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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 14.06.2002
Aktenzeichen: 10 U 1733/01
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 22
1. Zu den Voraussetzungen der Anfechtung eines Lebensversicherungsvertrages mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung wegen arglistiger Täuschung, wenn der Versicherungsnehmer bei Antragstellung eine ihm seit 5 Jahren bekannte Diabetes mellitus-Erkrankung mit Insulinpflichtigkeit verschweigt (in Anknüpfung an Senatsurteile vom 20. April 2001 - 10 U 1003/00 - VersR 2002, 222 = NVersZ 2001, H. 11; 28.11.1997 - 10 U 714/96 - NVersZ 1999, 72 f.; vom 9.10.1998 - 10 U 1133/97 - NVersZ 2001, 472 f.).
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO a.F.)

Geschäftsnummer: 10 U 1733/01

Verkündet am 14. Juni 2002

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert und Dr. Koch auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 9. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der Kosten des Verfahrens 10 U 1003/00, zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) in Anspruch.

Der Kläger schloss am 14.03.1989 unter Vermittlung durch den Leiter der Sparkasse in Z, den Zeugen H S, bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab. In dem Antragsformular, welches der Zeuge S ausfüllte, nachdem er die Fragen mit dem Kläger einzeln durchgesprochen hatte, und welches vom Kläger sodann unterschrieben wurde, ist die Frage danach, ob der Antragsteller zur Zeit vollkommen gesund sei, mit "ja" beantwortet. Auch die Frage nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen in den letzten fünf Jahren ist mit "Ja" beantwortet. Nach den Angaben im Antragsformular fand im Jahr 1988 eine Routineuntersuchung bei dem Hausarzt des Klägers, Herrn Dr. W, statt, die im Ergebnis "ohne Befund" blieb.

Unstreitig war, dass der Kläger seit ca. 1984 an einem ihm bekannten "Diabetes mellitus" litt und seit 1988 insulinpflichtig war. In der Zeit vom 17.10. bis zum 08.11.1988, vom 08. 02. bis zum 25.02.1989 und in der Zeit vom 05.01. bis zum 19.01.1991 befand sich der Kläger jeweils wegen Diabetes mellitus in stationärer Behandlung. Nachdem der Kläger bei der Beklagten im Dezember 1998 Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit aufgrund des geschlossenen Vertrags gestellt hatte, focht die Beklagte den geschlossenen Vertrag im Hinblick auf die im Antragsformular nicht angegebene Vorerkrankung "Diabetes mellitus" wegen arglistiger Täuschung mit Schreiben vom 22. 03. 1999 an und verweigerte die beantragte Leistung unter gleichzeitiger Rückvergütung der durch den Kläger gezahlten Beiträge.

Der Kläger hat geltend gemacht, ab 1. Juli 1995 wegen einer Polineuropathie sowie Diabetes mellitus berufsunfähig zu sein, da er seinen erlernten Beruf nur noch weniger als halbschichtig verrichten könne. Der Leiter der Sparkasse habe ihm bei Vertragsschluss im Jahre 1989 auf ausdrückliches Nachfragen erklärt, dass eine Gesundheitsprüfung nicht erforderlich sei. Eine arglistige Täuschung liege nicht vor.

Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers ohne Beweisaufnahme zunächst abgewiesen. Das Berufungsverfahren vor dem Senat (10 U 1003/00) führte mit Urteil vom 20. April 2001 zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht wegen eines erheblichen Verfahrensmangels. Das Landgericht hatte u.a. die Beweislast für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung verkannt und die "Auge und Ohr-Rechtsprechung" des BGH nicht beachtet (VersR 2002, 222 = NVersZ 2001, 503). Das Landgericht ist nunmehr nach Durchführung der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der Auge und Ohr-Rechtsprechung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger der Beklagten arglistig verschwiegen habe, dass er an Diabetes mellitus erkrankt sei. Hiergegen wendet sich nunmehr die erneute Berufung des Klägers. Der Kläger greift die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung an und stellt nunmehr in Abrede, vor Abschluss des Versicherungsvertrages an Diabetes mellitus erkrankt zu sein.

II.

Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte den Vertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat (§ 22 VGV i.V.m. §§123, 124 BGB).

1) Die Berufung kann mit ihrer neuen Argumentation keinen Erfolg haben. Ausgehend von dem bis zum zweiten Berufungsverfahren unstreitigen Sachverhalt, dass der Kläger seit 1984, d.h. ca. 5 Jahre vor Antragstellung, an Diabetes mellitus litt, und ca. 1 Jahr vor Antragstellung bereits insulinpflichtig war, ist mit dem Landgericht anzunehmen, dass der Kläger arglistig diese schwerwiegende Erkrankung der Beklagten verschwiegen hat. Dies hat eindeutig die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme ergeben. Der Zeuge S hat hierzu bekundet, dass er von dem Kläger keine Kenntnis über eine angebliche Diabetes mellitus-Erkrankung gehabt habe. Auch von dritter Seite habe er diesbezüglich keinerlei Informationen gehabt. Der Zeuge hat angegeben, dass er die Befragung des Klägers nach Maßgabe des Antragbogens durchgeführt und die ihm gegebenen Antworten ins Formular eingetragen habe.

a) Das Landgericht hat sich eingehend mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen S und auch der Glaubwürdigkeit des Klägers auseinandergesetzt. Der Kläger hat zwar angegeben, dass er eigentlich bei der Bank nur Geld habe anlegen wollen, dann aber von dem Zeugen S zum Abschluss einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung überredet worden sei. Warum der Zeuge S dem Kläger, der den Zeugen S als seinen Freund bezeichnet, eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Kenntnis eines bestehenden Diabetes mellitus und eines zu erwartenden Leistungsausschlusses im Versicherungsfall "aufschwatzen" sollte, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr ist die Bekundung des Zeugen glaubhaft, dass er ist im Nachhinein gehört habe, dass der Kläger gesundheitliche Probleme habe. Der Kläger hat hierzu in der Beweisaufnahme angegeben, dass er selbst hinsichtlich seines Gesundheitszustandes damals nicht mehr gewusst habe als der Zeuge S.

b) Gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers spricht jedenfalls entscheidend auch sein jetziges Prozessverhalten. Hat er in dem Ausgangsverfahren beharrlich behauptet, er habe den Zeugen S von seiner "Zuckerkrankheit" in Kenntnis gesetzt, bestreitet er nunmehr im zweiten Berufungsverfahren erstmals, dass er seinerzeit bereits an Diabetes mellitus erkrankt gewesen sei. Ungeachtet dessen, dass sich der Kläger auf Grund der Geständniswirkung seiner früheren Erklärung an seinem Vortrag festhalten lassen (§ 288 ZPO) muss, denn er legt keine Gründe für eine Lösung hiervon dar, liegen ärztliche Berichte und Urkunden vor, dass der Kläger bereits vor 1989 an Diabetes mellitus erkrankt war. So wird in dem Bericht der BfA vom 24.4.1995 (Anlage B 6, GA 42, 49) ausgeführt, es sei seit 10 Jahren ein Diabetes mellitus bekannt, seit 1988 sei der Kläger insulinpflichtig. In dem Arztbericht Dres. L und D vom 28.8.1992 (Anlage B 4, GA 40) heißt es sogar, seit 8 Jahren sei ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus bekannt. In dem Arztbericht des St. Josef-Krankenhauses H vom 12.9.1994 (Anlage B 5, GA 41) wird ausgeführt, dem Kläger sei seit 10 Jahren ein Diabetes mellitus bekannt. Ferner wird in dem Arztbericht der Dres. S und R (Anlage B 7, GA 52) dargelegt, dass der Kläger seit 10 Jahren an dieser Erkrankung leide. Wenn die Berufung nunmehr auf angebliche Laborwerte aus 1989 (GA 169) und 1990 (GA 172) verweist, wonach die Zuckerwerte in Ordnung seien, ist dieser Vortrag nicht geeignet, die Frage der Diabetes mellitus-Erkrankung vor 1989 in Frage zu stellen. Eine weitere Beweisaufnahme hierzu ist angesichts des wechselnden Vertrags des Klägers und der durch eine Vielzahl von Arztberichten gestützten Geständniswirkung seiner früheren Erklärung zu seiner Zuckererkrankung nicht angezeigt. Die Berufung kann die vorliegenden Arztberichte und die Geständniswirkung der früheren Erklärungen des Klägers nicht dadurch entkräften, dass vorgetragen wird, es fehle an entsprechenden Laborbefunden vor 1989, um gesichert das Bestehen einer Diabetes mellitus-Erkrankung verifizieren zu können.

2) Der Senat ist auch auf Grund des jetzigen Prozessverhaltens des Kläger davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass der Kläger seinerzeit das Vorliegen seiner Erkrankung verschwiegen hat, um den Abschluss der Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht zu gefährden.

Voraussetzung für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist, dass der Versicherungsnehmer mit der wissentlich falschen Angabe von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und Offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache (BGH Urteil vom 28.11.1984 - IV a ZR 81/83 - VersR 1985, 156, 157; Urteil vom 12.11.1986 - IV a ZR 186/85 - VersR 1987, 91; Senatsurteil vom 28.11.1997 - 10 U 714/96 - NVersZ 1999, 72 f.; vom 9.10.1998 - 10 U 1133/97 - NVersZ 1999, 472 f.; OLG Hamburg Urteil vom 8.7.1971 - 6 U 62/70 - VersR 1971, 902; Prölss/Martin, VVG Kommentar 26. Aufl. 1998, § 22 Rn. 4, 8/9). Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann in der Praxis der Beweis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden. Dies bedeutet, dass in der Regel, wenn schwere Erkrankungen oder erkennbar chronische Erkrankungen oder Krankenhausaufenthalte verschwiegen worden sind, ein solches Bewusstsein anzunehmen ist, dagegen beim Verschweigen leichterer Erkrankungen oder solcher, die vom Versicherungsnehmer als solche angesehen werden, der Beweis als nicht geführt angesehen werden muss (Senatsurteil vom 19. Mai 2000 10 U 824/99 NVersZ 2001, 74; Senat, VersR 1998, 1226; VersR 1995, 689; OLG Hamburg, VersR 1971, 902).

Hier handelt es sich um eine schwerwiegende Erkrankung. Dem Kläger war bewusst, dass er bei Angabe dieser Erkrankung damit rechnen musste, dass die Beklagte den Versicherungsantrag nicht bzw. nicht zu den vereinbarten Bedingungen annehmen werde.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708. Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 36.511,92 DM festgesetzt (vgl. Senatsurteil vom 20.4.2001).

Ende der Entscheidung

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