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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 18.09.2008
Aktenzeichen: 11 U 147/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85
ZPO § 517
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antrag der Beklagten vom 22.8.2008 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten gegen das am 9.7.2008 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen (42 O 199/06) wird verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Gründe:

I.

Gegen das der Beklagten am 10.7.2008 zugestellte Urteil des Landgerichts Aachen ist am 31.7.2008 eine Berufungsschrift nebst Berufungsbegründung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei dem Oberlandesgericht Köln eingegangen. Die letzte Seite des Schriftsatzes (Seite 6) und die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten sind nicht zu den Verfahrensakten gelangt. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 22.8.2008 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Fax vom 22.8.2008 ein vollständiges und unterschriebenes Exemplar nachgereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Originalschriftsätze gingen am 28.8.2008 bei Gericht ein. Zur Begründung hat der Prozessbevollmächtigte vorgetragen, dass er den Berufungsschriftsatz unterschrieben habe, dass seine langjährige Mitarbeiterin das Vorhandensein der Unterschrift kontrolliert und den Schriftsatz sodann mit einer für die Berufungsbeklagte bestimmte beglaubigten und einer einfachen Abschrift am 25.7.2008 an das Gericht versandt habe. Nach Erhalt der Mitteilung des Oberlandesgerichts Köln vom 4.8.2008 über den Eingang der Berufungsschrift am 31.7.2008 sei man von einer ordnungsgemäßen Berufungseinlegung ausgegangen. Unter dem 26.8.2008 hat die Geschäftsstellenverwalterin des Senates eine dienstliche Stellungnahme abgegeben, auf die wegen des Inhaltes Bezug genommen wird (Bl. 198) . Hierzu und zu den vom Senat am 28.8.2008 erteilten Hinweisen (Bl. 199) hat der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 8.9.2008 ergänzend Stellung genommen und weiterhin geltend gemacht, dass die vollständige, mit seiner Unterschrift versehene Berufungsschrift bei dem Oberlandesgericht eingegangen sei. Seine Mitarbeiterin sei seit 6 Jahren in seiner Kanzlei tätig und habe sich stets als zuverlässig erwiesen. Sie führe das Kuvertieren der Schriftstücke selbständig aus, es habe bislang keine Beanstandungen gegeben.

II.

1. Die Berufung ist gem. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO wegen Unzulässigkeit zu verwerfen , weil die Einhaltung der Berufungsfrist ( § 517 ZPO) , die am 11.8.2008 ablief, nicht nachgewiesen ist. Rechtsmittelschriftsätze müssen als bestimmende Schriftsätze im Anwaltsprozess vollständig und mit einer Unterschrift des Anwalts versehen bei Gericht eingereicht werden (§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO). Es steht nicht zur Überzeugung des Senates fest, dass die Berufungsschrift in vollständiger Form und mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Beklagten versehen bei dem Oberlandesgericht vor Ablauf der Berufungsfrist am 31.7.2008 eingegangen ist.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat zwar vorgetragen, dass er den Originalschriftsatz unterschrieben habe und dass seine langjährige Mitarbeiterin Frau C. den unterzeichneten Schriftsatz nebst beglaubigter Abschrift und einfacher Kopie kuvertiert und versandt habe, was diese in ihrer per Fax übermittelten eidesstattlichen Versicherung vom 22.7.2008 bestätigt hat. Dem steht aber entgegen, dass die Seite 6 des Berufungsschriftsatzes tatsächlich nicht zu den Verfahrensakten gelangt ist. Es ist auch nicht eher wahrscheinlich, dass die Seite 6 des Schriftsatzes im Machtbereich des Oberlandesgerichts verloren gegangen ist.

Ausweislich der dienstlichen Äußerung der Geschäftsstellenverwalterin des Senates Frau H., die dem Senat als zuverlässige Mitarbeiterin bekannt ist, handelte es sich bei dem von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingereichten Schriftsatz um einen durch Heftklammern fest verbundenen Schriftsatz, der sowohl den Berufungsschriftsatz , eine Ablichtung des angefochtenen Urteils als auch die beiden für die Berufungsbeklagte bestimmten Abschriften umfasste. Dies lässt sich anhand des bei den Akten befindlichen Originalschriftsatzes vom 25.7.2008 und der Urteilsablichtung, auf denen die Löcher der Heftklammern zu sehen sind, nachvollziehen. In dieser festverbundenen Form wurde der Schriftsatz der Geschäftsstellenverwalterin vorgelegt. Es besteht durchaus die Möglickeit, dass die Seite 6 des Schriftsatzes im Zeitpunkt des Eingangs beim Oberlandesgericht nicht beigefügt war. Nach den Angaben von Frau H. ist davon auszugehen, dass sie die beiden für die Berufungsbeklagte bestimmten Abschriften durch Entfernen mindestens einer Heftklemmer abgetrennt und an die Berufungsbeklagte versandt hat, den Originalschriftsatz nebst Urteilsablichtung hingegen zunächst in eine Heftschiene eingeheftet und in einen Doppelbogen gelegt hat, um ihn dort bis zum Eingang der Verfahrensakten aufzubewahren. Sie konnte sich lediglich nicht mehr sicher daran erinnern, ob sie den Originalschriftsatz entsprechend ihrer üblichen Handhabung auf Vollständigkeit und das Vorhandensein der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten überprüft hat oder es im vorliegenden Fall versehentlich unterlassen und sie deshalb das Fehlen der Seite 6 zunächst übersehen hat. Das Fehlen der Seite 6 ist hier jedenfalls erst nach Eingang der Verfahrensakten, also erst nach dem 14.8.2008 aufgefallen. Dass die Seite 6 bei der Abtrennung der für die Berufungsbeklagte bestimmten Abschriften durch Frau H. versehentlich gelöst wurde und dabei verloren ging, ist zwar theoretisch möglich, aber nicht wahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass die Seite 6 versehentlich in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten nicht in den Briefumschlag eingesteckt wurde. So ist ausgeschlossen, dass Frau H. die Seite 6 des Originalschriftsatzes versehentlich mit den Abschriften an die Berufungsbeklagte übersandt hat. Eine Nachfrage bei der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Berufungsbeklagten hat ergeben, dass dort die Seite 6 des Originalschriftsatzes nicht vorliegt. Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass die Seite 6 auf der Geschäftsstelle versehentlich in eine andere Akte oder in sonstige Unterlagen geraten ist. Dagegen spricht schon, dass Frau H. nach eigenen nicht zu widerlegenden Angaben die restlichen nicht an die Berufungsbeklagte versandten Blätter zusammengefasst und extra in eine Heftschiene eingeheftet hat, um ein Loslösen der einzelnen Blätter und damit einen versehentlichen Verlust möglichst zu vermeiden. Hinzu kommt, dass das von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten benutzte Briefpapier durch die gelbe Farbe besonders auffällig ist und daher ins Auge springt, also nicht ohne weiteres übersehen werden kann.

Aus dem Umstand allein, dass die Geschäftsstellenverwalterin dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Zeitpunkt des Eingangs der Berufungsschrift mitgeteilt hat, kann nicht sicher darauf geschlossen werden, dass die Seite 6 des Schriftsatzes dem Gericht vorgelegen haben muss. Diese Mitteilung enthält nach ihrem Inhalt nur die Erklärung über den Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes bei Gericht, sie lässt aber nicht sicher darauf schließen, dass von seiten des Gerichts tatsächlich die Vollständigkeit des Schriftsatzes und die Einhaltung der wesentlichen Formalien überprüft wurde, auch wenn dies im Rahmen des üblichen Geschäftsablaufs in der Regel so geschieht. Dies gilt insbesondere hier unter Berücksichtigung der Angaben von Frau H..

Demzufolge ist es ungeklärt, ob der Berufungsschriftsatz in vollständiger und mit einer anwaltlichen Unterschrift versehenen Form bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist. Dieses Ergebnis geht zu Lasten der Beklagten als Berufungsklägerin, die für das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Rechtsmittelschriftsatzes und dessen rechtzeitigen Eingangs beweispflichtig ist.

Das Fehlen der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten auf der Berufungsschrift ist auch nicht ausnahmsweise deshalb unschädlich, weil auf der für die Berufungsbeklagte bestimmten beglaubigten Abschrift die Unterschrift des Rechtsanwalts vorhanden war (hierzu: BGH MDR 2004, 1252; NJW 2005, 2086). Anders als in den von der Rechtsprechung hierzu entschiedenen Fällen fehlt es im vorliegenden Fall nicht nur an der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten, der Schriftsatz ist vielmehr insgesamt unvollständig, weil die letzte Seite fehlt.

2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Fristversäumung (§§ 233, 234, 517 ZPO ) liegen ebenfalls nicht vor. Der Wiedereinsetzungsantrag ist zwar zulässig, weil es der Partei freisteht, in erster Linie die rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels zu behaupten und für den Fall, dass das Gericht den Nachweis der Rechtzeitigkeit nicht als geführt ansieht, die hilfsweise Wiedereinsetzung gegen die dann anzunehmende Fristversäumnis zu beantragen (BGH NSW ZPO § 236 B - Beschluss vom 3.7.2008, recherchiert in IURIS; NJW 2000, 2280 jeweils mwN).

Die Beklagte hat jedoch nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten , deren Verhalten sie sich gem. § 85 ZPO zurechnen lassen muss, gehindert war, die Notfrist des § 517 ZPO einzuhalten (§ 233 ZPO). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann bei fehlender Unterzeichnung der bei Gericht eingegangenen Rechtsmittelschrift Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn der Rechtsanwalt sein Büropersonal allgemein angewiesen hatte, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen. Gleiches gilt, wenn der Prozessbevollmächtigte den Rechtsmittelschriftsatz - was hier durch die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Rechtsanwaltsgehilfin und des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nahe gelegt wird - tatsächlich unterzeichnet hat, die der Anwaltsgehilfin aufgetragene Ausgangskontrolle aber versagt, weil unvollständige bzw. nicht unterschriebene Schriftstücke auf den Weg gebracht werden (BGH NJW 2006, 2414). Voraussetzung ist allerdings, dass der Anwalt seinen Sorgfaltspflichten, an die berufsbedingt ein strenger Maßstab anzulegen ist, nachgekommen ist. Zu den Sorgfaltspflichten eines Anwalts, der mit der Einlegung eines Rechtsmittels betraut ist, gehört es, die Unterzeichnung der Rechtsmittelschrift und die Versendung nur vollständiger Schriftsätze zu überwachen. Der Anwalt kann zwar diese Prüfung delegieren und seinem geschulten und zuverlässigen Büropersonal auch die Aufgabe übertragen zu kontrollieren, ob die ausgehenden Schriftstücke vollständig und mit einer Unterschrift versehen sind (OLG Düsseldorf MDR 2008, 163; BGH NJW-RR 2002, 1004; BVerfG NJW 2004, 2583). Er muss aber durch allgemeine Anweisungen Vorsorge dafür getroffen haben, dass bei normalem Verlauf der Dinge Versäumnisse wegen fehlender Unterschrift oder unvollständiger Schriftsätze vermieden werden (OLG Düsseldorf MDR 2008, 163; BGH NJW-RR 2002, 1004; BverfG NJW 2004, 2583). Hierzu gehört in der Regel nicht nur eine einmalige Anweisung, sondern deren regelmäßige Wiederholung sowie eine stichprobenweise Kontrolle der ausgehenden Post. Trotz des richterlichen Hinweises vom 28.8.2008 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass in seinem Büro durch Anweisungen an das Büropersonal und dessen Überwachung die Kontrolle sämtlicher ausgehender Schriftsätze vor der Absendung auf Vollständigkeit und das Vorhandensein der anwaltlichen Unterschrift sichergestellt ist.

Der Kontrollfehler war auch für die Fristversäumnis ursächlich. Zwar kann die Ursächlichkeit entfallen, wenn die Fristversäumnis bei wertender Betrachtung vor allem auf einem Fehler des Gerichts beruht ( OLG Düsseldorf aaO). Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Ein Fehler des Gerichts lässt sich insbesondere nicht aus dem Umstand herleiten, dass das Oberlandesgericht den Anwalt nicht noch vor Ablauf der Frist auf die Unvollständigkeit des Schriftsatzes und die fehlende Unterschrift hingewiesen hat. Das Gericht darf zwar nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleidet (BGH MDR 2004, 1252). Es besteht aber keine Pflicht des Berufungsgerichts, vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zu prüfen, ob die Rechtsmittelschrift ordnungsgemäß unterzeichnet und vollständig ist, um erforderlichenfalls durch entsprechende Hinweise auf eine Vervollständigung durch den Prozessbevollmächtigten hinzuwirken. Vorliegend ist das Fehlen der Seite 6 von dem Gericht zudem erst nach Ablauf der Berufungsfrist aufgefallen. Dass dies der Geschäftsstellenverwalterin bei sorgfältiger Durchsicht des Schriftssatzes nach dessen Eingang und vor Versendung der Mitteilung über den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten, also noch einige Tage vor Ablauf der Berufungsfrist hätte auffallen können, genügt nicht zur Annahme eines gravierenden Fehlers des Gerichts, der die Verantwortung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten entfallen oder deutlich hinter den gerichtlichen Fehler zurücktreten lässt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 11.176,41 €.

Ende der Entscheidung

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