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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 26.07.2006
Aktenzeichen: 11 WF 441/06
Rechtsgebiete: BGB, AuslG
Vorschriften:
BGB § 1361 Abs. 1 Satz 1 | |
BGB § 1361 Abs. 3 | |
BGB § 1573 | |
BGB § 1574 Abs. 3 | |
BGB § 1575 | |
BGB § 1579 Nr. 2 | |
BGB §§ 1601 ff. | |
AuslG § 84 |
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS
Aktenzeichen: 11 WF 441/06
In der Familiensache
wegen Trennungsunterhalts
hier: Prozesskostenhilfe
Der 11. Zivilsenat - 3. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Dennhardt als Einzelrichter
am 26. Juli 2006
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Mainz vom 8. März 2006 abgeändert.
Dem Antragsteller wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung insoweit bewilligt, als er die Zahlung von Trennungsunterhalt durch die Antragsgegnerin ab 1. September 2005 in Höhe von 873,00 Euro monatlich und ab 1. Januar 2006 in Höhe von 730,00 Euro monatlich verfolgt.
Im Umfang der bewilligten Prozesskostenhilfe wird dem Antragsteller Rechtsanwalt D... in W... beigeordnet.
Der weitergehende Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die weitergehende Beschwerde werden zurückgewiesen.
Eine Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird nicht erhoben.
Gründe:
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 127 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig; sie hat in der Sache überwiegend Erfolg.
Die - noch nicht zugestellte - Unterhaltsklage bietet in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).
Das Amtsgericht (Bl. 123 f. GA mit Bl. 44 -47 d.A. EA I) hat einen Anspruch des - seit 15. November 2002 mit der Antragsgegnerin (*... März 1969; Portugiesin) verheirateten und seit Juni 2005 von ihr getrennt lebenden - Antragstellers (*... Mai 1981; Brasilianer) auf Trennungsunterhalt mit der Begründung verneint, dass die Antragsgegnerin mit Rücksicht auf eheprägende Unterhaltszahlungen für ihre Mutter in Portugal sowie ihre seit September 2003 in den ehedem gemeinsamen Haushalt aufgenommene, zur Ausbildung in Deutschland weilende Nichte nicht leistungsfähig sei. Dies begegnet - wie der Antragsteller zu Recht rügt - durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung lässt sich ein Anspruch des - gegenüber den Verwandten der Antragsgegnerin im Mangelfall vorrangigen (§ 1609 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB) - Antragstellers auf Trennungsunterhalt nach dem Maßstab der ehelichen Lebensverhältnisse gemäß § 1361 Abs. 1 Satz 1 BGB (i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) ab dem Monat September 2005 nicht verneinen.
a) Die Antragsgegnerin hat - was das Amtsgericht schon übersehen hat - das Einkommen aus der Erwerbstätigkeit als chemisch-technische Assistentin für 2005 mit (durchschnittlich) 2.260,00 € netto monatlich (Trennungsjahr; Lohnsteuerklasse III) und erst ab Januar 2006 mit 1.909,00 € netto monatlich (Lohnsteuerklasse I; ohne Berücksichtigung eines etwaigen Reallplittingsvorteils) angegeben; davon geht im Beschwerdeverfahren auch der Antragsteller aus. Unstreitig ist hiervon der berufsbedingte Aufwand pauschal mit 5% in Abzug zu bringen (Nr. 10.2.1. KoL).
b) Ein Vorwegabzug wegen der von der Antragsgegnerin seit September 2003 an die Nichte (*... Mai 1986; Portugiesin) und seit März 2005 an die Mutter in Portugal als solche erbrachten Unterhaltsleistungen kommt - jedenfalls nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand - nicht in Betracht.
Allerdings ist anerkannt, dass auch - eheprägende - nachrangige Unterhaltslasten, im Besonderen der Elternunterhalt, bei der Bedarfsermittlung vom anrechenbaren Einkommen des Pflichtigen vorab abgezogen werden können, soweit dadurch kein Missverhältnis zum verbleibenden Bedarf des (vorrangigen) Ehegatten entsteht (vgl. BGH NJW 2003,1660,1664). Im Mangelfall entfällt daher stets der Vorwegabzug; bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit des verpflichteten Ehegatten bleiben sodann - was die Unterhaltsberechnung des Amtsgerichts nicht berücksichtigt - die nachrangigen Unterhaltspflichten außer Ansatz (vgl. BGH NJW 2003,1112,1113; Gerhardt in: Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Auflage 2004, § 4 Rn. 189 d und 191; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Auflage 2004, Rn. 40 und 95). Davon gehen auch die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Oberlandesgerichts Koblenz - Stand: 1 Juli 2005 - in Nr. 15.1. und 23 aus.
Unbeschadet dessen muss es sich im Grundsatz aber um den kraft Gesetzes geschuldeten Unterhalt und nicht lediglich um eine freiwillige (vertragliche) Leistung handeln (Gerhardt a.a.O. § 4 Rn. 190; Kalthoener/Büttner/Niepmann a.a.O Rn. 1013). Für diesen Fall setzt sich - wovon auch Nr. 15.1. KoL ausgeht - der Vorrang des Ehegatten bereits bei der Bedarfsbemessung durch. Ob dies auch dann gilt, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte sich während der Zeit des Zusammenlebens mit den (freiwilligen) Leistungen ausdrücklich einverstanden erklärt hat, kann vorliegend offen bleiben. Der Antragsteller hat dies bestritten ("Alleinentscheidung der Antragsgegnerin"; Antragsschrift vom 18. Oktober 2005, Seite 4 - Bl. 4 GA -), ohne dass die - insofern darlegungsbelastete - Antragsgegnerin dem substantiiert und unter Beweisantritt entgegengetreten ist.
aa) Im Hinblick auf die Zahlungen an die Mutter ist das Vorliegen eines gesetzlichen - bereits titulierten? - Unterhaltsanspruchs der Mutter (nach portugiesischem Recht) nach Grund und Höhe nicht dargelegt.
bb) Ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch der - lediglich in der Seitenlinie verwandten - Nichte gegen die Antragsgegnerin, ihre Tante, scheidet nach dem hier gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 1 EGBGB heranzuziehenden deutschen Recht von vornherein aus (vgl. §§ 1601 ff. BGB; Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Auflage 2006, § 1601 Rn. 2; s. auch die Wertung des Art. 18 Abs. 3 EGBGB). Soweit die Antragsgegnerin die von ihr gegenüber der Ausländerbehörde am 13. Oktober 2003 abgegebene Verpflichtungsklärung gemäß § 84 AuslG (seit 1. Januar 2005: § 68 AufenthaltsG) anspricht, handelt es sich um eine Willenserklärung im Verfahren zur Schaffung eines Aufenthaltstitels. Der insofern eröffnete Erstattungsanspruch des Trägers der an den Ausländer geflossenen öffentlichen Leistungen statuiert indessen keine - dem Ausländerrecht auch sachfremde - (familienrechtliche) Unterhaltsverpflichtung, sondern bietet allenfalls die Grundlage für einen Regressanspruch gegen den gesetzlichen Unterhaltsschuldner.
Ein Vorwegabzug der von der Antragsgegnerin an die - nach deutschem Recht volljährige - Nichte erbrachten (freiwilligen) Leistungen, die das Amtsgericht in Höhe von insgesamt 652,10 € monatlich bemessen hat (Tabellenunterhalt nach der siebten Einkommensgruppe zuzüglich Krankenversicherung und Fahrtkosten), hat mithin zu unterbleiben.
c) Der Antragsteller hat im August 2004 - unstreitig dem damaligen Lebensplan der Parteien entsprechend - eine Ausbildung an der Berufsschule M... (Fachrichtung "Programmierung und Automatisierung") begonnen, die er rund drei Monate vor der Trennung auch aus Leistungsgründen wieder abbrach. Bereits im Februar 2005 meldete er sich dann an der Höheren Berufsfachschule in B... (Fachbereich "Datenverarbeitung"; Vollzeitunterricht) an (Bl. 12 d.A. EA I); die Ausbildung begann im September 2005 und wird voraussichtlich Ende Juli 2007 abgeschlossen. Der Antragsteller wohnt bei seiner Tante in M... und fährt werktäglich mit dem Zug zur Berufsschule nach B...; er erzielt aus einer stundenweisen Tätigkeit als Küchenhilfe am Abend ein durchschnittliches Einkommen in Höhe von 200,00 netto monatlich. Während der Sommerferien 2005 arbeitete er befristet bei der D... AG ("Ferienjob"; 860,00 € netto monatlich). Die Antragsgegnerin hat nach Ablauf des Trennungsjahrs die Einreichung des Scheidungsantrags angekündigt.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Antragsteller von der Antragsgegnerin die Finanzierung seiner anderweit fortgesetzten Ausbildung verlangen kann (Ausbildungsunterhalt) oder aber ob die Antragsgegnerin den Antragsteller schon im Trennungsjahr der recht kurzen Ehe auf eine unqualifizierte Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls ergänzt durch eine Nebentätigkeit, verweisen kann. Dies wirft die Frage nach der eheangemessenen Erwerbstätigkeit (§ 1361 Abs. 2 BGB) und einer insoweit zunächst - sei es nach dem gemeinsamen Lebensplan oder aber nach den Kriterien des § 1573 Abs. i.V.m. § 1574 Abs. 3 BGB bzw. ausnahmsweise auch des § 1575 BGB - erforderlichen oder gebotenen Ausbildung des Antragstellers auf (vgl. BGH FamRZ 1985,782 ff.; 2001,350 ff.; Pauling in: Wendl/Staudigl a.a.O. § 4 Rn. 9 f.). Deren Beantwortung setzt eine umfassende Zumutbarkeitsabwägung voraus (vgl. Pauling a.a.O. § 4 Rn. 16 ff.) und ist daher dem Hauptverfahren zu überlassen.
d) Den von der Antragsgegnerin erhobenen Einwand der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gemäß § 1579 Nr. 2 i.V.m. § 1361 Abs. 3 BGB hat das Amtsgericht einer Beweisaufnahme zugeführt (handgreifliche Streitigkeiten der Parteien; Protokoll vom 8. März 2006: Bl. 40 ff. d.A. EA I); eine Beweiswürdigung hat es - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - nicht angestellt. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs kann der Bestand des Trennungsunterhaltsanspruchs des Antragstellers mithin dem Grunde nach nicht verneint werden.
e) Auf der Grundlage eines bereinigten monatlichen Nettoeinkommens der Antragsgegnerin in Höhe von 2.147,00 € ab September 2005 bzw. in Höhe von 1.813,55 € ab Januar 2006 und eines um die "DB-Monatskarte Ausbildung" (Bl. 11 d.A. EA I) bereinigten monatlichen Nettoeinkommens des Antragstellers in Höhe von 111,70 € errechnet sich ein Quotenunterhalt ab September 2005 in Höhe von 872,27 € bzw. ab Januar 2006 in Höhe von 729,36 €. Der (billlige) Selbstbehalt der Antragsgegnerin (Nr. 21.4. KoL) wäre insofern noch gewahrt.
Von der Erhebung von Kosten für das Beschwerdeverfahren war abzusehen (§ 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1811 des Kostenverzeichnisses).
Ende der Entscheidung
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