ein höherer Stellenwert eingeräumt als der Erprobungschance des Verurteilten. Das Risiko einer Erprobung, ob der Verurteilte in Freiheit keine Straftaten mehr begeht, wird der Allgemeinheit jetzt nicht mehr von vornherein zugemutet. Vielmehr hat der Verurteilte seinerseits die weitgehend sichere Gewähr dafür zu bieten, dass er zukünftig straffrei leben wird. Darin liegt zumindest in den Fällen, in denen die Prognose unsicher ist und bei erneuter Straffälligkeit gewichtige Rechtsgüter bedroht wären, eine deutliche Verschärfung der Aussetzungsvoraussetzungen (vgl. OLG Koblenz, StV 1998, 667; NStZ 1998, 591). Klargestellt wird durch die Neufassung des § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB ferner, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit um so höher sein muss, je größer das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ist (vgl. OLG Koblenz a.a.0.).

Bei dem hier Beschwerde führenden Verurteilten fehlt die Wahrscheinlichkeit, er werde in Freiheit keine Straftaten mehr begehen.

Der Anstaltspsychologe Klein hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 29. Dezember 1998 zur Vorbereitung der Zwei-Drittel-Entscheidung ausgeführt, dass sich im Falle des Verurteilten keine genaue Prognose erstellen lasse. Da der Verurteilte eine Tatschuld vollends bestreite, lägen Hintergrund und Motivation des Tatgeschehens im Dunkeln. Die Frage, ob in den Taten pädophile Neigungen des Verurteilten zum Ausdruck kommen oder ob es sich um Ersatzhandlungen handele, lasse sich nicht beantworten. Nach Ansicht des Psychologen hat der Verurteilte sich zwar kurzfristig unter Kontrolle, jedoch könnten Probleme auftauchen, wenn er wieder in ähnliche Situationen wie zur Zeit der abgeurteilten Taten kommt.

Die Grundlage für diese psychologische Bewertung besteht auch im jetzigen Entscheidungszeitpunkt unverändert fort. Auch in seiner mündlichen Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer vom 30. Dezember 1999 hat der Verurteilte die Begehung der festgestellten Straftaten bestritten und angekündigt, ein Wiederaufnahmeverfahren beantragen zu wollen, um einen Freispruch zu erzielen.

Es ist zwar grundsätzlich das Recht eines Verurteilten, die ihm angelasteten Straftaten zu leugnen. Allerdings ist seine Situation im Vollstreckungsverfahren eine grundlegend andere als im Erkenntnisverfahren. Im letztgenannten Verfahrensabschnitt muss ihm die vorgeworfene Tat nachgewiesen werden und solange dies nicht geschehen ist, gilt er als unschuldig. Im Rahmen der Vollstreckungsentscheidung nach § 57 StGB hingegen muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen, dass die Begehung künftiger Straftaten nicht wahrscheinlich ist; der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt für die Überzeugungsbildung des Richters nicht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, § 56, Rdn. 5 m.w.N.). Das Leugnen der Tatbegehung geht also in diesem Verfahrensstadium letztlich zu Lasten des Verurteilten. Er versperrt dem Psychologen - und damit auch dem Gericht - durch seine fehlende Bereitschaft, sich mit seiner Tatschuld auseinanderzusetzen, die Möglichkeit, zu einer zuverlässigen Prognose seines künftigen Verhaltens über die Haftzeit hinaus zu gelangen. Ist auf diese Weise eine günstige Täterprognose nicht möglich, fehlt es an der entscheidenden Voraussetzung des § 57 Abs. 1 StGB für eine vorzeitige Entlassung.

Im Übrigen sind bei der Aussetzungsentscheidung nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse sowie die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

Eine Gewähr zukünftiger Straffreiheit können die Lebensumstände nicht bieten, in die der Verurteilte bei einer Aussetzung des Strafrestes entlassen würde. Zwar kann er bei seiner neuen Lebensgefährtin Unterkunft finden. Diese ist Witwe und hat drei Söhne im Alter von vier, 10 und 18 Jahren. Insoweit ist seine Lebenssituation nicht grundlegend anders als im Tatzeitraum, als er mit seiner damaligen Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern zusammenlebte und es zu den festgestellten sexuellen Übergriffen kam.

Auch die von dem Verurteilten behauptete Aussicht auf einen festen Arbeitsplatz ist für die Stellung einer günstigen Prognose nur wenig hilfreich. Das von seinem Verteidiger als Beleg hierfür zu den Akten gereichte Schreiben des möglichen Arbeitgebers besagt, dass dessen Auftragslage schwankend und eine Beschäftigung des Verurteilten nur nach Bedarf möglich ist. Außerdem möchte der Arbeitgeber den Grund der Inhaftierung des Verurteilten erfahren, den ihm dieser offenbar bisher verschwiegen hat. Hier dürfte sich für ihn daher kaum die Möglichkeit einer Daueranstellung bieten.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Verurteilte seit 1981 siebenmal strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden musste, wenn auch nicht wegen einschlägiger Verfehlungen.

Letztlich steht der für eine bedingte Entlassung erforderlichen positiven Prognose entgegen, dass bei dem Verurteilten keine günstige Wirkung des bisherigen Strafvollzugs festgestellt werden kann. Zwar ist sein Vollzugsverhalten bis zum Mai 1999 im Allgemeinen beanstandungsfrei gewesen. Allerdings ist er am 16. Mai 1999 aus dem ihm gewährten Urlaub nicht in die Justizvollzugsanstalt zurückgekehrt. Er wurde erst am 26. August 1999 erneut festgenommen und der weiteren Strafvollstreckung zugeführt. Wenngleich nicht jedes Entweichen aus der Strafhaft von vornherein zu einer negativen Sozialprognose führen muss (vgl. OLG München, StV 1986, 25), zeigt das Verhalten des Verurteilten doch auf, dass er in der Vergangenheit nicht freiwillig und uneingeschränkt am Erreichen des Vollzugsziels mitgearbeitet hat.

Eine vorzeitige Entlassung kann deshalb insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts nicht in Betracht kommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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