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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 14.07.2006
Aktenzeichen: 10 U 56/06
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 23
VVG § 23 Abs. 1
VVG § 25
VVG § 25 Abs. 1
VVG § 25 Abs. 2 Satz 2
VVG § 61
"Tuning" als Gefahrerhöhung; Leistungsfreiheit kommt auch dann in Betracht, wenn die mit dem Tuning verbundenen technischen Veränderungen nicht als solche unmittelbar unfallursächlich sind, aber nach den Gesamtumständen von einem unfallursächlichen Einfluss auf das Fahrverhalten des Fahrzeuglenkers auszugehen ist (hier: Riskantes Fahrmanöver eines jugendlichen Fahrers - nicht Repräsentant - unter Alkoholeinfluss).
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 10 U 56/06

Verkündet am 14. Juli 2006

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und die Richterin am Landgericht Dr. Beckmann auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 22. Dezember 2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Das Versäumnisurteil vom 12. April 2005 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens, hat der Kläger zu tragen, ausgenommen sind die Kosten der Säumnis erster Instanz, die der Beklagte zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von dem beklagten Versicherungsverein Leistung aus einer Fahrzeugvollversicherung.

Er war Halter und Eigentümer eines PKW Marke Audi 80 Cabrio, der bei dem Beklagten vollkaskoversichert war, wobei eine Selbstbeteiligung des Klägers je Schadensfall von 332 € vereinbart wurde.

Der Kläger hatte an dem Fahrzeug folgende Veränderungen vorgenommen bzw. vornehmen lassen:

- Veränderung der Bereifung (215/45 ZR 17 auf Felgen real 7,5 J 17 H 2 ET 35)

- Spurverbreiterung durch Distanzringe von 10 mm Dicke an der Vorderachse und 15 mm Dicke an der Hinterachse

- Leistungssteigerung durch Öttinger-Bausatz von 66 kW- auf 81 kW-Motorleistung

- Tieferlegung des Fahrwerks.

Am Sonntag, dem 6. Juni 2004, erlitt das Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall Totalschaden.

Der Kläger hatte das Fahrzeug seinem Sohn zum Gebrauch überlassen. Dieser unternahm mit seinem Bekannten, U... M..., eine Fahrt. Nachdem der Sohn des Klägers und U... M... alkoholische Getränke zu sich genommen hatten - eine spätere Untersuchung ergab für U... M... bezogen auf den Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,85 Promille, für den Sohn des Klägers eine solche von 1,26 Promille - überließ der Sohn des Klägers die Führung des Fahrzeuges U... M.... Gegen 23.20 Uhr fuhren beide aus Richtung L... auf der L ... in Richtung E.... Dort kam es zu einem schweren Unfall, der dadurch ausgelöst wurde, dass U... M... während der Fahrt die Handbremse des Fahrzeugs anzog, woraufhin dieses ins Schleudern geriet und von der Fahrbahn abkam. Das Fahrzeug überschlug sich. Während der Sohn des Klägers nur leichtere Verletzungen erlitt, waren diejenigen von U... M... so schwer, dass er diesen noch an der Unfallstelle erlag.

Auf Grund des Unfalles erlitt das Fahrzeug des Klägers einen wirtschaftlichen Totalschaden. Der Wiederbeschaffungswert beträgt 12.000,-- Euro. Der Restwert beläuft sich auf 2.222,-- Euro.

Auf Antrag des Klägers hat das Landgericht am 12. April 2005 gegen den Beklagten ein Versäumnisurteil erlassen, wodurch diese verurteilt wurde, an den Kläger 9.446 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 24. März 2005, dem Zustellungszeitpunkt der Klageschrift, zu zahlen.

Gegen das zugestellte Versäumnisurteil hatte der Beklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.

Im Einspruchstermin hat der Kläger die Auffassung vertreten, ihm stünde der begehrte Leistungsanspruch gegen den Beklagten zu, da ihm das Verhalten seines Sohnes im Zusammenhang mit dem Unfall unter versicherungsrechtlichen Gesichtspunkten (Repräsentantenstellung) nicht zuzurechnen sei. Darüber hinaus habe sein Sohn auch nicht grob fahrlässig gehandelt. Ein Leistungsausschluss folge auch nicht aus den vorgenommenen Veränderungen am Fahrzeug, selbst wenn infolge dieser Veränderungen die Betriebserlaubnis erloschen sei. Das Unfallereignis stehe mit diesen Veränderungen in keinem ursächlichen Zusammenhang.

Der Kläger hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 12. April 2005 aufrecht zu erhalten.

Der Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 12. April 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Sohn des Klägers sei zum Unfallzeitpunkt als Repräsentant des Klägers anzusehen gewesen, so dass dessen Verhalten dem Kläger im Rahmen des Versicherungsvertragsverhältnisses zugerechnet werden müsse. Der Sohn des Klägers habe grob fahrlässig gehandelt. Schließlich sei er auch von einer Leistungspflicht deshalb frei geworden, weil an dem Fahrzeug Änderungen vorgenommen worden seien, die zum Erlöschen der Betriebserlaubnis geführt hätten.

Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz hat mit Urteil vom 22. Dezember 2005 das Versäumnisurteil aufrechterhalten.

Das Landgericht vertritt die Auffassung, dass sich der Beklagte vorliegend nicht mit Erfolg auf eine Leistungsfreiheit berufen könne. Unabhängig von der Repräsentantenfrage liege bereits keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 61 VVG durch den Sohn des Klägers vor. Der Umstand, dass der Sohn des Klägers das streitbefangene Fahrzeug seinem alkoholisierten Freund überlassen habe, stelle keine schwerwiegende Pflichtverletzung im Sinne grober Fahrlässigkeit dar.

Ebenso wenig sei der Beklagte nach §§ 23, 25 VVG von ihrer Pflicht zur Leistung frei geworden, da die Veränderungen am Fahrzeug zwar vermutlicherweise eine Gefahrerhöhung bewirkt hätten, dem Kläger jedoch der Kausalitätsgegenbeweis gelungen sei, da die Veränderungen laut Gutachten des Sachverständigen B... vom 11. August 2004 (Bl. 88 ff. der Ermittlungsakte) aus technischer Sicht keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen gehabt hätten. Unfallursächlich sei das Ziehen der Handbremse bei einer Geschwindigkeit von 100 bis 130 km/h gewesen. Eine ungünstige Beeinflussung des Fahrverhaltens durch die Fahrzeugveränderungen sei in diesem Zusammenhang lediglich eine Spekulation.

Gegen das Urteil hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und des Versäumnisurteils vom 12. April 2005, sowie Klageabweisung, begehrt.

Der Beklagte hält im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag aufrecht und ist der Auffassung, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft eine Leistungsfreiheit des Beklagten verneint hat.

Der Beklagte beantragt daher:

Unter Abänderung des Urteils vom 22. Dezember 2005 und Aufhebung des Versäumnisurteils vom 12. April 2005, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt:

Die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig und ist mit dem Landgericht der Auffassung, dass der Beklagte sich nicht auf Leistungsfreiheit berufen kann, da weder grob fahrlässiges Verhalten noch eine Unfallursächlichkeit der Fahrzeugveränderungen dem Kläger vorzuwerfen seien.

Die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Landau (Az. 7110 Js 9657/04) waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Die Klage war unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 12. April 2005 abzuweisen, da dem Kläger entgegen der Auffassung des Landgerichts ein Regulierungsanspruch gegen den Beklagten nicht zusteht.

Dieser ist vielmehr wegen Gefahrerhöhung nach § 25 Abs. 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 VVG von seiner Pflicht zur Leistung frei geworden:

Der Senat ist der Auffassung, dass der Kläger durch die von ihm vorgenommenen bzw. durch ihn zugelassenen Veränderungen an seinem Fahrzeug in geradezu typischer Weise die Gefahr für das Zustandekommen eines Unfalles, wie des vorliegenden, erhöht hat:

Die im Einzelnen vom Sachverständigen B... in seinem Gutachten vom 11. August 2004 dargestellten Umbauten und Veränderungen, die allgemein als "Tuning" zu bezeichnen sind, hatten einzig und allein den Zweck, das Fahrzeug sportlicher und schneller zu machen. Sie stellen insgesamt eine Leistungssteigerung im Hinblick auf die Geschwindigkeit dar.

Der Senat ist - anders als das Landgericht - der Auffassung, dass es nicht etwa Spekulation, sondern bei lebensnaher Betrachtung geradezu typisch ist, dass sich derartige Fahrzeugveränderungen auch auf das Fahrverhalten des Benutzers auswirken und damit risikoerhöhend wirken. Ein "getuntes" Fahrzeug schafft gerade für junge Leute einen besonderen Anreiz, die durch das "Tuning" geschaffenen Möglichkeiten des Fahrzeuges auch tatsächlich "auszureizen". Entsprechend führt das "Tuning" typischerweise auch gemäß den jeweiligen Tarifmerkmalen zu einer höheren Prämieneinstufung. Folgerichtig hindert die mit dem "Tuning" zugleich verbundene - für sich sicherheitserhöhende - zusätzliche technische "Ertüchtigung" nicht die Gesamtbewertung als objektive Gefahrerhöhung.

Der Kläger hätte gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 VVG die Pflicht gehabt, die nach Versicherungsabschluss vorgenommenen Veränderungen bei der Beklagten anzuzeigen. Dies ist unstreitig nicht geschehen.

Da der Kläger sowohl im Hinblick auf die Veränderungen am Fahrzeug als auch im Hinblick auf die unterlassene Anzeige als der verantwortlich Handelnde anzusehen ist, kommt es auf Fragen einer Repräsentantenstellung im vorliegenden Fall nicht an.

Der Kausalitätsgegenbeweis nach § 25 Abs. 2 Satz 2 a.E. VVG, den der Kläger vorliegend für sich in Anspruch nimmt, gelingt nicht:

Zwar hat der Sachverständige B... ausgeführt, dass aus technischer Sicht die Veränderungen am Fahrzeug nicht unmittelbar kausal für das konkrete Unfallgeschehen wurden, da dieses dadurch hervorgerufen wurde, dass bei einer Geschwindigkeit zwischen 100 bis 130 km/h von einem der Beteiligten offenbar die Handbremse gezogen wurde, jedoch beinhaltet diese unter technischen Gesichtspunkten getroffene Ursachenanalyse keine Aussage darüber, welchen Einfluss die technischen Veränderungen insgesamt für das Fahrverhalten hatten. Dies war nicht Gegenstand der Begutachtung durch den Sachverständigen B....

Aus den unstreitig feststehenden Umständen des Unfalles jedoch ergibt sich, dass ganz erhebliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Sohn des Klägers und sein Bekannter, der tödlich verunglückte Zeuge M..., in geradezu typischer Weise den durch das Tuning geschaffenen Anreizen des Fahrzeuges erlegen waren: Der Sachverständige B... hat eindeutig eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung zum Unfallzeitpunkt festgestellt: Die Geschwindigkeitsbegrenzung an der Unfallörtlichkeit betrug 70 km/h. Die beiden jungen Leute waren in alkoholisiertem Zustand mit einer erheblichen Geschwindigkeit nämlich 100 - 130 km/h unterwegs, die letztlich das Unfallgeschehen maßgeblich mit beeinflusst hat. Gleiches gilt für das grob leichtsinnige "Handbremsenmanöver" in - vermeintlicher- Ausschöpfung der "Risikogrenzen" des Fahrzeugs. Anhaltspunkte dafür, dass es aus anderen Gründen zu dem tragischen Unfall kam, sind weder dargetan, noch erwiesen. Damit hat sich das durch die Umbauten erhöhte Risiko verwirklicht.

Der Kläger kann daher den ihm obliegenden Kausalitätsgegenbeweis nicht erbringen.

Auf die übrigen zwischen den Parteien diskutierten Fragen kommt es somit nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 344 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.446 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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