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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 15.09.2008
Aktenzeichen: 19 W 18/08
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, ArbGG, HGB, GewO


Vorschriften:

ZPO §§ 567 ff.
ZPO § 568 S. 2 Nr. 2
GVG § 17 a Abs. 4 S. 3
ArbGG § 2 Abs. 1
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3
ArbGG § 5 Abs. 3
HGB §§ 84 ff.
HGB § 86 a
HGB § 89 Abs. 1
HGB § 89 b
HGB § 92 a
GewO § 34 c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Das Verfahren wird gemäß § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO vom Einzelrichter auf den Senat übertragen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

II. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Köln vom 21.04.2008 in der Fassung der Nichtabhilfeentscheidung vom 13.05.2008 aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird für zulässig erklärt.

III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Die gemäß §§ 17 a Abs. 4 S. 3 GVG, 567 ff. ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin hat in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen. Zur Entscheidung über das Klagebegehren sind die ordentlichen Gerichte berufen. Der Beklagte ist Handelsvertreter und fällt auch nicht unter die Regelung der § 5 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 92 a HGB.

1.

Der Beklagte war nicht Arbeitnehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Gemäß § 2 Abs. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen "Consultantvertrages" - nicht "Mitarbeitervertrages", wie von dem Beklagten in seiner Beschwerdeerwiderung angegeben - vom 24.03.2003 war er als selbständiger Gewerbetreibender im Sinne der §§ 84 ff. HGB tätig. Der Wortlaut des Vertrages allein ist zwar nicht entscheidend für die Frage, ob ein Vertragspartner als selbstständiger Handelsvertreter tätig geworden ist oder nicht, denn es kommt grundsätzlich nicht auf die von den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern vor allem auf das Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und die tatsächliche Handhabung an (OLG Hamm VersR 04, 1133). Jedoch ist weder im Hinblick auf die vertraglichen Bestimmungen noch aufgrund der tatsächlichen Durchführung des Vertrages nach dem insoweit maßgeblichen Vortrag der Klägerin von einer Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten auszugehen. Er ist vielmehr als selbständiger Handelsvertreter einzuordnen.

Dies ergibt sich zunächst aus der gesamten Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses, welches dem gesetzlichen Leitbild des Handelsvertreters in vollem Umfang entspricht. Ausweislich § 2 Abs. 2 des Consultantvertrages war der Beklagte verpflichtet, seine Dienste in Person und mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes zu erbringen. Er erhielt gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 für seine Tätigkeit Vergütungen in Form von Provisionen und Honoraren. Gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 trug der Beklagte die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit unmittelbar entstandenen Aufwendungen, insbesondere KFZ-, Telefon-, Reise- und Bewirtungskosten selbst. Die Beiträge zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung hatte die Klägerin gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 nur für das erste Jahr ab Vertragsschluss übernommen, ab dem zweiten Jahr waren sie von dem Beklagten zu zahlen. § 14 Abs. 1 und 2 des Consultantvertrages legte die Kündigungsfristen des § 89 Abs. 1 HGB zugrunde. § 7 des Vertrages enthielt nähere Bestimmungen zum Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB. Darüber hinaus sollten gemäß § 15 Abs. 2 des Vertrages im Übrigen die Vorschriften des HGB Anwendung finden, soweit in dem Vertrag nichts anderes bestimmt war.

Der Beklagte konnte gemäß § 1 Abs. 3 des Consultantvertrages auch seine Arbeitszeit frei gestalten. Dass er gemäß § 5 des Vertrages bei urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit in Abstimmung mit dem Geschäftsstellenleiter für eine Vertretung zu sorgen hatte, berührte die freie Arbeitszeitgestaltung des Beklagten nicht wesentlich und entspricht einer ordentlichen kaufmännischen Geschäftsführung.

Auch die weiteren vertraglichen Vereinbarungen und tatsächlichen Handhabungen stehen einer Einordnung des Beklagten als selbständiger Handelsvertreter nicht entgegen. Insbesondere die Zuordnung zu einer bestimmten Geschäftsstelle gemäß § 1 Abs. 3 des Vertrages stellt eine vom Handelsvertreter zu akzeptierende Entscheidung des Unternehmers im Rahmen der Kundenbetreuung gemäß § 86 a HGB dar (Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 03.05.2005, Az.: 16 W 119/04). Sie beinhaltet nicht die Zuweisung eines Arbeitsortes, sondern die Zuordnung eines bestimmten Vertriebsbezirkes. Auch die Regelung in § 9 des Vertrages, wonach der Beklagte Hilfspersonen ausschließlich zu Hilfstätigkeiten im Rahmen seiner eigenen persönlichen Organisation beschäftigen durfte, spricht nicht entscheidend gegen die freie Gestaltung seiner Tätigkeit. Der Beklagte war im Bereich der Versicherungs- und Finanzberatung sowie der Versicherungs- und Finanzvermittlung tätig. Die Klägerin hatte im Hinblick auf das Haftungsrisiko und ihren Kundenkreis ein berechtigtes Interesse daran, den Kreis der für sie tätigen Handelsvertreter zu überschauen und nur solche Personen für sie tätig werden zu lassen, die die entsprechenden Voraussetzungen und Kenntnisse für die von ihr angestrebte Qualität der Beratung haben. Auch die von der Klägerin zu tragenden Fixkosten wie Raummiete, Gehälter, Grundgebühr und Miete für das Telefon sowie Büromaterial, Porti, Fachzeitschriften und Telefaxkosten gemäß § 8 Abs.1 des Vertrages lassen die Eigenschaft des Beklagten als selbstständiger Handelsvertreter nicht entfallen. Insbesondere für den Einfirmenvertreter im Sinne von § 92 a HGB, der nicht für weitere Unternehmer tätig werden darf, ist es typisch, dass er entsprechend eines bestimmten Gestaltungsmodells des Unternehmens tätig ist und von diesem auch hinsichtlich der Büroorganisation unterstützt wird (Schleswig-Holsteinisches OLG a.a.O.).

Soweit sich der Beklagte in seiner Beschwerdeerwiderung vom 05.06.2008 darauf beruft, die Klägerin habe dem Beklagten Lehrmaterialien zur Verfügung gestellt, in denen davon gesprochen worden sei, dass ein Vertragsverhältnis der zwischen den Parteien bestehenden Art ein Angestelltenverhältnis sei, kann dieses Vorbringen schon deshalb keine Zweifel an der Richtigkeit der vorstehend vorgenommenen rechtlichen Einordnung begründen, da der Vortrag völlig unsubstantiiert ist und auch die in Bezug genommenen Unterlagen nicht vorgelegt worden sind. Darüber hinaus vermag eine etwaige unzutreffende rechtliche Einordnung in den von dem Beklagten angeführten Lehrmaterialien an der wahren Rechtsnatur der Vertragsbeziehungen ohnehin nichts zu ändern. Schließlich ist das Vorbringen des Beklagten auch nicht in Einklang zu bringen mit dem bislang unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin, der Beklagte habe eine Gewerbeerlaubnis gemäß § 34 c GewO beantragt und erhalten und sich bei der BfA befreien lassen mit der eigenen Behauptung, er sei als Selbständiger für die Klägerin tätig.

2.

War der Beklagte Handelsvertreter, so kann sich die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nur aus § 5 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 92 a HGB ergeben. § 5 Abs. 3 ArbGG trifft eine Sonderregelung, der zu Folge Handelsvertreter ausdrücklich nur unter den dort genannten Voraussetzungen als Arbeitnehmer gelten sollen (OLG Köln VersR 01, 895).

Gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet für Handelsvertreter, für die nach § 92 a HGB die untere Grenze der vertraglichen Leistungen des Unternehmers festgesetzt werden kann und die während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses, bei kürzerer Vertragsdauer während dieser, im Durchschnitt monatlich nicht mehr als 1.000,00 EUR auf Grund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandene Aufwendungen bezogen haben.

Dass der Beklagte unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 92 a HGB fällt, ist zwischen den Parteien nicht streitig.

Für die Bestimmung der Vergütungsgrenze von 1.000,00 EUR kommt es nach der vom Senat geteilten herrschenden Ansicht auf alle unbedingt entstandenen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis an, nicht aber auf die tatsächlich erfolgten Zahlungen (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 30.12.2004, Az.: 17 W 74/04; OLGR Düsseldorf 05, 540; BGH NJW 64, 497; OLGR Düsseldorf 00, 454; Röhricht/v. Westphalen/Küstner, HGB, § 92 a Rn. 6; Baumbach/Hopt HGB, § 84 Rn. 46; Hopt, Handelsvertreterrecht, § 84 Rn. 46; Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 92a Rn. 6).

Gemessen an diesen Maßstäben bezog der Beklagte während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses im Durchschnitt mehr als 1.000 EUR an Vergütung. Sein monatlicher Durchschnittsverdienst betrug allein bei Berücksichtigung der ihm gemäß § 6 Abs. 5 und 10 des Consultantvertrages für die letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses dauerhaft verbleibenden Provisionsvorschüsse in diesem Zeitraum mindestens 1.100,00 EUR. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich veröffentlichten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 20.02.2006 - 18 U 40/05 - daran fest, dass diese Vorschüsse bei der Ermittlung der nach § 5 Abs. 3 maßgeblichen Vergütungsgrenze zu berücksichtigen sind (vgl. Beschlüsse des Senats vom 23.12.2005 - 19 W 54/05 -, vom 12.07.2006 - 19 W 29/06 - und vom 29.09.2006 - 19 W 55/06-).

Zwar geht das Oberlandsgericht Hamm in seinem vorbezeichneten Beschluss zutreffend davon aus, dass die Provisionsvorschüsse gemäß der insoweit eindeutigen Regelung in § 6 Abs. 5 des Vertrages zunächst darlehensweise gewährt wurden. Auch sollte der Teilerlass gemäß § 6 Abs. 10 des Vertrages erst im Falle des Ausscheidens des Consultants zum Tragen kommen, stand also insoweit unter einer aufschiebenden Bedingung. Entscheidend für die Eröffnung des Rechtsweges gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG ist aber nicht diese Vertragsausgangslage, sondern die Frage, ob sich im Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses die zunächst darlehensweise gewährten Zuschüsse in unbedingt gewährte Leistungen umgewandelt hatten. Dies war nach den Bestimmungen des Consultantvertrages der Fall, da sich die darlehensweise gewährten Provisionsvorschüsse aufgrund der im Vorhinein erlassenen Rückzahlungsverpflichtung im Moment des Ausscheidens des Beklagten automatisch in unbedingt bezogene Vergütungen verwandelt hatten. Auch der Umstand, dass der Beklagte als Gegenleistung auf 50% des zum Zeitpunkt seines Ausscheidens bestehenden Schwebegeschäfts verzichtet hat, ändert nichts an dem unbedingten Vergütungscharakter bezüglich der anderen Hälfte. Allein hierauf kommt es aber im Rahmen von § 5 Abs. 3 ArbGG an.

Schließlich gebietet auch der Schutzzweck des § 5 Abs. 3 ArbGG keine andere Beurteilung. § 5 Abs. 3 ArbGG macht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nicht von dem individuellen unternehmerischen Erfolg des Handelsvertreters, sondern von einer bestimmten Vergütungsgrenze abhängig. Aus welchen Bestandteilen sich die Vergütung zusammensetzt, spielt für § 5 Abs. 3 ArbGG keine Rolle; Provisionen werden nur beispielhaft genannt. Es kommt deshalb nach der Wertung des Gesetzgebers zur Beurteilung der Schutzbedürftigkeit nicht entscheidend darauf an, ob der Handelsvertreter gerade über das Geschick und Können verfügt, Provisionsverdienste in Höhe von mehr als 1.000,00 EUR monatlich zu erzielen. Rechtswegbestimmend sind vielmehr die ihm aufgrund des Vertragsverhältnisses letztlich für die letzten sechs Monate unbedingt zustehenden Gesamtbeträge. Dies könnte - wenn der Verordnungsgesetzgeber von der in § 92 a HGB eröffneten Ermächtigung Gebrauch machen würde - auch allein eine gesetzlich vorgegebene Mindestvergütung sein, was deutlich macht, dass § 5 Abs. 3 ArbGG allein auf die dem Handelsvertreter zur Verfügung stehende Vergütung abstellt - unabhängig davon, woraus sie resultiert.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

4.

Beschwerdewert: 2.886,43 EUR (1/3 des Hauptsachestreitswertes von vgl. BGH NJW 98, 909; Zöller/Gummer, 26. Aufl., § 17 a GVG, Rz. 20 m.w.N.).

5.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 ZPO, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zum Anwendungsbereich des § 5 Abs. 3 ArbGG eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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