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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 29.08.2005
Aktenzeichen: 12 U 422/04
Rechtsgebiete: StVO, ZPO, StVG, BGB, PflichtVersG


Vorschriften:

StVO § 3 Satz 1
StVO § 40
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
StVG § 7
StVG § 17
BGB § 254
BGB § 823
PflichtVersG § 3 Nr. 1
Aus einer Verletzung des Vorfahrtrechts folgt ein schwerer Verschuldensvorwurf. Das gilt erst recht, wenn die Wartepflicht durch Sichtbehinderungen im Kreuzungsbereich aktualisiert war und der Wartepflichtige das Motorgeräusch des Fahrzeugs des Bevorrechtigten beim Einfahren in die Kreuzung gehört hatte. Bei dieser Sachlage fällt eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit des Vorfahrtberechtigten nicht erheblich ins Gewicht.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 U 422/04

Verkündet am 29.08.2005

in dem Rechtsstreit

wegen eines Schadensersatzanspruches aus einem Verkehrsunfall.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, die Richter am Oberlandesgericht Dr. Wohlhage und Dr. Eschelbach auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 1. März 2004 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 9. Juli 2002 an der mit Verkehrszeichen Nr. 102 nach § 40 StVO beschilderten Kreuzung zweier asphaltierter Feldwege in der Gemarkung Gr... ereignet hat. Der Kläger fuhr mit seinem Pkw Audi A4, der bei der Drittwiderbeklagten gegen Haftpflicht versichert ist, in der Verlängerung der M...-Strasse im Gewerbegebiet Ge... in Richtung zur Landstrasse ... Der Erstbeklagte - mit der Tochter des Zweitbeklagten B... U... als Beifahrerin - fuhr mit dem Pkw VW Golf des Zweitbeklagten, das bei der Drittbeklagten gegen Haftpflicht versichert ist, für den Kläger von rechts kommend die Verlängerung des O... Weges in E... in Richtung H.... Der Kläger hörte das vom Erstbeklagten geführte Fahrzeug, konnte es aber jedenfalls zunächst nicht sehen, weil für ihn die Sicht nach rechts bis zur Kreuzung durch ein Gebüsch verdeckt war. Die Fahrzeuge stießen im Kreuzungsbereich zusammen, wobei das Fahrzeug des Klägers mit der Fahrzeugfront, insbesondere mit seinem rechten vorderen Kotflügel, den vom Erstbeklagten geführten Pkw an dessen linker hinterer Seite zunächst in Höhe der Fahrertür und vertiefend in Höhe des linken Hinterrades traf. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. Das Kind B... U... erlitt eine Schulterprellung und eine Schnittverletzung am Arm. Im vorliegenden Rechtsstreit erstreben die Parteien mit Klage und einer Widerklage den Ausgleich ihrer materiellen Schäden.

Der Kläger hat behauptet, er habe sich der Kreuzung langsam genähert, nachdem er fremde Fahrzeuge habe passieren lassen und auch deshalb, weil er das fremde Fahrzeug mit einem Geräusch, wie "wenn ein Motor hochgedreht wird", gehört habe, ohne es zunächst sehen und lokalisieren zu können (Bl. 145 GA). Der Erstbeklagte sei mit weit überhöhter Geschwindigkeit - "mit Sicherheit" über 100 km/h - gefahren. Daher habe er beim Hineintasten (Bl. 73, 145 GA) in die Kreuzung trotz Bremsens beim ersten Sichtkontakt, als das Beklagtenfahrzeug noch etwa 40 m entfernt gewesen sei, den Zusammenprall nicht mehr verhindern können. Zur Zeit der Kollision habe sein Fahrzeug so gestanden, dass der Erstbeklagte bei angemessener Fahrgeschwindigkeit an seinem Fahrzeug hätte vorbeifahren können. Der Kläger hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 9.396,13 Euro nebst Zinsen zu verurteilen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Der Zweitbeklagte hat widerklagend beantragt, den Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.573,59 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagten haben vorgetragen, der Erstbeklagte sei mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h gefahren. Weil die Sicht für ihn nach rechts frei gewesen sei und gegenüber den gegebenenfalls von links kommenden Fahrzeugen das Vorfahrtsrecht bestanden habe, habe er seine Geschwindigkeit nicht reduzieren müssen. Der Kläger habe sich nicht in die Kreuzung hineingetastet und sich zur Zeit der Kollision noch vorwärts bewegt, so dass ein Ausweichversuch des Erstbeklagten gescheitert sei. Durch den Aufprall und den Ausweichversuch sei der Erstbeklagte in den Strassengraben geraten und habe unter Beschleunigung des Fahrzeugs versucht, dort wieder herauszufahren (Bl. 146 GA). Weitere Fahrzeuge seien im Umfeld der Kreuzung nicht zu sehen gewesen; die abweichenden Angaben des Klägers bei der Polizei und im Zivilrechtsstreit seien widersprüchlich. Widersprüchlich seien auch die Angaben des Klägers zur Fahrgeschwindigkeit des Erstbeklagten und zur Endstellung seines Fahrzeugs nach dem Unfall, die in der Korrespondenz zuerst mit "ca. 100 m" (Bl. 56 GA), im Prozess mit 40 m angegeben worden sei, aber tatsächlich 38 m betragen habe. Tatsächlich sei der Erstbeklagte mit 50 bis 60 km/h gefahren und nur infolge des Versuches, dem Fahrzeug des Klägers auszuweichen, erst so weit hinter der Kollisionsstelle zum Stehen gekommen sei. Der Kläger habe den Unfall durch Verletzung des Vorfahrtrechts alleine verschuldet.

Der Kläger hat unter Wiederholung seines abweichenden Standpunktes beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlich erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. H... (Bl. 146 ff. GA). Auf dieser Grundlage hat es die Klage durch Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer vom 1. März 2004 abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Es hat angenommen, der Kläger habe den Unfall durch eine Vorfahrtverletzung verschuldet. Sein Sachvortrag sei durch das Sachverständigengutachten widerlegt. Danach habe sein Fahrzeug zur Zeit der Kollision nicht gestanden, sondern sich zweifellos noch in der Vorwärtsbewegung befunden. Die Kollisionsgeschwindigkeit seines Fahrzeugs habe der Sachverständige auf mindestens 15 km/h geschätzt und eine Geschwindigkeit von 20 km/h ebenfalls für realistisch gehalten. Deshalb könne nicht davon gesprochen werden, dass der Kläger sich in die Kreuzung hineingetastet habe. Er sei vielmehr wegen der ausgeprägten Sichtbehinderung durch Heckenbewuchs an der aus seiner Sicht rechten Fahrbahnseite ohne ausreichende Sichtmöglichkeit nach rechts in die Kreuzung hinein gefahren. Hätte er an der Sichtlinie angehalten, dann hätte er den Weg nach rechts zumindest auf eine Entfernung von 100 m einsehen können. Das habe er aber nicht getan. Bei einem Hineinfahren in die Kreuzung mit einer Fahrgeschwindigkeit von 15 bis 20 km/h habe er dagegen keine Möglichkeit mehr gehabt, den Unfall durch Abbremsen zu verhindern. Ein Anhalten an der Sichtlinie sei ihm zuzumuten gewesen, zumal er das Motorgeräusch des Beklagtenfahrzeugs gehört habe. Den Kläger entlaste es bei dieser Lage nicht, dass der Erstbeklagte mit einer vom Sachverständigen auf 65 bis 80 km/h veranschlagten Geschwindigkeit gefahren sei. Auch bei einer Geschwindigkeit von mehr als 30 km/h sei für den Erstbeklagten bei einer Annäherung in Bremsbereitschaft (s. Bl. 151 GA) die Kollision nicht zu vermeiden gewesen. Mit Blick auf die Wartepflicht des Klägers sei es dem Erstbeklagten aber nicht zuzumuten gewesen, weniger als 30 km/h zu fahren, zumal der Erstbeklagte in die anderen Richtungen freie Sicht gehabt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er verfolgt damit sein Klageziel und den Antrag auf Abweisung der Widerklage, soweit sie ihn betrifft, weiter. Er macht geltend, der Sachverständige und das Gericht hätten seinen Vortrag zum Hineintasten in die Kreuzung nicht richtig gewürdigt. Tatsächlich habe er sich bei einer Fahrgeschwindigkeit von 10 bis 15 km/h in die Kreuzung hineingetastet; andernfalls hätte er das Fahrzeug der Beklagten nicht erkennen können. Zu Unrecht habe das Landgericht angenommen, dass der Erstbeklagte nicht habe auf Sicht fahren müssen. Dieser habe allenfalls mit 30 bis 40 km/h fahren dürfen. Hätte er dies beachtet, dann wäre der Unfall für ihn vermeidbar gewesen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie weisen darauf hin, dass das klägerische Vorbringen zum Hineintasten in die Kreuzung widerlegt worden sei. Die vom Kläger genannten Geschwindigkeitsangaben stimmten nicht mit den vom Sachverständigen angenommenen Werten überein. Die Schlussfolgerungen des Klägers, dass sich daraus sein Abbremsen und erneutes Anfahren ableiten lasse, gingen fehl. Da die Feldwege gut ausgebaut gewesen seien, habe für den Erstbeklagten keine Veranlassung bestanden, weniger als 30 km/h zu fahren. Bei mehr als 30 km/h Fahrgeschwindigkeit sei der Unfall für den Erstbeklagten nach den Ausführungen des Sachverständigen aber schon nicht mehr zu vermeiden gewesen. Darüber gehe die Berufung hinweg.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens nimmt der Senat auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug. Wegen der Feststellungen des Landgerichts verweist er gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Sie zeigt keinen Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts auf. Auch die zugrunde liegende Wertung ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat dem Kläger zu Recht die volle eigene Haftung zugewiesen und die Beklagten von einer Haftpflicht nach §§ 7, 17 StVG, §§ 823, 254 BGB, § 3 Nr. 1 PflichtVersG freigestellt.

1. Der Kläger hat den Unfall durch grobes Verschulden verursacht.

An eine Verletzung des Vorfahrtrechts, für die im Ansatz auch ein Anscheinsbeweis spricht, knüpft schon grundsätzlich ein schwerer Verschuldensvorwurf an (BGH NJW 2005, 1351, 1352). Der Kläger war hier aber sogar aus mehreren Gründen in besonderer Weise warte- und anhaltepflichtig, nämlich nicht nur weil der Erstbeklagte von rechts kam, sondern auch weil dem Kläger die Sicht nach rechts weithin versperrt war und weil er das Motorgeräusch des vom Erstbeklagten geführten Fahrzeugs unstreitig vor dem Hineinfahren in die Kreuzung hörte. Das Geräusch konnte entgegen seiner Darstellung nur von rechts kommen, da in die anderen Richtungen die Sicht weder für den Erstbeklagten noch für den Kläger versperrt war (vgl. die Lichtbilder in Bl. 155 GA). Die Wartepflicht war zudem durch das auf dem Feldweg markant wirkende und dort auch wegen der Sichtbehinderung aufgestellte Verkehrszeichen gemäß § 40 StVO Nr. 102 unterstrichen. Hat der Kläger gegen eine aus mehreren Gründen aktualisierte Wartepflicht verstoßen, so liegt ein qualifizierter Verschuldensvorwurf vor.

Dass von einer Verletzung der Wartepflicht und nicht von einem vom Kläger behaupteten Anhalten an der Sichtlinie und Hinweintasten in die Kreuzung auszugehen ist, hat das Landgericht aufgrund eindeutiger Aussagen des Sachverständigen festgestellt. Dagegen ist nach dem Prüfungsmaßstab des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nichts zu erinnern. Die Einwendungen der Berufung hiergegen greifen nicht durch. Soweit der Kläger meint, von einem Hineintasten sei deshalb auszugehen, weil er sonst das Beklagtenfahrzeug nicht hätte erkennen können, liegt - von einer Abweichung vom bisherigen eigenen Vorbringen zur fehlenden Sichtmöglichkeit nach rechts abgesehen - ein Zirkelschluss vor, der nicht geeignet ist, die Feststellungen des Landgerichts zu erschüttern.

2. Die für die Örtlichkeit zu hohe Fahrgeschwindigkeit des Erstbeklagten war nach den Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen H... nicht kausal für die Kollision, da nur bei einer Geschwindigkeit von höchstens 30 km/h und vorher bestehender Bremsbereitschaft der Unfall vermeidbar gewesen wäre.

Ein Unfall kann einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht allein schon deshalb zugerechnet werden, weil das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre. Vielmehr muss sich in dem Unfall gerade die auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende erhöhte Gefahrenlage aktualisieren. Der rechtliche Zusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall ist nur zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre (BGH NJW 2003, 1929, 1930). Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation einen konkreten Anhaltspunkt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann. Für einen vorfahrtsberechtigten Verkehrsteilnehmer ist dies in Bezug auf seinen Vorrang nicht bereits der Fall, wenn aus seiner Sicht die abstrakte, stets gegebene Gefahr eines Fehlverhaltens anderer besteht. Allein das Vorhandensein einer nicht einsehbaren Straßeneinmündung, der gegenüber der Verkehrsteilnehmer das Vorfahrtrecht in Anspruch nehmen kann, ist noch kein relevanter Gefahrenpunkt. Vielmehr müssen erkennbare Umstände eine bevorstehende Verletzung seines Vorrechts nahe legen. Hier war der wartepflichtige Kläger für den Beklagten zunächst unstreitig nicht zu sehen gewesen, so dass für ihn auch kein konkreter Anhaltspunkt für eine drohende Vorfahrtverletzung bestand. Daher war es dem Erstbeklagten nicht anzusinnen, mit weniger als 30 km/h zu fahren; bei jeder höheren Geschwindigkeit war der Unfall für den Erstbeklagten unter sonst gleichen Umständen nicht zu verhindern. Das geht aus dem Sachverständigengutachten hervor. Die Berufung nennt keinen tatsächlichen Aspekt, weshalb dem auch hinsichtlich der Geschwindigkeitsannahmen für die Vermeidbarkeitsgrenze nicht zu folgen sein soll. Eine Erschütterung der diesbezüglichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nicht allein mit der bloßen Behauptung eines abweichenden Ergebnisses durch die Berufungsbegründung anzunehmen.

3. Auch die Betriebsgefahr des vom Erstbeklagten geführten Fahrzeugs, dessen Halter der Zweibeklagte und dessen Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte sind, tritt jedenfalls bei einer Abwägung nach § 17 StVG mit Blick auf das grobe Verschulden des Klägers zurück.

a) Nach einer Verneinung des haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhangs im Rahmen der Verschuldenshaftung müssen allerdings nicht in jedem Fall bei der Prüfung der Betriebsgefahr die Verursachungsanteile nach §§ 7, 17 StVG abzuwägen sein (BGH NJW 2004, 1375, 1376). Eine solche Abwägung hat nur stattzufinden, wenn die Schäden, für die Ersatz nach Gefährdungshaftungsgrundsätzen verlangt wird, auch auf die Betriebsgefahr zurückzuführen sind, für die die in Anspruch Genommenen haften. Auch insoweit kann eine wertende Betrachtung ergeben, dass eine Zurechnung zur Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges bei einem im naturwissenschaftlichen Sinn auf den Betrieb zurückzuführenden Schaden zu verneinen ist (vgl. BGHZ 58, 162, 165 ff.; BGH NJW 2004, 1375, 1376). Ist dies der Fall, scheidet eine Abwägung der Verursachungsanteile aus. So liegt es hier aber nicht, weil eine die Betriebsgefahr erhöhende Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Erstbeklagten zur Erhöhung des Schadensumfangs beigetragen haben kann. Auch dies ist bei der Gesamtbewertung des Falles nach § 17 StVG zu berücksichtigen. Es führt aber nur dazu, dass eine Abwägung überhaupt durchzuführen ist und besagt noch nichts über deren Ergebnis im Einzelfall.

b) Die Abwägung auch einer erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs gegen die grob schuldhafte Verursachung des Unfalls durch den Kläger führt hier im Ergebnis dazu, dass der Kläger alleine haftet.

Nach der Rechtsprechung kann die allgemeine Betriebsgefahr durch besondere Umstände erhöht sein, wobei als ein die Betriebsgefahr erhöhender Umstand namentlich eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise der bei dem Betrieb tätigen Personen in Betracht kommt (BGH NJW 2005, 1351, 1354). Insoweit ist hier eine Überschreitung der situationsangepassten Fahrgeschwindigkeit durch den Erstbeklagten im Rahmen der Abwägung nach § 17 StGB zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung dürfen bei der Ausgleichspflicht mehrerer Unfallbeteiligter gemäß § 17 StVG freilich nur bewiesene Umstände herangezogen werden; für Verschuldensvermutungen ist auch hier kein Raum (BGH VersR 1996, 513, 514). Unbeschadet dessen ist hier ein Verstoß gegen § 3 Satz 1 StVO in Betracht zu ziehen. Eine Mithaftung des Vorfahrtberechtigten ist im Grundsatz stets möglich, wenn er für die Sichtverhältnisse zu schnell gefahren ist. Dabei ist mit zunehmender Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung auch ein größerer Haftungsanteil des Vorfahrtberechtigten in Betracht zu ziehen. Andererseits verbieten sich schematische Lösungen. Auch die übrigen Umstände des Einzelfalls sind nämlich in der Gesamtschau zu bewerten, insbesondere die Straßenlage und Sichtverhältnisse am Unfallort, das sonstige Fahrverhalten und die Erkennbarkeit der Vorfahrtverletzung des Wartepflichtigen sowie der Geschwindigkeitsüberschreitung des Vorfahrtberechtigten.

Nach diesem Maßstab ist hier zwar zu bedenken, dass - unbeschadet des Vorbringens des Erstbeklagten zu einer nachkollisionären Beschleunigung, um wieder aus dem Strassengraben herauszufahren, in den ihn die Ausweichbewegung geführt hatte - nach den Feststellungen des Landgerichts eine Fahrgeschwindigkeit von 65 bis 80 km/h anzunehmen ist und diese für die Sichtverhältnisse am Unfallort unangemessen erscheint. Auf Feldwegen mit Sichtbehinderungen muss nämlich vermehrt mit langsam fahrenden und überraschend auftauchenden Arbeitsmaschinen und Kraftfahrzeugen verschiedener Art gerechnet werden. Andererseits wiegt das qualifizierte Verschulden des Klägers bei der Vorfahrtverletzung, wie es oben (unter II.1.) beschrieben wurde, besonders schwer und verdrängt deshalb auch die erhöhte Betriebsgefahr des vom Erstbeklagten geführten Fahrzeugs.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegt.

Der Streitwert im Berufungsverfahren beträgt 10.969,72 Euro.

Ende der Entscheidung

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