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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 10.04.2000
Aktenzeichen: 11 W 143/00 (Baul.)
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO, ZPO
Vorschriften:
BauGB § 71 ff | |
BauGB § 76 | |
BauGB § 77 | |
BauGB § 217 Abs. 1 | |
BauGB § 224 | |
BauGB § 72 Abs. 2 | |
BauGB § 77 Abs. 2 Nr. 2 | |
BauGB § 221 Abs. 1 Satz 1 | |
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4 | |
ZPO § 97 Abs. 1 |
1. Umlegungspläne sind nach den gesetzlichen Regelungen der §§ 71 ff BauGB grundsätzlich erst und nur dann zu vollziehen, wenn sie (im Ganzen oder für Teilbereiche) unanfechtbar geworden sind und dies ortsüblich bekannt gemacht wurde (§§ 71, 72 BauGB).
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung steht schon nach dem Wortlaut der "Unanfechtbarkeit" gerade nicht gleich.
2. Eine Vorwirkung des Umlegungsplans ist nur über die in §§ 76, 77 BauGB genannten rechtlichen Möglichkeiten herbeizuführen.
Die dort festgelegten Voraussetzungen können nicht durch Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO umgangen werden.
Geschäftsnummer: 1 W 143/00 (Baul.) 1 O 2/2000 (Baul.) LG Koblenz
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ
BESCHLUSS
in der Baulandsache
hier: vorläufiger Rechtsschutz gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Räumungsanordnung vom 10. November 1999.
Der Senat für Baulandsachen des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaessner, den Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Itzel
am 10. April 2000
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Koblenz vom 24. Januar 2000 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 500 DM festgesetzt.
Gründe:
1. Der Antragsteller ist Eigentümer zweier insgesamt 334 qm großer Grundstücke (Parzellen Nr. 129 und 134 der Flur 9, Gemarkung ), die gemäß bestandskräftigem Umlegungsbeschluss der beteiligten Ortsgemeinde vom 17. Juli 1996 in die Baulandumlegung des durch Bebauungsplan ausgewiesenen Gebietes "Hinter dem Dorf" fallen. Durch Beschluss vom 14. September 1998 hat der Umlegungsausschuss der Ortsgemeinde den Umlegungsplan aufgestellt. Der Umlegungsplan ist bis auf den Bereich der Einwurfsgrundstücke des Antragstellers teilinkraftgesetzt. Die Einwurfsgrundstücke befinden sich mitten im Bebauungsplangebiet "Hinter dem Dorf". Mit Beschluss vom 29. April 1999 hat der Umlegungsausschuss der Gemeinde W die sofortige Vollziehung des Umlegungsplanes für den von der Inkraftsetzung bisher ausgeschlossenen Teil des Baulandumlegungsverfahrens gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet und dies dem Antragsteller bekanntgemacht.
Die Verbandsgemeindeverwaltung V hat für die Ortsgemeinde W mit Schreiben vom 10. November 1999 dem Antragsteller aufgegeben, das Grundstück Flur 17, Flurstück Nr. 219 in der Gemarkung W zu räumen und für den Fall der Nichtbefolgung die Ersatzvornahme angeordnet. Gleichzeitig hat sie diese Anordnung für sofort vollziehbar erklärt.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Widerspruch und dem Antrag, die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.
Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Räumungsverfügung der Antragsgegnerin vom 10. November 1999 wiederhergestellt (S 80 Abs. 5 VwGO entsprechend) und dies im Wesentlichen damit begründet, dass der angefochtene Bescheid vom 10. November 1999 offensichtlich rechtswidrig sei.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin.
Sie ist der Auffassung, dass die Regelungen des Baugesetzbuches (insbesondere die zur vorläufigen Besitzeinweisung, § 77 BauGB) nicht abschließend seien, die Gemeinde vielmehr einen Umlegungsplan (oder Teile davon) auch für sofort vollziehbar erklären könne (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Hiervon habe sie im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht und dies stelle auch eine zulässige Grundlage für die angefochtene Räumungsverfügung gegen den Antragsteller dar.
2. Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin (vgl. Battis, Krautzberger, Löhr, BauGB, 7. Auflage, 224, Rn. 2) hat in der Sache keinen Erfolg.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführliche, eingehende und überzeugende Begründung der Kammer für Baulandsachen in dem angefochtenen Beschluss verwiesen.
Ergänzend ist unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren lediglich noch auf Folgendes hinzuweisen:
a) Die Kammer wie auch der Senat für Baulandsachen sind für die hier zu treffende Entscheidung auch hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Räumungsverfügung vom 10. November 1999 zuständig. Die Zuständigkeitsregelung der §§ 217 Abs. 1, 224 BauGB ist im Zweifelsfall weit auszulegen (Battis a.a.O, 5 217 Rn. 3,4). Hier liegt eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs mit dem Umlegungsverfahren vor (vergl. Battis a.a.O., Rdnr.4).
Beteiligte des vorliegenden Verfahrens sind auch nur der Antragsteller als Empfänger und Adressat der Räumungsverfügung und die Ortsgemeinde (Antragsgegnerin).
b) Umlegungspläne sind nach den gesetzlichen Regelungen der §§ 71 ff BauGB grundsätzlich erst und nur dann zu vollziehen, wenn sie (im Ganzen oder für Teilbereiche) unanfechtbar geworden sind und dies ortsüblich bekannt gemacht wurde (§§ 71, 72 BaUGB). Gemäß § 72 Abs. 2 BauGB ist die Vollziehung des Umlegungsplans gerade erst dann zulässig, wenn die Unanfechtbarkeit nach § 71 BauGB bekannt gemacht worden ist. Eine derartige Situation liegt - unstreitig - wegen des weiter noch anhängigen Antrags des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung (1 O 9/99 (Baul) - LG Koblenz) (noch) nicht vor.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung steht schon nach dem Wortlaut der "Unanfechtbarkeit" (im Sinne der förmlichen Rechtskraft - Ernst, Zinkahn, Bielenberg, BauGB, § 71 Rdnr. 11) gerade nicht gleich (so im Ergebnis wohl auch Ernst, Zinkahn, Bielenberg, a.a.O., Rdnr. 11b; Battis u.a. a.a.O., § 71 Rdnr. 1; Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 71 Rdnr.2 ; vergl. auch OLG Celle, OLGR 1995 S. 99 ff.).
Die von der Antragsgegnerin gewollte "Vorwirkung" des Umlegungsplans ist nur über die in §§ 76, 77 BauGB genannten rechtlichen Möglichkeiten, vor allem über die vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 77 Abs. 2 Nr.2 BauGB herbeizuführen. Die dort vom Gesetzgeber festgelegten - engen - Voraussetzungen können nicht durch Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 80 Abs. 2 Nr. 4 umgangen werden, denn die sofortige Vollziehung würde gleich wie die vorzeitige Besitzeinweisung vollendete Tatsachen schaffen. Dies soll nach der gesetzlichen Wertung ersichtlich nach Abwägung nur dann über §§ 76, 77 BauGB erfolgen, wenn hierfür eine sichere planungsrechtliche Grundlage besteht (s. Battis a.a.O, § 77 Rn. 2).
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Umlegungsplanes hinsichtlich der streitbefangenen Grundstücke des Antragstellers war mithin rechtswidrig. Dem steht der Beschluss des Senats vom 29. Juli 1999 - 1 W 439/99 (Baul.) nicht entgegen, denn dort hat der Senat sich keineswegs abschließend zu der materiellen Rechtsmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit dieser Vollziehungsanordnung hinsichtlich des Umlegungsplanes geäußert.
Liegt damit (noch) keine ausreichende rechtliche Grundlage für die Besitzverschaffung - wie erfolgt - (zugunsten der neuen Berechtigten) hinsichtlich der Einwurfgrundstücke des Antragstellers vor, dann ging die Räumungsverfügung (Schreiben der Verbandsgemeindeverwaltung Vallendar vom 10. November 1999) rechtlich ins Leere, sie hätte keine ausreichende Rechtsgrundlage.
Bei dieser Sach- und Rechtslage hat die Kammer für Baulandsachen zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen diese Räumungsverfügung wiederhergestellt.
c) Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Räumungsverfügung sich auf das gesamte Flurstück Nr. 219 bezieht, im Eigentum des Antragstellers und damit in seiner Verfügungsmacht jedoch wohl nur Teilflächen dieses Flurstücks liegen (ehemalige Parzellen 129, 134).
d) Nach allem erscheint die Räumungsverfügung vom 10. November 1999 nicht rechtmäßig und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen diesen Verwaltungsakt war nach Abwägung der gegenseitigen Interessen wiederherzustellen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 221 Abs. 1 Satz 1 BauGB, 97 Abs. 1 ZPO.
Den Wert des Beschwerdegegenstandes hat der Senat in Übereinstimmung mit der Kammer für Baulandsachen auf 500 DM unter Berücksichtigung der Räumungskosten festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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