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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 03.06.2002
Aktenzeichen: 11 W 20/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 68
ZPO § 71
ZPO § 72
ZPO § 73
ZPO §§ 12 ff.
ZPO § 74 Abs. 3
ZPO § 71 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
BGB § 935 Abs. 1
BGB § 932 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

11 W 20/02

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Pastor und die Richter am Oberlandesgericht Zoll und Dr. Schmidt

am 03.06.2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Streitverkündeten gegen das Zwischenurteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 22.02.2002 -18 O 458/97 - wird auf Kosten der Streitverkündeten zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger kaufte von dem Beklagten einen PKW, der ihm in Vollzug des Kaufvertrages übergeben wurde. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages in Höhe von 48.200,00 DM geltend. Er behauptet, er habe an dem Fahrzeug kein Eigentum erworben; das Fahrzeug sei nämlich einem früheren Eigentümer in Belgien gestohlen worden. Der Beklagte begehrt Abweisung der Klage. Er behauptet, der Diebstahl sei von einem früheren Eigentümer in betrügerischer Absicht nur vorgetäuscht worden, um von dem streitverkündeten belgischen Versicherer die bei einem Diebstahl anfallende Versicherungssumme zu erlangen.

Die Streitverkündete hat den dem früheren Eigentümer durch den angeblichen Diebstahl entstandenen vermeintlichen Schaden reguliert. Die deutschen Polizeibehörden gaben das Fahrzeug, das zunächst sichergestellt worden war, an die Streitverkündete heraus.

Der Kläger hat der Streitverkündeten mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf seiner Seite beizutreten, den Streit verkündet; er ist der Ansicht, er könne bei der Streitverkündeten Rückgriff nehmen, wenn sich im vorliegenden Rechtsstreit heraus stellt, dass ein Diebstahl nicht zu beweisen ist.

Die Streitverkündete ist der Ansicht, die Zulässigkeit einer Streitverkündung sei analog § 71 ZPO bereits im Ausgangsprozess zu prüfen, wenn der Streitverkündete seinen Sitz im Ausland habe. In Belgien, wo ein etwaiger Folgeprozess gegen sie zu führen sei, sei das Institut der Streitverkündung unbekannt.

Die Streitverkündete hat beantragt, die Streitverkündung zurückzuweisen. Der Kläger hat um Zurückweisung dieses Antrags gebeten. Er hält den Antrag für unzulässig.

Das Landgericht hat den Antrag der Streitverkündeten durch das angefochtene Zwischenurteil zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Streitverkündeten.

II.

Die gemäß § 71 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Das Landgericht hat den Antrag der Streitverkündeten auf Zurückweisung der Streitverkündung zu Recht zurückgewiesen.

Der Antrag ist jedenfalls unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falls unzulässig.

1. Die Zulässigkeit der Streitverkündung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, erst im Folgeprozess zu prüfen (vgl. nur BGHZ 36, 212, 217; 116, 95, 98; ferner: Schilken in: MünchKomm zur ZPO, 2. Aufl., § 72 Rn. 17; Zöller/Vollkommer, 23. Aufl., § 72 Rn. 1; jeweils mit weiteren Nachweisen). Einen Antrag des nicht beitretenden Streitverkündeten auf Zurückweisung der Streitverkündung kennt das Gesetz nicht.

2. Allerdings wird die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen der Streitverkündung seien bereits im inländischen Hauptprozess zu prüfen, wenn der Folgeprozess im Ausland stattfinde (Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rn. 2). Vollkommer stützt diese allgemein gehaltene Aussage auf einen Aufsatz von Hoffmann und Hau (RIW 1997, 89 ff.). Dieser beschäftigt sich mit den Problemen der abredewidrigen Streitverkündung im europäischen Zivilrechtsverkehr. Die Verfasser legen hier dar, dass der allgemeinen Meinung, wonach die Zulässigkeit der Streitverkündung erst im Folgeprozess zu prüfen ist, für den rein innerstaatlichen Bereich zuzustimmen sei, dass aber Ausnahmen geboten sein könnten, wenn der Sachverhalt Bezüge zu mehreren Staaten aufweist, die Regressklage gegen den Streitverkündeten nur im Ausland erhoben werden kann und ihm aufgrund dieser Sachlage möglicherweise Rechtsnachteile drohen, denen durch eine Prüfung der Zulässigkeit der Streitverkündung im Erstprozess entgegen gewirkt werden kann (a.a.O., S. 92 ff.). Abschließend gelangen die Verfasser keinesfalls zu der von Vollkommer dargestellten allgemeinen Aussage; vielmehr gelangen sie zu folgendem Ergebnis (a.a.O., S. 94): Es sei notwendig, in Abweichung von der gängigen Praxis in bestimmten Fällen bereits im Ausgangsprozess die Wirksamkeit der Streitverkündung zu überprüfen; als Ausnahmefall kämen insbesondere Sachverhalte in Betracht, in denen der Regressprozess nicht im Inland stattfinden könne und in denen es einem später angerufenen ausländischen Gericht verwehrt sei, diese Überprüfung nachzuholen. Eine Überprüfung in analoger Anwendung des § 71 ZPO komme in Betracht, wenn schützenswerte Interessen des Streitverkündeten dies geböten und der Streitverkündete sonst rechtlos gestellt wäre.

3. Der Senat hält die Ausführungen von Hoffmann und Hau durchaus für bedenkenswert. Einer abschließenden Entscheidung darüber, ob die Zulässigkeit einer Streitverkündung unter den von ihnen beschriebenen Voraussetzungen im Erstverfahren geprüft werden kann, bedarf es aber nicht. Voraussetzung für eine solche, über die Vorschriften der Zivilprozessordnung hinaus gehende Erweiterung der Rechte des Streitverkündeten ist jedenfalls auch nach Auffassung der genannten Autoren, dass dies durch ein berechtigtes Bedürfnis des Streitverkündeten gerechtfertigt ist. Soweit die allgemein gehaltene Formulierung von Vollkommer diesen Aspekt außer Acht lässt, kann sie sich weder auf den in Bezug genommenen Aufsatz noch auf sonstige nachvollziehbare Gründe stützen.

4. Im vorliegenden Fall hat die Streitverkündete keine berechtigten Gründe dargelegt, die eine erweiternde Anwendung des Gesetzes rechtfertigen könnten.

a) Die Streitverkündete macht geltend: Wenn Deutschland schon das Recht in Anspruch nehme, im Wege der Streitverkündung Dritte vor deutsche Gerichte zu zitieren, auch wenn keiner der in §§ 12 ff. ZPO aufgeführten Zuständigkeitsanknüpfungspunkte in Bezug auf den Streitverkündeten vorlägen, und damit über das Damoklesschwert der Streitverkündungswirkung Druck ausübe, sei die Zulässigkeit der Streitverkündung zu überprüfen.

Der erste Teil dieses Satzes zitiert Geimer (Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Rn. 2821). Dieser leitet aus der Möglichkeit, den Streitverkündeten in Deutschland vor Gericht zu zitieren aber keineswegs die Folge ab, die Zulässigkeit der Streitverkündung müsse im Erstverfahren überprüft werden; vielmehr meint er, aus diesem Grund könne fremden Staaten nicht das Recht abgesprochen werden, Garantieurteile zu erlassen (Geimer, a.a.O. mit Bezug auf BGH, NJW 1970, 387 m. Anm. Geimer). Das von der Streitverkündeten beanstandete "Zitierrecht" ergibt sich im Übrigen ohne Weiteres daraus, dass im Anwendungsbereich des EuGVÜ (jetzt der EuGVVO) in der Bundesrepublik jede Person, die ihren Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat hat, nach den Vorschriften über die Streitverkündung (§§ 72 - 74, 68 ZPO) vor Gericht geladen werden kann (Art. V Abs. 1 Satz 2 des Protokolls vom 27.09.1968, abgedruckt bei Zöller/Geimer, 22. Aufl., S. 2678 f.; jetzt Art. 65 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a EuGVVO, abgedruckt bei Zöller/Geimer, 23. Aufl., S. 2601 ff., 2649). Die Wirkungen, welche die nach den genannten Vorschriften in Deutschland ergangenen Entscheidungen gegenüber Dritten haben, werden in den Vertragsstaaten - zu denen auch Belgien gehört - anerkannt (Art. V Abs. 2 Satz 2 des Protokolls vom 27.09.1968; jetzt Art. 65 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a EuGVVO; vgl. insgesamt Zöller/Vollkommer, 22. und 23. Aufl., jeweils § 68 Rn. 2 und § 72 Rn. 2).

Was die Streitverkündete beanstandet, ergibt sich also aus den europäischen Vereinbarungen bzw. jetzt aus der diese übernehmenden Verordnung des Rates vom 22.12.2000. Dass durch diese - entgegen der Ansicht der Streitverkündeten - nicht der Justizgewährungsanspruch einer Partei im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK beeinträchtigt wird, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Ein besonderes Bedürfnis nach einer erweiternden Anwendung des § 71 ZPO ist mit der behandelten Beanstandung mithin nicht dargelegt.

b) Die Streitverkündete macht ferner geltend, für das Gericht eines möglichen Folgeprozesses im belgischen Sprachraum gebe es keinerlei Informationen zum Institut der Streitverkündung, niemand wisse so recht, wie man den Begriff in die französische Sprache übersetzen solle, auch werfe das Institut der Streitverkündung eine Vielzahl strittiger Fragen auf, die nicht einheitlich beantwortet würden.

Auch mit diesen Argumenten wird kein besonderes Bedürfnis für eine erweiternde Anwendung des § 71 ZPO im Streitfall aufgezeigt. Die französischsprachigen Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, die Wirkung von in Deutschland nach den §§ 72 - 74, 68 ZPO getroffenen Entscheidungen gegenüber Dritten anzuerkennen. Dann müssen auch Möglichkeiten für die dortigen Gerichte bestehen, dem Rechnung zu tragen. Bei fortschreitender europäischer Vernetzung und im Zeitalter des Internets ist die Informationsbeschaffung auch kein unüberwindliches Hindernis, mögen insoweit auch gewisse Schwierigkeiten bestehen.

c) Ein besonderes Bedürfnis für die Zulassung des von der Streitverkündeten gestellten Antrags ist auch ansonsten nicht zu erkennen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, welche besonderen Schwierigkeiten für das belgische Gericht eines möglichen Folgeprozesses bestehen sollten, die Wirkungen der Streitverkündung im Streitfall einzuschätzen. Im vorliegenden Rechtsstreit ist schlicht und einfach festzustellen, ob der dem Kläger verkaufte PKW in Belgien gestohlen worden war oder ob der frühere belgische Eigentümer den Diebstahl nur vorgespiegelt hat, um die Streitverkündete um die Versicherungssumme zu betrügen. Ist Ersteres der Fall, hat der Kläger nach deutschem Recht kein Eigentum erworben (§ 935 Abs. 1 BGB); seine Klage wird - jedenfalls dem Grunde nach - Erfolg haben; ein Anspruch gegen die Streitverkündete auf Herausgabe des PKW kommt nicht in Betracht. War das Fahrzeug nicht gestohlen, ist der Kläger nach deutschem Recht dessen Eigentümer (§ 932 Abs. 1 BGB) und die Klage unbegründet; es kommt dann ein Herausgabeanspruch (oder ein daran anknüpfender Ersatzanspruch) gegen die Streitverkündete als Besitzer des PKW in Betracht. An diesen sich alternativ bei einer Abweisung der Klage gegen die Streitverkündete ergebenden möglichen Anspruch knüpft die Streitverkündung offensichtlich an (zu Ansprüchen aus Alternativverhältnissen vgl. Zöller/ Vollkommer, a.a.O., § 72 Rn. 8). Der Kläger will erreichen, dass die mögliche Feststellung der Gerichte im vorliegenden Rechtsstreit, es sei kein Diebstahl festzustellen, im Nachfolgeprozess gegen die Streitverkündete bindend feststeht (§§ 68, 74 Abs. 3 ZPO). Das belgische Gericht des Nachfolgeprozesses wird lediglich zu beurteilen haben, ob dem letztlich im vorliegenden Rechtsstreit ergehenden Erkenntnis diese Interventionswirkung zukommt oder nicht. Eine derart einfachst strukturierte Prozesslage ist aber weit entfernt von den Fallgestaltungen, für die Hoffmann und Hau eine erweiternde Anwendung des § 71 ZPO bejahen und für die sie auch nach Ansicht des Senats allenfalls bejaht werden kann.

5. Die sofortige Beschwerde ist mithin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Es besteht kein Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen ( § 574 ZPO). Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Der Senat entscheidet die Frage, ob die Zulässigkeit der Streitverkündung in bestimmten Fällen bereits im Ausgangsverfahren zu prüfen ist, nicht abschließend, hält vielmehr die Notwendigkeit einer solchen Prüfung in geeigneten Fällen durchaus für möglich. Die auf den Streitfall bezogene Feststellung, dass es für die Zulassung eines außerordentlichen, vom Gesetz an sich verwehrten prozessualen Antrags der Darlegung nachvollziehbarer, ein Rechtsschutzinteresse begründender Umstände bedarf und dass solche angesichts der konkreten Umständen des vorliegenden Falls nicht vorliegen, erfordert keine Nachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Beschwerdewert: 5.000,00 €

Ende der Entscheidung

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