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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 12.10.2007
Aktenzeichen: 8 U 430/06
Rechtsgebiete: BGB, EuGVVO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 269
BGB § 270 Abs. 4
EuGVVO § 66 Abs. 2 a
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 3
Ein für eine Klage zunächst nicht gegebener nationaler Gerichtsstand kann über eine Wider-Widerklage begründet werden.
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 8 U 430/06

Verkündet am 12. Oktober 2007

in dem Rechtsstreit

Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Richter am Oberlandesgericht Marx sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Becht und Speich auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Versäumnisurteil des Senats vom 29. Juni 2007 wird aufrecht erhalten.

Die Entscheidung über die durch den Einspruch der Beklagten veranlassten weiteren Kosten des Berufungsverfahrens wird ebenfalls dem Landgericht übertragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die ebenso wie die in England ansässige Beklagte in der Tourismusbranche tätige Klägerin hat die Beklagte mit der Klage auf Zahlung von 40.119,15 DM nebst Zinsen für Werbemaßnahmen in Anspruch genommen. Die Beklagte hat Widerklage erhoben und die Klägerin auf Rückzahlung von angeblich zuviel gezahlten 27.178,20 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Obwohl das Landgericht in einem Beschluss vom 16. November 2005 auf einen einheitlichen Gerichtsstand in Mainz für Klage und Widerklage hinwies, hat es die Klage als unzulässig und die Widerklage als unbegründet abgewiesen. Es hat seine örtliche Zuständigkeit für die Klage verneint und die Auffassung vertreten, über Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, Art. 28 Abs. 1 und 2 EGBGB und die §§ 270 Abs. 4, 269 BGB sei ein Gerichtsstand für die Klageforderung nur in England begründet. Ein einheitlicher Gerichtsstand für Klage und Widerklage in Deutschland sei über Art. 2 Abs. 1, 5 Nr. 1, 6 Nr. 3 EuGVÜ nicht gegeben.

Mit der Berufung richtet sich die Klägerin gegen die Klageabweisung. Gegen die Abweisung der Widerklage ist keine Berufung eingelegt worden.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin zunächst beantragt,

1. unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 20.512,60 EUR (= 40.119,15 DM) nebst 5 % Zinsen seit dem 3. April 1998 zu zahlen;

2. das angefochtene Urteil, soweit es über die Klage entschieden hat, aufzuheben und das Verfahren insoweit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Durch Versäumnisurteil vom 29. Juni 2007 hat der Senat das landgerichtliche Urteil unter gleichzeitiger Aufhebung des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben, soweit darin über die Klage entschieden worden ist. Insoweit hat er das Verfahren zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht Mainz zurückverwiesen.

Gegen das Versäumnisurteil hat die Beklagte fristgerecht Einspruch eingelegt.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

das Versäumnisurteil des Senats aufrecht zu erhalten und den Einspruch der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil des Senats aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

II.

Das Versäumnisurteil des Senats vom 29. Juni 2007 ist aufrecht zu erhalten, da die zulässige Berufung der Klägerin einen vorläufigen Erfolg hat.

Die Klageabweisung als unzulässig wegen örtlicher Unzuständigkeit beruht auf einem Verfahrensfehler des Landgerichts.

Zwar hat das Landgericht die örtliche Zuständigkeit für die Klage mit richtiger Begründung verneint. Die dagegen gerichteten Berufungsangriffe sind unbegründet.

Daran ändert nichts, dass zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung gemäß Art.5 Nr. 1 EuGVVO die Zuständigkeit des Landgerichts Mainz gegeben war und ein Urteil des Landgerichts Mainz auch gemäß § 66 Abs. 2 a EuGVVO anerkennungs- und vollstreckungsfähig gewesen wäre. Indes kann sich die Klägerin hinsichtlich der Zuständigkeit des Landgerichts nicht auf Art. 5 Nr. 1 EuGVVO berufen, da Art. 66 Abs. 1 EuGVVO ausdrücklich klarstellt, dass die Vorschriften dieser Verordnung nur auf solche Klagen anzuwenden sind, die erhoben worden sind, nachdem die Verordnung in Kraft getreten ist. Bei Erhebung der vorliegenden Klage war die Verordnung noch nicht in Kraft. Die unmissverständliche Überleitungsvorschrift des Art. 66 Abs. 1 EuGVVO verbietet ein Abstellen auf den Schluss der mündlichen Verhandlung. Darauf stellt die Vorschrift gerade nicht ab.

Auch ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht für die wechselseitigen vertraglichen Verpflichtungen der Parteien von zwei verschiedenen Erfüllungsorten ausgegangen ist. Die von der Klägerin zitierten Entscheidungen des BGH (NJW 2004, 54 und NJW-RR 2004, 932; Bl. 211 GA) geben keine Veranlassung zur Annahme eines einheitlichen Erfüllungsortes Mainz.

Weiterhin kann die Zuständigkeit nicht aus einer rügelosen Einlassung der Beklagten hergeleitet werden. Sie hat die Zuständigkeitsrüge mit der Erhebung der Widerklage ausdrücklich aufrechterhalten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass dies Treu und Glauben widersprechen soll. Der Beklagten muss es unbenommen bleiben, sich trotz Widerklage gegen die Klage mit der Zuständigkeitsrüge zu verteidigen.

Allerdings hätte das Landgericht die Klage nicht ohne einen vorherigen Hinweis auf die Unzuständigkeit als unzulässig abweisen dürfen. Dann darin liegt eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung, die einen Verfahrensfehler begründet, auf dem das Urteil auch beruht.

Das Landgericht hat in seinem Hinweis - und Beweisbeschluss vom 16. November 2005 unter Ziff. II. (Bl. 150 GA) dargelegt, dass es von einem einheitlichen Gerichtsstand in Mainz für Klage und Widerklage ausgehe. Die Klägerin konnte sich deshalb darauf einstellen, dass die Klage nicht wegen örtlicher Unzuständigkeit abgewiesen werde. Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht in der Sitzung vom 4. Februar 2003 (Bl. 144 GA) eine örtliche Unzuständigkeit für die Klage in Erwägung gezogen und die Klägerin dazu Stellung genommen hat (Bl. 146 - 148 GA). Denn in dem Hinweis- und Beweisbeschluss hat das Landgericht diese Meinung aufgegeben. Die Klageabweisung als unzulässig war für die Klägerin deshalb überraschend.

Der Klägerin ist nicht zu widerlegen, dass sie bei einem entsprechenden und nach Art. 103 Abs. 1 GG erforderlichen Hinweis auf die Unzuständigkeit eine Zuständigkeit für die Klageforderung über eine Wider-Widerklage begründet hätte. Die Klägerin hätte die Klage zurücknehmen können. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die dazu erforderliche Einwilligung verweigert hätte. Insbesondere wenn die Klägerin ihre Absicht, eine Wider-Widerklage zu erheben, zunächst verschwiegen hätte, wäre mit einer Einwilligung der Beklagten zu rechnen gewesen. Nach der Einwilligung hätte die Klägerin die Klageforderung im Wege der Wider-Widerklage geltend machen können. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn der Kläger den weiteren Antrag erst nach Rücknahme des ursprünglichen Klagebegehrens stellt (Roth in Stein/Jonas, ZPO. 22. Aufl., § 33 Rn. 35). Durch die Erhebung der Wider-Widerklage wäre die Zuständigkeit des Landgerichts für die Klageforderung gemäß Art. 6 Nr. 3 EuGVVO begründet worden.

Eine Wider-Widerklage wird nach den Vorschriften über die Widerklage behandelt, wenn sie durch diese veranlasst ist oder mit ihr im Zusammenhang steht (Roth in Stein/Jonas a. a. O.). Demnach richtet sich der Gerichtsstand der Wider-Widerklage ausschließlich nach dem Gerichtsstand der Widerklage, so dass unerheblich ist, dass ein eigenständiger nationaler Gerichtsstand für die mit der Wider-Widerklage geltend gemachte Forderung nicht begründet ist.

Der Verfahrensfehler führt zur Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Die Vorschrift ist auch in solchen Fällen anzuwenden, in denen die erste Instanz nur ein vom Berufungsgericht nicht gebilligtes Prozessurteil erlassen hat und der Erstrichter von seinem Standpunkt aus nicht zur Sache entscheiden konnte (Zöller/Gummer/ Heßler, ZPO, 26. Aufl., § 538 Rn. 39).

Das Landgericht wird der Klägerin zunächst Gelegenheit zu geben haben, die Klageforderung im Wege der Wider-Widerklage geltend zu machen.

Die doppelte Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) steht nicht von vornherein entgegen. Durch die Verfahrensaufhebung wird der Prozess bezüglich der Klage in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht befand. Zwar setzt nach einer Zurückverweisung das neue Verfahren das frühere erstinstanzliche Verfahren fort, allerdings nur, sofern es nicht aufgehoben ist. In diesem Fall muss das Verfahren wiederholt werden (Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 538 Rn. 24). Die Klägerin hat somit die Möglichkeit, die Klage zurückzunehmen, ohne dass es der Einwilligung der Beklagten bedarf und anschließend die Klageforderung im Wege der Wider-Widerklage geltend zu machen.

Der durch die Erhebung der Wider-Widerklage eintretenden Zuständigkeit des Landgerichts Mainz steht nicht entgegen, dass über die Widerklage bereits rechtskräftig entschieden ist. Denn es ist auf die Verfahrensituation bei einem rechtzeitigen Hinweis abzustellen. Dann wäre nach dem nicht widerlegbaren Vortrag der Klägerin über die Widerklage noch nicht rechtskräftig entschieden gewesen.

Auch die weitere Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens ist dem Landgericht vorzubehalten.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO) sind nicht gegeben. Insbesondere weicht der Senat mit seiner Entscheidung nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Wider-Widerklage ab.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.512,60 EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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