Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 02.07.2004
Aktenzeichen: 16 Wx 131/04
Rechtsgebiete: FEVG


Vorschriften:

FEVG § 5 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 Wx 131/04

In der Freiheitsentziehungssache

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Appel-Hamm

am 02.07.2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 09.06.2004 - 6 T 310/04 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Gegen den Betroffenen wurde, nachdem er sich zur Sache geäußert hatte, mit Beschluss des Amtsgerichts Bergheim vom 04.06.2004, einem Freitag, Abschiebungshaft angeordnet. Nach Verkündung und Aushändigung des entsprechenden Beschlusses legte er zu Protokoll des Amtsgerichts sofortige Beschwerde ein, ohne diese zu begründen. Dieses Rechtsmittel wies das Landgericht nach Vorlage der Sache durch das Amtsgericht am Mittwoch, dem 09.06.2004 zurück. Mit einem am 24.06.2004 eingegangenen Schriftsatz bestellten sich Rechtsanwälte für den Betroffenen und legten gegen die am 14.06.2004 zugestellte Beschwerdeentscheidung sofortige weitere Beschwerde ein, und zwar u. a. unter Bezugnahme auf eine von dem Betroffenen persönlich verfasste Eingabe.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29 FGG zulässig; insbesondere ist mit der Einreichung der anwaltlich unterzeichneten Rechtsmittelschrift die Form des § 29 Abs. 1 FGG gewahrt.

In der Sache hat das Rechtsmittel einen vorläufigen Teilerfolg. Die Entscheidung des Landgerichts ist aufzuheben. Sie ist nicht frei von Rechtsfehlern; denn das Landgericht hat dem Betroffenen weder Gelegenheit gegeben, sein Rechtsmittel zu begründen, noch hat es ihn gem. § 5 Abs. 1 FEVFG angehört.

Die fehlende Begründung einer Beschwerde hindert zwar im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Beschwerdegericht nicht an einer Sachentscheidung. Indes ist dem Beschwerdeführer zur Wahrung rechtlichen Gehörs - ggfls. unter Fristsetzung - grundsätzlich Gelegenheit zu geben, eine derartige Begründung ein- bzw. nachzureichen (vgl. Keidel/Schmidt, FGG 15. Auflage, § 12 Rdn. 165). Diesem allgemeinen Grundsatz kommt gerade in dem vorliegenden Fall einer Haftanordnung, also eines Eingriffs in das mit den Verfahrensgarantien des Art. 104 Abs. 1 GG geschützten Freiheitsgrundrecht des Betroffenen besondere Bedeutung zu. Konstellationen, in denen die Einräumung einer Begründungsmöglichkeit gleichwohl entbehrlich sein kann, etwa weil der Rechtsmittelführer zum Ausdruck gebracht hat, dass er von einer Begründung absehen wird, oder weil sich aus dem bisherigen Verfahrensablauf auch ohne eine entsprechende Erklärung zweifelsfrei feststellen lässt, worauf das Rechtsmittel gestützt wird, liegen ersichtlich nicht vor.

Vorliegend wurde aber dem Betroffenen eine Begründung dadurch abgeschnitten, dass das Landgericht bereits 5 Kalendertage nach Verkündung der Haftanordnung und Einlegung des Rechtsmittels und ohne Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit für den in einer JVA einsitzenden und daher in seinen Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkten Betroffenen entschieden hat.

Hinzu kommt, dass das Landgericht gem. § 5 Abs. 1 FEVFG gehalten war, den Beschwerdeführer persönlich anzuhören. Das Erfordernis der mündlichen Anhörung des Betroffenen gilt nach allgemeiner Meinung in allen Tatsacheninstanzen und dient primär der Sachaufklärung. Von ihr kann daher im Erstbeschwerdeverfahren nur abgesehen werden, wenn auch unter Berücksichtung der Amtsermittlungspflicht mit Sicherheit davon ausgegangen kann, dass die Anhörung keine neuen Erkenntnisse bringen wird (vgl. Senat, Beschluss vom 11.01.2002 - 16 Wx 283/01 - = OLGReport Köln 2002, 365). Auch müssen die Umstände, die eine Ausnahme von der grundsätzlichen Anhörungspflicht rechtfertigen, in der landgerichtlichen Entscheidung ausdrücklich und nachvollziehbar dargestellt sein (vgl. Senatsbeschluss vom 02.04.2001 - 16 Wx 65/01 - ).

Dem genügt die nur allgemeine Bezugnahme des Landgerichts auf die zeitnahe Anhörung durch das Amtsgericht und darauf, dass keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten seien, ersichtlich nicht. Schon wegen der fehlenden Einräumung einer Begründungsmöglichkeit für den Betroffenen konnte das Landgericht nicht wissen, was ggfls. von ihm noch vorgebracht werden würde und was evtl. das Ergebnis der Anhörung sein könnte. Aus der Anhörung vor dem Amtsgericht konnte das Landgericht schon deshalb nichts herleiten, weil insoweit nur in 2 1/2 Zeilen die Äußerung des Betroffenen protokolliert ist, dass er erst seit 2 Tagen wieder in Deutschland sei und sich zuvor ohne Visum in Belgien aufgehalten habe. Schließlich lagen dem Landgericht auch keine Urkunden - etwa Kopien aus der Ausländerakte - vor, die den in der Antragsschrift geschilderten Sachverhalt als unzweifelhaft feststehend erscheinen lassen konnten.

Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat anders als in dem mit Beschluss vom 01.07.2004 entschiedenen Verfahren 16 Wx 128/04, in dem es um die rechtliche Bewertung von Tatsachen ging und selbst auf der Grundlage des vorgetragenen und berücksichtigten Vortrags des Betroffenen die Haftvoraussetzungen zweifelsfrei vorlagen, nicht möglich. Der Betroffene, der im Erstbeschwerdeverfahren keine Gelegenheit hierzu hatte, hat sich nunmehr in einer längeren persönlichen Eingabe zur Sache geäußert, indem er neue Tatsachen vorträgt, etwa, dass er an einen Tag zur Vorsprache geladen worden sei, an dem das Ausländeramt geschlossen habe, oder dass über einen Widerspruch gegen die am 18.12.2001 ausgehändigte Abschiebungsandrohung bis heute nicht entschieden sei. Der Senat weiß nicht, was hiervon stimmt, da der Antragsteller sich zu diesem Vortrag in seiner Stellungnahme vom 30.06.2004 nicht geäußert, sondern beispielsweise wegen der Ordnungsverfügung lediglich seinen früheren Vortrag über die Zurückweisung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch das Verwaltungsgericht wiederholt hat. Auch wenn eine etwaige Nichtbescheidung des Widerspruchs über mehrere Jahre hinweg Haftgründe als solche nicht entfallen lässt, kann es eventuell ein Gesichtspunkt sein, der bei der der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten ist. Entsprechendes gilt für Motive des Antragstellers für sein Nichterscheinen zu Vorsprachen bei dem Antragsteller und etwaigen familiären Bindungen zu seiner Mutter bzw. seinen Eltern, die in C zu leben scheinen (vgl. GA 4, 26). All dies ist offen. Dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht ist insoweit weder eine eigene Sachaufklärung und die hieraus folgende umfassende Faktenabwägung, noch die erforderliche persönliche Anhörung des Betroffenen möglich. Dies hat daher das Landgericht nachzuholen. Auch wird das Landgericht zu prüfen haben, ob tatsächlich eine Haft für die Dauer von drei Monaten erforderlich ist und ob das Abschiebungsverfahren von dem Antragsteller mit der für Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden ist, da nach dessen eigenen Vorbringen das marokkanische Konsulat bereits im Oktober 2003 mitgeteilt hat, dass die Ausstellung eines Passersatzpapieres möglich sei.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens war wegen des noch offenen Verfahrensausgangs ebenfalls dem Landgericht vorzubehalten.

Beschwerdewert: 4.000,00 €

Ende der Entscheidung

Zurück