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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 27.01.2006
Aktenzeichen: 1 U 45/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 42 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 45/05

Anlage zum Protokoll vom 27.01.2006

Verkündet am 27.01.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch die Richter am Oberlandesgericht Schmitz-Justen und Dr. Dumke sowie die Richterin am Oberlandesgericht Statthalter auf die mündliche Verhandlung vom 25.11.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 13.5.2005 - 16 O 241/01 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte als Vorstandsmitglied eines freien Theatervereins der Klägerin zum Schadensersatz wegen verzögerter Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet ist.

Die Klägerin vermietete dem "G L e.V.", dessen 1. Vorsitzende die Beklagte war, mit Vertrag vom 26.1./03.07.1996 (Bl. 5 ff GA) Räume zum Betrieb eines Theaters. Nachdem Mietrückstände in Höhe von ca. 158.000,- DM aufgekommen waren, verständigten sich die Mietvertragsparteien in einem Gespräch vom 15.5.2000 auf die Aufhebung des Mietvertrages zum 31.12.2000. Am 11.10.2000 stellte der Verein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welcher mangels Masse abgelehnt wurde. Die Theaterräume wurden am 12.10.2000 zurückgegeben. Sie stehen bis heute leer.

Mit der Klage macht die Klägerin den Schaden geltend, der ihr dadurch entstanden sei, dass sie infolge verzögerter Insolvenzantragstellung und hierdurch verspäteter Rückgabe der Räume einen Anschlussmietvertrag mit einem zur Verfügung stehenden solventen Nachmieter nicht habe schließen können. Sie behauptet, der Verein sei schon im April 2000 zahlungsunfähig gewesen, was die Beklagte gewusst habe. Sie habe daher bereits zu dieser Zeit den Insolvenzantrag stellen und die gemieteten Räume herausgeben müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Urteil des Landgerichts vom 13.5.2005 (Bl. 298 GA) verwiesen.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 33.233,97 € nebst Zinsen verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens - insoweit wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 313 ff GA) und den Schriftsatz vom 21.11.2005 (Bl. 321 ff. GA) Bezug genommen -

beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils vom 13.5.2005 die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 327 ff GA) und den Schriftsatz vom 9.12.2005 (Bl. 339 ff) Bezug genommen.

II.

Die in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Nach Auffassung des Senats ist die Beklagte der Klägerin nicht zur Leistung von Schadensersatz aus § 42 Abs. 2 BGB verpflichtet.

Gemäß § 42 Abs. 2 BGB haftet das Vorstandsmitglied eines eingetragenen Vereins für den Schaden, der einem Gläubiger daraus entsteht, dass der Insolvenzantrag schuldhaft verzögert gestellt wird.

Auf die Haftung des Vereinsvorstandes sind die vom BGH entwickelten Grundsätze über die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft gemäß §§ 64 Abs.1 GmbHG, 823 Abs.2 BGB wegen der gleichgelagerten Interessenlage der Vertragspartner einer insolvenzreifen GmbH und eines insolvenzreifen Vereins übertragbar (so auch OLG Köln, NJW-RR 1998, 686 f; OLG Hamm OLG-Report 2001, 265 f). Danach ist die Haftung gegenüber denjenigen Gläubigern, die ihre Forderung bereits vor dem Zeitpunkt erworben haben, in denen der Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen ("Altgläubiger"), auf den Betrag beschränkt, um den sich die Konkursquote, die sie bei rechtzeitiger Insolvenzanmeldung erhalten hätten, durch Verzögerung der Antragstellung verringert (sog. Quotenschaden). Gegenüber vertraglichen Neugläubigern, d.h. solchen Gläubigern, die nach dem Entstehen der Insolvenzantragspflicht in Geschäftsbeziehung mit der Gesellschaft getreten sind, ist als Schaden das negative Interesse zu ersetzen, damit der Schaden, der dadurch entsteht, dass der Neugläubiger mit der insolvenzreifen Gesellschaft einen Vertrag schließt und Leistungen erbringt (BGHZ 126, 181 ff).

Ungeachtet der Frage, ob die Klägerin wegen des bereits im Jahre 1996 abgeschlossenen Mietvertrages als "Altgläubigerin" zu sehen ist oder ob wegen der Besonderheiten des Mietvertrages als Dauerschuldverhältnis hinsichtlich der nach Eintritt der Insolvenzreife fällig werdenden Forderungen die Grundsätze zur Haftung gegenüber "Neugläubigern" anzuwenden sind, liegen im Streitfall die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht vor.

Die Klägerin macht als Schaden entgangene Mietzinseinnahmen für die Monate November 2000 bis März 2001 geltend, den sie darauf stützt, dass sie bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung im April 2000 die vermieteten Theaterräume bereits zum 1.11.2000 an die zur Anmietung bereite und jedenfalls bis April 2001 solvente Folgemieterin hätte vermieten können.

Allerdings ist nach dem vom Landgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen N vom 29.12.2003 (Bl. 214 ff GA) davon auszugehen, dass der Verein sowohl im April 2000 als auch am 17.5.2000, dem Tag, an dem die schriftliche Vereinbarung über die Beendigung des Mietverhältnisses zum Ende des Jahres 2000 unterzeichnet wurde, zahlungsunfähig war und damit Insolvenzreife bestand. Doch kann dies letztlich dahinstehen.

Es begegnet nämlich bereits durchgreifenden Zweifeln, ob der geltend gemachte Schaden, der nicht mit notleidend gewordenen Forderungen der Klägerin aus dem Mietvertrag mit dem Verein, sondern mit unterlassener anderweitiger Disposition über den Vertragsgegenstand begründet wird, nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 42 Abs. 2 BGB fällt. Dies ist indes nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadensrechts Voraussetzung für das Bestehen einer Schadensersatzpflicht; es muss sich um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist (vgl. Palandt, Komm. zum BGB, 65. Aufl., Vorbem. § 249 Rz. 62). Der Normzweck der gesetzlichen Insolvenzantragspflicht besteht darin, insolvenzreife Vereine (ebenso wie insolvenzreife Gesellschaften mit beschränkter Haftung) vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch deren weiteres Auftreten keine Gläubiger dadurch geschädigt werden, dass sie infolge des Unterbleibens des Insolvenzantrags Leistungen für den überschuldeten Verein erbringen (vgl. OLG Köln, a.a.O.). Demgegenüber geht es der Klägerin gerade nicht um den Schaden, den sie dadurch erlitten hat, dass sie dem Verein noch nach der Insolvenzreife die Theaterräume auf der Grundlage des bestehenden Mietvertrages zur Verfügung gestellt hat, ohne dass der Verein den vereinbarten monatlichen Mietzins entrichtet hat. Soweit sie statt dessen Ausgleich für die entgangenen Einnahmen aus einer anderweitigen Anschlussvermietungsmöglichkeit verlangt, fehlt es an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Nachteil und der durch die verzögerte Antragstellung geschaffenen Gefahrenlage.

Von den vorstehenden Erwägungen abgesehen scheitert ein Schadensersatzanspruch der Klägerin vor allem an ihrer fehlenden Schutzwürdigkeit. Die überaus schwierige finanzielle Situation des Vereins war ihr bekannt als sie sich statt einer fristlosen Kündigung auf die Aufhebung des Mietvertrages zum Ende des Jahres 2000 und damit eine Fortführung des Mietverhältnisses bis zu diesem Zeitpunkt einließ. Sie hatte damit nicht das Vertrauen, dessen Schutz die Haftungsvorschrift des § 42 Abs.2 BGB bezweckt.

Wer sich in Kenntnis der schwierigen wirtschaftlichen Situation seines Vertragspartners dennoch zu (weiteren) vertraglichen Leistungen versteht und damit bewusst das Risiko eingeht, seine eigenen wirtschaftlichen Interessen zu gefährden, fällt nicht in den Schutzbereich des § 42 Abs.2 BGB (ebenso OLG Hamm. a.a.O.). Dies trifft auf die Klägerin zu. Dass ihr bzw. den für sie handelnden Personen die bedrückende finanzielle Lage des Vereins - wie sie sich im Einzelnen aus dem o.g. Gutachten ergibt - jedenfalls in einem Ausmaß vor Augen stand, welches den Vorwurf der bewussten Risikoübernahme rechtfertigt, ergibt sich aus Folgendem:

Gerade gegenüber der Klägerin hatte der Verein Schulden in einem erheblichen Umfang. Die laufende Miete wurde nicht oder mit erheblicher Verspätung gezahlt. So erfolgten am 28.3. und 11.4.2000 noch zwei Zahlungen von je 7.500 DM auf die Miete für die Monate Dezember 1999 und Januar 2000. Danach stellte der Verein mit Ausnahme einer letzten Zahlung am 15.6.2000 auf die Miete für Februar 2000 die Mietzinszahlung gänzlich ein. Die erheblichen Mietrückstände waren für den Komplementär der Klägerin auch Anlass für den Gesprächstermin vom 15.5.2000 über das weitere Schicksal des Mietverhältnisses, welchen er ausweislich der Bekundung des Zeugen Q (Bl. 159 GA) mit der Absicht vereinbart hatte, den Verein "rauszuschmeißen". Zu diesem Zeitpunkt waren die Mietschulden auf ca. 158.000,00 DM angewachsen. Anhaltspunkte dafür, dass die für die Klägerin handelnden Personen von einer durchgreifenden Verbesserung der finanziellen Ausstattung des Vereins ausgehen konnten, sind nicht ersichtlich. Vielmehr wusste ihr Komplementär, dass der Verein als Betreiber eines freien Theaters von städtischen Subventionen abhängig war. Er musste daher - abgesehen davon, dass auch die in der Vergangenheit geflossenen Subventionen den Verein nicht vor dem Auflaufen der erheblichen Mietrückstände hatten bewahren können - aufgrund des allgemein bekannten Sparzwanges auch der Stadt L zudem mit der Ungewissheit künftiger Fördergelder rechnen. Dass der Klägerseite die ungünstige wirtschaftliche Lage des Vereins bewusst war, erhellt auch der Umstand, dass der Komplementär der Klägerin - so der nicht in Abrede gestellte Vortrag der Beklagten - sich anlässlich einer Theaterveranstaltung im Jahre 1999 auf die Bühne begeben und vor dem anwesenden Publikum erklärt hatte, er spende dem Theater sofort 10.000,- DM, um ihm unter die Arme zu greifen. Jedenfalls musste dem Komplementär vor allem angesichts der erheblichen Mietschulden und der in jeder Hinsicht unregelmäßigen Zahlungsweise klar sein, dass er es mit einem wirtschaftlich unzuverlässigen Vertragspartner zu tun hatte. Indem er sich in Kenntnis der Umstände, welche auf die erhebliche wirtschaftliche Schwäche des Vereins deuteten, auf eine Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Jahresende eingelassen hat, hat er bewusst eine Gefährdung der eigenen geschäftlichen Interessen riskiert.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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