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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 22.02.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 97/00
Rechtsgebiete: GVG


Vorschriften:

GVG § 178
GVG § 181 Abs. 1
GVG § 182
Leitsatz:

Ungebühr vor Gericht - Anforderungen an das Sitzungsprotokoll und die Begründung der Entscheidung bei Verhängung eines Ordnungsmittels.


Geschäftsnummer: 1 Ws 97/00 8015 Js 17814/99 StA Trier

In der Strafsache

gegen

den US-Staatsangehörigen S.,

wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung

hier: Ordnungsmittel wegen Ungebühr

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am Landgericht Hardt am 22. Februar 2000

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Bitburg vom 30. November 1999 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

In der Hauptverhandlung vom 30. November 1999 ist der Angeklagte "wegen ungebührlichen Verhaltens vor Gericht zu einer Ordnungsstrafe von 150 DM, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft, verurteilt" worden. Das Gericht hat diese Entscheidung damit begründet, der Angeklagte habe "während seiner Vernehmung mehrfach und in steigender Tonlage den Gerichtsvorsitzenden angeherrscht und versucht, dessen Antworten ins Lächerliche zu ziehen. Mehrere vorausgegangene Abmahnungen des Vorsitzenden ließ er unbeachtet".

Im Sitzungsprotokoll ist zunächst die Einlassung des Angeklagten zur Sache protokolliert worden. Sodann heißt es weiter:

"Der Angeklagte erklärte weiter: Auf der Sitzungsrolle steht Bußgeldsachen drauf und Strafsachen, was soll das? Ich bin ohne Anwalt und ohne Dolmetscher.

Der Vorsitzender erklärte dem Angeklagten, dass es sich in dieser Sache um eine Strafsache handelt.

Der Angeklagte erklärte: Ich soll beruhigt sein, ich bin nicht beruhigt. Wenn ich Sie nicht richtig verstehe, dann brauche ich einen Dolmetscher. Sie haben gesagt, ich soll beruhigt sein, da dies eine Strafsache sei.

Beschluss:

Der Angeklagte wird wegen ungebührlichen Verhaltens vor Gericht zu einer Ordnungsstrafe von 150 DM, ersatzweise drei Tage Erzwingungshaft verurteilt.

Dem Angeklagten wurde die Rechtsmittelbelehrung gegen den soeben ergangenen Beschluss erteilt."

Zu der gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde des Angeklagten, die am 28. Januar 2000 bei Gericht eingegangen ist, hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und zur Begründung Folgendes ausgeführt:

"Das statthafte Rechtsmittel ist fristgerecht eingelegt worden.

Nach § 181 Abs. 1 GVG kann gegen einen Beschluss nach § 178 GVG binnen Wochenfrist nach der Bekanntmachung Beschwerde eingelegt werden. Die Bekanntmachung hat nach § 35 Abs. 1 StPO durch Verkündung zu geschehen. Bei Beschlüssen genügt es hierzu, wenn dem Betroffenen deren wesentlicher Inhalt mitgeteilt wird (LR-Wendisch, 25. Aufl., Rdnr. 5 zu § 35 StPO). Dies ist jedoch nicht geschehen; ausweislich der Sitzungsniederschrift ist lediglich der Tenor des Beschlusses verkündet worden (Bl. 35 d.A.). Der Lauf der Rechtsmittel begann somit mit der am 19. Januar 2000 erfolgten Zustellung der mit Gründen versehenen Entscheidung (Bl. 3 d.A.).

Da der Angeklagte die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels jedenfalls nicht versäumt hat, bedarf es keiner weiteren Prüfung, welche konkrete Rechtsmittelbelehrung ihm in der Hauptverhandlung erteilt worden ist. Der Protokollvermerk Bl. 35 d.A. lässt jedenfalls nicht hinreichend sicher erkennen, ob der Angeklagte über die Frist des § 181 Abs. 1 GVG in Kenntnis gesetzt worden ist. Eine fehlerhafte Belehrung hätte zur Folge gehabt, dass eine Rechtsmittelfrist überhaupt nicht in Gang gesetzt worden wäre.

Das somit nicht verfristete Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss weist mehrere Rechtsfehler auf, die zu seiner Aufhebung nötigen.

Der Amtsrichter hat zunächst gegen den Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs vor Erlass des Ordnungsmittelbeschlusses verstoßen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls der Hauptverhandlung ist der Angeklagte vor Erlass des Beschlusses nicht angehört worden. Weder das Sitzungsprotokoll noch die angefochtene Entscheidung selbst enthalten hierzu entsprechende Ausführungen. Es ist aber anerkannten Rechts, dass dem von der Verhängung eines ordnungsmittels Betroffenen zuvor rechtliches Gehör zu gewähren ist, denn der Anspruch auf Gehör vor Gericht besteht für jedermann, in dessen Rechtsstellung nachteilig in Ausübung richterlicher Gewalt eingegriffen wird. Die Anhörung hätte nur unterbleiben können, wenn sie - was sich der Niederschrift nicht entnehmen lässt - unzumutbar oder unmöglich gewesen wäre; sie kann in der Beschwerdeinstanz nicht nachgeholt werden.

Der Beschluss genügt auch nicht den weiteren Voraussetzungen der §§ 178, 182 GVG.

Die Verhängung eines Ordnungsmittels ist gemäß § 178 Ab. 1 S. 1 GVG gegen die dort aufgeführten Personen unter der Voraussetzung möglich, dass sie sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig gemacht haben. Für das hierbei einzuhaltende Verfahren schreibt § 182 GVG vor, dass der Beschluss des Gerichts und dessen Veranlassung in das Protokoll aufzunehmen sind. Die Vorschrift bezweckt, den gesamten Geschehensablauf, der zu dem Beschluss geführt hat, urkundlich festzuhalten und so die Grundlage dafür zu schaffen, dass im Falle der Anfechtung das Beschwerdegericht Grund und Höhe der Ordnungsmittelfestsetzung ohne eigene Ermittlungen oder Beweiserhebungen, also allein aufgrund der protokollierten Feststellungen nachprüfen kann (OLG Koblenz, Beschluss vom 2. September 1992 - 2 Ws 434/92 -). Das Protokoll muss daher die konkrete Darstellung des Sachverhalts (die "Veranlassung") und gesondert hiervon den Beschluss mit der vorgeschriebenen Begründung (§ 34 StPO) enthalten. Fehlt dem Beschluss die Begründung oder ist die Begründung unzureichend, ist dieser Mangel ausnahmsweise unschädlich, wenn aufgrund des Protokollvermerks über die Veranlassung des Beschlusses davon auszugehen ist, dass die Gründe hierfür auch für den Beschwerdeführer außer Zweifel standen, und wenn der Protokollvermerk dem Beschwerdegericht die volle Nachprüfung des Ordnungsmittelbeschlusses ermöglicht (OLG Koblenz, aa0 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Hier ist es dem Beschwerdegericht auf der Grundlage des Sitzungsprotokolls nicht möglich, den angefochtenen Ordnungsgeldbeschluss auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Der Protokollinhalt lässt nicht erkennen, worin das Gericht ein ungebührliches Benehmen des Angeklagten gesehen hat. Um die Überprüfbarkeit durch das Beschwerdegericht zu ermöglichen, hätte in dem Protokoll der tatsächliche Geschehensablauf festgehalten werden müssen, den das Gericht mit dem Ordnungsmittel ahnden wollte. Das Versäumte ist hier auch nicht wirksam durch die schriftliche Begründung nachgeholt worden. Denn die fehlende Darstellung in der Sitzungsniederschrift kann auch durch nachträglich abgegebene Erklärungen des Vorsitzenden oder des Protokollführers oder anderer Verfahrensbeteiligter allenfalls dann ersetzt werden, wenn de Darstellung in den Beschlussgründen ausreicht, um Grund und Höhe der Sanktion im Beschwerdeverfahren nachprüfen zu können. Ein derartiger Ausnahmefall, in dem das Fehlen der Sachdarstellung im Protokoll ausnahmsweise unschädlich ist, liegt hier nicht vor. Die Beschlussbegründung erschöpft sich in abstrakten und wertenden Begriffen, die keine hinreichend sichere Tatsachenfeststellungen für das Vorliegen einer "Ungebühr" i.S.d. § 178 GVG zulassen. Auch die "vorangegangenen Abmahnungen des Vorsitzenden" sind aus dem Protokoll nicht ersichtlich.

Der angefochtene Beschluss wird somit aufzuheben sein. Eine Zurückverweisung an das Amtsgericht zu erneuter Beschlussfassung scheidet aus, da die sitzungspolizeiliche Gewalt des Gerichts mit Abschluss der Sitzung endet."

Diese Ausführungen sind zutreffend. Der Senat schließt sich ihnen an.

Ende der Entscheidung

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