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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: 16 W 15/06
Rechtsgebiete: EuGVVO, AVAG


Vorschriften:

EuGVVO Art. 34 Nr. 1
AVAG § 12 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 W 15/06

In dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgericht Köln durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Jennissen, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth und die Richterin am Oberlandesgericht Appel-Hamm

am 28.06.2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Schuldner zu 1) bis 4) gegen den Beschluss des Landgerichts Köln vom 26.01.2006 (Az. 3 O 526/05) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Schuldner.

Gründe:

I.

Die Schuldner und Antragsgegner wenden sich gegen die Vollstreckbarerklärung zweier luxemburgischer Urteile.

Die Schuldner, die der Ansicht sind, der 1996 verstorbenen Mutter des Antragsgegners zu 1) habe ein Anspruch auf Auszahlung eines Guthabens in Höhe von etwa 2,8 Mio. DM zugestanden, haben deswegen verschiedene Rechtstreitigkeiten geführt, u. a. durch Klageerhebung gegen die Gläubiger im Jahre 2001 beim Bezirksgericht von und zu Luxemburg. Daraufhin erließ dieses Gericht am 30.10.2002 ein klageabweisendes Urteil durch die 8. Kammer für Zivilsachen (Az. 72.259, 72.260, 72.26., 72.262, 72.263, 72.264), mit dem der Schuldner und Antragsgegner zu 1) sowie die Antragsgegner zu 2) bis 4), handelnd in ihrer Eigenschaft als Erben der verstorbenen S G, und die Antragsgegnerin zu 2) als Gesamtschuldner verurteilt wurden, 7.000,00 € jeweils zu Gunsten der Antragstellerin zu 1) und des Antragstellers zu 2) und weitere 10.000,00 € zu Gunsten der Antragstellerin zu 1) zu zahlen. Die dagegen eingelegte Berufung der Antragsgegner wurde Urteil des Berufungsgerichts des Großherzogtums Luxemburg, 9. Kammer für Zivilsachen (Az. 27712) vom 10.06.2004 als unbegründet zurückgewiesen. Der Antragsgegner zu 1) sowie die Antragsgegner zu 2) bis 4), handelnd in ihrer Eigenschaft als Erben der verstorbenen S G, und die Antragsgegnerin zu 2) wurden in diesem Urteil als Gesamtschuldner verurteilt, 4.000,00 € jeweils zu Gunsten der Antragsteller zu 1) bis 4) und weitere 5.000,00 € jeweils zu Gunsten der Antragsteller zu 1) und 2) zu zahlen. Mit Urteil des luxemburgischen Kassationshofs vom 10.11.2005 (Az. 2209) wurde die Revision der Antragsgegner zurückgewiesen.

Die Vorsitzende der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln hat antragsgemäß mit Beschluss vom 26.01.2006 die Erteilung der Teil-Vollstreckungsklausel zum Zwecke der Zwangsvollstreckung der Antragsteller gegen die Antragsgegner aus dem Urteil des Bezirksgerichts vom 30.10.2002 und aus dem Urteil des Berufungsgerichts vom 10.06.2004 angeordnet. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Schuldner, die der Ansicht sind, den Urteilen des Bezirksgerichts und des Berufungsgerichts läge jeweils ein unfaires Verfahren zu Grunde und die Entscheidungen widersprächen dem deutschen ordre public und der EMRK, da der Ausspruch einer Entschädigung und insbesondere einer Mißbrauchsgebühr den freien und ungehinderten Zugang zum Gericht verhindere. Für diese Zahlungsansprüche fehle eine Rechtsgrundlage. Darüber hinaus vertreten sie die Ansicht, es sei eine Beschränkung der Erbenhaftung auf den Nachlass zu berücksichtigen, soweit eine Verurteilung als Erben erfolgt sei.

Unter Verweis auf eine beabsichtigte Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Urteile vom 30.10.2002 und 10.06.2004 beantragen die Antragsgegner hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens.

Die Antragsteller verteidigen die Entscheidung des Landgerichts und sehen keinen Verstoß gegen den ordre public; für eine wirksame Beschränkung der Erbenhaftung auf den Nachlass fehle eine Rechtsgrundlage.

II.

Die innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts eingegangene Beschwerde der Antragsgegner (Art. 43 Abs. 1, 5 EuGVVO) ist zulässig. In der Sache bleibt das Rechsmittel ohne Erfolg. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt nicht in Betracht.

Die Vollstreckbarerklärung beider Urteile richtet sich nach Art. 38 ff. EuGVVO. Unschädlich ist, dass die zugrunde liegenden Klagen bereits durch Klageschriften vom 16.07.2001 und 08.11.2001 und damit vor Inkrafttreten der EuGVVO am 01.03.2002 (Art. 76 EuGVVO) erhoben wurden. Art. 32 ff. EuGVVO finden nämlich gemäß Art. 66 Abs. 2 a EuGVVO Anwendung, da im Verhältnis zu Luxemburg bereits seit dem 01.02.1973 das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) galt, welches nunmehr durch die EuGVVO ersetzt worden ist.

Die formellen Erfordernisse der Vollstreckbarerklärung sind gegeben. Die Antragsteller haben die nach Art. 53 EuGVVO erforderlichen Urkunden durch Vorlage der beiden Urteile vom 20.10.2002 und vom 10.06.2004 im Original eingereicht. Ferner haben sie eine Bescheinigung gemäß 54 EuGVVO vom 15.11.2005 vorgelegt, in dem die Vollstreckbarkeit der Entscheidungen bestätigt wird.

Im Übrigen darf die Vollstreckbarerklärung nur aus einem der in Art. 34 und 35 EuGVVO genannten Gründe versagt werden. Solche Gründe liegen hier nicht vor.

Die Vollstreckbarerklärung der streitgegenständlichen Urteile widerspricht nicht dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland, Art. 34 Nr. 1 EuGVVO.

Ein Verstoß gegen ordre public ist lediglich dann anzunehmen, wenn das Verfahren des ausländischen Gerichts von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrens in einem solchen Maße abweicht, dass nach der deutschen Rechtsordnung die Entscheidung nicht als "in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen" angesehen werden kann (BGH, Beschluss v. 21.03.1990, NJW 1990, 2201; Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl., Anh 1 Art. 34 EuGVVO Rn. 11).

Die in den streitgegenständlichen Urteilen vorgesehene Verpflichtung zur Leistung einer Verfahrensentschädigung gemäß Art. 240 der luxemburgischen Neuen Zivilprozessordnung (Nouveau Code de Procédure Civil, im folgenden NZPO) beinhaltet keinen Verstoß gegen den ordre public. Die Vorschrift des Art. 240 NZPO ist nämlich vor dem Hintergrund des luxemburgischen Rechts zu betrachten, das grundsätzlich keinen prozessualen Kostenerstattungsanspruch zugunsten der obsiegenden Partei vorsieht (Art. 238 NZPO). Soweit Regelungen des ausländischen Rechts wie hier ausnahmsweise einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch vorsehen, nähern sie sich damit dem deutschen Recht an. Art. 240 NZPO sieht als Ausnahmevorschrift vor, dass das Gericht, wenn es ungerecht erscheint, die Kosten der einen Partei bei dieser zu belassen, die andere Partei zur Zahlung eines im Ermessen des Gerichts stehenden Betrags verurteilen darf. Die zugesprochenen Verfahrensentschädigungen sind in der Höhe mit jeweils 7.000,00 € und jeweils 4.000,00 € nicht willkürlich oder völlig unangemessen, sondern dürften eher unter den entstanden Anwaltskosten liegen.

Es verstößt auch nicht gegen den deutschen ordre public, dass die luxemburgischen Gerichte der Antragstellerin zu 1) bzw. den Antragstellern zu 1) und 2) auf deren entsprechende Widerklagen einen Schadensersatzanspruch wegen missbräuchlichen und schikanösen Verfahrens bzw. Berufungsverfahrens zuerkannt haben. Auch dieser Anspruch, der auf Ersatz des durch die Klage bzw. Berufung veranlassten materiellen Schadens der gegnerischen Partei gerichtet ist, ist vor dem Hintergrund der grundsätzlich nicht stattfindenden Kostenerstattung zu betrachten. Während Art. 240 NZPO ausnahmsweise einen (teilweisen) prozessualen Kostenerstattungsanspruch vorsieht, erkennt die luxemburgische Rechtsordnung darüber hinaus einen an weitere Voraussetzungen geknüpften, materiellrechtlichen Schadensersatzanspruch an. Dieser richtet sich auf Ersatz des materiellen Schadens, der der gegnerischen Partei durch den Prozess entstanden ist, insbesondere also auf deren Rechtsanwaltkosten.

Ein solche Schadensersatzanspruch verstößt ebenso wenig gegen den Grundsatz des freien und ungehinderten Zugangs zu Gericht wie der deutsche prozessuale Kostenerstattungsanspruch gemäß § 91 Abs. 1 ZPO, der - ohne weitere Voraussetzungen - einen Anspruch gegen die unterliegende Partei gewährt.

Auch die deutsche Rechtsordnung kennt ein ähnliches Institut in Form der "Missbrauchsgebühr", die sich nicht nur in § 34 Abs. 2 BVerfGG, sondern darüber hinaus auch in § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG findet. Auch hier können einem Beteiligten aufgrund der Missbräuchlichkeit seiner Rechtsverfolgung Kosten auferlegt werden; dies dient dem Ausgleich einer grundsätzlich nicht bestehenden Kostentragungspflicht gemäß § 34 Abs. 1 BVerfGG für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und gemäß § 183 SGG für das sozialgerichtliche Verfahren. Diese Regelung zeigt im Übrigen, dass sich eine dem luxemburgischen Recht entsprechende Regelung auch im System des deutschen Rechtsmittelverfahrens findet und nicht nur in dem außerhalb des normalen Verfahrensganges stehenden Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Eine Verhinderung des Zugangs zu den Gerichten ist mit dieser auf Einzelfälle beschränkten Missbrauchsgebühr nicht verbunden.

Auch die konkrete Anwendung lässt keinen Anschein eines unfairen Verfahrens aufkommen. Das Bezirksgericht hat ausgeführt - und das Berufungsgericht hat hierauf Bezug genommen -, dass die Anstrengung einer Gerichtsklage nur dann einen Schadensersatzanspruch nach sich ziehe, wenn sie eine böswillige oder unredliche Handlung oder zumindest einen mit dem Vorsatz gleichgesetzten schweren Irrtum darstellt. Dies haben die Gerichte vorliegend deswegen bejaht, weil die Antragsgegner trotz entgegenstehender Rechtskraft erneute Klagen eingereicht und auch im Berufungsverfahren lediglich ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt hätten, ohne sich mit dem erstinstanzlichen Urteil auseinander zusetzen. Insbesondere die Anknüpfung an die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung begegnet keinen Bedenken in Hinsicht auf den deutschen ordre public. Weitergehende konkrete Anhaltspunkte für ein nicht faires Verfahren, auf das sich die Beschwerdeführer insgesamt berufen, sind nicht erkennbar.

Mit ihren Einwänden gegen die inhaltliche Richtigkeit der ausländischen Entscheidungen können die Antragsgegner nicht gehört werden, Art. 45 Abs. 2 EuGVVO.

Für einen Anspruch auf Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung, der nach Ansicht der Schuldner im Vollstreckbarerklärungsverfahren aufgenommen werden soll, findet sich keine Rechtsgrundlage.

Nach § 12 Abs. 1 AVAG können Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit berücksichtigt werden, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind. Es ist bereits fraglich, ob § 12 Abs. 1 AVAG - trotz Nichtaufnahme in den Ausnahmekatalog des § 55 Abs. 1 AVAG - angesichts der eindeutigen Regelung von Art. 45 Abs. 1, 2 EuGVVO und angesichts der Klarstellung in § 1 Abs. 2 S. 1 AVAG im Verfahren nach Art. 38 ff. EuGVVO überhaupt Anwendung finden kann oder ob zumindest eine einschränkende Auslegung geboten ist (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss v. 03.02.2006, Rpfleger 2006, 262). Die Antragsgegner machen geltend, es sei ihnen bislang nicht möglich gewesen, sich auf die Haftungsbeschränkung zu berufen, da das luxemburgische Verfahren diese nicht kennt. Damit tragen sie jedoch keine Gründe vor, die erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind, sondern berufen sich lediglich auf Unterschiede in den beiden Rechtsordnungen. Die Bedürftigkeit des Nachlasses war im Übrigen schon vor Erlass des Urteils vom 30.10.2002 bekannt.

Eine Aussetzung des Verfahrens kommt nicht in Betracht.

Die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 1 EuGVVO liegen nicht vor. Gegen die Entscheidung kann im Ursprungsmitgliedstaat kein ordentlicher Rechtsbehelf mehr eingelegt werden. Eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gemäß Art. 34 EMRK, die im Übrigen noch nicht eingereicht ist, erfüllt diese Anforderungen auch nicht. Eine analoge Anwendung des Art. 46 Abs. 1 EuGVVO kommt nicht in Betracht, da angesichts des eindeutigen Wortlauts des Art. 46 Abs. 1 EuGVVO schon keine Regelungslücke besteht. Zum anderen liegt auch keine vergleichbare Interessenlage vor. Denn ein Urteil des EGMR hat grundsätzlich keine unmittelbare rechtsgestaltende Wirkung im Ursprungsstaat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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