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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 25.02.2000
Aktenzeichen: 10 U 521/99
Rechtsgebiete: AUB 61


Vorschriften:

AUB 61 § 2 (1)
AUB 61 § 3 (4)
Ein Unfall im Sinne von § 2 (1) AUB 61 liegt nicht vor, wenn der Versicherte aufgrund einer Metastasierung im Kleinhirn nicht mehr in Lage ist, seinen Bewegungsablauf zu koordinieren, aufgrund dessen beim Begehen einer Treppe in sich zusammenbricht, stürzt und gegen einen Heizkörper anstößt. Dieser Vorgang kann nicht derart in Teilakte aufgesplittet werden, daß sich die Frage des Vorliegens eines Versicherungsfalles von der Ebene der Feststellung des tatbestandlichen Vorliegens eines Unfalls nach § 2 (1) AUB 61 (Beweislast Versicherungsnehmer) auf die Ebene der Ausschlußgründe gemäß § 3 (4) AUB 61 (Beweislast Versicherer) verlagert.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

- abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO -

Geschäftsnummer: 10 U 521/99

Verkündet am 25. Februar 2000

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner und die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz und Dr. Reinert

auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 2. März 1999 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Unfallversicherung in Anspruch, Der verstorbene Ehemann der Klägerin schloß bei der Beklagten im Jahre 1985 einen Unfallversicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme von 20.000 DM ab. Bezugsberechtigte aus dem Vertrag war die Klägerin. Am 30. Mai 1997 stürzte der Ehemann der Klägerin auf einer Treppe in seiner Wohnung und stieß gegen einen Heizkörper. Aufgrund dieses Sturzes entwickelte sich unter der harten Hirnhaut auf der linken Seite eine Blutung. Zur Entfernung dieser Blutung fand noch am Tage des Sturzes ein operativer Eingriff statt. Am 3. Tage nach der Operation verstarb der Ehemann der Klägerin.

Die Klägerin hat vorgetragen, der Treppensturz ihres Ehemannes stelle einen Unfall dar, aufgrund dessen dieser eine Gesundheitsbeschädigung, nämlich eine Gehirnblutung, erlitten habe, welche letztlich zu seinem Tod geführt habe. Die Beklagte hat Leistungen aus der Unfallversicherung mit der Begründung abgelehnt, daß der Tod des Ehemannes nicht unfallbedingt eingetreten sei. Vielmehr sei dieser an den Komplikationen seines vorbestehenden Lungenkrebsleidens und der ausgedehnten Metastasierung in verschiedenen Organsystemen verstorben.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

II.

Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Senat schließt sich den Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie Bezug, § 543 Abs.1 ZPO. Das Berufungsvorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

1) Dem Versicherungsvertrag liegen entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht die AUB 88, sondern die AUB 61 zugrunde. Im Ergebnis führt dies jedoch nicht zu einer abweichenden Beurteilung des Geschehens.

a) Nach § 2 (1) AUB 61 liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Beruht dagegen ein Ereignis auf einem inneren organischen, zumeist auch krankhaften Vorgang des menschlichen Körpers, so liegt kein Unfall vor. Zutreffend ist das Landgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme davon ausgegangen, daß der Tod des Ehemanns der Klägerin nicht durch einen Unfall, sondern durch einen inneren organischen und krankhaften Vorgang hervorgerufen wurde. Zwar spricht der Sturz von einer Treppe und der Anstoß des Hinterkopfes gegen einen Heizkörper vom äußeren Bild des Geschehens zunächst für das Vorliegen eines Unfalles. Die Besonderheit besteht vorliegend indes darin, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Sturz von der Treppe mit dem Versagen der körperinternen Funktionen einherging. Aufgrund der Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. Reinhard Sch, Facharzt für Pathologie, muß davon ausgegangen werden, daß es aufgrund der Metastasierung im Kleinhirn eine Koordinierung des Bewegungsablaufes nicht mehr möglich war, der verstorbene Ehemann der Klägerin gewissermaßen in sich zusammengebrochen und gestürzt war. Entgegen der Auffassung der Berufung kann vorliegend das Gesamtgeschehen, Koordinierungsstörungen infolge der Metastasierung des Kleinhirns und Zusammenbruch des menschlichen Organismus einerseits, und Sturz von der Treppe mit Anstoß an den Heizkörper anderseits, nicht in Teilakte aufgesplittet werden, mit der von der Berufung angestrebten Konsequenz, daß sich die Frage des Vorliegens eines Versicherungsfalles von der Ebene der Feststellung des tatbestandlichen Vorliegens eines Unfalls nach § 2 (1) AUB 61 (Beweislast Versicherungsnehmer, Begünstigte) auf die Ebene der Ausschlußgründe gemäß § 3 (4) AUB 61 (Beweislast Versicherer) verlagert. Dies wird den Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls nicht gerecht.

Denn der sachverständige Zeuge Dr. Sch hat überzeugend ausgeführt, daß Todesursache letztlich das Tumorleiden gewesen sei, das darauf zurückzuführen sei, daß der Ehemann der Klägerin aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Dachdecker mit Asbest Berührung gehabt habe. Dieses Tumorleiden habe bereits Lymphknoten und Organmetastasen gesetzt und über zentrale Komplikationen nach einer Sturzverletzung und eingetretener Blutung auf der Außenseite der linken Großhirnhälfte letztlich den Tod bewirkt. Der sachverständige Zeuge Dr. Sch verwies darauf, daß sich dieser Sturz bereits durch die in den Arztbriefen zuvor angegebene Fallneigung nach links und durch später dokumentierte Sehstörungen angedeutet habe. Die Gehirnblutung habe sich auf der Seite befunden, wo sich die Fallneigung zeigte. Gegen ein von außen auf den Körper des Klägers einwirkendes Ereignis spricht, daß der Ehemann der Klägerin im April 1997, d.h. in zeitlicher Nähe zu dem hier streitgegenständlichen Geschehen, einen Unfall hatte, indem er mit dem PKW gegen einen Pfeiler fuhr. Dieser Unfall beruhte darauf, daß der Ehemann der Klägerin nicht mehr in der Lage war, sich zu orientieren. Dr. Sch führte aus, daß aufgrund medizinischer Erfahrungen davon auszugehen sei, daß die Koordinierungsstörungen bedingt durch die Metastasen im Kleinhirn eingetreten seien und bereits ein leichtes Stolpern genüge, um die Treppe hinab zu stürzen.

b) Letztlich liegen selbst bei Annahme eines Unfallereignisses im Sinne von § 2 Abs. 1 AUB 61 die Voraussetzungen für einen Anspruch nicht vor. Denn die Beklagte kann sich auf einen Ausschlußgrund stützen. Nach § 3 (4) AUB 61 sind solche Unfälle von der Versicherung ausgeschlossen, die infolge von Schlaganfällen, epileptischen Anfällen, und solchen Krampfanfällen, die den ganzen Körper des Versicherten ergreifen, sowie von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen entstehen. Der sachverständige Zeuge Dr. Sch hat hierzu ausgeführt, daß er es für sehr wahrscheinlich halte, daß hier aufgrund der Metastasierung im Kleinhirn und der damit regelmäßig verbundenen Koordinierungsstörung im Bewegungsablauf ein zentraler Krampfanfall vorgelegen habe. Diese in sich nachvollziehbare Bewertung genügt zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung der Beweisanforderungen gemäß § 286 ZPO, um die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Ausschlußtatbestandes nach § 3 (4) AUB 61 anzunehmen.

Die Berufung war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 546 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache ist weder von grundsätzlicher Bedeutung, noch weicht der Senat von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ab.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert der Berufung beträgt 20.000 DM. Dieser entspricht der Beschwer der Klägerin.

Ende der Entscheidung

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