Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 06.11.2001
Aktenzeichen: 11 UF 227/01
Rechtsgebiete: BAFÖG, BGB, ZPO


Vorschriften:

BAFÖG § 36
BAFÖG § 37
BGB § 1601 ff
BGB § 1610 Abs. 2
BGB § 284
BGB § 286
BGB § 288
ZPO § 91
ZPO § 704
ZPO § 708
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 11 UF 227/01

Verkündet am 6. November 2001

in der Familiensache

wegen Ausbildungsunterhalts.

Der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Werner, den Richter am Oberlandesgericht Haupert und den Richter am Amtsgericht Egnolff

auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Idar-Oberstein vom 7. März 2001 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.023,-- DM zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 3. März 2000 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten aus übergegangenem Recht Unterhalt in Höhe von 8.023,-- DM.

Die am 26. Juli 1976 geborene Tochter des Beklagten, die Zeugin B...... D....., die die katholische Hochschule für Sozialarbeit in S.......... besucht, erhielt vom Kläger in der Zeit von Oktober 1999 bis September 2000 Leistungen nach dem BAFÖG in Höhe von 8.023,-- DM.

Die Tochter des Beklagten hatte ihre schulische Ausbildung im Juli 1997 mit dem Erreichen der Fachoberschulreife - Fachbereich Sozialwesen - abgeschlossen. Anschließend begann sie im September 1997 mit einer Ausbildung zur Erzieherin am Berufsbildungszentrum S......... Diese Ausbildung brach sie jedoch im Dezember 1997 ab. Anschließend machte sie zwei Praktika (von Dezember 1997 bis Ende Februar 1998 bei der Aktion "Dritte Welt" in L....... vom 23. März 1998 bis 1. Oktober 1999 beim Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung in S..........). Seit dem Wintersemester 1999/2000 studiert sie an der katholischen Hochschule für soziale Arbeit im Studienfach Sozialarbeit mit dem Studienziel Diplom.

Die Tochter des Beklagten ist bedürftig; der Beklagte leistungsfähig.

Der Beklagte erbringt seit März 1998 keine Unterhaltszahlungen für seine Tochter mehr.

Durch Urteil des Amtsgerichts Idar-Oberstein vom 7. März 2001 ist die Klage mit der Begründung abgewiesen worden, dass seine Tochter nachhaltig ihre Obliegenheit verletzt habe, ihre Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen. Sie habe deshalb ihren Ausbildungsunterhaltsanspruch eingebüßt und müsse sich nunmehr darauf verweisen lassen, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Unterhaltsanspruch nicht verwirkt sei. Die Tochter des Beklagten habe nach einer angemessenen Orientierungsphase das Studium aufgenommen. Das Studium entspräche ihren Neigungen und Fähigkeiten. Sie habe sich im Ergebnis zielstrebig auf die Ausbildung zubewegt.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung den Beklagten zu verurteilen, an ihn 8.023,-- DM zuzüglichen Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 3. Mai 2000 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Amtsgerichts Idar-Oberstein für richtig. Er verweist auf den bisherigen Lebenslauf seiner Tochter. Er ist der Auffassung, dass er ihr weiteren Unterhalt nicht schulde.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Beklagte schuldet dem Kläger aus übergegangenem Recht für die Zeit von Oktober 1999 bis September 2000 8.023,-- DM nebst Zinsen, vgl. §§ 36, 37 BAFÖG, 1601 ff BGB.

Der Beklagte schuldet seiner Tochter gemäß § 1610 Abs. 2 BGB grundsätzlich die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf.

Angemessen ist eine Ausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten, nicht nur vorübergehenden Neigungen des einzelnen Kindes am besten entspricht. Geschuldet wird die den Eltern wirtschaftlich zumutbare Finanzierung einer optimalen begabungsbezogenen Berufsausbildung ihres Kindes, die dessen Neigungen entspricht, ohne dass sämtliche Neigungen und Wünsche berücksichtigt werden müssen, insbesondere nicht solche, die sich nur als flüchtig oder vorübergehend erweisen oder mit den Anlagen und Fähigkeiten des Kindes oder den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern nicht zu vereinbaren sind (vgl. Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 4. Aufl., § 2 Rdz. 57 m. w. N.).

Dieser Anspruch eines Kindes auf Finanzierung einer angemessenen, seiner Begabung, Neigung und seinem Leistungswillen entsprechenden Berufsausbildung ist allerdings vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Der Verpflichtung des Unterhalts-Schuldners auf Ermöglichung einer Berufsausbildung steht auf Seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Unterhaltsleistungen nach § 1610 Abs. 2 BGB sind zweckgebunden und werden nur insoweit geschuldet, als sie für eine angemessene Vorbildung zu einem Beruf erforderlich sind. Zwar muss der Verpflichtete nach Treu und Glauben Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind. Verletzt dieses allerdings nachhaltig seine Obliegenheit, seine Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (vgl. BGH in FamRZ 98, 1555, 1556).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Beklagte im vorliegenden Fall verpflichtet, der Klägerin aus übergegangenem Recht den Betrag in Höhe von 8.023,-- DM zu erstatten, da er seiner Tochter unterhaltsverpflichtet ist.

Die Tochter des Beklagten hat, nachdem sie 1997 die Fachoberschulreife erzielt hatte, zunächst für die Dauer von ca. 4 Monaten eine Ausbildung zur Erzieherin begonnen, anschließend Praktika absolviert, um schließlich ab dem Wintersemester 1999/2000 das Studium der Sozialarbeit an der katholischen Fachhochschule aufzunehmen. In diesem Werdegang vermag der Senat eine erhebliche Verzögerung, die zum Wegfall der Unterhaltsverpflichtung führen könnte, nicht zu sehen.

Nachdem die Beklagte - wenn auch unter Schwierigkeiten - die 12. Klasse der Fachoberschule erfolgreich absolviert hatte, musste der Beklagte grundsätzlich davon ausgehen, dass seine Tochter ein ihren Fähigkeiten entsprechendes Studium aufnehmen würde.

Ernsthafte Zweifel an der Eignung seiner Tochter zum Studium an der Fachhochschule bestehen nicht. Zum einen hat sie durch das Erreichen der Fachoberschulreife selbst grundsätzlich nachgewiesen, dass sie in der Lage ist, eine Fachhochschule zu besuchen. Da sie darüber hinaus die Fachhochschulreife berufsbezogen erworben hat, anschließend über ca. 1 1/2 Jahre Praktika in sozialen Bereichen gemacht hat, hat sie zur Überzeugung des Senates auch dargelegt, dass ihre Interessen mit dem gewählten Studium übereinstimmen.

Der Tochter des Beklagten kann nicht entgegengehalten werden, dass sie sich zu zögerlich für das Studium entschieden habe. Einem jungen Menschen ist grundsätzlich eine gewisse Orientierungsphase zuzugestehen, deren Dauer von Fall zu Fall unterschiedlich ist und sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richtet. Je älter der Auszubildende indessen bei Schulabgang ist und je eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet, desto mehr tritt an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg (vgl. BGH a. a. O.). Eine zu lange Verzögerung kann letztlich dazu führen, dass der Ausbildungsanspruch entfällt (BGH a. a. O.). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall.

Die Tochter des Beklagten hat nach dem Erreichen der Fachoberschulreife keinen Zweifel daran gelassen, dass sie eine qualifizierte Ausbildung anstrebt. So hat sie in ihren vom Beklagten zu den Akten gereichten Briefen (Bl. 87 - 91 GA) immer wieder von der Aufnahme eines Studiums - auch der Sozial-Pädagogik - gesprochen.

Schließlich hat sie ab März 1998 ein Praktikum zur Vorbereitung eines Studiums der Sozialarbeit/Sozialpädagogik begonnen (vgl. Bl. 85 GA), wovon der Beklagte auch unterrichtet worden ist. Aus den vorgelegten Unterlagen kann allenfalls noch entnommen werden, dass die Tochter des Beklagten noch nicht wusste, wo sie dieses Studium aufzunehmen gedachte. Der von ihr beschriebene Weg war - wenn auch ihre Äußerungen gegenüber dem Beklagten teilweise nicht immer eindeutig waren - letztlich gradlinig. Die Orientierung in einen sozialen Beruf ist unverkennbar.

Der Beklagte kann dem Unterhaltsanspruch auch nicht entgegenhalten, dass die Orientierungsphase zwischen der Erlangung der Fachoberschulreife und dem Studienbeginn letztlich zu lange gedauert habe. Zunächst war zumindest ein Praktikum zur Aufnahme des Studiums notwendig. Entscheidend ist für den Senat allerdings, dass der Beklagte seiner Tochter ab März 1998 keinen Unterhalt mehr leistete, so dass diese Orientierungsphase allenfalls teilweise auf seine Kosten erfolgte.

Dies unterscheidet den vorliegenden Fall auch entscheidend von dem vom BGH angeführten grundlegenden Fall zu der Frage der Erstattung von Ausbildungsunterhalt, da insoweit auch Unterhalt während der Orientierungsphase geleistet worden ist.

Der Senat misst darüber hinaus im Rahmen der zu treffenden Abwägung dem Umstand, dass der Beklagte sich mit einem Studium ausdrücklich einverstanden erklärt hatte und von seiner Tochter den Abschluss in der Fachrichtung Sozialpädagogik wünschte, erhebliche Bedeutung zu. Dies zeigt nämlich nicht nur, dass der Beklagte mit einem Studium rechnete, sondern auch, dass er das von seiner Tochter ergriffene Studium für angemessen erachtete.

Schließlich hat die Tochter des Beklagten versucht, diesen mit ihren Briefen auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Sie wünschte, die in der Vergangenheit entstandenen Probleme zu klären.

Letztlich kann auch nicht verkannt werden, dass die Leistungsfähigkeit des Beklagten als praktischer Arzt unbestritten ist, d. h., dass der Beklagte seiner bedürftigen Tochter den notwendigen Ausbildungsunterhalt zahlen kann, ohne seine eigene Lebensstellung im Mindesten zu gefährden oder sich finanziell einzuschränken.

Die von dem Kläger vorgelegten Leistungsnachweise (Bl. 43 ff GA) belegen auch, dass die Tochter des Beklagten - zumindest für den hier fraglichen Zeitraum - das Studium ordnungsgemäß und zielstrebig betreibt.

Das Urteil des Amtsgerichts Idar-Oberstein konnte daher keinen Bestand haben und war entsprechend abzuändern.

Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf den §§ 284, 286, 288 BGB, ab unbestrittenem Verzugseintritt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 704, 708 und 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.023,-- DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück