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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 31.10.2009
Aktenzeichen: 17 W 261/09
Rechtsgebiete: RVG, VV RVG


Vorschriften:

RVG § 15 a
RVG § 55
VV RVG Vorbemerkung 3 Abs. 4
Im Hinblick auf den in § 15a RVG lediglich ergänzend zum bereits geltenden Recht zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Willen kann die Staatskasse auch in sog. Altfällen im Vergütungsfestsetzungsverfahren eine entstandene Geschäftsgebühr nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nicht anteilig auf die Verfahrensgebühr anrechnen, sofern der beigeordnete PKH-Anwalt keine Zahlung auf die Geschäftsgebühr erhalten hat.
Tenor:

Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluss der Einzelrichterin aufgehoben.

Auf die Erinnerung wird der Beschluss des Rechtspflegers vom 17.04.2009 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die dem Rechtsanwalt Christoph C. aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren- und Auslagenvorschüsse werden auf 628,68 € festgesetzt.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren: 301,25 € (628,68 € - 327,43 €)

Gründe:

Die gemäß § 56 RVG statthafte und auch im Übrigen verfahrensrechtlich unbedenkliche Beschwerde des den Klägern durch Beschluss des Einzelrichters der 30. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 27.12.2007 (30 O 226/07) im Rahmen der Bewilligung der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts C. hat auch in der Sache selbst Erfolg. Entgegen der dem angefochtenen Beschluss ebenso wie der vorangegangenen Nichtabhilfeentscheidung des Rechtspflegers vom 17.07.2009 im Verfahren über die Erinnerung zugrunde liegenden, auch vom Bezirksrevisor geteilten Auffassung ist im vorliegenden Fall für die Anrechnung einer hälftigen Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG auf den mit Schriftsatz vom 22.10.2008 (Bl. 115 GA) gemäß § 55 RVG angemeldeten Kostenvorschuss nach Maßgabe der Anrechnungsvorschrift in Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 Satz 1 VV RVG kein Raum.

Mit Recht ist der Rechtspfleger zunächst davon ausgegangen, dass der vorbezeichnete Festsetzungsantrag vom 22.10.2008 entgegen der unrichtigen Bezeichnung ("1,3 Gebühr gem. Nr. 2300 VV RVG") tatsächlich eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG zum Gegenstand hat. Sowohl dem Rechtspfleger als auch dem Bezirksrevisor in dessen Stellungnahme vom 04.06.2009 (Bl. 14 PKH-Heft) ist weiter im Ansatz auch dahingehend zu folgen, dass - auf der Grundlage der bisherigen "Anrechnungs-Rechtssprechung" des Bundesgerichtshofs (vgl. grundlegend BGH NJW 2008, 1323) - die ganz überwiegende Mehrzahl der Oberlandesgerichte davon ausgegangen ist, eine entstandene Geschäftsgebühr sei auch bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die im weiteren Verfahren angefallene Verfahrensgebühr grundsätzlich selbst dann anzurechnen, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt tatsächlich keine Leistungen auf die Geschäftsgebühr erhalten hat (zum Streitstand vgl. OLG Koblenz AGS 2009, 446, 447).

Für diese Betrachtungsweise ist aber jedenfalls nach Inkrafttreten von § 15a RVG am 05.08.2009 kein Raum mehr. Die Einschätzung der Einzelrichterin sowie des Rechtspflegers, § 15a RVG habe mit Rücksicht auf § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG (n. F.) für sog. Alt- oder Übergangsfälle keine Bedeutung, trifft nicht zu. Der Senat hat mit Beschluss vom 14.09.2009 - 17 W 195/09 - (juris; NJW-Spezial 2009, 651) zur Frage der Anwendung von § 15a RVG auf bei dessen Inkrafttreten noch nicht abgeschlossene Festsetzungsverfahren erstmals ausgeführt:

"Nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des § 15 a RVG ist das vom BGH bislang angenommene erweiterte Anrechnungsgebot aus Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG (vgl. etwa BGH NJW 2008, 1323) hinfällig geworden. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr hat auch in Altfällen nur nach Maßgabe von § 15 a Abs. 2 RVG zu erfolgen (so im Ergebnis auch OLG Stuttgart Beschl. v. 11.08.2009 - 8 W 339/09 - juris; OLG Düsseldorf AGS 2009, 372; OVG NW Beschluss vom 04.08.2009 - 4 E 1609/08 - juris; LG Berlin AGS 2009, 367; AG Wesel AGS 2009, 312; Hansens RVGreport 2009, 306). Das Anrechnungsgebot erstreckt sich danach grundsätzlich nur auf das Vergütungsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, während sich ein Dritter nach den in § 15 a Abs. 2 RVG aufgeführten Regelungsalternativen nur dann auf die Anrechnung berufen kann, wenn er in eigener Person als Schuldner/Erstattungspflichtiger sowohl für die Geschäftsgebühr als auch für die Verhandlungsgebühr zu betrachten ist.

Hierbei mag davon auszugehen sein, dass die gesetzliche Neuregelung des § 15 a RVG eine der Übergangsvorschrift aus § 60 Abs. 1 RVG unterfallende Bestimmung beinhaltet. Entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. OLG Frankfurt Beschl. v. 10.08.2009 - 12 W 91/09 - juris; KG Beschl. v. 13.08.2009 - 2 W 128/09 - juris; OLG Celle Beschl. v. 26.08.2009 - 2 W 240/09 - juris) hat dies aber nicht zur Folge, dass die bisherige Rechtsprechung des BGH in Altfällen fortzuführen wäre. Die nach dieser Auffassung maßgebliche formale Anknüpfung an die bloße Gesetzeschronologie lässt im Kern unberücksichtigt, dass sich die gesetzliche Neuregelung des § 15 a RVG ersichtlich vor dem Hintergrund der bisherigen BGH-Rechtsprechung und der sich hieraus ergebenden rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten versteht, die künftig vermieden werden sollen (zu den Gesetzesmaterialien vgl. LG Berlin a.a.O.; Hansens a.a.O.). In Anbetracht dessen hält es der Senat für geboten, diese Ziel- und Wertvorstellungen des Gesetzgebers auch bei der Auslegung und Anwendung der bisherigen, durch § 15 a RVG im Übrigen nicht veränderten Gesetzeslage heranzuziehen. Auch die BGH-Rechtsprechung zum erweiterten Anrechnungsgebot erging im Rahmen einer Gesetzesauslegung, die nicht starr und unverrückbar ist, sondern der Rechtsfortbildung unterliegt, innerhalb derer veränderte rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen Berücksichtigung finden können und müssen (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., Einl. vor § 1 Rdnr. 54 ff.).

Ein Festhalten an der Gesetzesauslegung des BGH wäre bei der nunmehr gegebenen Sach- und Rechtslage verfehlt, denn dies stünde in offenem Widerspruch zu den gesetzgeberischen Intentionen und würde die rechtspraktischen Schwierigkeiten, die sich nach der bisherigen Handhabung im Rahmen der Kostenfestsetzung ergeben haben, noch über mehrere Jahre hinweg fortsetzen. Der Senat lässt sich dabei wesentlich davon leiten, dass mit der Bestimmung des § 15 a RVG keine grundlegend neue gesetzliche Bestimmung geschaffen wurde, sondern die Vorschrift aus Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG lediglich in einem Sinne konkretisiert und präzisiert worden ist, wie dies schon früher, d. h. vor der geänderten BGH-Rechtsprechung, der ganz überwiegend vertretenen Auslegung des RVG entsprach. Nichts spricht dagegen, die in diesem Sinne erfolgte gesetzliche Präzisierung schon jetzt bei der Gesetzesauslegung für maßgeblich zu halten, zumal auf diesem Wege krasse Wertungswidersprüche vermieden werden können."

Diese Auslegung, nach der es dahin stehen, kann, ob die Übergangsregelung des § 60 RVG auf die Neuregelung des § 15a RVG Anwendung findet, weil hierdurch die Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens auch für Altfälle nicht ausgeschlossen wird, wird im Ergebnis von zahlreichen anderen Gerichten geteilt (vgl. die vorgenannten Nachweise sowie OLG Koblenz AGS 2009, 420; s. auch Enders, JurBüro 2009, 393, 400); sie entspricht auch der neueren Kostenrechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH Beschluss vom 02.09.2009 - II ZB 35/07 -, NJW 2009, 3101 = ZIP 2009, 1927).

Ist aber für die bisherige "Anrechnungs-Rechtsprechung" des Bundesgerichtshofs auf der Grundlage von § 15a RVG kein Raum mehr, muss dies auch im Rahmen der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG Berücksichtigung finden (vgl. ebenso OVG NRW AGS 2009, 447, 448). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die nunmehr in § 55 Abs. 5 Satz 3 RVG (n. F.) noch umfassender als schon bisher geregelte Erklärungspflicht hinreichend deutlich erkennen lässt, dass eine Gebührenanrechnung im Verhältnis zur Staatskasse jedenfalls dann nicht stattfinden soll, wenn der Rechtsanwalt keine Zahlung erhalten hat (OVG NRW aaO; vgl. auch Enders aaO 398; von König, Rpfleger 2009, 487, 490).

Davon, dass der beigeordnete Rechtsanwalt im Streitfall keine Zahlungen auf die Geschäftsgebühr erhalten hat, ist aufgrund der Angaben in der Erinnerung vom 27.04.2009 auszugehen. Bei dieser Sachlage war dem Festsetzungsantrag vom 22.10.2008 in vollem - ungekürztem - Umfang zu entsprechen.

Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG.

Ende der Entscheidung

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