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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 04.05.2004
Aktenzeichen: 10 U 710/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 765
BGB § 768
Der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern Verpflichtete kann seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formale Rechtsstellung offensichtlich missbraucht. Das ist nur dann der Fall, wenn es offen auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist, dass der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Alle Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, sind nicht im Erstprozess, sondern im Rückforderungsprozess auszutragen. Diese Grundsätze finden nicht nur auf Einwendungen gegen die Hauptforderung Anwendung, sondern auch dann, wenn der Bürge geltend macht, der Gläubiger sei im Verhältnis zum Hauptschuldner verpflichtet, von der Bürgschaft keinen Gebrauch zu machen. Beruft sich der Bürge darauf, der Gläubiger habe nach den vertraglichen Vereinbarungen mit dem Hauptschuldner lediglich Anspruch auf eine gewöhnliche Bürgschaft, er habe also eine Bürgschaft ohne Rechtsgrund erhalten, verteidigt er sich mit einem aus dem Akzessorietätsprinzip des § 768 Abs. 1 S. 1 BGB hergeleiteten Einwand. Er darf daher ebenfalls im Erstprozess nur beachtet werden, wenn sich seine Berechtigung schon aus dem unstreitigen Sachverhalt sowie dem Urkundeninhalt ohne weiteres ergibt (in Anknüpfung an BGHZ 107, 210, 214 = NJW 1989, 1853; BGHZ 143, 381, 383 = NJW 2000, 1563; BGHZ 147, 99, 102 f. = NJW 2001, 1857; BGHZ 147, 381, 383 = NJW 2001, 1857; BGH NJW 2002, 1493; BGH NJW 2002, 1198).
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Hinweisbeschluss

(gemäß § 522 Abs. 2 ZPO)

Geschäftsnummer: 10 U 710/03

in dem Rechtsstreit

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Reinert und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger am 4. Mai 2004 einstimmig

beschlossen:

Tenor:

Der Senat erwägt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Gründe werden nachfolgend dargestellt. Der Beklagten wird eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis zum 18. Juni 2004.

Die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nach Auffassung des Senats gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern vom 12.09.1996, GA 22 in Anspruch. Mit der Firma G., hatte der Kläger am 12. April 1995 einen Bauvertrag über ein Wohn- und Geschäftshaus abgeschlossen.

§ 4 dieses Vertrages lautet :

"Sicherheitsleistung

Der AN stellt dem AG eine Erfüllungsgarantie in Form einer Bankbürgschaft in Höhe von 140.000,--DM, die bei Abnahme zurückgegeben wird.

Der AN stellt dem AG eine Gewährleistungsbürgschaft (nach VOB/B § 17) in Höhe von 70.000,-- DM zur Verfügung. Gegen diese Bürgschaft wird Zug um Zug die letzte Rate an den AN ausgezahlt und die Erfüllungsbürgschaft zurückgegeben." (GA 6).

Es kam zur Durchführung von Beweissicherungsverfahren.

Der Kläger hat dazu vorgetragen,

die Bauunternehmerin habe am 16.09.1996 56.990,-- DM als "letzte Rate" angefordert und dies auch so bezeichnet (GA117). Daraufhin habe er 70.000,-- DM mit dem Verwendungszweck Sicherheitsablöse geleistet (vgl. Schreiben des Rechtsanwalt B. vom 19.09.1996, GA 119). Es bestünden sonst keine Forderungen der Hauptschuldnerin mehr.

Auch sei die Inanspruchnahme einer Bürgschaft auf erstes Anfordern im vorliegenden Fall nicht rechtsmissbräuchlich. Die Bürgschaft des vorliegenden Inhalts sei zwischen den Parteien so abgesprochen gewesen.

Der Kläger hat beantragt, Beklagte zu verurteilen, an ihn 35.790,43 € nebst Zinsen von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit 13.09.2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

bereits im Erstprozess sei die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern unzulässig, wenn nach dem Inhalt des Vertrages mit dem Hauptschuldner kein Anspruch auf eine solche Sicherheit bestehe, sofern sich die Berechtigung dieses Einwandes aus dem Inhalt der Vertragsurkunden ohne weiteres, wie hier, ergebe. Es bestehe immer noch ein Restzahlungsanspruch in Höhe von 118.591,69 DM. Darüber hinaus sei eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zwischen dem Kläger und der Hauptschuldnerin überhaupt nicht vereinbart worden.

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 35.790,43 € nebst Zinsen von über 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 13.9.20032 zu zahlen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils die Klage abzuweisen. Der Streithelfer schließt sich diesem Antrag an.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Das Landgericht hat zu Recht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 35.790,43 € nebst Zinsen zu zahlen.

1) Der Kläger hat einen Anspruch aus § 765 BGB auf Zahlung der ausgeurteilten Summe. Die Beklagte kann dem nicht mit dem Einwand entgegentreten, dem Kläger stünde nach dem Bauvertrag keine Bürgschaft auf erstes Anfordern, sondern nur eine Gewährleistungsbürgschaft zu und die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft sei wegen Ausnutzung einer formalen Rechtsposition rechtsmissbräuchlich.

a) Der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern Verpflichtete kann seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nach ständiger Rechtsprechung nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formale Rechtsstellung offensichtlich missbraucht. Das ist nur dann der Fall, wenn es offen auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist, dass der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Alle Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, sind nicht im Erstprozess, sondern im Rückforderungsprozess auszutragen (BGHZ 143, 381, 383 = NJW 2000, 1563; BGHZ 147, 381, 383 = NJW 2001, 1857; BGH NJW 2002, 1493). Diese Grundsätze finden nicht nur auf Einwendungen gegen die Hauptforderung Anwendung, sondern auch dann, wenn der Bürge geltend macht, der Gläubiger sei im Verhältnis zum Hauptschuldner verpflichtet, von der Bürgschaft keinen Gebrauch zu machen (BGHZ 143, 381, 384 = NJW 2000, 1563; BGHZ 147, 99, 102 f. = NJW 2001, 1857; BGH NJW 2002, 1198). Beruft sich der Bürge darauf, der Gläubiger habe nach den vertraglichen Vereinbarungen mit dem Hauptschuldner lediglich Anspruch auf eine gewöhnliche Bürgschaft, er habe also eine Bürgschaft ohne Rechtsgrund erhalten, verteidigt er sich mit einem aus dem Akzessorietätsprinzip des § 768 Abs. 1 S. 1 BGB hergeleiteten Einwand (BGHZ 143, 381, 383 = NJW 2000, 1564; BGHZ 107, 210, 214 = NJW 1989, 1853). Er darf daher ebenfalls im Erstprozess nur beachtet werden, wenn sich seine Berechtigung schon aus dem unstreitigen Sachverhalt sowie dem Urkundeninhalt ohne weiteres ergibt (BGHZ 143, 381, 384 = BGH NJW 2000, 1564).

Die Beklagte macht vorliegend Einwende aus dem Hauptvertrag zwischen Gläubiger und Schuldner geltend, die nicht im Erstprozess, sondern dem Rückforderungsprozess vorbehalten sind. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Kläger hier eine formale Rechtsstellung, nämlich die Innehabung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern, offensichtlich missbraucht. Die Beklagte hat dem Kläger eine selbstschuldnerische Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern übergeben. Entgegen den Ausführungen des Streithelfers (Schriftsatz vom 21.8.2003, S. 4, GA 177) ist die Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht versehentlich und unbeabsichtigt im Alltagsgeschäft ausgestellt worden, weil die Beklagte dem Kläger kein Angebot zur Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern unterbreiten wollte, welches der Kläger dann angenommen habe. Vielmehr hat die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung (S. 4, GA 161) selbst eingeräumt, dass sie von dem Wortlaut des Bauvertrages überhaupt erst im Zuge des vorliegenden Prozessverfahrens Kenntnis erlangt und erfahren habe, dass eine Bürgschaft auf erstes Anfordern gar nicht geschuldet gewesen sei.

Demgegenüber hat der Kläger dezidiert dargelegt, dass die Übergabe der Bürgschaft auf erstes Anfordern so abgesprochen gewesen sei. Der Kläger stützt sich dabei nicht primär auf den zwischen ihm und der G. mbH geschlossenen Bauvertrag, wonach zunächst eine Erfüllungsbürgschaft, nach Abnahme schließlich eine Gewährleistungsbürgschaft zu stellen war. Vielmehr hat der Kläger die Umstände der Bürgschaftsstellung im Einzelnen erläutert. Vor Austausch der Bürgschaft sei es nachweislich zu intensiven Verhandlungen gekommen, wobei beide Vertragsparteien (Auftraggeber und Auftragnehmer des Bauvertrages) anwaltlich vertreten gewesen seien. Er, der Kläger, habe wegen der Mängel einen Betrag von 70.000,--DM einbehalten wollen, diesen Betrag mit dem Verwendungszweck "Sicherheitsablöse" am 26.9.1996 nur gegen Erhalt der Bürgschaft geleistet. Diese Absprache habe in dem Bauvertrag selbst keine Stütze gefunden, sondern sei zwischen den Parteien und ihren Anwälten so abgesprochen worden. Die Bürgschaftsurkunde sei auf der Baustelle im Rahmen eines Termins zur Besichtigung von Herrn Rechtsanwalt W. an Rechtsanwalt B. übergeben worden. Erst nach Prüfung der Urkunde als vereinbarungsgemäß habe er, der Kläger, die Anweisung des Sicherheitseinbehalts auf Empfehlung seines Rechtsanwalts veranlasst. Die Bürgschaft habe einen Sicherheitseinbehalt ablösen losen, losgelöst von der im Bauvertrag geschuldeten Gewährleistungsbürgschaft.

Ungeachtet dessen, dass die Beklagte diesem Vortrag nicht substantiiert entgegengetreten ist, liegt hier keine Situation vor, in der es im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung offen auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist, dass der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Da zwischen den Parteien streitig ist, ob eine Bürgschaft auf erstes Anfordern geschuldet ist, ergibt sich weder aus dem unstreitigen Sachverhalt sowie dem Urkundeninhalt ohne weiteres, dass die von der Beklagten vorgebrachten Einwende sachlich berechtigt sind. Die Beklage ist demnach mit ihrem Vortrag im dem hiesigen Verfahren ausgeschlossen.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 35.790,43 € festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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