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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 21.11.2007
Aktenzeichen: 13 U 21/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB §§ 407 ff.
BGB § 409
BGB § 409 Abs. 1 Satz 1
BGB § 409 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 138 Abs. 3
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 21/07

Anlage zum Protokoll vom 21.11.2007

Verkündet am 21.11.2007

In dem Berufungsrechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 17.Oktober 2007 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Gundlach sowie der Richter am Oberlandesgericht Hentschel und Dr. Waters

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 21. Dezember 2006 - 15 O 249/06 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 88.974,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung des Rückkaufswertes einer ihr zur Sicherheit abgetretenen Lebensversicherung. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Ergänzend ist festzuhalten, dass die Kopie der Freigabeerklärung vom 01.06.2005, welche der Beklagten vor Auszahlung der Versicherungsleistung von 88.974,75 € an die Versicherungsnehmerin Frau S. vorlag, keine Originalunterschrift aufgewiesen hat.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 21.12.2006 (Bl. 115 ff. GA), auf das im Übrigen wegen der rechtlichen Würdigung durch die Zivilkammer Bezug genommen wird, mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe schuldbefreiend an die Versicherungsnehmerin H. S. gezahlt. Zugunsten der Beklagten greife die Vorschrift des § 409 Abs.1 Satz 1 BGB ein, denn die Klägerin habe dadurch, dass sie Herrn S. eine unterzeichnete Kopie des Freigabeschreibens zugesandt habe, einen ihr zurechenbaren Rechtsschein gesetzt. Das Schreiben sei zwar - weil Kopie - keine Urkunde i.S.d. § 409 Abs.1 Satz 2 BGB, es sei aber als Anzeige der Abtretung i.S.d. Satz 1 dieser Vorschrift anzusehen.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Kopie der Freigabeerklärung enthalte bereits keine Anzeige i.S.d. § 409 Abs.1 Satz 1 BGB und erst recht nicht eine solche der Klägerin an die Beklagte; hieran vermöge auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Kopie eine - ebenfalls kopierte - Unterschrift enthalten habe. Die Kopie sei weder von der Klägerin noch auf deren Veranlassung an die Beklagte übersandt worden. Soweit die Kammer dies damit zu überbrücken versuche, dass sie auf allgemeine Rechtsscheingrundsätze zurückgreife, sei dies fehlerhaft, denn durch eine ausdrücklich als solches bezeichnete Kopie werde kein Rechtsschein hervorgerufen. Zudem werde durch den Rückgriff auf allgemeine Rechtsscheingrundsätze die klare Systematik der gesetzlichen Regelung ausgehebelt, denn § 409 Abs.1 Satz 1 BGB setze gerade voraus, dass die Anzeige der Abtretung vom Altgläubiger stamme.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des am 21.12.2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln - 15 O 249/06 - zu verurteilen, an sie 88.974,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Dabei vertritt sie insbesondere die Auffassung, für die Anwendung des § 409 Abs 1 Satz 1 BGB reiche es aus, dass die Erklärung von der Klägerin selbst in Verkehr gebracht worden und - auf welchem Wege auch immer - ihr, der Beklagten zugegangen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens im Berufungsrechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist begründet, der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch zu, denn die Beklagte ist durch Auszahlung der Versicherungsleistung an Frau S. von ihrer Leistungspflicht der Klägerin gegenüber nicht befreit worden.

Die Voraussetzungen des § 409 Abs.1 Satz 2 BGB hat das Landgericht angesichts der Tatsache, dass es sich bei der der Beklagten übersandten Freigabeerklärung vom 01.06.2005 nicht um das Original, sondern um eine - auch nicht original unterzeichnete - Kopie gehandelt hat, zu Recht verneint. Da die diesbezüglichen Darlegungen auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt worden sind, verzichtet der Senat auf ergänzende Ausführungen.

Die Voraussetzungen des § 409 Abs.1 Satz 1 BGB sind entgegen der Ansicht des Landgerichts und der Beklagten ebenfalls nicht erfüllt. Zutreffend ist zwar, dass in der Vorlage der Fotokopie einer Urkunde eine Anzeige i.S. dieser Vorschrift liegen kann (vgl. MünchKomm/Roth, BGB, 5. Aufl., 2007, § 409 Rz.7), erforderlich für ein Eingreifen dieser Norm ist aber nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut, dass die Abtretung der Schuldnerin von der Gläubigerin - hier also von der Klägerin - angezeigt worden ist. Dies hat die insoweit beweispflichtige Beklagte bereits nicht substantiiert dargelegt.

Bei der Anzeige i.S.d. § 409 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt es sich nach ganz herrschender Auffassung um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, die Vorschriften über Willenserklärungen finden damit grundsätzlich entsprechende Anwendung (vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Aufl., § 409 Rz.3). Im Gegensatz zur Urkunde i.S.d. § 409 Abs.1 Satz 2 BGB ist die Anzeige nicht an eine bestimmte Form gebunden. Trotz Formfreiheit setzt der rechtsgeschäftsähnliche Charakter der Anzeige i.S.d. § 409 Abs.1 Satz 1 BGB hinsichtlich des objektiven Tatbestandes ebenso wie der objektive Tatbestand einer Willenserklärung die Äußerung eines auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichteten Willens voraus. Die Anzeige muss vom wahren Gläubiger stammen, den neuen Gläubiger erkennen lassen (BGHZ 100, 36 [46]) und - wie eine empfangsbedürftige Willenserklärung - mit Willen des wahren Gläubigers in den Rechtsverkehr eingebracht worden sein (Prütting/Wegen/Weinreich/Müller, BGB, 2. Aufl., § 409 Rz.2; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 409 Rz.3; vgl. zur Willenserklärung, Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 130 Rz.4); ein genereller Entäußerungswille ist insoweit nicht ausreichend, vielmehr muss gerade die Anzeige an den Schuldner vom Willen des Gläubigers getragen werden (MünchKomm/Roth, a.a.O., § 409 Rz.6; Staudinger/Busche, BGB, 2005, § 409 Rz.15). Auf abhanden gekommene Erklärungen findet § 409 Abs.1 Satz 1 BGB nach zutreffender Auffassung keine Anwendung (vgl. Staudinger/Busche, a.a.O., § 409 Rz.15 und 22; MünchKomm/Roth, § 409 Rz.6; Soergel/Zeiss, BGB, 12. Aufl., § 409 Rz.4).

Vorliegend war das von der Klägerin an den Notar übersandte Original der Freigabeerklärung zwar ebenso wie die den Versicherungsnehmern übersandte Kopie an die Beklagte adressiert, auch ließ sie den neuen Gläubiger erkennen. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. PWW/Müller, a.a.O., § 409 Rz.5) hat jedoch schon nicht dargelegt (und darüber hinaus keinen Beweis angetreten), dass die Klägerin die Freigabeerklärung ihr gegenüber willentlich entäußert hat, die Beklagte hat sich vielmehr zu den Umständen der Übersendung der Kopie, insbesondere dazu, von wem sie die Kopie der Freigabeerklärung erhalten hat, nicht erklärt. Soweit die Beklagte meint, die Frage, wie sie in den Besitz der Kopie gelangt sei, habe für den Ausgang des Rechtsstreits keine Relevanz, da auch der von Dritten herbeigeführte Zugang der Kopie der Freigabeerklärung zum Eingreifen des § 409 Abs.1 Satz 1 BGB führe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zwar besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, die Anzeige i.S.d. § 409 Abs. 1 Satz 1 BGB durch einen Boten überbringen oder von einem Vertreter aussprechen zu lassen (MünchKomm/Roth § 409 Rz.5); auch derartiges lässt sich dem Vorbringen der Beklagten jedoch nicht entnehmen. Angesichts dessen bedarf keiner Vertiefung, ob vorliegend in der ausdrücklich als Kopie gekennzeichneten Erklärung, die der Beklagten seinerzeit vorgelegen hat, überhaupt eine Anzeige i.S.d. § 409 Abs.1 Satz 1 BGB zu sehen ist.

Zugunsten der Beklagten greifen auch allgemeine Rechtsscheingrundsätze nicht ein. Dahinstehen kann, ob diese Grundsätze neben den speziellen Regelungen der §§ 407 ff. BGB anwendbar sind, denn die Beklagte kann sich angesichts der Gesamtumstände nicht auf einen allgemeinen Rechtsschein berufen. Da die Beklagte dazu, wie sie in den Besitz der Kopie der Freigabeerklärung gelangt ist, keinerlei Angaben gemacht hat, geht der Senat entsprechend dem Vorbringen der Klägerin davon aus § 138 Abs. 3 ZPO, dass sie die Freigabeerklärung vom 01.06.2005 nicht von der Klägerin oder dem Notar, sondern erst einige Monate später von dritter Seite erhalten hat. Schon diese Umstände hätten für die Beklagte Anlass sein müssen, vor der Auszahlung der Versicherungssumme bei der Klägerin nachzufragen. Berücksichtigt man ferner, dass für die Beklagte aufgrund des Zusatzes "Kopie" auf der Freigabeerklärung deutlich erkennbar war, dass von dieser Urkunde auch ein Original existierte, bestehen für einen Rechtsschein zugunsten der Beklagten keinerlei tragfähige Anknüpfungspunkte. Der Beklagten musste sich vielmehr die Frage geradezu aufdrängen, warum ihr von dritter Seite lediglich eine Kopie und nicht das ebenfalls an sie adressierte Original übersandt worden war. Dass sie die Versicherungsleistung gleichwohl ohne weitere Nachprüfung an Frau S. ausgezahlt hat, kann nur als grob leichtfertig eingestuft werden.

III.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass kein Grund i.S.d. § 543 Abs.2 ZPO besteht, die Revision zuzulassen. Die Tatsache, dass eine höchstrichterliche Entscheidung der Frage, ob die Anzeige an den Schuldner gemäß § 409 Abs.1 Satz 1 BGB vom Willen des Gläubigers getragen werden muss, nicht vorliegt, führt entgegen der Ansicht der Berufung nicht dazu, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt; auch erfordert die Fortbildung des Rechts keine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die - in der Literatur soweit ersichtlich ohnehin nicht streitige - Frage beantwortet sich vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen. Anlass, insoweit besondere Leitsätze für die Auslegung des § 409 BGB aufzustellen, besteht nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen im Übrigen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert: 88.974,75 €

Ende der Entscheidung

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