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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Beschluss verkündet am 13.01.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 6/04
Rechtsgebiete: JGG, StPO
Vorschriften:
JGG § 85 II 1 | |
JGG § 85 VI | |
StPO § 462 a |
2. Ein in dem zu vollstreckenden Urteil zugunsten eines Verurteilten angenommenes Geburtsdatum bleibt grundsätzlich auch für das Vollstreckungsverfahren maßgebend, soweit es auf Altersgrenzen ankommt.
Geschäftsnummer: 2 Ws 6/04 16 VRJs 237/01 - StA Koblenz - 2118 VRs 3054/03 - StA Koblenz - 2060 Js 39757/00 jug - 2 Ks - StA Koblenz -
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ BESCHLUSS
In der Strafvollstreckungssache
wegen versuchten Totschlags hier: Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Krumscheid, den Richter am Oberlandesgericht Mertens sowie den Richter am Landgericht Metzger
am 13. Januar 2004 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 25. November 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an den zuständigen Jugendrichter als Vollstreckungsleiter bei dem Amtsgericht Wittlich verwiesen.
Gründe:
I.
Der Verurteilte verbüßt derzeit in der Justizvollzugsanstalt Wittlich die Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, aus dem Urteil der 2. großen Strafkammer - als Jugendkammer - des Landgerichts Koblenz vom 25. Januar 2001. Die Hälfte der Strafe war am 25. September 2003 verbüßt, zwei Drittel der Strafe werden am 9. Oktober 2004 verbüßt sein und das endgültige Strafende ist auf den 9. November 2006 notiert. Die Jugendkammer konnte keine abschließenden Feststellungen zum Alter des Verurteilten treffen. Während die in Deutschland geführten Ausweispapiere des Verurteilten sowie dessen türkisches Ausweisdokument, der sog. N., als Geburtsdatum den 1. Januar 1979 angeben, nennt ein von dem Vorsteher des Stadtviertels H. am 29. August 2000 ausgestelltes Dokument den 21. September 1980. Die Jugendkammer ging daher in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" zugunsten des Verurteilten davon aus, dass dieser zur Tatzeit (11. August 2000) Heranwachsender nach § 1 Abs. 2 JGG war und wendete darüber hinaus wegen festgestellter Reifeverzögerungen Jugendstrafrecht an (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG).
Nachdem die Einheitsjugendstrafe gegen den Verurteilten zunächst im Jugendstrafvollzug in der Jugendstrafanstalt Wittlich vollstreckt wurde, ordnete der Jugendrichter bei dem Amtsgericht Wittlich als Vollstreckungsleiter am 15. November 2001 gem. § 92 Abs. 2 JGG die Ausnahme des Verurteilten vom Jugendstrafvollzug an; die Einheitsjugendstrafe wird seit dem 27. November 2001 im Erwachsenenstrafvollzug in der Justizvollzugsanstalt Wittlich vollstreckt.
Mit Beschluss vom 25. Januar 2003 gab der Jugendrichter bei dem Amtsgericht Wittlich als Vollstreckungsleiter sodann gem. § 85 Abs. 6 JGG die Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft Koblenz ab und führte aus, der Verurteilte habe das 24. Lebensjahr vollendet.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz übernahm die Vollstreckung und lehnte in der Folgezeit einen Antrag des Verurteilten ab, im Hinblick auf eine gegen ihn bestehende rechtskräftige Ausweisungsverfügung der Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises vom 30. April 2002 gem. § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung abzusehen.
Der Verurteilte begehrt nunmehr seine bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der gegen ihn erkannten Einheitsjugendstrafe. Die Justizvollzugsanstalt Wittlich sowie die Staatsanwaltschaft Koblenz sprechen sich im Hinblick auf die der Verurteilung zugrunde liegenden Delikte und den derzeitigen Vollstreckungsstand gegen eine Strafaussetzung zur Bewährung aus.
Die auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Trier in Wittlich hat nach mündlicher Anhörung des Verurteilten am 12. November 2003 durch Beschluss vom 25. November 2003 seine bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe abgelehnt und die Stellung eines neuerlichen Antrags vor Ablauf von sechs Monaten für unzulässig erklärt.
Gegen diesen ihm am 2. Dezember 2003 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 9. Dezember 2003, eingegangen am gleichen Tag, sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
Die gemäß § 454 Abs. 3 S. 1 StPO grundsätzlich statthafte sowie form- und fristgerecht angebrachte (§§ 306 Abs. 2, 311 Abs. 1 StPO) sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
Die auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Trier in Wittlich war zur Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nicht zuständig. Für die vorliegend nach § 88 JGG zu treffende Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (OLG Hamm NStZ-RR 2000, 93) wäre vielmehr der zuständige Jugendrichter bei dem Amtsgericht Wittlich als Vollstreckungsleiter (§§ 82 Abs. 1, 110 Abs. 1 JGG) berufen gewesen.
1.
Die Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters für die Vollstreckung der gegen den Verurteilten als Heranwachsenden verhängten Einheitsjugendstrafe endete nicht bereits durch die gem. § 92 Abs. 2 JGG angeordnete (weitere) Vollstreckung im Erwachsenenstrafvollzug (BGH NStZ 1997, 255; BGHR JGG § 92 Zuständigkeit 1; jew. m.w.N.). Hiervon ist auch der Jugendrichter bei dem Amtsgericht Wittlich ausgegangen, der nach dem nicht zu beanstandenden Beschluss vom 15. November 2001 zutreffend als Vollstreckungsleiter tätig blieb.
2.
Auch die Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft Koblenz durch Beschluss des Vollstreckungsleiters vom 25. Januar 2003 führte nicht nach §§ 85 Abs. 6 S. 2 JGG, 462 a StPO zur Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer.
Zwar eröffnet § 85 Abs. 6 S. 1 JGG die Möglichkeit, die weitere Vollstreckung einer nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogenen Jugendstrafe an die nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Strafvollstreckungsbehörde abzugeben. Mit der Abgabe sind die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Strafvollstreckung anzuwenden (§ 85 Abs. 6 S. 2 JGG), somit auch §§ 462 a StPO, 78 a GVG (vgl. BGH NStZ 1997, 255 m.w.N.); die Abgabe der Vollstreckung ist nach § 85 Abs. 6 S. 1 2. Hs. JGG auch grundsätzlich bindend.
Grundlegende Voraussetzung der Abgabe ist jedoch nach § 85 Abs. 6 S. 1 JGG, dass der Verurteilte das 24. Lebensjahr vollendet hat: Erst dann kann (nicht muss, vgl. § 85 Abs. 6 S. 1 JGG) der zuständige Vollstreckungsleiter die Vollstreckung abgeben. Bis zu diesem Zeitpunkt begründet das Jugendgerichtsgesetz den grundsätzlichen Vorrang der Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters für alle bei der Vollstreckung einer Jugendstrafe notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen. Mit der Festsetzung dieser Altersgrenze hat der Gesetzgeber verbindlich und ohne Abweichungsmöglichkeit entschieden, dass vor der Vollendung des 24. Lebensjahres wegen einer in der Regel vorliegenden verzögerten Persönlichkeitsentwicklung des Verurteilten die erzieherische Einflussnahme des Vollzugs auf ihn (§ 91 JGG) durch die Zuständigkeit des Vollstreckungsleiters (§§ 82 Abs. 1, 110 Abs. 1 JGG) zu gewährleisten ist und die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer ausscheidet (so zutr. OLG Dresden NStZ-RR 1998, 60, 61; vgl. auch OLG Jena NStZ-RR 2000, 221). Fehlt es an dieser grundlegenden Voraussetzung, ist daher die Abgabe nicht nach § 85 Abs. 6 S. 1 2. Hs. JGG bindend, und auch die Übernahme der Vollstreckung durch die Staatsanwaltschaft im Falle einer Abgabe vor Vollendung des 24. Lebensjahres begründet deren Zuständigkeit nicht (OLG Dresden a.a.O.).
Der gesetzlich normierte Vorrang der Vollstreckung nach den Vorschriften des Jugendstrafrechtes gebietet es nach Auffassung des Senats auch, eine Vollstreckungsabgabe nach § 85 Abs. 6 JGG nicht als bindend anzusehen, wenn nicht feststeht, ob der Verurteilte das 24. Lebensjahr vollendet hat.
So liegt der Fall hier: Die Jugendkammer hat in ihrem Urteil vom 25. Januar 2001 keine abschließende Feststellung zum Alter des Verurteilten treffen können und zu seinen Gunsten als sein Geburtsdatum den 21. September 1980 angenommen.
Zwar unterliegt die nach der Inhaftierung des Verurteilten erstellte Bescheinigung des Vorstehers des Stadtviertels H. vom 29. August 2000 bereits im Hinblick auf diese zeitliche Abfolge Bedenken hinsichtlich ihrer inhaltlichen Richtigkeit. Eine weitere Aufklärung im vorliegenden Verfahren kommt jedoch schon deshalb nicht in Betracht, weil die evtl. zu treffende Feststellung eines Geburtsdatums 1. Januar 1979 zu der Annahme der Jugendkammer, der Verurteilte sei zum Zeitpunkt der Tat Heranwachsender gewesen, in Widerspruch treten und die Grundlage der Entscheidung der Jugendkammer entwerten würde.
Auch für das Vollstreckungsverfahren ist somit zugunsten des Verurteilten davon auszugehen, dass er am 21. September 1980 geboren wurde.
Die Abgabe der Vollstreckung vom 25. Januar 2003 erweist sich danach als unwirksam; auch eine Heilung der fehlerhaften Abgabe wegen zwischenzeitlichen Erreichens der Altersgrenze ist nicht eingetreten (vgl. hierzu OLG Dresden a.a.O.), da erst mit dem 21. September 2004 die Vollendung des 24. Lebensjahres des Verurteilten angenommen werden kann.
III.
Der angefochtene Beschluss war danach wegen fehlender Zuständigkeit der auswärtigen Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Trier in Wittlich aufzuheben und die Sache zu erneuter Entscheidung an den zuständigen Jugendrichter als Vollstreckungsleiter bei dem Amtsgericht Wittlich zu verweisen. Eine eigene Sachentscheidung (§ 309 Abs. 2 StPO) ist dem Senat bereits deshalb verwehrt, weil im Falle der Ausgangsentscheidung durch den zuständigen Vollstreckungsleiter gem. §§ 41 Abs. 2 S. 2 JGG, 73 GVG die Jugendkammer des Landgerichts Trier zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufen wäre (vgl. OLGe Dresden, Jena a.a.O.).
Da der angefochtene Beschluss aus formalen Gründen aufzuheben war und eine abschließende Entscheidung in der Sache nicht ergeht (vgl. § 464 StPO), hat der zuständige Jugendrichter als Vollstreckungsleiter auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 22. Oktober 1997 - 2 Ws 687/97 - m.w.N.).
Der zuständige Jugendrichter erhält als Vollstreckungsleiter darüber hinaus Gelegenheit, auch über das von dem Verurteilten erneut gestellte Gesuch, von der Vollstreckung nach §§ 2 JGG, 456 a StPO abzusehen (Bl. 104 VH), zu entscheiden, so dass es nicht darauf ankommt, dass die Staatsanwaltschaft mangels wirksamer Abgabe für die ablehnende Entscheidung vom 12. August 2003 (Bl. 40 VH) ebenfalls nicht zuständig war (OLG Dresden a.a.O.).
Ende der Entscheidung
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