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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 26.03.2007
Aktenzeichen: 12 U 653/06
Rechtsgebiete: SGB VII
Vorschriften:
SGB VII § 104 | |
SGB VII § 105 | |
SGB VII § 106 | |
SGB VII § 107 | |
SGB VII § 110 Abs. 1 |
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Geschäftsnummer: 12 U 653/06
Verkündet am 26. März 2007,
in dem Rechtsstreit
wegen eines Regressanspruches des Sozialversicherungsträgers wegen eines Arbeitsunfalls.
Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach und die Richterin am Oberlandesgericht Kagerbauer auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2007
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 25. April 2006 abgeändert.
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 267.793,83 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Januar 2005 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle darüber hinausgehenden Aufwendungen zu ersetzen, die der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 10. September 1998, bei dem E... Z... verletzt wurde, entstanden sind oder noch entstehen.
3. Die zum Zinsausspruch geringfügig weiter gehende Klage wird abgewiesen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der beizutreibenden Forderung abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um einen Rückgriffsanspruch der Klägerin als Sozialversicherungsträger gegen den Beklagten wegen eines Arbeitsunfalls, den der Beklagte als Fahrdienstleiter der Bahn am 10. August 1998 gegen 11.03 Uhr im Bahnhof D... verursacht hat.
Der Bahnhof D... liegt an der teils eingleisig, teils zweigleisig geführten Bahnstrecke K...-G...-E.... Er hat einen über einen Fußweg auf Gleis 1 erreichbaren Mittelbahnsteig zwischen seinen Gleisen 1 und 2. Ein früher für Abstell- und Rangierzwecke vorhandenes drittes Gleis war zur Unfallzeit längst stillgelegt. Durchgehender Zugverkehr aus Richtung T... konnte nur über das Gleis 2 geleitet werden, Zugverkehr in die Gegenrichtung über beide Gleise. Für Gleis 1 bestand eine automatische Gleisfreimeldeanlage, so dass der Fahrdienstleiter nur das Einfahrtsignal betätigen musste. Bei Gleis 2 war zur Unfallzeit eine solche Einrichtung nicht vorhanden. Am Unfalltag sollte im engeren zeitlichen Umfeld des Unfallgeschehens zunächst der Nahverkehrszug (Pendolino) Nr. 15622, der die Strecke T...-G...-K... befuhr, gegen 10.54 Uhr über Gleis 1 den Bahnhof passieren, der Nahverkehrszug (Pendolino) Nr. 15613 in der Gegenrichtung K...-G...-T... gegen 11.01 Uhr über Gleis 2. Um 10.50 Uhr wurde der Bauzug Skl 77591 erwartet, der nur bis D... fahren sollte. Dieser Zug hätte zwischen den Gleisen 1 und 2 hin und her rangiert werden müssen, um den sonstigen Bahnverkehr in beide Fahrtrichtungen über das jeweils nicht vom Bauzug belegte Gleis zu ermöglichen.
Die Fahrdienstleiter der Nachbarbahnhöfe meldeten jeweils die Durchfahrt der angekündigten Züge und auch der Beklagte als Fahrdienstleiter in D... musste die Zugdurchfahrt an seinem Bahnhof weitermelden. Um 10.49 Uhr wurde dem Beklagten der Pendolino Nr. 15622 aus Kyllburg angekündigt. Aus G... wurde der für 10.50 Uhr erwartete Bauzug gemeldet, dem der Beklagte das Einfahrtsignal nach Gleis 2 stellte. Anschließend kündigte der Fahrdienstleiter in G... dem Beklagten den Pendolino Nr. 15613 an. Der Bauzug traf um 10.50 Uhr oder 10.52 Uhr ein. Dessen Zugführer E... Z... stellte den Zug auf Gleis 2 ab und begab sich zum Stellwerk, während der Pendolino Nr. 15622 auf Gleis 1 den Bahnhof passierte. E... Z... sprach kurz mit dem Beklagten und begab sich dann zu seinem Bauzug zurück. Der Beklagte gab das Gleis 2 für den Pendolino Nr. 15613 frei, obwohl der Bauzug dort noch stand. Trotz einer Schnellbremsung des Zugführers kam es zur Kollision des Pendolino Nr. 15613 mit dem Bauzug, wobei Betonteile umhergeschleudert wurden. E... Z... wurde von einem der Bauteile getroffen, schwer verletzt und starb später. Die Klägerin zahlte bisher Heilbehandlungskosten und eine Verletztenrente an den Geschädigten von insgesamt 267.793,93 Euro.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Beklagte habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Der Pendolino Nr. 15622 habe den Bahnhof gegen 10.54 Uhr passiert, während der Pendolino Nr. 15613 erst um 11.03 eingetroffen sei; der Beklagte habe also 9 Minuten Zeit gehabt, um das Rangieren des Bauzugs ins Werk zu setzen und das Gleis 2 für Pendolino Nr. 15613 frei zu machen. Nach dem Eintreffen des Bauzuges habe der Beklagte, weil der Bauzug länger als drei Minuten auf Gleis 2 stehen würde, nach den Dienstvorschriften am Stelltisch so genannte Hilfssperren (rote Sperrklappen) über die Start- und Zieltaste stülpen müssen; das habe er nicht getan. Zudem habe er die Gleisfreigabe mit einem Schlüsselschalter an einer Stellvorrichtung am Fenster ermöglichen müssen; erst nach Betätigung des Schlüsselschalters seien - dann wiederum am Stelltisch - die Signale zu betätigen gewesen. Zum Erreichen des Schlüsselschalters habe der Beklagte seinen Arbeitsplatz am Stelltisch verlassen und ans Fenster des Stellwerks treten müssen. Diese Anordnung sei gerade dazu vorgesehen, dass der Fahrdienstleiter das freizugebende Gleis am Fenster in den Blick nehmen solle. Der Beklagte habe tatsächlich auch den Bauzug auf Gleis 2 stehen sehen, als er den Schlüsselschalter betätigt und danach mit der Star- und Zieltaste das Gleis freigegeben habe, obwohl es noch sichtbar belegt gewesen sei. Im Fall einer Überforderung mit den verschiedenen Aufgaben, zu denen auch der Fahrkartenverkauf, die Öffnung der Gleisabsperrtür, die telefonische Annahme und Abgabe der Zugmeldungen gehörten, hätte der Beklagte, gegebenenfalls auch mit Blick auf eine Ablenkung durch das Gespräch mit dem Bauzugführer, das Gleis 2 notfalls unter Inkaufnahme einer Zugverspätung nicht freigeben dürfen. Angesichts der Mehrzahl von notwendigen Arbeitsvorgängen und Sicherheitsmaßnahmen sei nicht von einem "Augenblicksversagen" auszugehen, das einer groben Fahrlässigkeit entgegenstehen könnte. Zudem habe der Beklagte die Vorgänge vorschriftswidrig nicht ins Zugmeldebuch eingetragen.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 267.793,83 Euro nebst Prozesszinsen zu verurteilen und festzustellen, dass er zum Ersatz aller weiteren Aufwendungen, die ihr aufgrund des Unfallereignisses entstanden sind oder noch entstehen, verpflichtet ist (vgl. zum Wortlaut der Anträge Bl. 2 GA).
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und dazu vorgetragen, er habe täglich rund 30 Züge abzufertigen, die Annahme und Abgabe der Zugmeldungen durchzuführen gehabt, Fahrkarten verkaufen und den Passagieren zum Überqueren von Gleis 1 auf den Mittelbahnsteig eine Türe öffnen und diese später wieder verschließen müssen. Zudem sei das Gespräch mit dem Bauzugführer dazwischen gekommen, der unerwartet sein Zugfahrzeug verlassen habe, statt dort auf die Gleisfreigabe zu warten. Das objektive Fehlverhalten bei der Gleisfreigabe für den Pendolino Nr. 15613 in Kenntnis der Anwesenheit des Bauzuges sei für sich genommen unverständlich und nur mit der Störung einer vielfach praktizierten Arbeitsroutine zu erklären. Es handele sich deshalb und auch wegen der bisherigen fehlerfreien und vom Dienstherrn anerkennend beurteilten Tätigkeit als Fahrdienstleiter um ein Augenblicksversagen, nicht um grobe Fahrlässigkeit. Hinzu komme, dass die Bahn AG - vom Personalabbau abgesehen - aus Kostengründen das zu Rangierzwecken hilfreiche Gleis 3 des Bahnhofes D... stillgelegt, einen unbeschrankten Fußgängerüberweg über eine Hochbrücke entfernt und die automatische Gleisfreigabeanlage für Gleis 2 zeitweise abgebaut habe. Damit sei die ganze Aufgabenlast und Verantwortung bei dem komplizierten Bahnbetrieb mit drei Zügen auf zwei Bahnhofsgeleisen auf einen einzigen Fahrdienstleiter abgewälzt worden; auch das müsse zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.
Das Landgericht hat die Klage durch Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer vom 25. April 2006 abgewiesen. Es hat angenommen, ein Fall der groben Fahrlässigkeit im Sinne von § 110 Abs. 1 SGB VII liege nicht vor. Es sei vielmehr von einem Augenblicksversagen auszugehen. Auch aufgrund der Rahmenumstände sei die Fahrlässigkeit des Beklagten in einem milderen Licht zu sehen. Die Stilllegung des "Wartegleises" 3, der damals anzutreffende Abbau der automatischen Gleisfreigabeanlage an Gleis 2 und der Personalabbau mit der Folge des Wegfalls von zwei Schrankenwärtern und einem Weichen-Schrankenwärter seien nachteilige Rahmenbedingungen gewesen, für die der Beklagte nicht verantwortlich sei. Der Beklagte sei danach für einen komplexen Betriebsablauf allein verantwortlich gewesen und habe eine Vielzahl verschiedener Aufgaben in kurzer Zeit zu bewältigen gehabt. Das atypische Gespräch mit dem Bauzugführer E... Z... im Stellwerk sei als Störung der Routine hinzugekommen. Nur vor diesem Hintergrund sei der sonst unerklärliche Fehler beim Betätigen des Schlüsselschalters bei freier Sicht auf den Bauzug, der das Gleis 2 zu jener Zeit noch belegt gehabt habe, zu bewerten. Dieser Fehler sei ihm unterlaufen, obwohl er in seinen dienstlichen Beurteilungen stets als besonders zuverlässig bezeichnet worden sei und zuvor mehrfach Belobigungen und Prämien erhalten habe. Die Handlungen, die zur fatalen Gleisfreigabe für Pendolino Nr. 15613 geführt hätten, seien wie ein Automatismus abgelaufen, hinter dem nicht das Bewusstsein ihrer jeweiligen Bedeutung gestanden habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie verfolgt ihr ursprüngliches Klageziel mit dem Rechtsmittel weiter (zum Antragswortlaut s. Bl. 225 GA). Sie verweist darauf, dass ein objektiv schwerer Pflichtverstoß vorliege, der auch als Indiz für eine subjektiv grobe Pflichtwidrigkeit zu bewerten sei. Das habe das Landgericht übersehen. Hinzu komme, dass der Beklagte gleich gegen eine Reihe von Verhaltenspflichten verstoßen habe, indem er die Hilfssperren nicht betätigt habe, dagegen den Schlüsselsicherungsschalter für die Gleisfreigabe bei freier Sicht auf den Bauzug getätigt habe, nachdem er gerade auch durch das Gespräch mit dem Bauzugführer auf den Bauzug auf Gleis 2 aufmerksam gemacht gewesen sei. Schließlich habe er die notwendigen Eintragungen in das Gleisfreigabebuch nicht vorgenommen. Es habe mit alledem nicht nur ein singuläres Unterlassen, sondern zugleich auch ein aktives Tun vorgelegen, das die Gefahr der Zugkollision heraufbeschworen habe. Ein Augenblicksversagen könne darin nicht gesehen werden. Auch sei eine bewusste Fahrlässigkeit nicht unbedingt erforderlich, um eine Fahrlässigkeit als grob einzustufen. Demgegenüber sei das Fehlen besonderer technischer Einrichtungen, die den Beklagten bei seinen Aufgaben hätten entlasten können, rechtlich für die Bewertung der groben Fahrlässigkeit nicht von Bedeutung. Der Bahnhof habe mit seinen Einrichtungen den Anforderungen an die Regeln der Technik entsprochen und er habe sich zur Unfallzeit schon seit 1977 im gleichen Zustand befunden. Auch der Betriebsablauf zum Unfallzeitpunkt, einschließlich der Notwendigkeit des Rangierens eines Bauzuges, sei kein vollkommen atypischer Vorgang gewesen, der den Beklagten überfordert haben könnte. Im Fall der Überforderung und der Entstehung eines "Chaos" hätte die Sicherheit im Vordergrund stehen müssen, nicht die Gleisfreigabe zur fahrplanmäßigen Abfertigung des Pendolino Nr. 15613. Jahrelange fehlerfreie Diensttätigkeit sei kein ausreichender Entlastungsgrund. Auch das Gespräch mit dem Bauzugführer als Störung der sonstigen Handlungsroutine sei nicht geeignet, eine grobe Fahrlässigkeit auszuschließen, denn schließlich habe der Beklagte selbst dem Bauzugführer die Bahnhofsfahrordnung gezeigt und dabei auf den planmäßigen Ablauf hingewiesen, den er anschließend prompt selbst missachtet habe.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Hinsichtlich der Feststellungen des Landgerichts verweist der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet. Schon aufgrund des im Wesentlichen unstreitigen Tatbestands ist die Klage begründet.
Nach § 110 Abs. 1 SGB VII haften Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, dann, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs. Die Vorschrift hat im Vergleich zu § 640 Abs. 1 RVO, an dessen Stelle sie getreten ist, an dem haftungsauslösenden Verschuldensgrad nichts geändert (vgl. BT-Drucks. 13/2204 S. 101). Dies bedeutet, dass für die Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit neben der allgemein gültigen Definition der groben Fahrlässigkeit in der Rechtsprechung (vgl. BGHSt 10, 14, 16) auch auf die zu § 640 Abs. 1 RVO ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Danach setzt grobe Fahrlässigkeit einen objektiv schweren und auch subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BGHR RVO § 640 Fahrlässigkeit, grobe 1). Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 1 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (vgl. BGH NJW 2001, 2092, 2093 f.; abl. zur subjektiven Komponente der groben Fahrlässigkeit Klaus Müller VersR 1985, 1101, 1103 ff.).
Grobe Fahrlässigkeit in diesem Sinne liegt hier vor. Dass die technische Ausstattung des Bahnhofs D..., die den Anforderungen über 20 Jahre lang genügt hatte, besser hätte sein können, ist kein durchgreifender Einwand dagegen. Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt oder nicht, richtet sich vor allem nach den tatsächlichen Gegebenheiten zum fraglichen Zeitpunkt, nicht nach einem wünschenswerten besseren Zustand der technischen Betriebseinrichtungen. Auch die unstreitige Strebsamkeit und vormalige Zuverlässigkeit des Beklagten sind nicht von zentraler Bedeutung, weil dies eine grob fahrlässige Handlung in der konkreten Situation nicht ausschließt. Es handelt sich um Randaspekte, die zwar in die Gesamtwürdigung aller Umstände einfließen, aber kein ausreichendes Gewicht besitzen, um ein Wertungsergebnis zugunsten des Beklagten zu rechtfertigen.
Objektiv lag ein grobes Fehlverhalten vor, als der Beklagte mit freier Sicht auf den das Gleis 2 belegenden Bauzug eine Gleisfreigabe für den dort zur Durchfahrt vorgesehenen Personenzug mit einer Mehrzahl von Einzelmaßnahmen bewirkte. Das bedarf keiner Vertiefung. Es kann danach im vorliegenden Fall nur noch darum gehen, ob aus der subjektiven Sphäre des Beklagten Umstände vorliegen, die dazu führen, dass in der Gesamtschau aller Aspekte im Ergebnis keine grobe Fahrlässigkeit festzustellen wäre. Das kann im Ergebnis aber entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht angenommen werden.
Der Beklagte hat gegen wichtige Sicherungspflichten innerhalb des konkreten Bahnbetriebsablaufs verstoßen. Der objektive Verstoß gegen die Sicherungspflichten hat ein solches Gewicht, dass der Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt ist (vgl. BGHR RVO § 640 Fahrlässigkeit, grobe 2). Entscheidend dafür sind die Deutlichkeit und das Maß der Rechtsgüter im Einzelfall (vgl. BGH NJW 2001, 2092, 2093 f.; OLG Düsseldorf VersR 2004, 65, 67). Alles spricht hier für eine grobe Fahrlässigkeit, zumal der Beklagte selbst unmittelbar vor dem Unfall noch dem Fahrdienstleiter in G... gemeldet hatte, er könne den Ablauf zwischen dem Eintreffen des Bauzuges und dem Pendolino bewältigen (Bl. 120 GA).
Bei dem konkreten Betriebsablauf waren die roten Sperrklappen zur Start- und Zieltaste zu benutzen, weil der Bauzug erkennbar länger als drei Minuten auf Gleis 2 stehen würde. Das musste dem Beklagten jedenfalls dadurch deutlich werden, dass der Bauzugführer seinen Zug verlassen hatte, zu ihm ins Stellwerk kam, dort mit ihm sprach, sich die Bahnhofsfahrordnung erklären ließ und sich erst dann zu seinem Bauzug zurückbegab. Dieser Ablauf ließ ohne Weiteres erkennen, dass die Verweildauer des Bauzugs, der auch zwischenzeitlich von dem Pendolino Nr. 15622 auf Gleis 1 passiert wurde, mehr als drei Minuten in Anspruch nehmen würde. Der Bauzugführer war allein 5 bis 6 Minuten im Stellwerk (Bl. 72 GA). Bei dieser Sachlage waren als Sicherheitsvorkehrung die Sperrklappen zu betätigen, was der Beklagte unterließ. Er hatte nach eigenem Bekunden nicht mehr daran gedacht (Bl. 166 in der Akte 11 O 4/05 des LG Trier). Er benutzte ferner den Schlüsselschalter, der auch nichts anderes als eine mit Sicht auf das freizugebende Gleis neben dem entsprechenden Fenster des Stellwerks angebrachte Sicherheitseinrichtung darstellte. Nach deren Betätigung war vom Beklagten wiederum am Stelltisch die eigentliche Gleisfreigabe mittels Betätigung der Start- und Zieltaste - eigentlich erst nach Öffnung der Sperrklappen, wenn diese vorher umgelegt worden wären - zu schalten. Der Beklagte sah den Bauzug, er hatte dem Bauzugführer gerade die Bahnhofsfahrordnung erklärt und er verstieß dennoch mit einer Mehrzahl von Handlungen - also gleichsam sehenden Auges - gegen eine Reihe von Sicherheitsregeln, die dazu geschaffen waren, Unfälle der hier in Rede stehenden Art zu verhindern. Bei dieser Sachlage kann vom äußeren Ablauf her auch auf eine gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (vgl. BGHZ 119, 147, 151). Von einem Augenblicksversagen kann bei dieser Sachlage nicht gesprochen werden. Ein Augenblicksversagen allein rechtfertigt es im Übrigen nicht, grobe Fahrlässigkeit zu verneinen, wenn nicht weitere subjektive Umstände hinzukommen, die es gestatten, im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände den Schuldvorwurf geringer als grob fahrlässig einzustufen (vgl. BGHZ 119, 147, 149 f.). Der Ausdruck Augenblicksversagen beschreibt nur den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ. Dieser Umstand allein ist aber auch von Rechts wegen kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf von einer groben auf einfache Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale einer groben Fahrlässigkeit gegeben sind (BGHZ 119, 147, 149 f.; OLG München OLG-Report München 1998, 128, 129).
Allerdings könnte es das Verschulden mindernd zu berücksichtigen sein, wenn das Augenblicksversagen seine Ursache in einer Konzentrationsschwäche hätte, die darauf beruht, dass der Handelnde mit einer bestimmten Tätigkeit andauernd gleichförmig beschäftigt ist, die ständige Konzentration erfordert (vgl. BGHZ 119, 147, 150). So liegt es hier aber nicht, weil der Dienstbetrieb des Beklagten aus einer Abwechslung von Phasen der Untätigkeit, wenn geraume Zeit kein Zug kam, und Phasen rascher Tätigkeit mit einer Mehrzahl verschiedener Handlungen geprägt war. Auch beim Betriebsablauf im engeren Sinne hat eine Mehrzahl von Einzelkomponenten des Handelns und Unterlassens zum streitgegenständlichen Unfall geführt. Zudem war die Handlungsroutine beim Betätigen der Schalthebel und des Schlüssels sowie bei den telefonischen An- und Abmeldungen durch das Gespräch mit dem Zugführer des Bauzuges unterbrochen gewesen. Der Beklagte hat zudem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußert, dass es sich um einen normalen Arbeitstag gehandelt habe und psychische Besonderheiten nicht zu verzeichnen gewesen sein; insoweit hat der Senat mangels psychopathologischer Befundtatsachen keinen Anlass, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens die Sache weiter in Richtung auf eine psychische Ausnahmesituation aufzuklären.
Für die Gesamtbewertung spielt es schließlich eine Rolle, dass der Beklagte nicht nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen, sondern von den bahnbetriebstechnisch vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen abgesehen hat, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren. In diesem Fall hat der objektive Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten ein solches Gewicht, dass auch insoweit der Schluss vom äußeren Geschehensablauf auf ein subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt ist (vgl. BGH NJW 2001, 2092, 2094). Dabei spielt auch der Grad der Gefährlichkeit des Verhaltens eine Rolle; denn mit der Größe der Gefahr wächst das Maß der zu erwartenden Sorgfalt (vgl. BGHZ 119, 147, 151). Hier ging es um eine Gemeingefahr in Form des Aufpralls eines Personenzuges auf einen stehenden Bauzug. In dieser Situation waren nicht nur durch mehrere Einzelakte Sicherungsvorkehrungen zu überwinden, sondern es musste auch der Grad der Gefahr dem Beklagten Anlass geben, eine kurzfristige Geistesabwesenheit zu überwinden. Das hierbei erforderliche Maß an Konzentration hat der Beklagte letztlich auch subjektiv unentschuldbar nicht aufgebracht.
Der mit der Leistungsklage geltend gemachte Schadensumfang ist nicht streitig. Die Zinsforderung ist gemäß §§ 286, 288 BGB gerechtfertigt, aber nur in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Prozente und Prozentpunkte sind verschiedene Werte, wobei erstere über den gesetzlichen Zinssatz hinausgehen (vgl. Hartmann NJW 2004, 1358 ff.) und daher nicht zugesprochen werden können.
Auch die Feststellungsklage ist gerechtfertigt, weil die Klägerin selbst noch von Dritter Seite in Anspruch genommen werden könnte, was nicht sicher auszuschließen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ein Grund zur Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO besteht nicht.
Der Streitwert beträgt 277.793,83 Euro (vgl. Bl. 239 GA).
Ende der Entscheidung
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