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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 13.10.2004
Aktenzeichen: 16 Wx 194/04
Rechtsgebiete: AuslG, FG, FEVG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 2
AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AuslG § 57 Abs. 2 S. 3
AuslG § 57 Abs. 2 S. 4
AuslG § 103 Abs. 2
FGG § 12
FGG § 27
FGG § 29
FEVG § 3
FEVG § 7
FEVG § 16
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 Wx 194/04

In der Freiheitsentziehungssache

pp.

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Heidkamp am 13.10.2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Siegburg vom 01.04.2004 - 241 XIV 241-B - und der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 13.09.2004 - 4 T 152/04 - aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die am 01.04.2004 durch das Amtsgericht Siegburg angeordnete Abschiebehaft rechtswidrig war.

Die außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen - auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren - werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Streitwert beträgt 4.000,- €

Gründe:

I.

Der Antragsgegner, marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 28.03.2004 ohne Pass und Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er verfügt über keinerlei Einkommen und ist im Bundesgebiet ohne festen Wohnsitz. Am 01.04.2004 ordnete das Amtsgericht Siegburg nach Anhörung des Antragsgegners auf Antrag des Antragstellers Abschiebehaft bis zum 30.06.2004 an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragsgegners wies das Landgericht Köln mit Beschluss vom 22.04.2004 zurück. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners hob der erkennende Senat am 24.05.2004 - 16 Wx 99/04 - den landgerichtlichen Beschluss auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Köln zurück. Auf den Antrag des Antragstellers vom 21.06.2004 auf Verlängerung der Abschiebehaft gab das Amtsgericht Siegburg mit Beschluss vom gleichen Tage das Verfahren zur Entscheidung über die Haftfortdauer an das Amtsgericht Paderborn ab, weil der Antragsgegner in dessen Gerichtsbezirk einsaß. Nach Anhörung des Betroffenen wies das Landgericht mit Beschluss vom 29.06.2004 die sofortige Beschwerde erneut zurück. Die hiergegen gerichtete sofortige weitere Beschwerde führte am 28.07.2004 zu einer erneuten Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses durch den erkennenden Senat - 16 Wx 152/04 -. Der Senat begründete dies im wesentlichen damit, es seien im Hinblick auf § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG weitere Ermittlungen zu der Frage erforderlich, ob im Zeitpunkt der Haftanordnung konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass ein marokkanischer Staatsangehöriger, der über keinerlei Identitätspapiere verfügt, der aber bei der Passersatzbeschaffung mitwirkt, innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden kann. Nach Durchführung von Ermittlungen wies das Landgericht am 13.09.2004 die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen die Haftanordnung ein weiteres Mal zurück.

Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der weiteren sofortigen Beschwerde. Er begehrt nunmehr - nach Ablauf der angeordneten Haftdauer - die gerichtliche Feststellung, dass die Anordnung der Abschiebehaft rechtswidrig gewesen sei.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß der §§ 3, 7 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde wird nicht dadurch berührt, dass sich die Haftanordnung durch Zeitablauf erledigt hat. Denn im Hinblick auf das bei einer Freiheitsentziehung gegebene Rehabilitierungsinteresse besteht ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer solchen Maßnahme auch nach deren Beendigung (BVerfG NJW 2002, 2456). Dass vorliegend mit der Rechtsbeschwerde das Ziel verfolgt wird, die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung nachträglich überprüfen zu lassen, hat der Verfahrensbevollmächtigte in der Beschwerdebegründung vom 23.08.2004 klargestellt.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Darüber hinaus war die Rechtswidrigkeit der angeordneten Abschiebehaft festzustellen.

Der landgerichtliche Beschluss vom 13.09.2004 ist rechtsfehlerhaft. Zu Unrecht hat das Landgericht aufgrund der gemäß § 12 FGG getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 AuslG angenommen. Die durchgeführten Ermittlungen tragen dieses Ergebnis nicht.

Es war zwar der Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG zu bejahen, wie der Senat mit Beschluss vom 24.05.2004 - 16 Wx 99/04 - bereits festgestellt hat. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn er aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Von der Anordnung der Haft konnte auch nicht ausnahmsweise gemäß § 57 Abs. 2 S. 3 AuslG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 28.07.2004 - 16 Wx 152/04 -). Denn der Betroffene hatte nicht glaubhaft gemacht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen wolle.

Die Anordnung der Sicherungshaft war vorliegend jedoch nach § 57 Abs. 2 Satz 4 unzulässig, weil feststand, dass aus Gründen, die der Antragsgegner nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Haftanordnung durchgeführt werden konnte. Die Ermittlungen des Landgerichts haben nicht ergeben, ob im Zeitpunkt der Haftanordnung konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass ein marokkanischer Staatsangehöriger, der über keinerlei Identitätspapiere verfügt, der aber bei der Passersatzbeschaffung mitwirkt, innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden kann. Nach den Ermittlungen des Landgerichts ist kein Fall aktenkundig geworden, in dem ein marokkanischer Staatsangehöriger, der nicht im Besitz der erforderlichen Passpapiere war, binnen der Dreimonatsfrist in sein Heimatland abgeschoben werden konnte. Nach der schriftlichen Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde der Stadt Dortmund war zwar die Beschaffung von Reisedokumenten für vier marokkanische Staatsangehörige im Zeitraum 2003/2004 möglich. Jedoch ergibt sich aus den übermittelten Verfahrensdaten, dass in keinem dieser Fälle eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Reisedokumente erfolgen konnte. Es ergab sich vielmehr jeweils eine Verfahrensdauer von etwa fünf Monaten. Auch die mündliche Auskunft der für die Ausstellung von Passdokumenten zuständigen Sachbearbeiterin bei dem Generalkonsulat des Königreichs Marokko in Düsseldorf spricht entschieden gegen die Annahme, die Beschaffung von Passersatzpapieren und eine nachfolgende Abschiebung nach Marokko sei innerhalb von drei Monaten durchzuführen. Die Auskunft ist vielmehr dahin zu verstehen, dass bei Nichtvorlage einer Ausweiskopie für die Beschaffung von Passersatzpapieren eine lange Verfahrensdauer anzunehmen sei. Die im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu den Akten gelangten Stellungnahmen des Antragstellers sowie der ZAB Köln zu der zu erwartenden Verfahrensdauer für die Passersatzbeschaffung waren bereits nicht aussagekräftig, worauf der Senat in seinem Beschluss vom 24.05.2004 ausdrücklich hingewiesen hat.

Aus der nunmehr zu den Akten gelangten schriftliche Auskunft des Generalkonsulats des Königreichs Marokko vom 28.09.2004 ergibt sich zudem, dass die Ausstellung eines Ersatzpapiers innerhalb einer Frist von drei Monaten durch die marokkanischen Behörden nicht gewährleistet werden kann, wenn die Identifizierung eines Betroffenen als marokkanischer Staatsbürger nur anhand seiner Fingerabdrücke erfolgen kann, sofern nicht die Fingerabdrücke bereits im zentralen Register bei den marokkanischen Behörden erfasst sind. Die bereits erfolgte Erfassung der Fingerabdrücke stellt jedoch einen Ausnahmefall dar, der etwa vorliegt, wenn der Ausländer in seinem Heimatland bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Im Regelfall ist indessen davon auszugehen, dass die Fingerabdrücke des Ausländers noch nicht im zentralen Register des Heimatlandes gespeichert sind, so dass in diesen Fällen die Beschaffung von Passersatzpapieren mehr als drei Monate in Anspruch nimmt.

Die Begründung des Landgerichts, der Antragsgegner habe die lange Verfahrensdauer selbst zu vertreten, weil er an der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise mitgewirkt habe, trägt aus den vorstehenden Erwägungen nicht. Denn die Abschiebung des Antragstellers wäre selbst dann nicht innerhalb der Frist des § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG möglich gewesen, wenn er seinen Mitwirkungspflichten ausreichend nachgekommen wäre. Zudem war dem Antragsgegner der Verlust seiner Passpapiere nicht zuzurechnen. Ein Ausländer hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats Verzögerungen seiner Abschiebung selbst zu vertreten, wenn er seine Passpapiere schuldhaft weggegeben und hierdurch einen ihm zurechenbaren Umstand geschaffen hat, der seine Abschiebung verzögert (vgl. zuletzt Senatsbeschlüsse vom 14.05.2003 - 16 Wx 111/03 - , bei Melchior, Internet-Kommentar Abschiebungshaft im Anhang; vom 07.05.2004 - 16 Wx 96/04 -, vom 05.07.2004 - 16 Wx 133/04 -, vom 06.08.2004 - 16 Wx 164/04). Anders ist jedoch der Fall zu beurteilen, in dem der Betroffene - wie hier - seinen Pass unverschuldet nicht mehr besitzt. Der Antragsgegner hatte nämlich bei seiner Vernehmung im Rahmen des Passersatzbeschaffungsverfahrens angegeben, seinen Pass bereits in Marokko verloren zu haben. In diesem Fall ist dem Betroffenen der Verlust der Ausweispapiere nicht schuldhaft zuzurechnen.

Eine erneute Zurückverweisung der Sache an das Landgericht war nicht erforderlich, weil die Sache entscheidungsreif war. Nach Maßgabe des Zurückverweisungsbeschlusses des Senats vom 28.07.2004 hatte das Landgericht weitere Ermittlungen dazu angestellt, ob die Vorschrift des § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG der Haftanordnung entgegenstand. Aufgrund der Umstände des Falles ist nicht davon auszugehen, dass darüber hinausgehende Ermittlungen des Landgerichts zu dieser Frage zu weiterreichenden Erkenntnissen führen würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 16 FEVG. Die Voraussetzungen für eine Erstattungsanordnung nach dieser Vorschrift liegen vor. Hiernach sind die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Gebietskörperschaft, der die Verwaltungsbehörde angehört, aufzuerlegen, wenn das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag. Bereits bei Beantragung des Haftbefehl hatte die Ausländerbehörde die Verpflichtung, das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und den Freiheitsanspruch des Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Dies ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil mit Freiheitsbeschränkungsmaßnahmen erhebliche Grundrechtseingriffe verbunden sind. Nicht nur die Gerichte, sondern auch die Ausländerbehörden sind hieran gebunden (OLG Celle, Beschluss vom 16.10.2003 bei Melchior Abschiebungshaft, Anhang). Zur Zeit der Haftanordnung durfte der Antragsteller aufgrund der Umstände des Falles nicht die konkrete Erwartung hegen, dass der Betroffene innerhalb der Frist des § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG abgeschoben werden konnte. Es mussten sich vielmehr der Ausländerbehörde begründete Zweifel aufdrängen, dass eine Abschiebung innerhalb dieser Frist möglich sein würde. Der Antragsteller durfte als Fachbehörde ohne nähere Ermittlungen nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass ein marokkanischer Staatsbürger, der über keinerlei Identitätspapiere verfügte, binnen der nächsten drei Monate abgeschoben werden konnte. Denn jedenfalls waren im Jahr 2003 aufgrund einer geänderten Bearbeitungsweise durch die marokkanischen Behörden Ersatzpapiere innerhalb der Dreimonatsfrist nicht zu erhalten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.02.2004 - 3 Wx 25/04 - FGPrax 2004, 141, Juris-Datei Nr. KORE433212004; AG Moers, Beschluss vom 28.08.2003 bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang). Hätte der Antragsteller vor Stellung des Haftantrags entsprechende Ermittlungen angestellt, hätte er in Erfahrung bringen können, dass auch im Jahr 2004 die Bearbeitungsdauer für die Beschaffung von Ersatzpapieren in der Regel mehr als drei Monate in Anspruch nehmen würde.

Ende der Entscheidung

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