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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 04.05.2001
Aktenzeichen: 10 U 490/00
Rechtsgebiete: Nachbarrechtsgesetz Rhl.-Pf.


Vorschriften:

Nachbarrechtsgesetz Rhl.-Pf. § 44 Nr. 1
Nachbarrechtsgesetz Rhl.-Pf. § 46 Abs. 1
Nachbarrechtsgesetz Rhl.-Pf. § 46 Abs. 2 Nr. 3

Entscheidung wurde am 27.10.2001 korrigiert: Leitsatz eingefügt
Nach § 46 Abs. 2 Nr. 3 Nachbarrechtsgesetz gelten die doppelten Grenzabstände nach §§ 44 und 45 nicht für Anpflanzungen zum Schutze von erosions- und rutschgefährdeten Böschungen oder steilen Hängen. Die Ausnahmevorschrift des § 46 Abs. Nr. 3 Nachbarrechtsgesetz gilt auch für künstlich geschaffene Erhöhungen oder Aufschüttungen, wie Böschungen. Diese Ausnahmevorschrift entbindet jedoch nicht davon, entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit das für den Nachbarn mildeste Mittel anzuwenden, d. h. die am wenigsten nachbarliche Belange beeinträchtigenden Bäume und Sträucher anzupflanzen. Dabei sind die Vorgaben des Bebauungsplans hinsichtlich der vorgegebenen Zusammensetzung der Gehölze und Sträucher einzuhalten.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES Urteil (abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)

10 U 490/00

Verkündet am: 4. Mai 2001

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz, Weiss und Dr. Reinert auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 23. Februar 2000 aufgehoben und die Sache an die Kammer zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Landgerichts vorbehalten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat vorläufigen Erfolg. Das Verfahren des ersten Rechtszuges leidet an einem wesentlichen Mangel. Auf die Berufung des Klägers war deshalb das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen (§ 539 ZPO).

1) Vorab ist zur materiell-rechtlichen Lage folgendes zu bemerken: Nach § 44 Nr. 1 Nachbarrechtsgesetz Rhl.-Pf. haben Eigentümer und Nutzungsberechtigte eines Grundstücks mit Bäumen, Sträuchern und einzelnen Rebstöcken von den Nachbargrundstücken grundsätzlich die in dieser Bestimmung festgelegten Grenzabstände zu Nachbargrundstücken einzuhalten. Dies sind bei sehr stark wachsenden Bäumen (ausgenommen Obstbäumen) mit artgemäß ähnlicher Ausdehnung, wie u.a Pappelarten, Bergahorn u. a. 4 m, bei stark wachsenden Bäumen 2 m und bei allen übrigen Bäumen 1,5 m. Gemäß § 46 Abs. 1 Nachbarrechtsgesetz sind die doppelten Abstände nach den §§ 44 und 45, in den Fällen des § 44 Nr. 1 a und Nr. 2 a jedoch die 1 1/2fachen Abstände für die Pappelarten einzuhalten gegenüber Grundstücken, die dem Weinbau dienen oder landwirtschaftlich, erwerbsgärtnerisch oder kleingärtnerisch genutzt werden, sofern nicht durch Bebauungsplan eine andere Nutzung festgelegt ist, oder durch Bebauungsplan dieser Nutzung vorbehalten sind. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 3 Nachbarrechtsgesetz gelten die Grenzabstände nicht für Anpflanzungen zum Schutze von erosions- und rutschgefährdeten Böschungen oder steilen Hängen. Die Ausnahmevorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 3 Nachbarrechtsgesetz gilt entgegen der Auffassung der Berufung auch für künstlich geschaffene Erhöhungen oder Aufschüttungen, wie Böschungen (vgl. Hülbusch/Bauer/Schlick, Nachbarrecht für Rheinland-Pfalz und das Saarland, 5. Aufl., § 43 Rn. 9).

Allerdings vermag der Senat der Auffassung des Landgerichts hinsichtlich der Auslegung des § 46 Abs. 2 Nr. 3 Nachbarrechtsgesetz nicht zu folgen. Die Ausnahmevorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 3, wonach die §§ 44 und 45 nicht für Anpflanzungen zum Schutze von erosions- und rutschgefährdeten Böschungen und Hängen gelten, entbindet nicht davon, entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit das für den Nachbarn mildeste Mittel anzuwenden, d. h. im konkreten Fall die am wenigsten nachbarliche Belange beeinträchtigenden Bäume und Sträucher anzupflanzen. Übergreifender Schutzgedanke des § 43 Nachbarrechtsgesetz ist es, Eingriffe in Nachbarrechte nur soweit zu erlauben, wie es aufgrund der Gegebenheiten erforderlich ist. Dabei sind selbstverständlich die Vorgaben durch den Bebauungsplan einzuhalten, wonach der Lärm- und Sichtschutzwall mit mindestens 75 % standortgerechten einheimischen Gehölzen und unter Beimischung bis zu 25 % von immergrünen Gehölzen mit besonderer Eignung für den Lärmschutz zu begrünen ist. Die Anteile von Bäumen und Sträuchern sollen 80 %, Heister 15 % und Bäumen 1. Ordnung 5 % betragen.

2) Ausgehend von diesen materiellrechtlichen Vorgaben macht die Berufung zu Recht eine Verletzung des § 286 ZPO geltend, welche eine Aufhebung des Urteils zur weiteren Sachaufklärung durch das Landgericht notwendig macht. Das Landgericht hat als unstreitig angesehen, dass der Lärmschutzwall erosions- und rutschgefährdet ist. Der Kläger hat indes in der Klageschrift das Bestehen einer Erosionsgefahr und die Notwendigkeit der Anpflanzung der im Klageantrag näher bezeichneten stark und sehr stark wachsenden Bäumen und sonstigen Bäume (§ 44 Nr. 1 Nachbarrechtsgesetz) bestritten. Die Frage, ob der Lärmschutzwall aufgrund seiner Neigung zum Grundstück des Klägers erosions- und abrutschgefährdet ist, ist für den Umstand, welche Bepflanzung des Erdwalls in Betracht kommt, von wesentlicher Bedeutung. Der Kläger hat u. a. Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Diesem Beweiserbieten wird das Landgericht nachgehen müssen. Die Beklagte hat auch den Vortrag bestritten, ob die stark wachsenden Bäume sich nur auf der dem Grundstück des Klägers zugewandten Seite befinden, während die schwach wachsenden Bäume überwiegend auf der anderen Seite des Lärmschutzwalls gelegen sind. Auch diese Frage wird im Rahmen der durchzuführenden Beweisaufnahme zu klären sein. Unter Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Vorgaben wird das Landgericht Beweis darüber erheben müssen, ob die Beklagte den Lärm- und Sichtschutzwall auch mit weniger die Nachbarbelange des Klägers beeinträchigenden Anpflanzungen bestücken kann, ohne dass eine Erosionsgefahr entsteht und die öffentlich-rechtlichen Belange, die durch den Bebauungsplan vorgegeben sind (Lärm- und Sichtschutz) beeinträchtigt werden. Insbesondere wird der Frage nachzugehen sein, ob anstatt der Anpflanzung sehr stark wachsender Bäume die Anpflanzung weniger stark wachsender Bäume oder auch Hecken möglich ist, um die nachbarschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Belange in Einklang zu bringen. Hinsichtlich der Erosions- und Rutschgefahr des Erdwalls wird das Landgericht, ggf. auch durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, dem Vortrag der Beklagten nachgehen müssen, ob der Kläger durch Entnahme von Grundwasser zur Bewässerung der Johannisbeeren durch einen nicht genehmigten Brunnen eine Erhöhung der Erosions- und Rutschgefahr verursacht hat, was ggf. Auswirkungen auf die erforderliche Bepflanzung des Erdwalls haben kann.

3) Hinsichtlich der Widerklage war zwischen den Parteien bereits in erster Instanz streitig, ob die Johannisbeersträucher des Klägers den Grenzabstand von 0,5 m zur Grenze eingehalten haben (GA 56). Das Landgericht hat dies übersehen und ist ohne weitere Sachaufklärung zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger der Vorlage einer gegenteiligen schriftlichen Mitteilung des Vermessungsingenieurs K nicht widersprochen habe. Auch hierüber wird das Landgericht Beweis erheben müssen.

Im Hinblick auf die Vielzahl aufklärungsbedürftiger Punkte, die ggf. die Einholung eines Sachverständigengutachtens und eine Ortsbesichtigung erforderlich machen, sieht der Senat von einer eigenen Sachbehandlung aufgrund der wesentlichen Verfahrensmängel ab.

Der Streitwert und die Beschwer der Beklagten betragen 22.000,-- DM.



Ende der Entscheidung

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