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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 18.09.2007
Aktenzeichen: 15 U 64/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 256 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.02.2007 verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 28 O 292/06 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin urheberrechtliche Nutzungsrechte an dem von dem Dramatiker M I geschriebenen Jugendtheaterstück "D" vergeben kann, ohne damit Persönlichkeitsrechte der Beklagten und deren verstorbener Tochter G zu verletzen. Die Klägerin ist der Theaterverlag des Autors, der das Stück 2005 im Auftrag der Theater & Philharmonie F GmbH schrieb. Mit Autorenvertrag vom 1./4.12.2005 übertrug der Autor der Klägerin die Verwertung sämtlicher Urheberrechte einschließlich aller sogenannten Nebenrechte an dem Stück, das am 9.12.2005 in F uraufgeführt wurde. Die Beklagte ist die Mutter der am 31. Mai 2004 getöteten G S. Das damals 14 Jahre alte Mädchen wurde auf einem Parkplatz in J von einem türkischen Heranwachsenden nach einem gemeinsam mit der 13 Jahre alten Freundin von G und einem Freund des Täters unternommenen Wochenendausflug nach L mit zahlreichen Messerstichen getötet. Die Freundin wurde von dem zweiten türkischen Jugendlichen ebenfalls mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Das Tatgeschehen hatte wegen seiner Brutalität großes Aufsehen erregt und war als sog. "J'er Mädchenmord" Gegenstand bundesweiter Medienberichte gewesen. Die beiden Täter wurden mit Urteil des Landgerichts Hagen vom 16.3.2005 wegen Totschlags und Anstiftung zum Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung bzw. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung rechtskräftig zu zehn bzw. neun Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die Beklagte sieht in dem Bühnenstück "D" eine teilweise detailgetreue Darstellung des Geschehens um den Tod ihrer Tochter und vertritt die Auffassung, dass ihre Tochter in der Hauptfigur der "E" unschwer wiederzuerkennen sei. Durch die Konzentration auf charakterliche und moralische Mängel und die Hinzudichtung unwahrer Tatsachen erscheine ihre Tochter in der Gestalt der Hauptfigur des Stückes "E" in einem extrem negativen Licht, welches das Lebensbild der Tochter entstelle und ihren postmortalen Achtungsanspruch negiere. Sie hat gegen die bereits an verschiedenen Bühnen erfolgten Inszenierungen des Stückes gerichtlich interveniert und ist damit beim Oberlandesgericht Hamm sowie bei den Landgerichten Hagen, Düsseldorf und Münster erfolgreich gewesen. Die Klägerin, die mit der vorliegenden negativen Feststellungsklage eine allgemeinverbindliche Klärung zur Wahrung ihrer Nutzungsrechte anstrebt, macht geltend, der "J'er Mädchenmord" habe lediglich als eines von verschiedenen als "Ehrenmord" apostrophierten Tötungsdelikten die Folie für das Bühnenwerk gebildet, mit dem der Autor in einem Jugendstück kulturelle Prägungen der zweiten und dritten Immigrantengeneration habe thematisieren wollen. Die fiktive Rekonstruktion versuche, die aus einem vermeintlichen "Ehrenkodex" resultierenden Motive und Konflikte offen zu legen und auf diese Weise zur Diskussion unter Jugendlichen anzuregen. Die Leitfiguren seien, was von den Zuschauern auch erkannt werde, lediglich Prototypen mit generalisierenden Zügen, so dass die Zuschauer eine Identifizierung der Tochter der Beklagten mit der "E" nicht vornähmen.

Mit Urteil vom 14.2.2007 hat das Landgericht Köln entsprechend dem Schlussantrag der Klägerin festgestellt, dass der Inszenierung, Aufführung und Veröffentlichung des Bühnenwerkes "D" des Dramatikers M I aus dem Jahr 2005 Persönlichkeitsrechte der Beklagten und ihrer verstorbenen Tochter nicht entgegenstehen. Das für die Zulässigkeit der Klage notwendige Feststellungsinteresse der Klägerin hat das Landgericht in dem berechtigten Verlangen der Klägerin nach Rechtsklarheit bei der weiteren Verwertung ihrer Nutzungsrechte gesehen, welches unabhängig von den gerichtlichen Auseinandersetzungen der Beklagten mit den einzelnen Theatern bestehe. Die Klage sei auch begründet, weil durch die Inszenierung, Aufführung oder Veröffentlichung des Bühnenwerkes "D" weder das postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter der Beklagten noch das Persönlichkeitsrecht der Beklagten selbst in rechtswidriger Weise verletzt seien. Zwar sei die Tochter der Beklagten angesichts der deutlichen Parallelen und Ähnlichkeiten zum realen Tatgeschehen als Vorbild der Hauptfigur "E" erkennbar. Die zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter vorzunehmende Güterabwägung falle jedoch zugunsten der für die Klägerin streitenden Kunstfreiheit aus. Insbesondere mit Rücksicht auf die dem Medium "Theater" immanenten und durch die Anlegung der Handlung auf verschiedenen Ebenen konkret eingesetzten Mittel der Verfremdung erscheine das Bühnenstück dem Zuschauer als eine Aufarbeitung der hinlänglich bekannten Probleme der dritten Immigrantengeneration und nicht als eine Dokumentation eines realen Geschehens. Selbst wenn man aber davon ausginge, dass in der Person der "E" ein Porträt der Tochter gezeichnet werden solle, fehle es angesichts lediglich gradueller Überzeichnungen jedenfalls an einer grundlegenden Verfälschung ihres Lebensbildes, vor der allein das postmortale Persönlichkeitsrecht geschützt werde. Ein vorrangiger Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts lasse sich auch nicht damit begründen, dass Vorgänge aus dem Intimbereich der Tochter als Vorlage für das Stück gedient hätten, denn diese bildeten hier gerade den Grund und den Anlass für das Entstehen der Konfliktsituation und seien damit in dem Stück conditio sine qua non für die Ermordung der Hauptfigur "E". Schließlich werde mit dem Stück auch nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beklagten selbst verletzt, da mit dem Stück ersichtlich kein Porträt der tatsächlichen Beziehung der Beklagten zu ihrer verstorbenen Tochter dargestellt werden solle. Im übrigen fehle es auch insoweit an einer negativen Verfälschung.

Wegen der Einzelheiten der vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen, der erstinstanzlichen Schlussanträge der Parteien sowie der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil vom 14.02. 2007 (Bl. 384ff d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte frist- und formgerecht Berufung eingelegt und ihre Berufung, mit der sie weiterhin Klageabweisung verfolgt, in prozessordnungsgemäßer Weise begründet.

Die Beklagte rügt, dass das landgerichtliche Urteil auf unrichtigen bzw. unvollständigen Tatsachenfeststellungen sowie auf fehlerhafter Rechtsanwendung beruhe. Das Landgericht habe sich nur mit der Probenfassung des Bühnenstücks befasst und sei dabei irrig davon ausgegangen, dass das Stück überall in gleicher Weiser inszeniert werde, was tatsächlich nicht der Fall sei. So seien z.B. in der Inszenierung in N die Verhaltensweisen der "E" in der Szene, in der "B" der "E" Geld für die Ausübung des Geschlechtsverkehrs überlässt, gegenüber der Probenfassung noch negativ gesteigert worden. Zu Unrecht habe das Landgericht auch die Tatortnähe außer Acht gelassen, die bei Aufführungen in der Region um J in besonderem Maße zu einer Identifizierung der "E" mit der Tochter der Beklagten führe. So habe auch das Landgericht Hagen inzwischen rechtskräftig entschieden, dass das Stück in J nicht aufgeführt werden dürfe. Demgegenüber habe das Landgericht Köln mit dem angefochtenen Urteil der Klägerin praktisch einen Freibrief ausgestellt. Die aus seiner Güterabwägung resultierende Bevorzugung der Kunstfreiheit sei rechtsfehlerhaft. Entgegen der Auffassung des Landgerichts werde das Lebensbild der Tochter bereits deshalb entstellt, weil das Stück die Kategorien von Täter und Opfer verwische und in die Intimsphäre des Opfers eingegriffen werde. Das Urteil beruhe schließlich auch auf einem Verfahrensfehler, da das Landgericht den gebotenen Hinweis darauf, dass es lediglich graduelle Verfälschungen des Urbildes in der Gestalt der "E" annehmen wolle, fehlerhaft unterlassen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Köln vom 14.02.2007 - 28 O 292/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihre erstinstanzlich vorgebrachten Argumente. Insbesondere weist sie darauf hin, dass es hier um den Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts gehe, der strengeren Voraussetzungen unterliege als der Schutz des Persönlichkeitsrechts Lebender. Im übrigen wiederholt sie ihre Argumentation, dass es sich bei der Figur der "E" um eine von der Kunstfreiheit geschützte Fiktion handele.

Auf den in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis des Senats hinsichtlich seiner Bedenken gegenüber der Zulässigkeit der Feststellungsklage hat die Klägerin eine der Beklagten mit Schriftsatz vom 29.1.2007 zugeleitete Unterlassungsverpflichtungserklärung zu den Akten gereicht (Bl. 481f d.A.) und erklärt, sich durch den Umstand, dass die Beklagte eine solche Erklärung nicht abgegeben habe, zur Klageerhebung veranlasst gesehen zu haben.

Wegen aller Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat waren.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Bedenken bestehen bereits gegenüber der Zulässigkeit der Klage, und zwar insofern, als das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse der Klägerin fraglich erscheint.

Mit der Feststellung, dass "der Inszenierung, Aufführung und Veröffentlichung des Bühnenwerks "D" Persönlichkeitsrechte der Beklagten und ihrer verstorbenen Tochter nicht entgegenstehen, erstrebt die Klägerin der Sache nach die Feststellung, dass dieses Werk die Beklagte und deren verstorbene Tochter nicht in ihren Persönlichkeitsrechten verletze bzw. keine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung dieser beiden Rechtsträger darstelle. Für eine solche Feststellungsklage besteht jedoch kein Rechtsschutzbedürfnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Denn es handelt sich hierbei nicht um die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses, sondern um eine Vorfrage im Hinblick auf ein negatives Element eines etwaigen Unterlassungsanspruches der Beklagten gegen die Inszenierung, Aufführung und Veröffentlichung des Werkes. Auf Unterlassung könnte die Beklagte ihrerseits dann nicht klagen, wenn das Werk weder sie selbst in ihrem eigenen Persönlichkeitsrecht noch das sog. postmortale Persönlichkeitsrecht ihrer verstorbenen Tochter verletzte, deren Hüterin die Beklagte als nahe Angehörige der Verstorbenen ist. Die Frage der Rechtswidrigkeit einer Persönlichkeitsverletzung kann aber nicht Gegenstand einer selbständigen Feststellungsklage sein, da es sich hierbei nur um ein Element einer auf Widerruf, Gegendarstellung oder Unterlassung gerichteten Leistungsklage handelt (BGH NJW 1977, 1288, 1290). Dies bedeutet, dass die Beklagte eine Klage mit dem Ziel der Feststellung, dass sie und/oder ihre Tochter durch das Stück in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt würden, nicht mit Erfolg gegen die Klägerin erheben könnte. Die vorliegende Klage stellt jedoch der Sache nach ein Spiegelbild einer solchen unzulässigen Feststellungsklage dar. Es kommt hinzu, dass die Klägerin als Theaterverlag des Autors M I das Stück selbst nicht inszeniert und zur Aufführung bringt, sondern lediglich die Nutzungsrechte daran vergibt, so dass in Bezug auf Inszenierungen und Aufführungen kein zwischen den Parteien klärungsbedürftiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO besteht (vgl. dazu BGH NJW 2001, 3789). Mit der Feststellungsklage erstrebt die Klägerin letztlich eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, die sie den Bühnen bei der Andienung des Werkes vorlegen möchte. Anders als die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde kann ein solches Anliegen jedoch kein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO begründen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann ein Obsiegen der Klägerin mit der Feststellungsklage auch nicht verhindern, dass die Beklagte weiterhin gegen die Theater vorgeht, die das Stück zur Aufführung bringen. Dies gilt umso mehr, als den aufführenden Bühnen bei den einzelnen Inszenierungen eine gewisse Gestaltungsfreiheit zusteht - wie sich bereits in dem N'er Fall gezeigt hat - und sich auch von daher der Beklagten weiterhin die Möglichkeit eröffnet, sich gegen einzelne Inszenierungen zur Wehr zu setzen. Auch dies belegt, dass die Klägerin mit ihrer Feststellungsklage das angestrebte Ziel jedenfalls nicht hinsichtlich der Aufführung und Inszenierung erreichen kann. Soweit die Klägerin in der Klageschrift auf Urheberrechtsstreitigkeiten verweist, in denen vergleichbare Feststellungsanträge für zulässig erachtet worden seien, mag dies mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Urheberrechts zutreffend sein. Vorliegend geht es aber nicht darum, dass die Beklagte der Klägerin Urheberrechte streitig macht.

Auf die weitere Frage, ob angesichts der Tatsache, dass sich die Beklagte bislang gegenüber der Klägerin keines Rechts berühmt hat, überhaupt von einem gegenwärtigen Feststellungsinteresse ausgegangen werden könnte - was sich angesichts des Schweigens der Beklagten auf die ihr mit Anwaltsschreiben der Klägerin vom 29.01.2007 übermittelte Unterlassungsverpflichtungserklärung nunmehr anders als noch bei Klageerhebung beurteilen mag - kommt es deshalb nicht an.

Die Zulässigkeit der Klage bedarf indessen keiner abschließenden Vertiefung, weil die Klage jedenfalls unbegründet ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1954, 1159, 1160; NJW 1978, 2031, 2032) stellt das Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO keine Prozessvoraussetzung dar, ohne deren Vorliegen dem Gericht eine Sachprüfung und ein Sachurteil verwehrt ist. Erweist sich das Feststellungsbegehren auch in der Sache als nicht gerechtfertigt, ist die Klage als unbegründet abzuweisen. So verhält es sich hier. Anders als das Landgericht ist der Senat der Auffassung, dass das - mittlerweile auch in Buchform veröffentlichte - Bühnenstück "D" in rechtswidriger Weise das postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter der Beklagten verletzt, § 823 Abs. 1 BGB.

Der Schutzbereich des postmortalen Persönlichkeitsrechts ist zwar, wie die Klägerin zu Recht meint, enger als der des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer lebenden Person (BVerfG NJW 2001, 594, 595 - "Willy Brandt"- sowie NJW 2001, 2957,2959 - "Wilhelm Kaisen"). Dies ergibt sich bereits aus der mit dem Tod der natürlichen Person als Rechtsträger verbundenen Unanwendbarkeit des Art. 2 GG, des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Postmortalen Schutz genießt indessen das Fortwirken der Menschenwürde im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG und damit zum einen der dem einzelnen Menschen zustehende allgemeine Achtungsanspruch, der den Verstorbenen davor bewahrt, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Zum anderen bleibt über den Tod hinaus auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert erhalten, den die verstorbene Person zu Lebzeiten erworben hat (BVerfG NJW 1971, 1645 - "Mephisto"; NJW 2006, 3409 - "Blauer Engel- Marlene Dietrich"). Deshalb wird der Verstorbene gegen schwerwiegende Entstellungen seines Lebensbildes, gegen die er sich selbst nicht mehr verteidigen kann, auf Verlangen seiner Angehörigen geschützt (BGH NJW 1968, 1773, 1774 "Mephisto"). Steht der postmortale Achtungsanspruch wie hier im Spannungsfeld mit der verfassungsrechtlich umfassend gewährleisteten Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, kommt es bei der dann notwendig werdenden Abwägung der widerstreitenden Interessen entscheidend darauf an, ob und inwieweit das "Abbild" gegenüber dem "Urbild" durch die künstlerische Gestaltung des Stoffes und seine Einordnung in das Gesamtkunstwerk so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich- Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der "Figur" objektiviert ist. Ergibt die an kunstspezifischen Kriterien orientierte Betrachtung, dass der Künstler in Wahrheit ein "Porträt" des Vorbildes gezeichnet hat oder sogar hat zeichnen wollen, ist entscheidend auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung einer verfälschenden Darstellung für das Andenken des Betroffenen abzustellen (BVerfG NJW 1971, 1645, 1647). Die Grenze ist jedenfalls dann überschritten, wenn das Lebensbild einer Person, die dem Kunstwerk deutlich erkennbar als Vorlage gedient hat, durch frei erfundene Zutaten grundlegend negativ entstellt wird, ohne dass dies als Übertreibung erkennbar ist. Nimmt der Künstler im Falle der Charakterisierung einer Person bewusst solche Veränderungen des wirklichen Geschehens vor, hat er die Anknüpfung an das reale Vorbild unverkennbar zu machen (BGH NJW 1968, 1773, 1776).

Gemessen an diesen Abwägungskriterien und den ergänzend zu berücksichtigenden, in der Rechtsprechung zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Lebender entwickelten Grundsätzen (vgl. dazu BVerfG - 1 BvR 536/72- Beschluss vom 5.6.1973 (Lebach I); BVerfG - BvR 755/98- Beschluss vom 25.11.1999 (Lebach II); BGH NJW 2005, 2844 ff ("Esra"); KG NJW- RR 2004, 1415 ("Meere"); OLG Frankfurt ZUM 2006, 407 ("Rotenburg"); OLG Hamburg (AfP 2007, 143ff "Contergan") wird nach Auffassung des Senats der Achtungsanspruch der verstorbenen Tochter der Beklagten durch das Bühnenstück "D" rechtswidrig verletzt, weil es das Intimleben der Tochter in unzulässiger Weise vor der Öffentlichkeit ausbreitet und das Lebensbild der Tochter durch die Darstellung der Figur "E" schwerwiegend entstellt.

In der Figur der "E" ist die Tochter der Beklagten jedenfalls für einen mehr oder weniger großen Bekanntenkreis bzw. - was ausreichend ist - in der näheren persönlichen Umgebung (vgl. dazu BGH NJW 2005, 2844, 2845) ohne weiteres erkennbar. Unstreitig hat die Ermordung der Tochter der Beklagten die Vorlage für das Werk geliefert, worauf in der Bewerbung verschiedener Inszenierungen ebenso unstreitig hingewiesen wurde. Sowohl der zeitliche und örtliche Rahmen der Handlung, die Ausführung der Tat und der Ort des Verbrechens wie auch die Konfiguration der Protagonisten und deren Lebensumstände stimmen mit dem tatsächlichen Geschehen um die Tötung der Tochter der Beklagten zum Teil detailgenau überein. In der Figur der "E" finden sich prägende Wesensmerkmale und Verhaltensweisen der Tochter der Beklagten wie insbesondere ihre Frühreife und ihre starke sexuelle Orientierung auf dem Boden einer sozialen und charakterlichen Verwahrlosung wieder. Besonders deutlich zeigen sich die Übereinstimmungen mit dem realen Geschehen auch am Beispiel der an die Freundin der Tochter angelehnten Figur "V". Deren Beschreibung der durch die Messerstiche ausgelösten Empfindungen ("wie Elektroschocks") und Verarbeitungsformen des Tatgeschehens (Briefe an die getötete G) sind mit den von der realen Freundin O bekannt gewordenen Äußerungen und Reaktionen nach der Tat (vgl. dazu die Feststellungen der Jugendkammer des Landgerichts Hagen in ihrem Urteil vom 16.3.2005, Bl. 172 ff d.A.) praktisch identisch. Jede mit der Tochter der Beklagten bekannt gewesene Person, darüber hinaus aber auch jeder Zuschauer, der sich mit Presseberichten über den "J'er Mädchenmord" befasst hat, wird vor diesem Hintergrund die "E" mit der Tochter der Beklagten in Verbindung bringen und diese in der Figur der "E" ungeachtet der - geringfügigen - Abweichung im Alter ("E" ist 16 Jahre alt) und in der Namensgebung wiedererkennen. Dem stehen weder die Wahl des Mediums "Theater" noch die Dramaturgie des Stückes mit seinem Ablauf auf verschiedenen Handlungsebenen entgegen. Richtig ist sicherlich, dass sich ein Theaterzuschauer allein bereits wegen der räumlichen Gegebenheiten dessen bewusst sein wird, ein Schauspiel zu beobachten und nicht mit der "Realität" konfrontiert zu werden. Auch trifft es zu, dass der Aufbau des Stückes mit dem wiederholt eingesetzten dramaturgischen Mittel der Rückblende für eine zusätzliche Verfremdung sorgt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das reale Tatgeschehen bis zum Schluss - an dem "V" schildert, wie sie unter großen Schmerzen zur Straße kriecht - deutlich erkennbare Vorlage bleibt. Zu einer Fiktion im Sinne einer im wesentlichen künstlerischer Fantasie entspringenden Gestalt gerät die "E" im Licht all dieser signifikanten Bezüge in der Vorstellung der Theaterzuschauer nicht.

Der Achtungsanspruch der Tochter der Beklagten ist vor diesem Hintergrund bereits dadurch verletzt, dass ihr Intimleben in dem Theaterstück ausgebreitet wird, indem es zum Gegenstand macht, dass die für die Verstorbene stehende "E" bereits am ersten Tag der Bekanntschaft mit "B" Geschlechtsverkehr hatte. Niemand muss es dulden, dass seine unmittelbaren persönlichen Belange ohne ausreichende Verfremdung der Öffentlichkeit präsentiert werden (OLG Frankfurt NJW 2007, 699, 701). Je weiter ein Kunstwerk die Intimsphäre einer Person eingreift, umso größer ist das Bedürfnis nach Verfremdung. Auch wenn von diesem Grundsatz im Rahmen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes wegen dessen geringerer Reichweite in Einzelfällen abgewichen werden darf (vgl. dazu BGH NJW 1968, 1773, 1776; KG NJW - RR 2004, 1415), gilt hier nicht deshalb eine Ausnahme, weil letztlich das Sexualverhalten der Tochter Auslöser für ihre Ermordung war. Bei einer solchen Sichtweise würde nach Auffassung des Senats zu wenig berücksichtigt, dass das Interesse an der Vita und dem Sexualverhalten der Tochter der Beklagten allein darauf beruht, dass sie Opfer einer aufsehenerregenden Straftat wurde. Es widerspräche der Menschenwürde, wenn einem solchen Opfer - das noch dazu mit Rücksicht auf seine Minderjährigkeit für seinen zweifellos problematischen Lebenswandel letztlich nicht allein verantwortlich ist - postmortal der Ehrenschutz versagt würde, der ihm zu Lebzeiten ohne weiteres zugestanden hätte.

Darüber hinaus wird das Lebensbild der Tochter durch das Bühnenwerk mit frei erfundenen Zutaten schwerwiegend verfälscht und negativ entstellt. Unstreitig handelt es sich bei dem in dem Stück von der Freundin "V" geschilderten Vorfall, bei dem "E" einen an der Schule tätigen Referendar während des Unterrichts mit aufreizender Kleidung und provozierendem Verhalten in die Enge treibt, ebenso wie bei dem von "E" begangenen Ladendiebstahl um Ausschmückungen, die keine Entsprechung in der Realität haben. Das Gleiche gilt für die Szene, in der "E" von "B" im Streit Geld annimmt, das dieser ihr übergibt, um sie zu erneutem Geschlechtsverkehr zu veranlassen. Auch wenn mit dieser Szene bei genauerer Betrachtung vom Autor ersichtlich intendiert ist, die Überlegenheit der "E" gegenüber "B" zu verdeutlichen, ist sie aber, wie nicht zuletzt das vom OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 5.4.2006 (Bl. 147 ff d.A.) vertretene Verständnis zeigt, jedenfalls dazu angetan, missverstanden und dahin gedeutet zu werden, dass "E" - die sich in dieser Szene selbst, wenn auch ironisch, als "Hure" bezeichnet - sich ohne Umschweife zu Hurerei und Dirnenbetrug bereit finde. Anders als das Landgericht vermag der Senat in diesen frei erfundenen Einzelheiten keine Übereinstimmungen mit den grundlegenden Wesenszügen des realen Vorbildes zu erkennen, sondern sieht hierin schwerwiegende Verfälschungen des Lebensbildes der Verstorbenen, von der Verhaltensweisen wie Diebstahl und Hurerei - bei der es sich in den beteiligten türkischen Kreisen um einen extrem ehrenrührigen Vorwurf handelt - unstreitig niemals bekannt geworden sind. Gerade diese als Hinzudichtungen nicht erkennbaren Ausschmückungen werfen zudem deshalb ein besonders schlechtes Licht auf die Person der "E", weil sie ihr eine für eine Jugendliche beispiellose Skrupellosigkeit beilegen. Dies bestätigt sich nach Auffassung des Senats auch durch die in dem Beitrag des Deutschlandradios "Wenn aus Mädchen Schlampen werden" (vgl. dazu Bl. 364ff d.A.) dokumentierten Reaktionen der befragten jungen türkischen Zuschauer. Die Aussage eines von ihnen, dass er - in die Situation des "B" versetzt - "auf das Mädchen gespuckt hätte" (Bl. 366 d.A.), zeigt, dass das Stück die Figur der "E" so ausnahmslos negativ und verachtenswert zeichnet, dass offenbar nicht einmal ihr auf der Bühne gezeigtes schreckliches Ende Mitleid auslöst.

Auch wenn dem Bühnenstück zweifellos eine achtenswerte Zielsetzung nicht abgesprochen werden kann und soll, muss aber die Beklagte als Hüterin des postmortalen Persönlichkeitsrechts ihrer Tochter seine Inszenierung, Aufführung und Veröffentlichung angesichts seiner für das Ansehen der Tochter abträglichen Wirkung jedenfalls so lange nicht dulden, wie die Erinnerung an die als "J'er Mädchenmord" bekannt gewordene Tat und die Lebensumstände der Tochter noch wach ist, wovon nach dem bislang verstrichenen Zeitraum von lediglich etwas mehr als drei Jahren ausgegangen werden kann.

Auf die Berufung der Beklagten war die Klage nach allem als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache nach seiner Auffassung grundsätzliche Bedeutung hat und auch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung erforderlich erscheint, § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO.

Wert des Berufungsverfahrens: 40.000 €

Ende der Entscheidung

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