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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 06.12.2006
Aktenzeichen: 11 U 73/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 31.03.2006 (12 O 321/05) dahin abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin, die eine Getränkegroßhandlung (im folgenden GFB) betreibt, nimmt die Beklagte auf Schadensersatz aus einer am 28.05.2002 unterzeichneten Erklärung in Anspruch. Die Beklagte war zur damaligen Zeit Eigentümerin des Hauses B, Q-Straße 117, in dessen Erdgeschoss Herr N L aufgrund eines Mietvertrages vom 10.07.2002 mit der Beklagten ein Restaurant eröffnete. In diesem Zusammenhang wurden eine Darlehens- und Getränkelieferungsvereinbarung zwischen der Klägerin und Herrn L vom 26.04./24.05.2002 (Bl. 8-9 R d. A.) getroffen sowie die Bürgschaftserklärung eines Herrn C (Bl. 12 d. A.) und die Erklärung der Beklagten vom 28.05.2002 (Bl. 14 d. A.) abgegeben. In dieser Erklärung heißt es u.a.:

"1. Sollte der Mietvertrag zwischen mir und meinem Mieter beendet werden, bevor alle vertraglichen Verpflichtungen und gfs. Verbindlichkeiten aus dem vorerwähnten Darlehens- und Getränkebezugsvertrag gegenüber dem GFB erfüllt sind, verpflichte ich mich, diese vertraglichen Verpflichtungen allen evtl. Miet-, Pacht- oder sonstigen Rechtsnachfolgern meines Mieters als meine eigene aufzuerlegen. Dies gilt entsprechend, wenn ich die Bewirtschaftung selbst übernehmen sollte.

2. Ich verpflichte mich außerdem, die o. g. Verpflichtungen meinen jeweiligen Voll- oder Teilrechtsnachfolgern in Besitz oder Eigentum oder aus einem sonstigen Rechtsverhältnis, in rechtswirksamer Form aufzuerlegen.

3. Ich bin bereit, die aufgrund dieser Verpflichtung mit Nachfolgern meines Mieters oder mit eigenen Rechtsnachfolgern abzuschließenden Verträge in der Weise abzufassen, dass der GFB daraus unmittelbare Rechte und Ansprüche erwerben soll..."

Die Klägerin stellte Herrn L in Erfüllung der Darlehens- und Getränkelieferungsvereinbarung 35.000,00 € zur Verfügung, davon zahlte sie 20.000,00 € unmittelbar an den Inventarlieferanten zur Inventarisierung des Restaurants. Am 25.02.2003 kam es zwischen Herrn L, einem Herrn M und der Beklagten zu Vereinbarungen in Bezug auf die Räumlichkeiten und die Fortführung des Restaurants. Zum einen schlossen Herr L und Herr M einen Unterpachtvertrag, zum anderen vereinbarten alle drei Beteiligten, dass Herr M die gesamten Pachtzinsen unmittelbar an die Beklagte zu zahlen hatte. Im Falle der Nichterfüllung dieser Pflicht sollte L der Beklagten gegenüber haften. Nachdem die Klägerin den Wechsel in der Führung des Restaurants in Erfahrung gebracht hatte, erwirkte sie am 22.05.2003 eine Getränkebezugsverpflichtung des Herrn M, die jedoch nach einem Jahr - mangels Belehrung über das Widerrufsrecht - wirksam widerrufen wurde. Anschließend bezog Herr M von der Klägerin keine Getränke mehr. Herr L war nicht mehr aufzufinden, als die Klägerin ihn wegen der Rückzahlung des am 01.04.2004 vorzeitig fällig gestellten Darlehens in Anspruch nehmen wollte.

Die Klägerin hat die Feststellung beantragt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die der Klägerin dadurch entstanden sind oder noch entstehen, dass a) die Beklagte dem derzeitigen Betreiber des Restaurants, Herrn M, die Getränkebezugsverpflichtung nicht wirksam auferlegt hat, und b), dass sie das Objekt an einen Dritten veräußert hat, ohne dem Erwerber die Verpflichtung aufzuerlegen, dem jeweiligen Betreiber des Objektes die Getränkebezugsverpflichtung aufzuerlegen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die in der Erklärung vom 28.05.2002 getroffene Vereinbarung sei wirksam und nicht sittenwidrig. Die Beklagte habe sich daher einerseits dadurch schadensersatzpflichtig gemacht, dass sie das Objekt weiter veräußert habe, ohne die Getränkebezugsverpflichtung weiter zu geben. Andererseits sei sie wegen der Beteiligung an dem Unterpachtvertrag zwischen Herrn L und Herrn M zum Schadensersatz verpflichtet. Der Unterpachtvertrag sei als Umgehungsgeschäft anzusehen; in Wirklichkeit habe es sich um die Auswechslung des Pächters gehandelt, so dass die Beklagte Herrn M die Getränkebezugsverpflichtung hätte auferlegen müssen.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage fort. Sie macht geltend, die Vereinbarung vom 28.05.2002 verstoße gegen die guten Sitten. Außerdem handele es sich um einen von der Klägerin einseitig gestellten Formularvertrag, der einer Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht standhalte. Die Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Unterverpachtung an Herrn M seien überdies kein Umgehungsgeschäft, durch das sich die Beklagte schadensersatzpflichtig gemacht haben könnte.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil, die Schriftsätze der Parteien sowie die sonstigen zu den Akten gereichten Unterlagen und die Akte 9 0 583/04 LG Aachen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

1.

Hinsichtlich des Klageantrags zu 1), der auf die Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung gerichtet ist, weil die Beklagte die Bezugsverpflichtung an den Unterpächter Herrn M nicht weitergegeben hat, ist die Klage unabhängig davon unbegründet, ob die Verpflichtungserklärung vom 28.5.2002 wirksam ist; denn insoweit liegt schon kein Verstoß gegen die Erklärung vor. Nach dieser sollte die Beklagte die vertraglichen Verpflichtungen aus dem Darlehens- und Getränkebezugsvertrag allen "Miet-, Pacht- oder sonstigen Rechtsnachfolgern" ihres Mieters bzw. Pächters, Herrn L, auferlegen. Die Unterverpachtung stellt jedoch keine Rechtsnachfolge auf Mieterseite dar. Die Unterverpachtung war auch kein Umgehungsgeschäft. Der ursprüngliche Mieter bzw. Pächter, Herr L, blieb der Klägerin als Vertragspartner erhalten. Über ihn hätte sie folglich den Getränkebezug weiter verfolgen können. Das Risiko, dass der Mieter nicht mehr erreichbar war, hätte sie auch sonst zu tragen gehabt. Es wurde durch die Unterverpachtung allenfalls vergrößert. Die Klägerin hätte sich deshalb durch eine eindeutige Regelung gegen die naheliegende Möglichkeit einer Unterverpachtung absichern müssen. Aus der Darlehens- und Getränkelieferungsvereinbarung zwischen der Klägerin und Herrn L ergibt sich aber im Gegenteil, dass diesem die Unterverpachtung gestattet war. Nach Nr. 2. der Vereinbarung hat Herr L als Kunde der Klägerin die Gewährleistung für den Getränkebezug für sich und seine Rechtsnachfolger sowie für "die jeweiligen Betreiber (gleich in welcher Art diese auftreten)" übernommen. Daraus geht hervor, dass die Klägerin das Risiko, dass Herr L die Gaststätte nicht selbst betreibt, nicht ausgeschlossen, sondern sogar übernommen hat. Zudem hatte der Unterpächter eine Getränkebezugsverpflichtung unterzeichnet; dass diese wegen fehlender Widerrufsbelehrung wirksam widerrufen werden konnte, fällt unter Abwägung aller Umstände der Klägerin zur Last.

2.

Im übrigen ist die Klage - hinsichtlich beider Klageanträge - unbegründet, weil die von der Beklagten abverlangte Erklärung vom 28.05.2002 nach § 138 BGB unwirksam ist, da sie zu einer sittenwidrigen Knebelung der Beklagten führt. Zwar ist bei Bier- und Getränkebezugsverträgen das Bestreben der Bauereien grundsätzlich nicht zu beanstanden, sich durch längerfristige Bezugsverpflichtungen der Gastwirte die Absatzgrundlage zu sichern und ein angemessenes Entgelt für die Hingabe von Darlehen zu erhalten, die den Gastwirten die Existenzgrundlage oft erst ermöglichen. Leistung und Gegenleistung müssen aber in einem angemessenen Verhältnis stehen. Die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit des Vertragspartners darf dabei nicht in unvertretbarer Weise eingeengt werden. Hierbei gilt grundsätzlich: je größer die Gegenleistungen der Brauerei sind, desto einschneidender können im Einzelfall die Bindungen sein, die der Gastwirt im Interesse einer sachgerechten Risikobegrenzung auf Seiten der Brauerei noch hinnehmen muss (OLG Köln - 3. Zivilsenat - NJW-RR 1995, 1516 = OLGR 1995, 161; ferner etwa BGHZ 147, 279, 280 f. = NJW 2001, 2331; BGH WM 1984, 88, 89 = GRUR 1984, 298; Münchener Kommentar - Armbrüster, BGB, 5. Auflage, § 138 Rn. 75; Bühler, Brauerei- und Gaststättenrecht, 11. Auflage, Rn. 275 ff., 322 jeweils m.w.N.). Nach diesen Maßstäben können auch Verpflichtungserklärungen des Eigentümers oder Verpächters einer Gaststätte, der diese nicht selbst betreibt, aber in die Bierbezugs- und Darlehensverpflichtung einbezogen wird, wegen Sittenverstoßes unwirksam sein (OLG Köln, NJW-RR 1995, 1516; OLG Düsseldorf Urteil vom 22.04.1999 - 13 U 100/98; Bühler, a.a.O., Rn. 600 f.). Erforderlich ist eine umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalles; in deren Rahmen dürfen Vorteile, die die Brauerei dem Pächter eingeräumt hat, im Verhältnis zum Eigentümer oder Verpächter keine Berücksichtigung finden (OLG Köln NJW-RR 1995, 1516, 1517; Bühler, a.a.O., Rn. 600).

Die Abwägung führt hier zum Verdikt der Sittenwidrigkeit. Allerdings ist die vereinbarte Laufzeit der Bezugsverpflichtung von zehn Jahren für sich gesehen unbedenklich (BGHZ 147, 279 = NJW 2001, 2331; OLG Köln NJW-RR 1995, 1515 m.w.N.). Die Vereinbarung einer Weitergabe der Bezugsverpflichtung ist ebenfalls nicht sittenwidrig. Hinzu kommt jedoch, dass die Beklagte verpflichtet sein soll, die Darlehensverbindlichkeit des Mieters bzw. Pächters an dessen (Nr. 1. der Erklärung) oder an ihre (Nr. 2. der Erklärung) Rechtsnachfolger weiterzugeben. Das verstößt bei der gebotenen Gesamtbetrachtung gegen die guten Sitten, da hierdurch die Verwertung des Objektes unzumutbar erschwert wird, ohne dass dem eine unmittelbare Gegenleistung der Klägerin gegenüberstünde (vgl. OLG Düsseldorf Urteil vom 22.04.1999 - 13 U 100/98; Bühler, a.a.O., Rn. 601). So liegt es auch hier. Die Übertragung bestehender Darlehensverpflichtungen des Vorpächters auf den Nachpächter oder einen Käufer, der zur Existenzgründung in der Regel eines weiteren Darlehens bedarf, ist nur zu erreichen, wenn sich der Verpächter auf die Zahlung eines niedrigeren Pachtzinses oder Kaufpreises einlässt. Den Mietnachteil hat die Beklagte unbestritten auf mindestens 500,00 € pro Monat, d. h. für die vereinbarte Bezugsdauer von zehn Jahren auf 60.000,00 € beziffert, während die ihr nach der Darlehens- und Getränkelieferungsvereinbarung zustehende Rückvergütung nur 12.000,00 € betragen hätte. Ebenso wird durch eine Darlehensbelastung die Weiterveräußerung des Objektes wesentlich erschwert. An einem angemessenen Ausgleich durch eine Gegenleistung fehlt es. Das Landgericht meint, der Nachfolgepächter M habe das Mietobjekt mit dem neuen Inventar übernommen und im Zweifel kein neues Darlehen gebraucht. Das Inventar habe im Sicherungseigentum der Klägerin gestanden, sodass der Vorpächter es nicht habe entfernen können. Diese Begründung trägt nicht. Das Darlehen betrug 35.000,00 €; davon sind nur 20.000,00 € unmittelbar an den Inventarlieferanten gezahlt und durch Sicherungseigentum abgesichert worden (Nr. 1. und 2. der Darlehens- und Getränkelieferungsvereinbarung). Der restliche Teil von 15.000,00 € ist nicht durch Sicherungseigentum am Inventar abgesichert. Überdies unterliegt das Inventar einem raschen Wertverlust und hat nach kurzer Zeit praktisch keinen Wert mehr, wie die Klägerin selbst einräumt (Berufungserwiderung S. 5 = Bl. 195 d. A.; ferner BGHZ 147, 279, 285). Da für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäftes maßgebend ist (BGH WM 1984, 88, 90; Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Auflage, § 138 Rn. 9; Bühler, a.a.O., Rdn. 290, 396 m.w.N.), kommt es nicht entscheidend darauf an, welchen Wert das Inventar und welchen Stand das Darlehen zur Zeit noch hat, sondern nur darauf, mit welcher Entwicklung der Verhältnisse typischerweise zu rechnen war. Ungeachtet dessen valutiert das Darlehen immer noch in der die Beklagte in einer Verwertung des Mietobjektes erheblich beeinträchtigenden Höhe von 36.137,63 € (Bl. 5, 45 d. A.). Bei der Abwägung fällt zu Lasten der Klägerin weiter ins Gewicht, dass diese sich noch nicht einmal verpflichtet hat, einen von der Beklagten oder dem Pächter gestellten Nachpächter zu akzeptieren und mit ihm den Bezugsvertrag fortzusetzen. Zudem handelt es sich bei der Eigentümererklärung vom 28.5.2002 dem äußeren Erscheinungsbild nach um von der Klägerin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen (dazu Palandt/Heinrichs § 305 Rn. 24). Für ein individuelles Aushandeln trägt die darlegungspflichtige Klägerin nichts Konkretes vor (dazu Palandt/Heinrichs § 305 Rdn. 21 ff., 24). Einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB dürfte die Vereinbarung zwar nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB entzogen sein, da sie nicht von Rechtsvorschriften abweicht; es gibt - anders als beim Bierbezugsvertrag an sich - kein gesetzliches Leitbild, an dem der Vertrag gesondert gemessen werden könnte. Im Rahmen der Abwägung nach § 138 BGB ist die Einseitigkeit der Vertragsstellung allerdings ein Element, das die Sittenwidrigkeit verstärkt.

Das Landgericht ist der Auffassung, auf die Abrede zur Weitergabe der Darlehensverpflichtung komme es nicht an, weil sich die Klage nur auf die Nichtweitergabe der Getränkebezugsverpflichtung beziehe. Dem ist nicht zu folgen. Die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung erfasst die gesamte Eigentümererklärung, so dass diese als ganzes nach § 138 BGB nichtig ist (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Aus der vom Landgericht angeführten Entscheidung des BGH (BGHZ 147, 279 = NJW 2001, 2331) ergibt sich nichts anderes.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht vorliegen.

Berufungsstreitwert: 30.000,00 €

Ende der Entscheidung

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