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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 24.05.2002
Aktenzeichen: 16 Wx 91/02
Rechtsgebiete: FEVG, FGG, ZPO, AuslG


Vorschriften:

FEVG § 3 Satz 2
FEVG § 7 Abs. 1
FGG § 12
FGG § 27 Abs. 1
ZPO § 546
AuslG § 64 Abs. 3
AuslG § 103 Abs. 2
AuslG § 57 Abs. 2 S. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

16 Wx 91/02

In der Freiheitsentziehungssache

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch seine Mitglieder Dr. Schuschke, Jennissen und Dr. Ahn-Roth

am 24.05.2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 06.05.2002 - 1 T 124/02 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Betroffene, die wahrscheinlich aus einem nordafrikanischen Staat stammt und deren Identität im übrigen unbekannt ist, reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein. Unter Vorlage einer gefälschten italienischen Identitätskarte verschaffte sie sich eine Arbeitserlaubnis und eine ihr am 20.09.2001 ausgestellte Lohnsteuerkarte. Am 05.03.2002 sprach sie zusammen mit einem italienischen Begleiter in einer Bezirksverwaltungsstelle der Stadt K. beim Sozialamt vor und wurde von dort zwecks Erlangung einer EG-Aufenthaltserlaubnis zum Ausländeramt geschickt. Bei Vorlage der Identitätskarte erkannte die Sachbearbeiterin des Ausländeramtes die Fälschung und veranlasste die vorläufige Festnahme der Betroffenen. Aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Köln vom 06.03.2002 befindet sich die Betroffene wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Ausländergesetz und der Urkundenfälschung derzeit noch in Untersuchungshaft, wurde aber von der JVA Köln in ein psychiatrisches Krankenhaus des Landschaftsverbandes Rheinland verlegt. Im Ermittlungsverfahren hat die Betroffene mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.03.2002 angegeben, sie sei marokkanische Staatsangehörige mit den im Rubrum in zweiter Linie genannten Personalien.

Ebenfalls mit Beschluss vom 06.03.2002 hat das Amtsgericht Abschiebungshaft von einem Monat im Anschluss an die Untersuchungshaft angeordnet. Eine hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen.

II.

Die gemäß §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 FEVG, 103 Abs. 2 AuslG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Dessen Entscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern i. S. d. §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

1.

Keinen rechtlichen Bedenken unterliegen die Feststellungen des Landgerichts zum Haftgrund und zur Frage der Haftfähigkeit, die sich erst dann stellt, wenn die Abschiebungshaft auch zu vollziehen ist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen bezug. Ergänzend ist anzumerken, dass neben dem Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5) auch derjenige der unerlaubten Einreise (§ 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG) vorliegt. Die behauptete, nicht konkretisierte und selbst nach der Aussage des Zeugen B. im Ermittlungsverfahren sehr zweifelhafte Heiratsabsicht ist für das vorliegende Verfahren unbeachtlich. Der an sich wegen der Abschiebungsvoraussetzungen an die Entscheidung der Ausländerbehörde gebundene Haftrichter hat zwar ausnahmsweise Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 GG betreffen, etwa zur Verhinderung der Schaffung vollendeter Tatsachen, wenn verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist, oder durch nachträglich eingetretene Umstände die Anordnung von Abschiebungshaft als Mittel der Sicherung unnötig wird (vgl. hierzu Senat OLGReport Köln 2001, 279). Diese Voraussetzungen liegen indes schon wegen Fehlens der für eine Eheschließung erforderlichen Papiere ersichtlich nicht vor.

2.

Indes ist das Landgericht zu weiteren Haftvoraussetzungen seiner Amtsermittlungspflicht aus § 12 FGG nicht hinreichend nachgekommen. Es hat zwar versucht, durch Beiziehung der Akten des Ermittlungsverfahrens und durch Einholung amtlicher Auskünfte den Sachverhalt weiter aufzuklären. Es fehlen aber Feststellungen zur Dreimonatsfrist des § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG sowie zur Verhältnismäßigkeit der Haft.

a)

Gem. § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Diese Frist beginnt in dem hier gegebenen Fall der Sicherungshaft als Überhaft im Anschluss an eine Untersuchungs- oder Strafhaft nicht erst mit deren Vollzug, sondern mit der Anordnung selbst, also hier ab dem 06.03.2002 zu laufen; denn die Sicherungshaft darf nicht dazu dienen, es der Ausländerbehörde zu ermöglichen, den Ausgang eines längeren Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten (vgl. OLG Düsseldorf FGPrax 2001, 130 = InfAuslR 2001,340; SchlHOLG FGPrax 2000, 167 = InfAuslR 2000, 449; KG FGPrax 1995, 83; OLG Hamm NVwZ-RR 1993, 273; LG Bielefeld InfAuslR 2001, 347). Nicht zu vertreten hat der Ausländer die fehlende Abschiebungsmöglichkeit, wenn eine Abschiebung innerhalb von drei Monaten schon daran scheitert, dass die Staatsanwaltschaft das gem. § 64 Abs. 3 AuslG erforderliche Einvernehmen nicht erteilt. Deshalb hat der Tatrichter von Amts wegen zu prüfen, ob das Einverständnis erteilt ist. Wird dieses verweigert, so scheidet die Anordnung von Abschiebehaft als Überhaft grundsätzlich aus; denn in diesem Falle kann in der Regel nicht damit gerechnet werden, dass das Strafverfahren binnen der Dreimonatsfrist beendet wird und die Abschiebung in der nach Beendigung dieses Verfahrens noch verbleibenden Restfrist durchgeführt werden kann (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; SchlHOLG a.a.O. OLG Frankfurt StV 2000, 377; LG Bielefeld a.a.O.).

Dieser Grundsatz gilt zwar nicht uneingeschränkt. Einen Ausnahmefall kann das zur Entscheidung über den Haftantrag berufene Gericht allerdings nur in Betracht ziehen, wenn - etwa nach Erkundigungen über den Stand des Verfahrens - konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Strafverfahren ganz kurzfristig zu seinem Abschluss gelangt und der Abschiebung im übrigen keine Hindernisse entgegen stehen (OLG Düsseldorf a.a.O.) .

Vorliegend mag zwar bei der Anordnung der Haft wegen der einfachen Beweislage die berechtigte Erwartung bestanden haben, dass es zu einem kurzfristigen Abschluss des Strafverfahrens kommen werde. Jedenfalls im Beschwerdeverfahren stellte sich die Situation indes anders dar. Nach dem von dem Landgericht gefertigten Aktenauszug war es wegen der Angabe des Verfahrensbevollmächtigten und Verteidigers der Betroffenen, sie sei 1982 geboren, also Heranwachsende bei der Staatsanwaltschaft zu einem Dezernatswechsel gekommen und jedenfalls bis Mitte April 2002 Anklage noch nicht erhoben. Auch war nach der vom Landgericht eingeholten Auskunft bei den Rheinischen Kliniken K. vom 23.04.2002 frühestens ab Anfang Mai 2002 mit einer Verhandlungsfähigkeit der Betroffenen zu rechnen. Bei dieser Sachlage konnte nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich der staatliche Strafanspruch kurzfristig erledigen und deshalb § 64 Abs. 3 AuslG einer Abschiebung innerhalb der Dreimonatsfrist nicht entgegen stehen werde. Es lag mithin kein Fall vor, in dem die an sich gem. § 12 FGG regelmäßig erforderliche Anfrage nach einem etwaigen Einverständnis der Staatsanwaltschaft entbehrlich war. Dem Auszug aus den Ermittlungsakten lassen sich weder ein Ersuchen des Antragstellers noch eine Einverständniserklärung der Staatsanwaltschaft entnehmen.

b)

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass in jeder Lage des Verfahrens das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und das Freiheitsinteresse des Betroffenen abgewogen und geprüft wird, ob die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung der Haft (noch) erforderlich ist (vgl. z. B. BVerfG NVwZ-Beilage I 2001, 26 = AuAS 2001, 54). Hieraus folgt, dass die Ausländerbehörde das Abschiebungsverfahren mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben und bereits während der Vollstreckung der Untersuchungshaft notwendige Vorbereitungen für die Abschiebung zu treffen hat, wie der Senat wiederholt entschieden hat, u. a. mit Beschluss vom 11.03.2002 - 16 Wx 29/02 - in einem Verfahren, an dem der Antragsteller beteiligt war (vgl. weiter Senatsbeschluss vom 10.08.2001 - 16 Wx 159/01 -; OLG Frankfurt NVwZ-Beilage 5/1996, 39 f; AuAS 1998, 198; OLG Düsseldorf NVwZ-Beilage 1/1995, 7; OLG Karlsruhe InfAuslR 2000,234).

Feststellungen dazu, was der Antragsteller zwischenzeitlich zur Klärung der Identität der Betroffenen unternommen hat, sind nicht getroffen und deshalb vom Landgericht nachzuholen. Sollte sich herausstellen, dass nichts oder nichts von Relevanz geschehen ist und selbst die Bekanntgabe eines Heimatlandes sowie persönlicher Daten (Namen, Vornamen und Geburtsdatum) durch die Betroffene keinen Anlass für Bemühungen um Ausstellung eines Passersatzpapiers gegeben hat, worauf der Schriftsatz des Antragstellers vom 21.05.2002 hindeutet, wird sich für das Landgericht die Frage stellen, ob die Aufrechterhaltung der Haftanordnung noch verhältnismäßig ist.

3.

Die Kostenentscheidung war wegen des noch offenen Verfahrensausgangs dem Landgericht vorzubehalten.

Ende der Entscheidung

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