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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 23.03.2001
Aktenzeichen: 10 W 88/01
Rechtsgebiete: AUB 94, AGBG


Vorschriften:

AUB 94 § 71(1) Abs. 2
AGBG § 9
1. Bei dem Erfordernis des Eintritts der Invalidität binnen Jahresfrist und deren ärztlichen Feststellung spätestens innerhalb von 15 Monaten handelt es sich um eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung. Auf ein Verschulden des Versicherungsnehmers kommt es nicht an. Die 15-Monats-Frist zur Geltendmachung der Invalidität ist hingegen eine Ausschlußfrist, deren Versäumen entschuldigt werden kann. Es genügt zur Wahrung dieser Frist, daß innerhalb derselben dem Versicherer gegenüber behauptet Wird, es sei eine Invalidität eingetreten (im Anschluß an BGHZ 130, 171, 173 f.; VersR 1995, 1179, 1180; BGHZ 137, 174, 176 = VersR 1998, 175, 176).

2. Der Versicherungsnehmer kann sich nicht darauf berufen, er habe deshalb die Frist zur ärztlichen Feststellung einer Invalidität nicht einhalten können, weil nach Auskunft der behandelnden Ärzte mit Spätfolgen nicht zu rechnen gewesen sei und die Invalidität sich erst nach Ablauf der Frist ergeben habe.


OBERLANDESGERICHT KOBLENZ Beschluss

In Sachen

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch die Richter am Oberlandesgericht Dr. Binz und Dr. Reinert sowie die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz

am 23. März 2001

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe verweigernden Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 20. November 2000 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde ist nicht begründet.

I.

Der Beschwerdeführer begehrt Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung eines Anspruchs aus der Unfallversicherung (AUB 94).

Am 30.08.1998 stürzte der Beschwerdeführer auf einer Haustreppe und erlitt einen Bruch der Kniescheibe. Anfang September 1998 wurde er in der P Klinik in B operiert und befand sich 6 bis 7 Wochen in stationärer Behandlung. Nachdem die Schmerzen nicht nachgelassen hatten, begab sich der Beschwerführer Ende Dezember 1998 erneut in stationäre Behandlung, ohne dass eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Knies im Sinne einer Teilinvalidität festgestellt werden konnte. Im ersten Halbjahr 1999 begab sich der Beschwerdeführer in krankengymnastische Behandlung. In der zweiten Jahreshälfte 1999 stellte der Orthopäde Dr. B fest, dass der Bruch folgenlos verheilt sei, mit dem Hinweis, dass die Schmerzen bei Dauerbelastung nachlassen würden. Anfang des Jahres 2000 wurde anlässlich einer orthopädischen Untersuchung im Krankenhaus W festgestellt, dass sich unter der Kniescheibe ein Entzündungsherd befand. Diese Diagnose wurde später durch die den Beschwerdeführer weiter behandelnden Ärzte im E Krankenhaus in N bestätigt. Obwohl die Entzündung im Knie beseitigt werden konnte, erhielt der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge erstmals Kenntnis davon, dass die Funktionsfähigkeit des Knies auf Dauer beeinträchtigt sei. Der Beschwerdeführer meldete daraufhin den Unfallschaden der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 2.3.2000. Diese lehnte mit Schreiben vom 12.5.2000 eine Entschädigungsleistung unter Hinweis ab, dass der Anspruch nicht innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an gerechnet geltend gemacht worden sei.

Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er den Unfallschaden nicht innerhalb der 15-Monats-Frist gemeldet habe, weil nach Auskunft der behandelnden Ärzte nicht mir Spätfolgen zu rechnen gewesen sei. Außerdem verstoße § 7 (1) Abs. 2 AUB 94 gegen das AGBG. Das Berufen auf diese Klausel sei treuwidrig. Die Beschwerdegegnerin bestreitet im Hinblick auf die Schwere der Verletzung und der vom Beschwerdeführer beschriebenen Schmerzen, dass seitens der behandelnden Ärzte nicht innerhalb der 15-Monats-Frist auf etwaige Spätfolgen hingewiesen worden sei. Der Beschwerdeführer hätte im Hinblick auf die anhaltenden Schmerzen innerhalb vorgenannter Frist den Unfallschaden melden müssen.

II.

Das Landgericht hat zu Recht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Die beabsichtigte Klage hat keine Aussicht auf Erfolg § 114 ZPO). Das Beschwerdevorbringen gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.

1) Gemäß § 7 I (1) Abs. 2 AUB 94 muss eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) als Unfallfolge innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet eingetreten sein. Sie muss darüber hinaus spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten nach dem Unfalljahr ärztlich festgestellt und geltend gemacht sein. Bei dem Erfordernis des Eintritts der Invalidität binnen der Jahresfrist und der ärztlichen Feststellung innerhalb von 15 Monaten handelt es sich nicht um die Begründung einer Obliegenheit im Sinne von §§ 9 und 10 AUB 94 bzw. § 6 Abs. 3 VVG, sondern lediglich um eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung (vgl. BGH Urteil vom 28.6.1978 - IV ZR 7/77 - VersR 1978, 1036; BGH Urteil vom 19.11.1997 - IV ZR 348/96 - VersR 1998, 175, 176). Es kommt demnach nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer die Einhaltung der Frist verschuldet hat. Die Klausel bezweckt, dass der Versicherer unabhängig vom Verhalten des Versicherungsnehmers nicht für regelmäßig schwer aufklärbare und unübersehbare Spätschäden eintreten muss. An die ärztlichen Feststellungen der Invalidität sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere braucht zu einem bestimmten Grad der Invalidität noch nicht abschließend Stellung genommen zu sein (BGH Urteil vom 6.11.1996 - IV ZR 215/95 - VersR 1997, 442 = NJW-RR 1997, 277). Erst recht ist nicht erforderlich, dass die Feststellung einen an der Gliedertaxe ausgerichteten Invaliditätsgrad enthält (BGH Urteil vom 9.12.1990 - IV ZR 255/89 - NJW-RR 1991, 539). Die ärztliche Feststellung braucht nicht einmal richtig und auch dem Versicherer nicht innerhalb der Frist zugegangen zu sein (BGH Urteil vom 16.12.1987 - IV a ZR 195/86 - VersR 1988, 286). Die 15-Monats-Frist zur Geltendmachung der Invalidität ist hingegen eine Ausschlussfrist, deren Versäumen entschuldigt werden kann (BGHZ 130, 171, 173 f. = VersR 95, 1179, 1180; Senatsurteil vom 27.08.1999 - 10 U 1848/98 - r+s 2000, 129 = VersR 2000, 842 LS). Es genügt zur Wahrung der Frist, dass innerhalb der Frist dem Versicherer gegenüber behauptet wird, es sei eine Invalidität eingetreten (BGHZ 137, 174, 178 = VersR 1998, 175, 176).

a) Vorliegend fehlt es bereits an der ärztlichen Feststellung einer Invalidität innerhalb der 15-Monats-Frist. Der Vorfall, der nach Angaben des Klägers zu einer Teilinvalidität geführt hat, hat sich am 30.8.1998 ereignet. Die ärztliche Feststellung der Invalidität hätte spätestens bis 30.11.1999 erfolgen müssen. Unstreitig ist, dass innerhalb der 15-Monatsfrist keine ärztliche Feststellung über eine Teilinvalidität des Beschwerdeführers vorgelegen hat. Vielmehr ging die ärztliche Feststellung nach der Knieoperation im September 1998 und einem weiteren stationären Aufenthalt in der Paracelsus-Klinik in Bad Ems im Dezember 1998 dahin, dass mit irgendwelchen Folgeschäden nicht zu rechnen sei. Die ärztliche Feststellung des Orthopäden Dr. B in der zweiten Jahreshälfte 1999 ergab, dass der Bruch folgenlos verheilt war. Der Beschwerdeführer hat sich schließlich erneut Anfang des Jahres 2000, allerdings erst nach Ablauf der 15-Monats-Frist, ins Elisabeth Krankenhaus nach Neuwied begeben, wo die behandelnden Ärzte eine Entzündung im Knie und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Knies diagnostizierten. Fehlt es demnach bereits an einer ärztlichen Feststellung einer Invalidität innerhalb der 15-Monats-Frist, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Beschwerdeführer möglicherweise unverschuldet die Ausschlussfrist zur Geltendmachung des Invaliditätsschadens versäumt hat.

b) Soweit der Beschwerdeführer argumentiert, dass er aufgrund der Angaben der ihn behandelnden Ärzte innerhalb der 15-Monats-Frist nicht von einem Invaliditätsfall habe ausgehen können, rechtfertigt dies keine andere rechtliche Beurteilung. Es kommt, wie ausgeführt, nicht darauf, ob die Versäumung der Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität schuldlos erfolgt ist. Nur die Versäumung der 15-Monats-Frist zur Geltendmachung der Ansprüche bei ärztlich innerhalb der Frist festgestellter Invalidität kann entschuldigt werden (BGHZ 137, 174, 177 = VersR 1998, 175, 176; Senatsurteil vom 27.08.1999, aaO). § 7 I (1) Abs. 2 AUB 94 verstößt auch nicht, wie der Beschwerdeführer meint, gegen § 9 AGBG. Der BGH hat bereits in dem zitierten Urteil vom 19.11.1997 (BGHZ 137, 174 = VersR 1998, 174, 175) für den Anwendungsbereich der inhaltsgleichen AUB 88 entschieden, dass diese Klausel trotz der im Einzelfall schweren Nachteile für den Versicherten nicht gegen § 9 AGBG verstößt. Der BGH hat dies damit begründet, dass der Versicherungsnehmer bei Abschluss eines Unfallversicherungsvertrages mit hoher Wahrscheinlichkeit Deckungsschutz erhalten werde, weil die Fälle der nicht versicherten Spätschäden relativ selten seien. Deshalb könne in dem möglichen Nachteil des Versicherten auch keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG gesehen werden, selbst wenn die Begrenzung der Leistungspflicht allein im Interesse des Versicherers liegen sollte (BGHZ 137, 174, 176 = VersR 1998, 174, 175; Senatsurteil vom 27.8.1999, aaO). Das Berufen auf diese Klausel ist nicht treuwidrig. Es kommt deshalb im Ergebnis nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer innerhalb der 15-Monats-Frist auf mögliche Spätschäden hingewiesen worden ist.

Die Beschwerde war aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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