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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 09.07.2009
Aktenzeichen: 18 U 167/08
Rechtsgebiete: AktG
Vorschriften:
AktG § 120 |
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19.09.2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen der Kläger und die Nebenintervenientin je zur Hälfte, im Übrigen tragen der Kläger und die Nebenintervenientin ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger und der Nebenintervenientin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Anfechtung der Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 29.08.2007, mit denen Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten für das Geschäftsjahr 2006 Entlastung erteilt worden ist.
Die Beklagte war Gesellschafterin der folgenden fünf Gesellschaften:
- I.X.J.(S)
- I.X. (T)
- I.X.K (K)
- I.X.B. (B)
- F.G. GmbH
Mehrheitsaktionärin der Beklagten ist die L. Ltd., die selbst oder über Tochtergesellschaften ca. 97 % ihrer Aktien hält. Außerdem ist die L. Ltd. Mehrheitsgesellschafterin der I.X.International GmbH mit Sitz in Y. (künftig: L. Y.).
Durch Vertrag ("Share Purchase Agreement") vom 22.12.2005 (Anlage B 1) veräußerte die Beklagte ihre Anteile an ihren fünf Tochtergesellschaften an die L. Y.. Als Kaufpreis ("Purchase Price") wurde darin ein Basiskaufpreis ("Base Purchase Price") und eine künftige Gewinnbeteiligung ("Future Earnings Participation") festgelegt. Die Art und Weise der Ermittlung dieser beiden Preisfaktoren wurde im Vertrag näher geregelt. Im Hinblick darauf, dass eine Ermittlung des Kaufpreises gemäß der vereinbarten Methode kurzfristig nicht möglich war, wurde zunächst ein vorläufiger Kaufpreis in Höhe von 11.447.001 € festgelegt und von L. Y. an die Beklagte bezahlt. Die endgültige Festlegung des "Base Purchase Price" erfolgte im Dezember 2006 mit 12.200.000 € auf der Grundlage eines externen Gutachtens. Eine von der Geschäftsführung der Beklagten im Januar 2007 in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahme zur Ermittlung der objektivierten Unternehmenswerte der veräußerten Gesellschaften hat zu dem Ergebnis geführt, dass die verkauften Unternehmen einen Wert von 15.464 Mio. € hatten (Gutachten vom 31.05.2007, Anlage B 2, S. 50).
Im Zusammenhang mit der Beschlussfassung der Hauptversammlung der Beklagten vom 29.08.2007 über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für das Jahr 2006 wurde u. a. vom Kläger auch die Frage der angemessenen Bewertung der veräußerten Gesellschaftsanteile angesprochen. Seinem Verlangen, das der abschließenden Kaufpreisbestimmung zugrunde liegende externe Gutachten vorzulegen, kam der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Beklagten nicht nach.
Die Hauptversammlung der Beklagten hat beschlossen, Vorstand und Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2006 Entlastung zu erteilen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 28.09.2007 bei Gericht eingegangenen Klage, die auf Feststellung der Nichtigkeit dieser Beschlüsse gerichtet ist.
Der Kläger behauptet, er sei schon seit längerer Zeit Aktionär der Beklagten. Er meint, dass die Entlastungsbeschlüsse nicht hätten gefasst werden dürfen. Zum einen sei die Veräußerung der Beteiligung an den fünf Gesellschaften zu einem deutlich zu niedrigen Preis erfolgt, so dass eine Einlagenrückgewähr i. S. des § 57 AktG an die L. Ltd., die sowohl Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten als auch der Erwerberin ist, vorliege. Außerdem sei der Beschlussfassung ein Verstoß gegen sein Informationsrecht vorausgegangen, weil ihm das externe Bewertungsgutachten nicht zugänglich gemacht worden sei.
Das Landgericht hat die Nichtigkeit der fraglichen Beschlüsse festgestellt, weil es der Auffassung ist, dass die Veräußerung der Unternehmensbeteiligungen einen Fall der unzulässigen Einlagenrückgewähr i. S. des § 57 AktG darstelle, denn der Verkauf sei unter Marktpreis erfolgt. Die Bewertung der verkauften Gesellschaften in dem Gutachten der RSM N. vom 31.05.2007 sei aufgrund von Fehlern in diesem Gutachten nicht akzeptabel. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der Nebenintervenientin, der gestellten Anträge sowie der Urteilsbegründung wird auf das Urteil des Landgerichts Köln vom 19.09.2008 Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie vertritt darin die Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung der Entlastungsbeschlüsse schon deshalb nicht vorgelegen hätten, weil es sich hierbei um den Ausdruck einer vertretbaren Bewertung handele. Zudem sei die in dem Urteil erfolgte Qualifikation des Kaufpreises als unangemessen nicht haltbar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Köln vom 19.09.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die Nebenintervenientin beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung. Dabei vertreten sie u. a. die Auffassung, dass die Fehlerhaftigkeit der Kaufpreisermittlung bereits aufgrund der in der Hauptversammlung mitgeteilten Umstände, insbesondere des Kapitalisierungszinsatzes für die Jahre 2006 bis 2008 für alle Teilnehmer der Hauptversammlung erkennbar gewesen sei. Der Kapitalisierungszins für das Jahr der ewigen Rente sei zudem gar nicht mitgeteilt worden.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg, denn die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entlastungsbeschlüsse beruhen weder auf einem Verfahrensfehler noch sind sie inhaltlich zu beanstanden.
1a) Der Senat teilt die Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 25. November 2002 - II ZR 133/01 -, S. 9f.), dass auch Entlastungsbeschlüsse anfechtbar sind, obwohl mit ihnen ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegen die Organmitglieder, denen Entlastung erteilt worden ist, nicht verbunden ist (§ 120 Abs. 2 S. 2 AktG). Die Gegenauffassung, dass es sich um eine Entscheidung handele, die im freien Ermessen der Hauptversammlung stehe, so dass sie der Anfechtung entzogen sei (vgl. Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 120 Rdnr. 58; Kubis, in: MüchKomm-AktG, 2. Aufl., 2004, § 120 Rdnr. 15, 47), vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Versteht man die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung nämlich als Erklärung, dass das Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat in der Vergangenheit als im großen und ganzen gesetz- und satzungsmäßig gebilligt werde und deshalb Vertrauen in den Vorstand/Aufsichtsrat für die Zukunft bestehe, ist es angebracht, diesen Beschluss durch Anfechtung beseitigen zu können, wenn eindeutige und schwerwiegende Gesetzesverstöße vorliegen und die Hauptversammlung damit den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum eindeutig überschritten hat.
b) Entscheidend kommt es deshalb darauf an, wann ein Verhalten von Vorstand/Aufsichtsrat eindeutig und schwerwiegend gegen Gesetz oder Satzung verstößt. Dies ist nach einer in Rechtsprechung und Schrifttum verbreiteten Auffassung, der sich der Senat anschließt, nur dann der Fall, wenn die Verletzung von Gesetz oder Satzung den Teilnehmern der Hauptversammlung bekannt oder aufgrund der ihnen zugänglichen Informationen zumindest erkennbar war (OLG Frankfurt, Urteil vom 16.05.2006 - 5 U 109/04 -, AG 2007, 329f.; OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2007 - 5 U 177/06 -, Rdnr. 34f.; Hoffmann, in: Spindler/Stilz, AktG , 2007 § 120 Rdnr. 50). Hierfür spricht, dass Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung bei der Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses nicht das Verhalten der Organe ist, denen Entlastung erteilt worden ist, sondern der Beschluss der Hauptversammlung. Dieser Beschluss ist aber nur dann fehlerhaft, wenn die Hauptversammlung aufgrund der ihr bekannten Informationen erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können, dass das Verhalten der Organe, denen Entlastung erteilt wird, rechts- oder satzungswidrig war. Würde man dagegen unabhängig von der Kenntnis bzw. Kenntnismöglichkeit der Hauptversammlung auf die objektive Rechts- oder Satzungswidrigkeit des Organverhaltens abstellen, würde das Verfahren der Anfechtung des Entlastungsbeschlusses zu einer Kontrolle der Rechts- und Satzungsmäßigkeit des Verhaltens von Vorstand/Aufsichtsrat umfunktioniert. Das vom Bundesgerichtshof aufgestellte Merkmal der Eindeutigkeit des Verstoßes würde dadurch bedeutungslos.
2. Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die angefochtenen Beschlüsse nicht zu beanstanden.
a) Das Landgericht hat seine Entscheidung zu Recht nicht auf einen formellen Fehler bei der Beschlussfassung, nämlich einen Verstoß gegen § 131 Abs. 1 S. 1 AktG gestützt, weil das Gutachten, das der Kaufpreisbemessung zugrunde gelegen hat, der Hauptversammlung nicht vorgelegt worden ist. Ein Anspruch auf Vorlage von Unterlagen besteht nämlich nicht, sondern nur ein Anspruch auf Erteilung mündlicher Auskünfte. Diese wurden jedoch erteilt. Darauf, dass die Erteilung der Informationen möglicherweise unvollständig war, weil der Kapitalisierungszins für das Jahr der ewigen Rente nicht mitgeteilt worden war, kommt es nicht an. Hierauf hat der Kläger seine Anfechtungsklage nicht innerhalb der Frist des § 246 Abs. 1 AktG gestützt. Soweit er hierauf im Rahmen des Berufungsverfahrens abgestellt hat, geschah dies nach seinen Darlegungen auch nur, um sich gegen die Auffassung des Senats zu wenden, dass es auf die Erkennbarkeit des fehlerhaften Organverhaltens für die Hauptversammlung ankomme.
b) Auf die Beantwortung der Frage, ob die Ermittlung des Kaufpreises für die veräußerten Unternehmensbeteiligungen tatsächlich fehlerhaft war, kommt es im Rahmen dieses Rechtsstreits nicht an; sie wird möglicherweise aber im Rahmen des noch beim Landgericht Köln anhängigen weiteren Rechtsstreits (91 O 207/06) zu klären sein, in dem auch der Jahresabschluss 2005 Gegenstand des Rechtsstreits ist. Die Entlastungsbeschlüsse sind jedenfalls deshalb nicht anfechtbar, weil etwaige Fehler bei der Festlegung des Kaufpreises für die veräußerten Unternehmensbeteiligungen der Hauptversammlung nicht erkennbar waren.
Das Landgericht hat in seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass das von der Klägerin im Rahmen dieses Rechtsstreits vorgelegte Gutachten vom 31.05.2007 falsch ist. Dieses Gutachten war der Hauptversammlung bei ihrer Beschlussfassung aber nicht bekannt. Darüber hinaus wird übersehen, dass dieses Gutachten der endgültigen Festlegung des Kaufpreises, die bereits im Dezember 2006 erfolgt ist, schon aufgrund der Zeitabläufe schlechterdings nicht zugrunde gelegen haben kann. Schließlich bedeuten etwaige methodische Fehler in dem Gutachten nicht zwangsläufig, dass auch das Ergebnis falsch ist; gerade darauf kommt es aber an, denn nur, wenn der Kaufpreis tatsächlich zu niedrig angesetzt war, kommt der den Organen vom Kläger angelastete Verstoß gegen § 57 AktG in Betracht.
Aufgrund der in der Hauptversammlung erteilten Informationen über die Kaufpreisermittlung konnte diese nicht davon ausgehen, dass der Kaufpreis zu niedrig sei und hatte deshalb keine Veranlassung, den Organen der Beklagten die Entlastung zu versagen. Es ist immer noch ungeklärt, ob die Gesellschaftsbeteiligungen unter Marktwert veräußert worden sind. Für eine entsprechende Feststellung hätte es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurft. Angesichts der Schwierigkeit, die mit der Bewertung von verschiedenen Gesellschaften in ganz unterschiedlichen Staaten verbunden sind, sowie des Umstandes, dass Unternehmensbewertungen aufgrund des prognostischen Anteils in der Bewertung jeweils auch Unsicherheiten und damit Spielräume enthalten, war eine möglicherweise gegebene fehlerhafte Bewertung für die Hauptversammlung nicht hinreichend klar erkennbar, um auch nur ernsthafte Zweifel an der Gesetzmäßigkeit des Organhandelns zu begründen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des nach Auffassung des Klägers überhöhten Kapitalisierungszinses. Dieser Zinssatz mag aus deutscher Sicht ungewöhnlich hoch sein und deshalb Anlass zu der Vermutung geben, dass der Kaufpreis zu niedrig angesetzt worden ist. Maßstab für die Angemessenheit eines Kapitalisierungszinses für eine indische Gesellschaft können jedoch nicht deutsche Verhältnisse sein, abzustellen ist vielmehr auf die Situation am Sitz der Gesellschaft, also in Indien. Diese Verhältnisse sind für die Teilnehmer der Hauptversammlung ohne Hinzuziehung von sachverständigem Rat über die Grundsätze der Unternehmensbewertung in Indien aber nicht überschaubar. Wenn ein möglicher Fehler aber nur unter Hinzuziehung eines Sachverständigen festgestellt werden kann, handelt es sich nicht mehr um einen eindeutigen Verstoß gegen Satzung oder Gesetz, der einen Entlastungsbeschluss anfechtbar macht.
Dies führt auch nicht dazu, dass das Verhalten der Organmitglieder in komplexeren Sachverhalten der Kontrolle insbesondere auch durch Minderheitsaktionäre entzogen wäre. Sofern bereits zum Zeitpunkt der Hauptversammlung konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten von Organmitgliedern vorliegen, können Aktionäre, die einer Entlastung widersprechen wollen, diese der Hauptversammlung vortragen, was dann ggf. dazu führen würde, dass das Kriterium der Erkennbarkeit des Fehlverhaltens für die Hauptversammlung erfüllt ist (so war es in dem Fall, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.02.2009 - II ZR 185/07 - zugrunde gelegen hat, vgl. Rdnr. 28 der Entscheidungsgründe). Im Übrigen besteht bei Vorliegen hinreichend konkreter Anhaltspunkte die Möglichkeit der Beantragung einer Sonderprüfung (§ 142 AktG).
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 100 Abs. 1, 101 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
Die Revision wird zugelasen, weil Frage, ob die Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen auf solche Fälle beschränkt ist, in denen der Verstoß des zu entlastenden Organs gegen Gesetz oder Satzung für die Hauptversammlung erkennbar ist, noch nicht hinreichend erklärt ist. Wie die vorstehend zitierten hierzu ergangenen Entscheidungen aus jüngerer Vergangenheit zeigen, ist die Beantwortung dieser Frage auch nicht nur in Einzelfällen von Interesse.
V.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.000 € festgesetzt. Im Hinblick darauf, dass der Entlastungsbeschluss nicht den Verzicht auf Schadensersatzansprüche beinhaltet, sieht der Senat keine Veranlassung für eine höhere Bewertung.
Ende der Entscheidung
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