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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: 16 Wx 87/01
Rechtsgebiete: BGB, WEG


Vorschriften:

BGB § 166 Abs. 1
BGB § 122 Abs. 2
WEG § 47
WEG § 29 Abs. 3
WEG § 48 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 Wx 87/01

In der Wohnungseigentumssache

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Dr. Ahn-Roth

am 27.06.2001

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 12.03.2001 - 29 T 227/00 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten wird nicht angeordnet.

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 26.274,57 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin ist seit 1987 Verwalterin der im Rubrum bezeichneten Wohnungseigentumsanlage. Sie hatte es im Verwaltervertrag auch übernommen, erforderliche Hilfskräfte, (Hausmeister, Reinigungsfrauen etc.) einzustellen und zu entlassen, ihre Tätigkeit zu bestimmen und zu überwachen. Zu diesen Hilfskräften gehörte auch der Miteigentümer H., der aufgrund eines mit einer früheren Verwalterin im Jahre 1983 geschlossenen Arbeitsvertrages im Rahmen einer "nebenberuflichen" Halbtagstätigkeit gegen eine Vergütung von - zuletzt im Jahre 1999 - ca. 2.700,00 DM als Hausmeister tätig war und der zugleich Mitglied des Verwaltungsbeirats der Gemeinschaft ist. Sozialversicherungsbeiträge für ihn wurden von Anfang an weder von der früheren Verwalterin, noch von der Antragsgegnerin, die ihrerseits den Streitverkündeten, einen Steuerberater, mit der Lohnabrechnung beauftragt hatte, entrichtet, da er bei Abschluss des Arbeitsvertrages und auch später als Student an der Universität immatrikuliert war.

Im Jahre 1999 forderte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach einer Betriebsprüfung mit der Begründung, dass lediglich für ordentlich Studierende, deren Zeit und Arbeitskraft überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen werde, Versicherungsfreiheit bestehe und die bloße Immatrikulation hierfür nicht ausreiche, nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge für die Kalenderjahre 1994 bis 1999 von 56.194,42 DM nach. Der Miteigentümer H., dessen Ehefrau berufstätig ist und der vier Kinder zu betreuen hat, war zu diesem Zeitpunkt im 47. Semester für Evangelische Theologie, im 45. Semester für Geographie, im 43. Semester für Soziologie und im 40. Semester für Psychologie eingeschrieben.

Die Gemeinschaft zahlte den gegen sie festgesetzten Betrag und begehrt von der Antragsgegnerin als Schadensersatz Erstattung des Arbeitnehmeranteils von 28.097,21 DM, nachdem deren Vermögensschadenshaftpflichtversicherung einen Ausgleich abgelehnt hatte. Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die hiergegen von der Antragsgegnerin eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht sie nur zur Zahlung des auf das Jahr 1999 entfallenden Betrags von 1.822,64 DM verpflichtet und im übrigen den Antrag zurückgewiesen, weil der Antragsgegnerin für die Jahre zuvor Entlastung erteilt worden sei. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Entscheidung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen, die allein Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens sein können (§§ 27, 550 ZPO), nicht zu beanstanden.

Den Antragstellern ist ein Schaden dadurch entstanden, dass die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht einbehalten worden sind und - unbeschadet einer etwaigen für das vorliegende Verfahren nicht interessierenden Haftung als Beiratsmitglied - arbeitsrechtlich nicht von Herrn H. zurückgefordert werden können (vgl. hierzu BAG NJW 1978, 1766; Palandt/Putzo, BGB 60. Auflage, § 611 Rdn. 67). Diesen Schaden können sie für die Jahre 1994 bis 1998, über die im Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch zu entscheiden ist, nicht von der Antragsgegnerin ersetzt verlangen.

Das Landgericht hat ausgeführt, die mit den Entlastungen für die Jahre 1994 bis 1998 abgegebenen negativen Schuldanerkenntnisse ständen einer Inanspruchnahme der Antragsgegnerin entgegen, weil die Entlastung einen Verzicht auf solche Ersatzansprüche bedeuteten, die für die Wohnungseigentümer bei sorgfältiger Prüfung aller ihnen unterbreiteten Vorlagen und Berichte erkennbar gewesen seien. Dabei müsse sich die Wohnungseigentümergemeinschaft die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Verwaltungsbeirats, der gem. § 29 Abs. 3 die Jahresabrechnung überprüft habe oder auch nur eines Mitglieds des Verwaltungsbeirats, der an der Rechnungsprüfung teilgenommen habe, entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Jedenfalls das Verwaltungsbeiratsmitglied H. habe aber alle Umstände gekannt, die wegen des fehlenden ernstlichen Betreibens eines Studiums seine Sozialversicherungspflicht für seine Hausmeistertätigkeit begründeten.

All dies trifft sowohl wegen der rechtlichen Ansatzpunkte wie auch wegen der Übertragung auf den festgestellten Sachverhalt zu.

Dass eine Verwalterentlastung die Wirkung eines negativen Schuldanerkenntnisses hat, ist allgemein anerkannt (vgl. z. B. BGH MDR 1997, 537 = NJW 1997, 2106; BayObLG NZM 2001, 537 m. w. Nachweisen; OLG Karlsruhe, OLGR 2000, 259). Sie bezieht sich nicht nur auf die Jahresabrechnung selbst, sondern auch auf das den Zahlungsvorgängen zugrunde liegende Verwaltungshandeln (vgl. OLG Düsseldorf NZM 2001, 537 = ZMR 2001, 301 = ZWE 2001, 270 = WuM 2001, 149), also hier auf die Anordnung der Auszahlung des Hausmeisterlohns ohne Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Dem korrespondiert eine entsprechende Kontrollpflicht des Verwaltungsbeirats, dessen Prüfung nach § 29 Abs. 3 WEG sich nicht nur auf die rechnerische, sondern - zumindest stichprobenartig - auch auf die sachliche Richtigkeit und ggfls. die Kontrolle der Kostenzuordnung und -verteilung zu erstrecken hat. Der Beirat hat in diesem Rahmen somit zu prüfen, ob vertragliche oder gesetzliche Vorgaben beachtet worden sind, wobei er sich hierzu ggfls. fachkundiger Hilfe bedienen kann (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1998, 35 mit Anm. Rechenberg/Riecke; Merle in Bärmann/Pick/Merle, WEG 8. Auflage, § 29 Rdn. 59, 62). So haben es einzelne Mitglieder des Verwaltungsbeirats auch selbst gesehen, und zwar gerade zu dem Problem der Sozialversicherungspflicht des Herrn H., indem sie dem eigenen Vorbringen der Antragssteller zufolge anlässlich der Prüfung der Jahresabrechnung für das Jahr 1993 und in der Folgezeit Mitarbeiter der Antragsgegnerin gefragt haben, ob es in Ordnung sei, dass für Herrn H. keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt würden, und sich mit der (objektiv falschen) Auskunft begnügt haben, dass dies im Falle einer Immatrikulation seine Richtigkeit habe.

Ohne Erfolg stellt die weitere Beschwerde die Rechtsauffassung des Landgerichts zur Wissenszurechnung in Frage. Für eine etwaige Kenntnis und ein etwaiges Kennenmüssen von Vorgängen kommt es zwar normalerweise auf den Kenntnisstand aller Wohnungseigentümer an (vgl. BayObLG NZM 2001, 388 = ZWE 2001, 263). Dies kann indes dann nicht gelten, wenn ein Verwaltungsbeirat besteht und auf ihn die Kontrolle des Verwalterhandelns delegiert ist. Für diesen - hier gegebenen Fall - kann es naturgemäß nur auf den Kenntnisstand der für die Wohnungseigentümergemeinschaft Handelnden, also der einzelnen Mitglieder des Verwaltungsbeirats ankommen, deren Wissen der Gemeinschaft - wie das Landgericht zu treffend ausgeführt hat - entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen ist (vgl. OLG Düsseldorf NZM 2001, 537 = ZMR 2001, 301 = ZWE 2001, 270 = WuM 2001, 149; Merle in Bärmann/Pick/Merle, a.a.O., § 28 Rdn. 112; Staudinger/Bub, WEG, § 28 Rdn. 443). Der gegenteiligen Auffassung (Köhler ZMR 1999, 293) vermag der Senat nicht zu folgen. In dem - hier gegebenen - Fall der Bestellung eines Verwaltungsbeirats mit den gesetzlichen Befugnissen wird zwar die Jahresabrechnung von der Wohnungseigentümerversammlung selbst beschlossen und die Rechte der einzelnen Wohnungseigentümer auf Einsichtnahme in Belege und der Gemeinschaft selbst auf Auskunftserteilung bleiben hiervon unberührt. Indes ist das oben dargestellte Prüfungsrecht des Beirats aus § 29 Abs. 3 weitergehender und effektiver. Wenn aber die Eigentümergemeinschaft über die Bestellung eines Verwaltungsbeirats die Kontrollmöglichkeit nach § 29 Abs. 3 WEG erlangen will, handelt es sich um die typische Situation der Anwendung des Rechtsgedankens des § 166 Abs. 1 BGB, der - was die Gegenansicht nicht berücksichtigt - nicht nur Fälle rechtsgeschäftlicher Vertretung erfasst, sondern allgemein dahin geht, dass derjenige, der einen anderen mit der Erledigung einer bestimmten Angelegenheit in eigener Verantwortung beauftragt, sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen bzw. dessen Möglichkeit zur Informationsverschaffung anrechnen lassen muss (vgl. zu diesen Kriterien Palandt/Heinrichs, BGB 60. Auflage, § 166 Rdn. 9).

Es kann als richtig unterstellt werden, dass Herr H. keine positive Kenntnis der sozialrechtlichen Rechtsprechung hatte, dass von der Versicherungsfreiheit nur ordentliche Studierende erfasst sind, deren Zeit und Arbeitskraft nach den gesamten tatsächlichen Verhältnissen überwiegend vom Studium in Anspruch genommen wird und dass hierfür die bloße förmliche Einschreibung als Student nicht reicht. Für eine Zurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB reicht indes bereits ein bloßes Kennenmüssen, also nach der Legaldefinition des § 122 Abs. 2 BGB eine fehlende Kenntnis infolge von Fahrlässigkeit aus.

Die Gründe, die das Landgericht zur Begründung einer Haftung der Antragsgegnerin infolge einer fahrlässigen Pflichtverletzung angeführt hat, treffen mindestens in gleicher Weise auf Herrn H. zu. Er kannte, und zwar besser als alle anderen, insbesondere besser als Mitarbeiter der Antragsgegnerin und besser als der von der Antragsgegnerin mit der Lohnabrechnung beauftragte Steuerberater alle Tatsachen, aus denen sich seine bestandskräftig festgestellte Sozialversicherungspflicht ergab. Bei ihm konnte und brauchte zwar - anders als bei den für die Antragsgegnerin tätigen Personen - keine korrekte sozialrechtliche Subsumtion dieser Tatsachen gefordert werden. Auch für ihn musste es indes auf der Hand liegen, dass in dem auf dem Solidargedanken aller Arbeitnehmer beruhenden Sozialversicherungsrecht Vorsorge gegen eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Beitragsbefreiungsmöglichkeiten getroffen ist und dass ein jahrzehntelanges bloßes pro forma-Studium zumindest problematisch sein konnte. Er hätte daher allen Anlass haben müssen, sich durch fachlichen Rat kundig zu machen, und durfte - jedenfalls als Mitglied des Verwaltungsbeirats - nicht quasi den "Kopf in den Sand stecken".

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG. Es entspricht billigem Ermessen, der unterlegenen Beteiligten zu 1. die Gerichtskosten des Verfahrens dritter Instanz aufzuerlegen. Für eine Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten bestand keine Veranlassung.

Die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus § 48 Abs. 3 WEG.

Ende der Entscheidung

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